Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Materialien zur Polenpolitik

Materialien zur Polenpolitik

[Beginn Spaltensatz]

n der Polenfrage
Wirft die "Gcizita Poranna" zu Warschau
(Ur. 205 vom 29. August 1918) der deutschen
Presse vor:

Falsche Informationen i

"Das Polnische Volk hat eine große Menge
weit wichtigerer, realerer Fragen vor sich, als es
die Umschau nach Kandidaten für den polnischen
Thron ist. Diese Sache ist um so weniger
aktuell, als die Frage der zukünftigen Bünd¬
nisse und Konventionen, durch die dieWe-
ziehungen des polnischen Staates zu den
benachbarten Böllern geregelt werden, nur
durch einen Landtag entschieden werden kann,
der auf demokratischer Grundlage einberufen
werden und den freien Willen des Volkes dar¬
stellen würde. Übrigens ist die gegenwärtige
Lage sehr unsicher und unbestimmt und kann
sich bedeutend ändern, so daß sie zur Entschei¬
dung über die unbekannte und ungewisse Zu¬
kunft nicht geeignet ist. Das Polnische Volk
ist im Laufe der langjährigen Knechtschaft vor¬
sichtig, ausdauernd und geduldig geworden."

[Spaltenumbruch]

Polenklub in Wien wird mit dieser Möglichkeit
unter keiner Bedingung einverstanden sein."

Instinkt der Masse" und Polnischer

Rationalismus",

so betitelt der "Kurjer
Poznanski" (Ur. 197 vom 29. August 1918)
einen Artikel, in dem es heißt: "Wenn die
riesige Mehrheit der Volksgemeinschaft in¬
stinktiv die Gefahr fühlt, die sich in der
Tätigkeit der aktivistischen Vertreter birgt, so
entspricht das der schließlichen Überzeugung,
daß die momentanen Vorteile in keinem Ver¬
hältnis zu dem Preise stehen würden, wenn
man sie mit Verpflichtungen politischer Natur
bezahlen müßte, welche die ganze Zukunft
Polens nach einer einseitigen Richtung ge¬
stalten würden, bei welcher die freie Ent¬
wicklung der Nation von fremden, teilweise
uns gegnerischen Interessen abhängig wäre."

Statistische Ziffern über Umfang und Ein¬
wohnerzahl des neuen polnischen Staates

veröffentlicht die "Gazeta Pvznanska" (Ur. 194
vom 23. August 1918) mit durchsichtiger Ab¬
sicht: "Angesichts der Gerüchte, daß der pol¬
nische Staat nur aus Kongreßpolen gebildet
Werden soll, verlohnt es sich, eine vergleichende
Statistik über den eventuellen Umfang sowie
über die Einwohnerzahl dieses Staates auf¬
zustellen.

Der ehemalige Freistaat Polen hatte im
Jahre 1772, also vor der ersten Teilung
Polens, einen Umfang von 730000 Quadrat¬
kilometern, einschließlich des Lehnlandes Kur¬
land hatte er einen Umfang von mehr als
760 000 Quadratkilometern!

Nach der ersten Teilung Polens betrug
daS Gebiet des Polnischen Staates 520000
Quadratkilometer.

Selbst nach der zweiten Teilung Polens,
durch die der polnische Staat so sehr gekürzt
wurde, hatte dieses Gebiet noch einen Umfang
von 200000 Quadratkilonietern. Und es hieß
doch damals schon, daß der Polnische Staat
nicht mehr existiere.

Das gegenwärtige Kongreßpolen hat einen
Umfang von 123 000 Quadratkilometern. Es
stellt somit nur den sechsten Teil des früheren
Gebietes des polnischen Freistaates dar.

Im Falle der Vereinigung Kongreßpolens

[Ende Spaltensatz]

