Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das politische !veltgleichgcivicht als Ziel des Weltkrieges

Anfange stellt er sich als rein europäischer Konflikt dar, als Versuch Englands,
Frankreichs und Rußlands, das durch die Entwicklung des Deutschen Reiches
bedrohte europäische Gleichgewicht zu erhalten. Zum mindesten muß man der
maßgebenden englischen Politik diese ursprüngliche Absicht als Hauptzweck zu¬
schreiben, mit der sich der Nebenzweck, das britische Kolonialreich bei dieser
Gelegenheit durch Erwerb deutschen Kolonialbesitzes und Vorschiebung feiner
Grenzen im Orient zu erweitern, sehr Wohl verbinden ließ. Die selbstischen
Beweggründe der beiden anderen Interessenten sind in jenem Hauptzweck ohne
weiteres eingeschlossen; eine Besiegung Deutschlands bedeutete für Frankreich
Befriedigung der Revancheidee, Rückeroberung des im Jahre 1871 verlorenen
Elsaß-Lothringen; Rußland aber konnte hoffen, durch einen Sieg sein mittel¬
ländisches, vielleicht auch fein ozeanisches Programm zur Durchführung zu
bringen, nachdem das pazifische im Japanischen Kriege wahrscheinlich für
immer gescheitert war -- man hielt an der Newa, in dem Wahn, die englische
Politik einmal als Vorspann benutzen zu können, die günstige Gelegenheit für
gekommen, die Germanen schlankweg zu überrennen und so, auf dem Wege über
Berlin nach Konstantinopel, bis zum Mittelmeer, gegebenenfalls über Skandi¬
navien bis zur Nordsee vorzustoßen. Daß England mit diesen Weitschauenden
Plänen des Slawenreiches im Herzen einverstanden gewesen sei, ist billig zu
bezweifeln. Eine derartige Stärkung der slawischen Vormacht lag ebensowenig
in seinem Interesse wie eine völlige Zertrümmerung der germanischen; beide
vielmehr gegen einander auszuspielen, mußte naturgemäß das stehende Leitmotiv
der englischen Politik bleiben. Die Worte, die Lord Grey im August 1914 dem
scheidenden deutschen Botschafter mit auf den Weg gab, daß England in seiner
Eigenschaft als Kriegsteilnehmer Deutschland vielleicht noch mehr nützen könne
denn als neutrale Macht, gehören sicherlich nicht weniger in diesen Zusammen¬
hang als der Eifer, den derselbe englische Minister bei dem verunglückten Darda¬
nellenunternehmen entwickelt hat, um die englische Fahne vor der russischen auf
der Hagia Sophia zu bisher. Für Downing Street handelte es sich, wie gesagt,
an erster Stelle um eine Neuauflage des Napoleonischen Krieges; wie man
damals mit Hilfe der Festlandsstaaten sich des lästigen französischen Nebenbuhlers
auf die Dauer entledigt hatte, so wollte man dieses Mal mit der gleichen Hilfe
Deutschland stürzen. Seinen machtvoll emporstrebenden Wuchs für immer zu
knicken war einfacher und einträglicher als sich mit ihm in Güte auseinander¬
zusetzen, wie hüben und drüben von einflußreichen Kreisen erstrebt wurde. Ein
beschleunigtes Handeln aber war geboten. Denn nicht nur nahm das Deutsche
Reich als Militärmacht eine beherrschende Stellung ein, es schien auch in Begriff
zu sein, in Handel und Industrie die unumschränkte Führung Europas an sich zu
reißen und durch den Ausbau seiner Flotte die bislang unbestrittene englische
Vorherrschaft zur See je länger je mehr ernstlich in Fra^ze zu stellen.

