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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Die Behandlung der Letten und Ehlen

können, denn daß noch auf Jahre und Jahrzehnte hinaus das Lettentmn mehr
noch als das etwas reifere Estentnm außerstande sein würde, seinen "autonomen"
Verwaltungsapparat im demokratischen Nußland selber zu stellen, ist jedem Ein¬
sichtigen klar. Letten und Ehlen können zu all solchen Tätigkeiten langsam und
unter guter Führung herangezogen werden, sind aber von heute auf morgen
dieser Aufgabe nicht im entferntesten gewachsen. In ihrer großen Masse sind sie
noch immer nicht das Führen, sondern das Geführtwerden, allenfalls daneben
das Politische Demonstrieren und Randalieren nach gut russischem Muster
gewohnt. Aber durch Straßenumzüge und Meetings ist eine Großstadt wie Riga
wahrhaftig nicht zu verwalten, und die schönsten 'Programme helfen nicht über
den fundamentalen Mangel an Sachkenntnis, Erfahrung und politischer wie
gesellschaftlicher Reife hinweg, der bei diesen politisch traditionslosen Völkern in
ihrer großen Masse vorliegt.

Wie haben wir Reichsdeutschen, insbesondere unsere politische Leitung und
unsere Beamtenschaft, uns gegenüber dieser inneren Verwirrung des lettischen
und chemischen politischen Bewußtseins zu Verhalten? Zunächst ist es ganz klar,
daß der Leite in uns den Wahzeets, den Deutschen, sieht, den er an Hand jahr¬
hundertelanger Erfahrung kennt oder zu kennen glaubt, und den er daher nicht
eben mit den Augen einer üoerschwänglichen Liebe anzusehen vermag. Mag man
sich in Deutschland noch so hartnäckig der nationalen Solidarität mit dem
Deutschbaltentum entziehen: dort im Lande wird man in den Augen der Letten
und Ehlen diese Solidarität nicht los. Man könnte natürlich --' zum Schaden
des Deutschtums und zum Schaden des Landes -- willkürlich eine extrem cmti-
baltische Politik unter Verschmähung und Mißachtung der Landeskenntnis und
Erfahrung des einheimischen Deutschtums in die Wege leiten- Aber man soll
nur nicht meinen, dadurch im lettischen und chemischen Volksempfinden die
gefühlsmäßige Belastung loszuwerden, die der deutsche Name dort nun einmal,
namentlich in den Kreisen der städtischen Intelligenz und des städtischen und
ländlichen Proletariats, trägt. Ein Versuch, in den Augen der Letten und Ehlen
die bisherige Politik der Deutschbalten geflissentlich herunterzusetzen, wäre gleich¬
bedeutend mit einer Minderung des deutschen Prestiges überhaupt und daher im
höchsten Grade gefährlich und verwerflich. Die Letten wissen, daß sie den
Dentschen ihre Kultur verdanken. Es gilt ihnen durch alle Verwaltungs¬
maßnahmen deutlich zum Bewußtsein zu bringen, daß das Land wieder deutsch
ist, ja man kann beinahe sagen, daß es deutsch bleibt. Denn für das lettische
Empfinden wird sich das kaum ein paar Jahrzehnte währende Russisizierungs-
intermezzo sehr bald in seinem wahren Charakter als historische Episode darstellen,
wenn nicht von deutscher Seite der überaus wichtige Gesichtspunkt außer acht
gelassen wird, daß auf die Erweckung dieses 5!ontinnitätsbewußtseinS beim Letten
und Ehlen alles ankommt. In jedem wesentlich agrarischen Volke liegen starke
konservative Instinkte. Die besitzlichen Kreise der 'Bauernschaft sind es, auf die
wir uns noch auf lauge hinaus politisch im wesentlichen stützen müssen. Der
Sinnesart dieser Kreise gilt es also vornehmlich Rechnung zu tragen und sie nicht
durch überstürzte Neuerungen oder gar durch Anlehnung an das letzte russische
System zu verwirren, sondern dnrch "Anknüpfung an die abgebrochenen deutschen
Traditionen ihnen keinen Zweifel darüber zu lassen, daß das neue deutsche System
eine direkte Fortsetzung des alten ist.'

Eine Fortsetzung und zugleich freilichein deutlich erkennbarer Fortschritt.
Das ist allerdings eine Forderung, um die wir nicht herumkommen. Denn die
nationale Solidarität mit dem Deutschbaltentum anerkennen und damit ein
gewisses Minus an Sympathien von vornherein auf das Konto des neuen Neichs-
deutschtums übernehmen: das heißt nun doch nicht, jede reaktionäre Velleität der
dortigen äußersten Rechten mit Fatalismus hinnehmen oder gar dnrch betonte
rückschrittliche "Neuerungen" das volle Odium des feudalen Systems sich auf¬
halsen. Der Kurs.des neuen Regimes ist hier überaus schwierig, er führt auf
einer schmalen Linie zwischen Scylla und Charhbdis hindurch. Es gilt faktisch,
so .weit es möglich ist, mit der deutschen Oberschicht zu regieren, es gilt aber auch