DieLemberger "GazotaPoranna" Mr,4318
vom 23. August 1918) schreibt über die
Beratungen im deutschen Hauptquartier:
"Es ist schon heute klar, daß wir es mit
einer deutschen Intrige zu tun hatten, die
darauf hinausging, die polnische Angelegen¬
heit durch Schaffung eines "selbständigen",
aber mit Deutschland durch eine Reihe von
Konventionen verbundenen Königreiches zu
lösen, und zwar ohne Galizien und -- mit
Erzherzog Karl Stephan aus dem Thron.
Die Deutschen wollten in dieser Weise die für
sie angeblich gefährliche anhero-polnischo Lösung
verhindern und durch Scheinkonzessionen die
Polen für ihr Projekt gewinnen. Glücklicher¬
weise ist dieser Plan nicht gelungen, und er
hat auch nicht gelingen können. Das Streben
nach Vereinigung des Königreiches mit Galizien
ist in weiten Kreisen des Gemeinwesens so
stark festgewurzelt, das Verständnis für die
Wichtigkeit dieses Postulates ist bei den Ver¬
antwortlicher Faktoren so stark, daß von einer
Verzichtleistung demgegenüber nicht die Rede
sein kann. Der Negentschaftsrat oder die
polnische Negierung werden nie an einem
solchen Politischen Harakiri teilnehmen, der


Materialien zur Polenpolitik

Materialien zur Polenpolitik

[Beginn Spaltensatz]

n der Polenfrage
Wirft die „Gcizita Poranna" zu Warschau
(Ur. 205 vom 29. August 1918) der deutschen
Presse vor:

Falsche Informationen i

„Das Polnische Volk hat eine große Menge
weit wichtigerer, realerer Fragen vor sich, als es
die Umschau nach Kandidaten für den polnischen
Thron ist. Diese Sache ist um so weniger
aktuell, als die Frage der zukünftigen Bünd¬
nisse und Konventionen, durch die dieWe-
ziehungen des polnischen Staates zu den
benachbarten Böllern geregelt werden, nur
durch einen Landtag entschieden werden kann,
der auf demokratischer Grundlage einberufen
werden und den freien Willen des Volkes dar¬
stellen würde. Übrigens ist die gegenwärtige
Lage sehr unsicher und unbestimmt und kann
sich bedeutend ändern, so daß sie zur Entschei¬
dung über die unbekannte und ungewisse Zu¬
kunft nicht geeignet ist. Das Polnische Volk
ist im Laufe der langjährigen Knechtschaft vor¬
sichtig, ausdauernd und geduldig geworden."

[Spaltenumbruch]

Polenklub in Wien wird mit dieser Möglichkeit
unter keiner Bedingung einverstanden sein."

Instinkt der Masse» und Polnischer

Rationalismus",

so betitelt der „Kurjer
Poznanski" (Ur. 197 vom 29. August 1918)
einen Artikel, in dem es heißt: „Wenn die
riesige Mehrheit der Volksgemeinschaft in¬
stinktiv die Gefahr fühlt, die sich in der
Tätigkeit der aktivistischen Vertreter birgt, so
entspricht das der schließlichen Überzeugung,
daß die momentanen Vorteile in keinem Ver¬
hältnis zu dem Preise stehen würden, wenn
man sie mit Verpflichtungen politischer Natur
bezahlen müßte, welche die ganze Zukunft
Polens nach einer einseitigen Richtung ge¬
stalten würden, bei welcher die freie Ent¬
wicklung der Nation von fremden, teilweise
uns gegnerischen Interessen abhängig wäre."

Statistische Ziffern über Umfang und Ein¬
wohnerzahl des neuen polnischen Staates

veröffentlicht die „Gazeta Pvznanska" (Ur. 194
vom 23. August 1918) mit durchsichtiger Ab¬
sicht: „Angesichts der Gerüchte, daß der pol¬
nische Staat nur aus Kongreßpolen gebildet
Werden soll, verlohnt es sich, eine vergleichende
Statistik über den eventuellen Umfang sowie
über die Einwohnerzahl dieses Staates auf¬
zustellen.

Der ehemalige Freistaat Polen hatte im
Jahre 1772, also vor der ersten Teilung
Polens, einen Umfang von 730000 Quadrat¬
kilometern, einschließlich des Lehnlandes Kur¬
land hatte er einen Umfang von mehr als
760 000 Quadratkilometern!

Nach der ersten Teilung Polens betrug
daS Gebiet des Polnischen Staates 520000
Quadratkilometer.

Selbst nach der zweiten Teilung Polens,
durch die der polnische Staat so sehr gekürzt
wurde, hatte dieses Gebiet noch einen Umfang
von 200000 Quadratkilonietern. Und es hieß
doch damals schon, daß der Polnische Staat
nicht mehr existiere.

Das gegenwärtige Kongreßpolen hat einen
Umfang von 123 000 Quadratkilometern. Es
stellt somit nur den sechsten Teil des früheren
Gebietes des polnischen Freistaates dar.