^ Und die Aussichten in dem beabsichtigten .Kampfe waren dem Anschein nach
für die Entente durchaus günstig. Einmal war die militärische Leistungsfähig¬
keit der beiden Koalitionsgenosfen aufs höchste gesteigert -- in Frankreich durch
Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit, in Rußland durch den mit fran¬
zösischem Gelde durchgeführten Ausbau des strategischen Bahnnetzes und so-
dann glaubte man die Schlagkraft der Zentralmächte durch Abdränguug Rumä¬
niens und Italiens, die beide bereits durch Begünstigung ihrer Orientpolitik in
das Fahrwasser der Entente gelockt waren, lahmen zu können. Den Millionen¬
aufgeboten Rußlands und Frankreichs aber trat als Ergänzung die Wirksamkeit
der englischen Flotte zur Seite: sie sollte als Beherrscherin der Ozeane die deutsche
Flagge vom Meere vertreiben, die Küsten der Mittemächte blockieren und durch
Sperrung jeglicher Kriegszufuhr jene zum baldigen Zusammenbruch bringen,
während sie anderseits den ungehemmten Zustrom der Hilfsmittel der ganzen
Welt für die Heere der Verbündeten gewährleistete. Diese Tätigkeit der briti¬
schen Flotte wog nach Ansicht der englischen Politiker alle Leistungen der Volks¬
heere Rußlands und Frankreichs auf, sie und die Verwendung eines Teiles der
Kolonialarmee in Flandern--sechs Divisionen nach den neuesten Bekundungen--


Das politische !veltgleichgcivicht als Ziel des Weltkrieges

Anfange stellt er sich als rein europäischer Konflikt dar, als Versuch Englands,
Frankreichs und Rußlands, das durch die Entwicklung des Deutschen Reiches
bedrohte europäische Gleichgewicht zu erhalten. Zum mindesten muß man der
maßgebenden englischen Politik diese ursprüngliche Absicht als Hauptzweck zu¬
schreiben, mit der sich der Nebenzweck, das britische Kolonialreich bei dieser
Gelegenheit durch Erwerb deutschen Kolonialbesitzes und Vorschiebung feiner
Grenzen im Orient zu erweitern, sehr Wohl verbinden ließ. Die selbstischen
Beweggründe der beiden anderen Interessenten sind in jenem Hauptzweck ohne
weiteres eingeschlossen; eine Besiegung Deutschlands bedeutete für Frankreich
Befriedigung der Revancheidee, Rückeroberung des im Jahre 1871 verlorenen
Elsaß-Lothringen; Rußland aber konnte hoffen, durch einen Sieg sein mittel¬
ländisches, vielleicht auch fein ozeanisches Programm zur Durchführung zu
bringen, nachdem das pazifische im Japanischen Kriege wahrscheinlich für
immer gescheitert war — man hielt an der Newa, in dem Wahn, die englische
Politik einmal als Vorspann benutzen zu können, die günstige Gelegenheit für
gekommen, die Germanen schlankweg zu überrennen und so, auf dem Wege über
Berlin nach Konstantinopel, bis zum Mittelmeer, gegebenenfalls über Skandi¬
navien bis zur Nordsee vorzustoßen. Daß England mit diesen Weitschauenden
Plänen des Slawenreiches im Herzen einverstanden gewesen sei, ist billig zu
bezweifeln. Eine derartige Stärkung der slawischen Vormacht lag ebensowenig
in seinem Interesse wie eine völlige Zertrümmerung der germanischen; beide
vielmehr gegen einander auszuspielen, mußte naturgemäß das stehende Leitmotiv
der englischen Politik bleiben. Die Worte, die Lord Grey im August 1914 dem
scheidenden deutschen Botschafter mit auf den Weg gab, daß England in seiner
Eigenschaft als Kriegsteilnehmer Deutschland vielleicht noch mehr nützen könne
denn als neutrale Macht, gehören sicherlich nicht weniger in diesen Zusammen¬
hang als der Eifer, den derselbe englische Minister bei dem verunglückten Darda¬
nellenunternehmen entwickelt hat, um die englische Fahne vor der russischen auf
der Hagia Sophia zu bisher. Für Downing Street handelte es sich, wie gesagt,
an erster Stelle um eine Neuauflage des Napoleonischen Krieges; wie man
damals mit Hilfe der Festlandsstaaten sich des lästigen französischen Nebenbuhlers
auf die Dauer entledigt hatte, so wollte man dieses Mal mit der gleichen Hilfe
Deutschland stürzen. Seinen machtvoll emporstrebenden Wuchs für immer zu
knicken war einfacher und einträglicher als sich mit ihm in Güte auseinander¬
zusetzen, wie hüben und drüben von einflußreichen Kreisen erstrebt wurde. Ein
beschleunigtes Handeln aber war geboten. Denn nicht nur nahm das Deutsche
Reich als Militärmacht eine beherrschende Stellung ein, es schien auch in Begriff
zu sein, in Handel und Industrie die unumschränkte Führung Europas an sich zu
reißen und durch den Ausbau seiner Flotte die bislang unbestrittene englische
Vorherrschaft zur See je länger je mehr ernstlich in Fra^ze zu stellen.