Die Behandlung der Letten und Ehlen

können, denn daß noch auf Jahre und Jahrzehnte hinaus das Lettentmn mehr
noch als das etwas reifere Estentnm außerstande sein würde, seinen „autonomen"
Verwaltungsapparat im demokratischen Nußland selber zu stellen, ist jedem Ein¬
sichtigen klar. Letten und Ehlen können zu all solchen Tätigkeiten langsam und
unter guter Führung herangezogen werden, sind aber von heute auf morgen
dieser Aufgabe nicht im entferntesten gewachsen. In ihrer großen Masse sind sie
noch immer nicht das Führen, sondern das Geführtwerden, allenfalls daneben
das Politische Demonstrieren und Randalieren nach gut russischem Muster
gewohnt. Aber durch Straßenumzüge und Meetings ist eine Großstadt wie Riga
wahrhaftig nicht zu verwalten, und die schönsten 'Programme helfen nicht über
den fundamentalen Mangel an Sachkenntnis, Erfahrung und politischer wie
gesellschaftlicher Reife hinweg, der bei diesen politisch traditionslosen Völkern in
ihrer großen Masse vorliegt.

Wie haben wir Reichsdeutschen, insbesondere unsere politische Leitung und
unsere Beamtenschaft, uns gegenüber dieser inneren Verwirrung des lettischen
und chemischen politischen Bewußtseins zu Verhalten? Zunächst ist es ganz klar,
daß der Leite in uns den Wahzeets, den Deutschen, sieht, den er an Hand jahr¬
hundertelanger Erfahrung kennt oder zu kennen glaubt, und den er daher nicht
eben mit den Augen einer üoerschwänglichen Liebe anzusehen vermag. Mag man
sich in Deutschland noch so hartnäckig der nationalen Solidarität mit dem
Deutschbaltentum entziehen: dort im Lande wird man in den Augen der Letten
und Ehlen diese Solidarität nicht los. Man könnte natürlich —' zum Schaden
des Deutschtums und zum Schaden des Landes — willkürlich eine extrem cmti-
baltische Politik unter Verschmähung und Mißachtung der Landeskenntnis und
Erfahrung des einheimischen Deutschtums in die Wege leiten- Aber man soll
nur nicht meinen, dadurch im lettischen und chemischen Volksempfinden die
gefühlsmäßige Belastung loszuwerden, die der deutsche Name dort nun einmal,
namentlich in den Kreisen der städtischen Intelligenz und des städtischen und
ländlichen Proletariats, trägt. Ein Versuch, in den Augen der Letten und Ehlen
die bisherige Politik der Deutschbalten geflissentlich herunterzusetzen, wäre gleich¬
bedeutend mit einer Minderung des deutschen Prestiges überhaupt und daher im
höchsten Grade gefährlich und verwerflich. Die Letten wissen, daß sie den
Dentschen ihre Kultur verdanken. Es gilt ihnen durch alle Verwaltungs¬
maßnahmen deutlich zum Bewußtsein zu bringen, daß das Land wieder deutsch
ist, ja man kann beinahe sagen, daß es deutsch bleibt. Denn für das lettische
Empfinden wird sich das kaum ein paar Jahrzehnte währende Russisizierungs-
intermezzo sehr bald in seinem wahren Charakter als historische Episode darstellen,
wenn nicht von deutscher Seite der überaus wichtige Gesichtspunkt außer acht
gelassen wird, daß auf die Erweckung dieses 5!ontinnitätsbewußtseinS beim Letten
und Ehlen alles ankommt. In jedem wesentlich agrarischen Volke liegen starke
konservative Instinkte. Die besitzlichen Kreise der 'Bauernschaft sind es, auf die
wir uns noch auf lauge hinaus politisch im wesentlichen stützen müssen. Der
Sinnesart dieser Kreise gilt es also vornehmlich Rechnung zu tragen und sie nicht
durch überstürzte Neuerungen oder gar durch Anlehnung an das letzte russische
System zu verwirren, sondern dnrch "Anknüpfung an die abgebrochenen deutschen
Traditionen ihnen keinen Zweifel darüber zu lassen, daß das neue deutsche System
eine direkte Fortsetzung des alten ist.'

Eine Fortsetzung und zugleich freilichein deutlich erkennbarer Fortschritt.
Das ist allerdings eine Forderung, um die wir nicht herumkommen. Denn die
nationale Solidarität mit dem Deutschbaltentum anerkennen und damit ein
gewisses Minus an Sympathien von vornherein auf das Konto des neuen Neichs-
deutschtums übernehmen: das heißt nun doch nicht, jede reaktionäre Velleität der
dortigen äußersten Rechten mit Fatalismus hinnehmen oder gar dnrch betonte
rückschrittliche „Neuerungen" das volle Odium des feudalen Systems sich auf¬
halsen. Der Kurs.des neuen Regimes ist hier überaus schwierig, er führt auf
einer schmalen Linie zwischen Scylla und Charhbdis hindurch. Es gilt faktisch,
so .weit es möglich ist, mit der deutschen Oberschicht zu regieren, es gilt aber auch