Im Falle der Vereinigung Kongreßpolens

[Ende Spaltensatz]

DieLemberger „GazotaPoranna" Mr,4318
vom 23. August 1918) schreibt über die
Beratungen im deutschen Hauptquartier:
„Es ist schon heute klar, daß wir es mit
einer deutschen Intrige zu tun hatten, die
darauf hinausging, die polnische Angelegen¬
heit durch Schaffung eines „selbständigen",
aber mit Deutschland durch eine Reihe von
Konventionen verbundenen Königreiches zu
lösen, und zwar ohne Galizien und — mit
Erzherzog Karl Stephan aus dem Thron.
Die Deutschen wollten in dieser Weise die für
sie angeblich gefährliche anhero-polnischo Lösung
verhindern und durch Scheinkonzessionen die
Polen für ihr Projekt gewinnen. Glücklicher¬
weise ist dieser Plan nicht gelungen, und er
hat auch nicht gelingen können. Das Streben
nach Vereinigung des Königreiches mit Galizien
ist in weiten Kreisen des Gemeinwesens so
stark festgewurzelt, das Verständnis für die
Wichtigkeit dieses Postulates ist bei den Ver¬
antwortlicher Faktoren so stark, daß von einer
Verzichtleistung demgegenüber nicht die Rede
sein kann. Der Negentschaftsrat oder die
polnische Negierung werden nie an einem
solchen Politischen Harakiri teilnehmen, der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0338" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/334183"/>
            <fw type="header" place="top"> Materialien zur Polenpolitik</fw><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Materialien zur Polenpolitik</head><lb/>
          <cb type="start"/>
          <p xml:id="ID_1358"> n der Polenfrage<lb/>
Wirft die &#x201E;Gcizita Poranna" zu Warschau<lb/>
(Ur. 205 vom 29. August 1918) der deutschen<lb/>
Presse vor:</p>
          <div n="2">
            <head> Falsche Informationen i</head>
            <p xml:id="ID_1359" next="#ID_1360"> &#x201E;Das Polnische Volk hat eine große Menge<lb/>
weit wichtigerer, realerer Fragen vor sich, als es<lb/>
die Umschau nach Kandidaten für den polnischen<lb/>
Thron ist. Diese Sache ist um so weniger<lb/>
aktuell, als die Frage der zukünftigen Bünd¬<lb/>
nisse und Konventionen, durch die dieWe-<lb/>
ziehungen des polnischen Staates zu den<lb/>
benachbarten Böllern geregelt werden, nur<lb/>
durch einen Landtag entschieden werden kann,<lb/>
der auf demokratischer Grundlage einberufen<lb/>
werden und den freien Willen des Volkes dar¬<lb/>
stellen würde. Übrigens ist die gegenwärtige<lb/>
Lage sehr unsicher und unbestimmt und kann<lb/>
sich bedeutend ändern, so daß sie zur Entschei¬<lb/>
dung über die unbekannte und ungewisse Zu¬<lb/>
kunft nicht geeignet ist. Das Polnische Volk<lb/>
ist im Laufe der langjährigen Knechtschaft vor¬<lb/>
sichtig, ausdauernd und geduldig geworden."</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_1360" prev="#ID_1359"> Polenklub in Wien wird mit dieser Möglichkeit<lb/>
unter keiner Bedingung einverstanden sein."</p>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Instinkt der Masse» und Polnischer</head><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Rationalismus",</head>
            <p xml:id="ID_1361"> so betitelt der &#x201E;Kurjer<lb/>
Poznanski" (Ur. 197 vom 29. August 1918)<lb/>
einen Artikel, in dem es heißt: &#x201E;Wenn die<lb/>
riesige Mehrheit der Volksgemeinschaft in¬<lb/>
stinktiv die Gefahr fühlt, die sich in der<lb/>
Tätigkeit der aktivistischen Vertreter birgt, so<lb/>
entspricht das der schließlichen Überzeugung,<lb/>
daß die momentanen Vorteile in keinem Ver¬<lb/>
hältnis zu dem Preise stehen würden, wenn<lb/>
man sie mit Verpflichtungen politischer Natur<lb/>
bezahlen müßte, welche die ganze Zukunft<lb/>
Polens nach einer einseitigen Richtung ge¬<lb/>
stalten würden, bei welcher die freie Ent¬<lb/>
