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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die Behandlung der Letten und Ehlen

Estentums ist der politische Separatismus, der Traum der Brihwa Latwija, des
freien Lettland und ebenso des freien selbständigen Eesti. Es gibt politisch,
besonnene und kluge Köpfe in beiden Völkern, die in diesen schäumenden Wein
schon jetzt den nötigen Schuß Wasser gießen und auf die Undurchsührbarkeit eurer
völligen Selbständigkeit der kleinen Länder hinweisen. Aber sie sinden beim
Ehrgeiz der dünnen Intelligenz, die von künftigen Ministersesseln träumt, und
bei den unreifen Pubertätsinstinkten ihres Zeitungspublikums begreiflicherweise
nicht, eben allzu großen Widerhall. Insbesondere liebt es dieser von englischen
Agenten genährte politisch ahnungslose Separatismus, sich auf die Verkündung
des Selbstbestimmungsrechts der Volker vou deutscher Seile zu berufen. Wir
brauchen diese Stimmungen nicht zu überschätzen, aber wir müssen mit ihnen
als beachtlicher politischen Faktoren rechnen und es gilt ihnen in der Fassade des
neu zu errichtenden Staatswesens Rechnung zu tragen und ihnen die
parlamentarischen und publizistischen Auspusfventile nicht ohne Not und über
Gebühr zu entziehen. Kein Mensch, der politische Probleme nach der Eigenart
der örtlichen Verhältnisse statt an Hand starrer Doktrinen ermißt, wird verlangen,
daß man dem baltischen Lande in nächster Zeit schon unser demokratisches Wahl¬
recht oder eine unbeschränkte Preßfreiheit gäbe- Das verbietet schon die Nähe des
revolutionär zerwühlten Rußland und der in Deutschland fortbestehende Kriegs¬
zustand noch auf lange hin. Aber es wäre unklug, auf die Dauer die
oppositionellen Stimmen von der Öffentlichkeit ganz abzusperren, weil damit
der geheimen Versetzung lediglich Vorschub geleistet würde. Nachdem die
wichtigsten Beschlüsse 'endgültig 'gefaßt sind, steht nach einer Konstituierung des
baltischen Gesamtstaates und einer Durchorganisierung einer einheitlichen
deutschen Landesverwaltung der maßvollen Gewährung demokratisierender
parlamentarischer Zugeständnisse nichts im Wege, sofern das deutsche Regiment
im Land, das sich im weitgehenden Maße mit Deutschbalten und, soweit möglich
und angängig, auch mit Letten und Ehlen zu ergänzen hätte, sich seines Zieles,
der politischen Eingliederung des Baltenstaates in die deutsch-mitteleuropäische
Interessensphäre, fest und unverrückbar bewußt bleibt. Eine weitere, vielleicht
die schwierigere Voraussetzung ist freilich, daß die deutsche publizistische und
parlamentarische Öffentlichkeit endlich davon Abstand nimmt, ihre Partei¬
schablonen ans die ihr gänzlich unbekannte politische Wirklichkeit des Balten¬
landes zu übertragen und durch unverständige Kritik der deutschen Gewalt im
Lande in den Rücken zu fallen, der radikal-demokratischen keltisch - chemischen
Opposition dagegen den Nacken noch mehr zu steifen. Es gilt, die nüchtern
denkenden und arbeitsamen Elemente der Unterschicht des Landes nach Möglich¬
keit für die neue Organisation zu erfassen und sie möglichst zwanglos in die neue
Politische Blickrichtung einzustellen. Das ist eine Aufgabe, die an den
kasuistischen Takt der 'im Lande entscheidenden Instanzen große Anforderungen
stellt, durch doktrinäres Dareinreden von außen her aber mehr gehemmt als
gefördert wird.

Als dritte Behandlungssphäre ist schließlich neben dem wirtschaftlichen
und politischen das kulturelle Gebiet zu würdigen. Man soll sich gerade nach den
elsaß-Iothringischen Erfahrungen nicht über die starken Rückwirkungen der
kulturellen Haltung auf die politische täuschen. Im übrigen versagt aber gerade
hier die Analogie zwischen Ost und West vollkommen. Die elsässische Bourgeoisie
fand ihren Rückhalt an der einflußreichen französischen Weltkultur. Der Lette
hat mit der russischen Kultur nichts zu tun; was er will, ist eine Ausgestaltung
seiner eigenen noch ganz in den Anfängen steckenden lettischen Nationalkultur,
die im Grunde deutschen Ursprungs ist. Wir lächeln darüber, wenn wir kürzlich
in einer lettischen Zeitung lesen konnten, die lettische Kultur könne es mit jeder
anderen europäischen Kultur aufnehmen, wobei als Argument angeführt wurde,
daß bereits ein lettisches Konversationslexikon existiere. Den Uebersetzungseifer
der lettischen Litevaten in allen Ehren: aber es wäre vielleicht ganz gut, wenn
solche typischen Aeußerungen dieses kulturell unreifen Größenwahns allgemeiner
in Deutschland bekannt würden. Dann würde man diese "Intelligenz", die sich