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[0328] Die Behandlung der Letten und Ehlen können, denn daß noch auf Jahre und Jahrzehnte hinaus das Lettentmn mehr noch als das etwas reifere Estentnm außerstande sein würde, seinen „autonomen" Verwaltungsapparat im demokratischen Nußland selber zu stellen, ist jedem Ein¬ sichtigen klar. Letten und Ehlen können zu all solchen Tätigkeiten langsam und unter guter Führung herangezogen werden, sind aber von heute auf morgen dieser Aufgabe nicht im entferntesten gewachsen. In ihrer großen Masse sind sie noch immer nicht das Führen, sondern das Geführtwerden, allenfalls daneben das Politische Demonstrieren und Randalieren nach gut russischem Muster gewohnt. Aber durch Straßenumzüge und Meetings ist eine Großstadt wie Riga wahrhaftig nicht zu verwalten, und die schönsten 'Programme helfen nicht über den fundamentalen Mangel an Sachkenntnis, Erfahrung und politischer wie gesellschaftlicher Reife hinweg, der bei diesen politisch traditionslosen Völkern in ihrer großen Masse vorliegt. Wie haben wir Reichsdeutschen, insbesondere unsere politische Leitung und unsere Beamtenschaft, uns gegenüber dieser inneren Verwirrung des lettischen und chemischen politischen Bewußtseins zu Verhalten? Zunächst ist es ganz klar, daß der Leite in uns den Wahzeets, den Deutschen, sieht, den er an Hand jahr¬ hundertelanger Erfahrung kennt oder zu kennen glaubt, und den er daher nicht eben mit den Augen einer üoerschwänglichen Liebe anzusehen vermag. Mag man sich in Deutschland noch so hartnäckig der nationalen Solidarität mit dem Deutschbaltentum entziehen: dort im Lande wird man in den Augen der Letten und Ehlen diese Solidarität nicht los. Man könnte natürlich —' zum Schaden des Deutschtums und zum Schaden des Landes — willkürlich eine extrem cmti- baltische Politik unter Verschmähung und Mißachtung der Landeskenntnis und Erfahrung des einheimischen Deutschtums in die Wege leiten- Aber man soll nur nicht meinen, dadurch im lettischen und chemischen Volksempfinden die gefühlsmäßige Belastung loszuwerden, die der deutsche Name dort nun einmal, namentlich in den Kreisen der städtischen Intelligenz und des städtischen und ländlichen Proletariats, trägt. Ein Versuch, in den Augen der Letten und Ehlen die bisherige Politik der Deutschbalten geflissentlich herunterzusetzen, wäre gleich¬ bedeutend mit einer Minderung des deutschen Prestiges überhaupt und daher im höchsten Grade gefährlich und verwerflich. Die Letten wissen, daß sie den Dentschen ihre Kultur verdanken. Es gilt ihnen durch alle Verwaltungs¬ maßnahmen deutlich zum Bewußtsein zu bringen, daß das Land wieder deutsch ist, ja man kann beinahe sagen, daß es deutsch bleibt. Denn für das lettische Empfinden wird sich das kaum ein paar Jahrzehnte währende Russisizierungs- intermezzo sehr bald in seinem wahren Charakter als historische Episode darstellen, wenn nicht von deutscher Seite der überaus wichtige Gesichtspunkt außer acht gelassen wird, daß auf die Erweckung dieses 5!ontinnitätsbewußtseinS beim Letten und Ehlen alles ankommt. In jedem wesentlich agrarischen Volke liegen starke konservative Instinkte. Die besitzlichen Kreise der 'Bauernschaft sind es, auf die wir uns noch auf lauge hinaus politisch im wesentlichen stützen müssen. Der Sinnesart dieser Kreise gilt es also vornehmlich Rechnung zu tragen und sie nicht durch überstürzte Neuerungen oder gar durch Anlehnung an das letzte russische System zu verwirren, sondern dnrch "Anknüpfung an die abgebrochenen deutschen Traditionen ihnen keinen Zweifel darüber zu lassen, daß das neue deutsche System eine direkte Fortsetzung des alten ist.' Eine Fortsetzung und zugleich freilichein deutlich erkennbarer Fortschritt. Das ist allerdings eine Forderung, um die wir nicht herumkommen. Denn die nationale Solidarität mit dem Deutschbaltentum anerkennen und damit ein gewisses Minus an Sympathien von vornherein auf das Konto des neuen Neichs- deutschtums übernehmen: das heißt nun doch nicht, jede reaktionäre Velleität der dortigen äußersten Rechten mit Fatalismus hinnehmen oder gar dnrch betonte rückschrittliche „Neuerungen" das volle Odium des feudalen Systems sich auf¬ halsen. Der Kurs.des neuen Regimes ist hier überaus schwierig, er führt auf einer schmalen Linie zwischen Scylla und Charhbdis hindurch. Es gilt faktisch, so .weit es möglich ist, mit der deutschen Oberschicht zu regieren, es gilt aber auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/328>, abgerufen am 22.07.2024.