wicklung der Nation von fremden, teilweise<lb/>
uns gegnerischen Interessen abhängig wäre."</p>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Statistische Ziffern über Umfang und Ein¬<lb/>
wohnerzahl des neuen polnischen Staates</head>
            <p xml:id="ID_1362"> veröffentlicht die &#x201E;Gazeta Pvznanska" (Ur. 194<lb/>
vom 23. August 1918) mit durchsichtiger Ab¬<lb/>
sicht: &#x201E;Angesichts der Gerüchte, daß der pol¬<lb/>
nische Staat nur aus Kongreßpolen gebildet<lb/>
Werden soll, verlohnt es sich, eine vergleichende<lb/>
Statistik über den eventuellen Umfang sowie<lb/>
über die Einwohnerzahl dieses Staates auf¬<lb/>
zustellen.</p>
            <p xml:id="ID_1363"> Der ehemalige Freistaat Polen hatte im<lb/>
Jahre 1772, also vor der ersten Teilung<lb/>
Polens, einen Umfang von 730000 Quadrat¬<lb/>
kilometern, einschließlich des Lehnlandes Kur¬<lb/>
land hatte er einen Umfang von mehr als<lb/>
760 000 Quadratkilometern!</p>
            <p xml:id="ID_1364"> Nach der ersten Teilung Polens betrug<lb/>
daS Gebiet des Polnischen Staates 520000<lb/>
Quadratkilometer.</p>
            <p xml:id="ID_1365"> Selbst nach der zweiten Teilung Polens,<lb/>
durch die der polnische Staat so sehr gekürzt<lb/>
wurde, hatte dieses Gebiet noch einen Umfang<lb/>
von 200000 Quadratkilonietern. Und es hieß<lb/>
doch damals schon, daß der Polnische Staat<lb/>
nicht mehr existiere.</p>
            <p xml:id="ID_1366"> Das gegenwärtige Kongreßpolen hat einen<lb/>
Umfang von 123 000 Quadratkilometern. Es<lb/>
stellt somit nur den sechsten Teil des früheren<lb/>
Gebietes des polnischen Freistaates dar.</p>
            <p xml:id="ID_1367"> Im Falle der Vereinigung Kongreßpolens</p>
            <cb type="end"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1368" next="#ID_1369"> DieLemberger &#x201E;GazotaPoranna" Mr,4318<lb/>
vom 23. August 1918) schreibt über die<lb/>
Beratungen im deutschen Hauptquartier:<lb/>
&#x201E;Es ist schon heute klar, daß wir es mit<lb/>
einer deutschen Intrige zu tun hatten, die<lb/>
darauf hinausging, die polnische Angelegen¬<lb/>
heit durch Schaffung eines &#x201E;selbständigen",<lb/>
aber mit Deutschland durch eine Reihe von<lb/>
Konventionen verbundenen Königreiches zu<lb/>
lösen, und zwar ohne Galizien und &#x2014; mit<lb/>
Erzherzog Karl Stephan aus dem Thron.<lb/>
Die Deutschen wollten in dieser Weise die für<lb/>
sie angeblich gefährliche anhero-polnischo Lösung<lb/>
verhindern und durch Scheinkonzessionen die<lb/>
Polen für ihr Projekt gewinnen. Glücklicher¬<lb/>
weise ist dieser Plan nicht gelungen, und er<lb/>
hat auch nicht gelingen können. Das Streben<lb/>
nach Vereinigung des Königreiches mit Galizien<lb/>
ist in weiten Kreisen des Gemeinwesens so<lb/>
stark festgewurzelt, das Verständnis für die<lb/>
Wichtigkeit dieses Postulates ist bei den Ver¬<lb/>
antwortlicher Faktoren so stark, daß von einer<lb/>
Verzichtleistung demgegenüber nicht die Rede<lb/>
sein kann. Der Negentschaftsrat oder die<lb/>
polnische Negierung werden nie an einem<lb/>
solchen Politischen Harakiri teilnehmen, der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0338] Materialien zur Polenpolitik Materialien zur Polenpolitik n der Polenfrage Wirft die „Gcizita Poranna" zu Warschau (Ur. 205 vom 29. August 1918) der deutschen Presse vor: Falsche Informationen i „Das Polnische Volk hat eine große Menge weit wichtigerer, realerer Fragen vor sich, als es die Umschau nach Kandidaten für den polnischen Thron ist. Diese Sache ist um so weniger aktuell, als die Frage der zukünftigen Bünd¬ nisse und Konventionen, durch die dieWe- ziehungen des polnischen Staates zu den benachbarten Böllern geregelt werden, nur