^ Und die Aussichten in dem beabsichtigten .Kampfe waren dem Anschein nach
für die Entente durchaus günstig. Einmal war die militärische Leistungsfähig¬
keit der beiden Koalitionsgenosfen aufs höchste gesteigert — in Frankreich durch
Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit, in Rußland durch den mit fran¬
zösischem Gelde durchgeführten Ausbau des strategischen Bahnnetzes und so-
dann glaubte man die Schlagkraft der Zentralmächte durch Abdränguug Rumä¬
niens und Italiens, die beide bereits durch Begünstigung ihrer Orientpolitik in
das Fahrwasser der Entente gelockt waren, lahmen zu können. Den Millionen¬
aufgeboten Rußlands und Frankreichs aber trat als Ergänzung die Wirksamkeit
der englischen Flotte zur Seite: sie sollte als Beherrscherin der Ozeane die deutsche
Flagge vom Meere vertreiben, die Küsten der Mittemächte blockieren und durch
Sperrung jeglicher Kriegszufuhr jene zum baldigen Zusammenbruch bringen,
während sie anderseits den ungehemmten Zustrom der Hilfsmittel der ganzen
Welt für die Heere der Verbündeten gewährleistete. Diese Tätigkeit der briti¬
schen Flotte wog nach Ansicht der englischen Politiker alle Leistungen der Volks¬
heere Rußlands und Frankreichs auf, sie und die Verwendung eines Teiles der
Kolonialarmee in Flandern—sechs Divisionen nach den neuesten Bekundungen—


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/334163"/>
          <fw type="header" place="top"> Das politische !veltgleichgcivicht als Ziel des Weltkrieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1299" prev="#ID_1298"> Anfange stellt er sich als rein europäischer Konflikt dar, als Versuch Englands,<lb/>
Frankreichs und Rußlands, das durch die Entwicklung des Deutschen Reiches<lb/>
bedrohte europäische Gleichgewicht zu erhalten. Zum mindesten muß man der<lb/>
maßgebenden englischen Politik diese ursprüngliche Absicht als Hauptzweck zu¬<lb/>
schreiben, mit der sich der Nebenzweck, das britische Kolonialreich bei dieser<lb/>
Gelegenheit durch Erwerb deutschen Kolonialbesitzes und Vorschiebung feiner<lb/>
Grenzen im Orient zu erweitern, sehr Wohl verbinden ließ. Die selbstischen<lb/>
Beweggründe der beiden anderen Interessenten sind in jenem Hauptzweck ohne<lb/>
weiteres eingeschlossen; eine Besiegung Deutschlands bedeutete für Frankreich<lb/>
Befriedigung der Revancheidee, Rückeroberung des im Jahre 1871 verlorenen<lb/>
Elsaß-Lothringen; Rußland aber konnte hoffen, durch einen Sieg sein mittel¬<lb/>
ländisches, vielleicht auch fein ozeanisches Programm zur Durchführung zu<lb/>
bringen, nachdem das pazifische im Japanischen Kriege wahrscheinlich für<lb/>
immer gescheitert war &#x2014; man hielt an der Newa, in dem Wahn, die englische<lb/>
Politik einmal als Vorspann benutzen zu können, die günstige Gelegenheit für<lb/>
gekommen, die Germanen schlankweg zu überrennen und so, auf dem Wege über<lb/>
Berlin nach Konstantinopel, bis zum Mittelmeer, gegebenenfalls über Skandi¬<lb/>
navien bis zur Nordsee vorzustoßen. Daß England mit diesen Weitschauenden<lb/>
Plänen des Slawenreiches im Herzen einverstanden gewesen sei, ist billig zu<lb/>
bezweifeln. Eine derartige Stärkung der slawischen Vormacht lag ebensowenig<lb/>
in seinem Interesse wie eine völlige Zertrümmerung der germanischen; beide<lb/>
vielmehr gegen einander auszuspielen, mußte naturgemäß das stehende Leitmotiv<lb/>
der englischen Politik bleiben. Die Worte, die Lord Grey im August 1914 dem<lb/>
scheidenden deutschen Botschafter mit auf den Weg gab, daß England in seiner<lb/>
Eigenschaft als Kriegsteilnehmer Deutschland vielleicht noch mehr nützen könne<lb/>
denn als neutrale Macht, gehören sicherlich nicht weniger in diesen Zusammen¬<lb/>