Die Behandlung der Letten und Ehlen

Estentums ist der politische Separatismus, der Traum der Brihwa Latwija, des
freien Lettland und ebenso des freien selbständigen Eesti. Es gibt politisch,
besonnene und kluge Köpfe in beiden Völkern, die in diesen schäumenden Wein
schon jetzt den nötigen Schuß Wasser gießen und auf die Undurchsührbarkeit eurer
völligen Selbständigkeit der kleinen Länder hinweisen. Aber sie sinden beim
Ehrgeiz der dünnen Intelligenz, die von künftigen Ministersesseln träumt, und
bei den unreifen Pubertätsinstinkten ihres Zeitungspublikums begreiflicherweise
nicht, eben allzu großen Widerhall. Insbesondere liebt es dieser von englischen
Agenten genährte politisch ahnungslose Separatismus, sich auf die Verkündung
des Selbstbestimmungsrechts der Volker vou deutscher Seile zu berufen. Wir
brauchen diese Stimmungen nicht zu überschätzen, aber wir müssen mit ihnen
als beachtlicher politischen Faktoren rechnen und es gilt ihnen in der Fassade des
neu zu errichtenden Staatswesens Rechnung zu tragen und ihnen die
parlamentarischen und publizistischen Auspusfventile nicht ohne Not und über
Gebühr zu entziehen. Kein Mensch, der politische Probleme nach der Eigenart
der örtlichen Verhältnisse statt an Hand starrer Doktrinen ermißt, wird verlangen,
daß man dem baltischen Lande in nächster Zeit schon unser demokratisches Wahl¬
recht oder eine unbeschränkte Preßfreiheit gäbe- Das verbietet schon die Nähe des
revolutionär zerwühlten Rußland und der in Deutschland fortbestehende Kriegs¬
zustand noch auf lange hin. Aber es wäre unklug, auf die Dauer die
oppositionellen Stimmen von der Öffentlichkeit ganz abzusperren, weil damit
der geheimen Versetzung lediglich Vorschub geleistet würde. Nachdem die
wichtigsten Beschlüsse 'endgültig 'gefaßt sind, steht nach einer Konstituierung des
baltischen Gesamtstaates und einer Durchorganisierung einer einheitlichen
deutschen Landesverwaltung der maßvollen Gewährung demokratisierender
parlamentarischer Zugeständnisse nichts im Wege, sofern das deutsche Regiment
im Land, das sich im weitgehenden Maße mit Deutschbalten und, soweit möglich
und angängig, auch mit Letten und Ehlen zu ergänzen hätte, sich seines Zieles,
der politischen Eingliederung des Baltenstaates in die deutsch-mitteleuropäische
Interessensphäre, fest und unverrückbar bewußt bleibt. Eine weitere, vielleicht
die schwierigere Voraussetzung ist freilich, daß die deutsche publizistische und
parlamentarische Öffentlichkeit endlich davon Abstand nimmt, ihre Partei¬
schablonen ans die ihr gänzlich unbekannte politische Wirklichkeit des Balten¬
landes zu übertragen und durch unverständige Kritik der deutschen Gewalt im
Lande in den Rücken zu fallen, der radikal-demokratischen keltisch - chemischen
Opposition dagegen den Nacken noch mehr zu steifen. Es gilt, die nüchtern
denkenden und arbeitsamen Elemente der Unterschicht des Landes nach Möglich¬
keit für die neue Organisation zu erfassen und sie möglichst zwanglos in die neue
Politische Blickrichtung einzustellen. Das ist eine Aufgabe, die an den
kasuistischen Takt der 'im Lande entscheidenden Instanzen große Anforderungen
stellt, durch doktrinäres Dareinreden von außen her aber mehr gehemmt als
gefördert wird.

Als dritte Behandlungssphäre ist schließlich neben dem wirtschaftlichen
und politischen das kulturelle Gebiet zu würdigen. Man soll sich gerade nach den
elsaß-Iothringischen Erfahrungen nicht über die starken Rückwirkungen der
kulturellen Haltung auf die politische täuschen. Im übrigen versagt aber gerade
hier die Analogie zwischen Ost und West vollkommen. Die elsässische Bourgeoisie
fand ihren Rückhalt an der einflußreichen französischen Weltkultur. Der Lette
hat mit der russischen Kultur nichts zu tun; was er will, ist eine Ausgestaltung
seiner eigenen noch ganz in den Anfängen steckenden lettischen Nationalkultur,
die im Grunde deutschen Ursprungs ist. Wir lächeln darüber, wenn wir kürzlich
in einer lettischen Zeitung lesen konnten, die lettische Kultur könne es mit jeder
anderen europäischen Kultur aufnehmen, wobei als Argument angeführt wurde,
daß bereits ein lettisches Konversationslexikon existiere. Den Uebersetzungseifer
der lettischen Litevaten in allen Ehren: aber es wäre vielleicht ganz gut, wenn
solche typischen Aeußerungen dieses kulturell unreifen Größenwahns allgemeiner
in Deutschland bekannt würden. Dann würde man diese „Intelligenz", die sich