durch einen Landtag entschieden werden kann, der auf demokratischer Grundlage einberufen werden und den freien Willen des Volkes dar¬ stellen würde. Übrigens ist die gegenwärtige Lage sehr unsicher und unbestimmt und kann sich bedeutend ändern, so daß sie zur Entschei¬ dung über die unbekannte und ungewisse Zu¬ kunft nicht geeignet ist. Das Polnische Volk ist im Laufe der langjährigen Knechtschaft vor¬ sichtig, ausdauernd und geduldig geworden." Polenklub in Wien wird mit dieser Möglichkeit unter keiner Bedingung einverstanden sein." Instinkt der Masse» und Polnischer Rationalismus", so betitelt der „Kurjer Poznanski" (Ur. 197 vom 29. August 1918) einen Artikel, in dem es heißt: „Wenn die riesige Mehrheit der Volksgemeinschaft in¬ stinktiv die Gefahr fühlt, die sich in der Tätigkeit der aktivistischen Vertreter birgt, so entspricht das der schließlichen Überzeugung, daß die momentanen Vorteile in keinem Ver¬ hältnis zu dem Preise stehen würden, wenn man sie mit Verpflichtungen politischer Natur bezahlen müßte, welche die ganze Zukunft Polens nach einer einseitigen Richtung ge¬ stalten würden, bei welcher die freie Ent¬ wicklung der Nation von fremden, teilweise uns gegnerischen Interessen abhängig wäre." Statistische Ziffern über Umfang und Ein¬ wohnerzahl des neuen polnischen Staates veröffentlicht die „Gazeta Pvznanska" (Ur. 194 vom 23. August 1918) mit durchsichtiger Ab¬ sicht: „Angesichts der Gerüchte, daß der pol¬ nische Staat nur aus Kongreßpolen gebildet Werden soll, verlohnt es sich, eine vergleichende Statistik über den eventuellen Umfang sowie über die Einwohnerzahl dieses Staates auf¬ zustellen. Der ehemalige Freistaat Polen hatte im Jahre 1772, also vor der ersten Teilung Polens, einen Umfang von 730000 Quadrat¬ kilometern, einschließlich des Lehnlandes Kur¬ land hatte er einen Umfang von mehr als 760 000 Quadratkilometern! Nach der ersten Teilung Polens betrug daS Gebiet des Polnischen Staates 520000 Quadratkilometer. Selbst nach der zweiten Teilung Polens, durch die der polnische Staat so sehr gekürzt wurde, hatte dieses Gebiet noch einen Umfang von 200000 Quadratkilonietern. Und es hieß doch damals schon, daß der Polnische Staat nicht mehr existiere. Das gegenwärtige Kongreßpolen hat einen Umfang von 123 000 Quadratkilometern. Es stellt somit nur den sechsten Teil des früheren Gebietes des polnischen Freistaates dar. Im Falle der Vereinigung Kongreßpolens DieLemberger „GazotaPoranna" Mr,4318 vom 23. August 1918) schreibt über die Beratungen im deutschen Hauptquartier: „Es ist schon heute klar, daß wir es mit einer deutschen Intrige zu tun hatten, die darauf hinausging, die polnische Angelegen¬ heit durch Schaffung eines „selbständigen", aber mit Deutschland durch eine Reihe von Konventionen verbundenen Königreiches zu lösen, und zwar ohne Galizien und — mit Erzherzog Karl Stephan aus dem Thron. Die Deutschen wollten in dieser Weise die für sie angeblich gefährliche anhero-polnischo Lösung verhindern und durch Scheinkonzessionen die Polen für ihr Projekt gewinnen. Glücklicher¬ weise ist dieser Plan nicht gelungen, und er hat auch nicht gelingen können. Das Streben nach Vereinigung des Königreiches mit Galizien ist in weiten Kreisen des Gemeinwesens so stark festgewurzelt, das Verständnis für die Wichtigkeit dieses Postulates ist bei den Ver¬ antwortlicher Faktoren so stark, daß von einer Verzichtleistung demgegenüber nicht die Rede sein kann. Der Negentschaftsrat oder die polnische Negierung werden nie an einem solchen Politischen Harakiri teilnehmen, der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/338
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/338>, abgerufen am 22.07.2024.