hang als der Eifer, den derselbe englische Minister bei dem verunglückten Darda¬<lb/>
nellenunternehmen entwickelt hat, um die englische Fahne vor der russischen auf<lb/>
der Hagia Sophia zu bisher. Für Downing Street handelte es sich, wie gesagt,<lb/>
an erster Stelle um eine Neuauflage des Napoleonischen Krieges; wie man<lb/>
damals mit Hilfe der Festlandsstaaten sich des lästigen französischen Nebenbuhlers<lb/>
auf die Dauer entledigt hatte, so wollte man dieses Mal mit der gleichen Hilfe<lb/>
Deutschland stürzen. Seinen machtvoll emporstrebenden Wuchs für immer zu<lb/>
knicken war einfacher und einträglicher als sich mit ihm in Güte auseinander¬<lb/>
zusetzen, wie hüben und drüben von einflußreichen Kreisen erstrebt wurde. Ein<lb/>
beschleunigtes Handeln aber war geboten. Denn nicht nur nahm das Deutsche<lb/>
Reich als Militärmacht eine beherrschende Stellung ein, es schien auch in Begriff<lb/>
zu sein, in Handel und Industrie die unumschränkte Führung Europas an sich zu<lb/>
reißen und durch den Ausbau seiner Flotte die bislang unbestrittene englische<lb/>
Vorherrschaft zur See je länger je mehr ernstlich in Fra^ze zu stellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1300" next="#ID_1301"> ^ Und die Aussichten in dem beabsichtigten .Kampfe waren dem Anschein nach<lb/>
für die Entente durchaus günstig. Einmal war die militärische Leistungsfähig¬<lb/>
keit der beiden Koalitionsgenosfen aufs höchste gesteigert &#x2014; in Frankreich durch<lb/>
Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit, in Rußland durch den mit fran¬<lb/>
zösischem Gelde durchgeführten Ausbau des strategischen Bahnnetzes und so-<lb/>
dann glaubte man die Schlagkraft der Zentralmächte durch Abdränguug Rumä¬<lb/>
niens und Italiens, die beide bereits durch Begünstigung ihrer Orientpolitik in<lb/>
das Fahrwasser der Entente gelockt waren, lahmen zu können. Den Millionen¬<lb/>
aufgeboten Rußlands und Frankreichs aber trat als Ergänzung die Wirksamkeit<lb/>
der englischen Flotte zur Seite: sie sollte als Beherrscherin der Ozeane die deutsche<lb/>
Flagge vom Meere vertreiben, die Küsten der Mittemächte blockieren und durch<lb/>
Sperrung jeglicher Kriegszufuhr jene zum baldigen Zusammenbruch bringen,<lb/>
während sie anderseits den ungehemmten Zustrom der Hilfsmittel der ganzen<lb/>
Welt für die Heere der Verbündeten gewährleistete. Diese Tätigkeit der briti¬<lb/>
schen Flotte wog nach Ansicht der englischen Politiker alle Leistungen der Volks¬<lb/>
heere Rußlands und Frankreichs auf, sie und die Verwendung eines Teiles der<lb/>
Kolonialarmee in Flandern&#x2014;sechs Divisionen nach den neuesten Bekundungen&#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0318] Das politische !veltgleichgcivicht als Ziel des Weltkrieges Anfange stellt er sich als rein europäischer Konflikt dar, als Versuch Englands, Frankreichs und Rußlands, das durch die Entwicklung des Deutschen Reiches bedrohte europäische Gleichgewicht zu erhalten. Zum mindesten muß man der maßgebenden englischen Politik diese ursprüngliche Absicht als Hauptzweck zu¬ schreiben, mit der sich der Nebenzweck, das britische Kolonialreich bei dieser Gelegenheit durch Erwerb deutschen Kolonialbesitzes und Vorschiebung feiner Grenzen im Orient zu erweitern, sehr Wohl verbinden ließ. Die selbstischen Beweggründe der beiden anderen Interessenten sind in jenem Hauptzweck ohne weiteres eingeschlossen; eine Besiegung Deutschlands bedeutete für Frankreich Befriedigung der Revancheidee, Rückeroberung des im Jahre 1871 verlorenen Elsaß-Lothringen; Rußland aber konnte hoffen, durch einen Sieg sein mittel¬ ländisches, vielleicht auch