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[0331] Die Behandlung der Letten und Ehlen Estentums ist der politische Separatismus, der Traum der Brihwa Latwija, des freien Lettland und ebenso des freien selbständigen Eesti. Es gibt politisch, besonnene und kluge Köpfe in beiden Völkern, die in diesen schäumenden Wein schon jetzt den nötigen Schuß Wasser gießen und auf die Undurchsührbarkeit eurer völligen Selbständigkeit der kleinen Länder hinweisen. Aber sie sinden beim Ehrgeiz der dünnen Intelligenz, die von künftigen Ministersesseln träumt, und bei den unreifen Pubertätsinstinkten ihres Zeitungspublikums begreiflicherweise nicht, eben allzu großen Widerhall. Insbesondere liebt es dieser von englischen Agenten genährte politisch ahnungslose Separatismus, sich auf die Verkündung des Selbstbestimmungsrechts der Volker vou deutscher Seile zu berufen. Wir brauchen diese Stimmungen nicht zu überschätzen, aber wir müssen mit ihnen als beachtlicher politischen Faktoren rechnen und es gilt ihnen in der Fassade des neu zu errichtenden Staatswesens Rechnung zu tragen und ihnen die parlamentarischen und publizistischen Auspusfventile nicht ohne Not und über Gebühr zu entziehen. Kein Mensch, der politische Probleme nach der Eigenart der örtlichen Verhältnisse statt an Hand starrer Doktrinen ermißt, wird verlangen, daß man dem baltischen Lande in nächster Zeit schon unser demokratisches Wahl¬ recht oder eine unbeschränkte Preßfreiheit gäbe- Das verbietet schon die Nähe des revolutionär zerwühlten Rußland und der in Deutschland fortbestehende Kriegs¬ zustand noch auf lange hin. Aber es wäre unklug, auf die Dauer die oppositionellen Stimmen von der Öffentlichkeit ganz abzusperren, weil damit der geheimen Versetzung lediglich Vorschub geleistet würde. Nachdem die wichtigsten Beschlüsse 'endgültig 'gefaßt sind, steht nach einer Konstituierung des baltischen Gesamtstaates und einer Durchorganisierung einer einheitlichen deutschen Landesverwaltung der maßvollen Gewährung demokratisierender parlamentarischer Zugeständnisse nichts im Wege, sofern das deutsche Regiment im Land, das sich im weitgehenden Maße mit Deutschbalten und, soweit möglich und angängig, auch mit Letten und Ehlen zu ergänzen hätte, sich seines Zieles, der politischen Eingliederung des Baltenstaates in die deutsch-mitteleuropäische Interessensphäre, fest und unverrückbar bewußt bleibt. Eine weitere, vielleicht die schwierigere Voraussetzung ist freilich, daß die deutsche publizistische und parlamentarische Öffentlichkeit endlich davon Abstand nimmt, ihre Partei¬ schablonen ans die ihr gänzlich unbekannte politische Wirklichkeit des Balten¬ landes zu übertragen und durch unverständige Kritik der deutschen Gewalt im Lande in den Rücken zu fallen, der radikal-demokratischen keltisch - chemischen Opposition dagegen den Nacken noch mehr zu steifen. Es gilt, die nüchtern denkenden und arbeitsamen Elemente der Unterschicht des Landes nach Möglich¬ keit für die neue Organisation zu erfassen und sie möglichst zwanglos in die neue Politische Blickrichtung einzustellen. Das ist eine Aufgabe, die an den kasuistischen Takt der 'im Lande entscheidenden Instanzen große Anforderungen stellt, durch doktrinäres Dareinreden von außen her aber mehr gehemmt als gefördert wird. Als dritte Behandlungssphäre ist schließlich neben dem wirtschaftlichen und politischen das kulturelle Gebiet zu würdigen. Man soll sich gerade nach den elsaß-Iothringischen Erfahrungen nicht über die starken Rückwirkungen der kulturellen Haltung auf die politische täuschen. Im übrigen versagt aber gerade hier die Analogie zwischen Ost und West vollkommen. Die elsässische Bourgeoisie fand ihren Rückhalt an der einflußreichen französischen Weltkultur. Der Lette hat mit der russischen Kultur nichts zu tun; was er will, ist eine Ausgestaltung seiner eigenen noch ganz in den Anfängen steckenden lettischen Nationalkultur, die im Grunde deutschen Ursprungs ist. Wir lächeln darüber, wenn wir kürzlich in einer lettischen Zeitung lesen konnten, die lettische Kultur könne es mit jeder anderen europäischen Kultur aufnehmen, wobei als Argument angeführt wurde, daß bereits ein lettisches Konversationslexikon existiere. Den Uebersetzungseifer der lettischen Litevaten in allen Ehren: aber es wäre vielleicht ganz gut, wenn solche typischen Aeußerungen dieses kulturell unreifen Größenwahns allgemeiner in Deutschland bekannt würden. Dann würde man diese „Intelligenz", die sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/331>, abgerufen am 25.08.2024.