fein ozeanisches Programm zur Durchführung zu bringen, nachdem das pazifische im Japanischen Kriege wahrscheinlich für immer gescheitert war — man hielt an der Newa, in dem Wahn, die englische Politik einmal als Vorspann benutzen zu können, die günstige Gelegenheit für gekommen, die Germanen schlankweg zu überrennen und so, auf dem Wege über Berlin nach Konstantinopel, bis zum Mittelmeer, gegebenenfalls über Skandi¬ navien bis zur Nordsee vorzustoßen. Daß England mit diesen Weitschauenden Plänen des Slawenreiches im Herzen einverstanden gewesen sei, ist billig zu bezweifeln. Eine derartige Stärkung der slawischen Vormacht lag ebensowenig in seinem Interesse wie eine völlige Zertrümmerung der germanischen; beide vielmehr gegen einander auszuspielen, mußte naturgemäß das stehende Leitmotiv der englischen Politik bleiben. Die Worte, die Lord Grey im August 1914 dem scheidenden deutschen Botschafter mit auf den Weg gab, daß England in seiner Eigenschaft als Kriegsteilnehmer Deutschland vielleicht noch mehr nützen könne denn als neutrale Macht, gehören sicherlich nicht weniger in diesen Zusammen¬ hang als der Eifer, den derselbe englische Minister bei dem verunglückten Darda¬ nellenunternehmen entwickelt hat, um die englische Fahne vor der russischen auf der Hagia Sophia zu bisher. Für Downing Street handelte es sich, wie gesagt, an erster Stelle um eine Neuauflage des Napoleonischen Krieges; wie man damals mit Hilfe der Festlandsstaaten sich des lästigen französischen Nebenbuhlers auf die Dauer entledigt hatte, so wollte man dieses Mal mit der gleichen Hilfe Deutschland stürzen. Seinen machtvoll emporstrebenden Wuchs für immer zu knicken war einfacher und einträglicher als sich mit ihm in Güte auseinander¬ zusetzen, wie hüben und drüben von einflußreichen Kreisen erstrebt wurde. Ein beschleunigtes Handeln aber war geboten. Denn nicht nur nahm das Deutsche Reich als Militärmacht eine beherrschende Stellung ein, es schien auch in Begriff zu sein, in Handel und Industrie die unumschränkte Führung Europas an sich zu reißen und durch den Ausbau seiner Flotte die bislang unbestrittene englische Vorherrschaft zur See je länger je mehr ernstlich in Fra^ze zu stellen. ^ Und die Aussichten in dem beabsichtigten .Kampfe waren dem Anschein nach für die Entente durchaus günstig. Einmal war die militärische Leistungsfähig¬ keit der beiden Koalitionsgenosfen aufs höchste gesteigert — in Frankreich durch Wiedereinführung der dreijährigen Dienstzeit, in Rußland durch den mit fran¬ zösischem Gelde durchgeführten Ausbau des strategischen Bahnnetzes und so- dann glaubte man die Schlagkraft der Zentralmächte durch Abdränguug Rumä¬ niens und Italiens, die beide bereits durch Begünstigung ihrer Orientpolitik in das Fahrwasser der Entente gelockt waren, lahmen zu können. Den Millionen¬ aufgeboten Rußlands und Frankreichs aber trat als Ergänzung die Wirksamkeit der englischen Flotte zur Seite: sie sollte als Beherrscherin der Ozeane die deutsche Flagge vom Meere vertreiben, die Küsten der Mittemächte blockieren und durch Sperrung jeglicher Kriegszufuhr jene zum baldigen Zusammenbruch bringen, während sie anderseits den ungehemmten Zustrom der Hilfsmittel der ganzen Welt für die Heere der Verbündeten gewährleistete. Diese Tätigkeit der briti¬ schen Flotte wog nach Ansicht der englischen Politiker alle Leistungen der Volks¬ heere Rußlands und Frankreichs auf, sie und die Verwendung eines Teiles der Kolonialarmee in Flandern—sechs Divisionen nach den neuesten Bekundungen—

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/318
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/318>, abgerufen am 22.07.2024.