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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Der preußische "Gbrigkcitsstcmt"

mehr nicht eher noch größer, da doch das Beispiel Englands zeigt, wie man die
Welt zu beherrschen vermag, ohne daß sich die Völker darüber erregen, weil sie
sich durch die Phrasen von Freiheit und Verfassung betäuben lassen?!

Der Artikel des Herrn Hirsch legt aber auch eine Frage an die Zeitschrift
nahe, die ihm ihre Blätter zur Verfügung gestellt hat. Man wird den Kreuz¬
artikeln schwerlich den Vorwurf machen können, daß sie dem sozialistischen Problem
nicht das gebührende Verständnis entgegenbringen. Wir haben im Gegenteil keine
Gelegenheit vorüber gelassen, ohne auf die positiv schaffenden Kräfte im Lager
der Sozialdemokratie hinzuweisen und ihre kritiklose Vermengung mit der intran-
sigenten Parttischlacke zu bekämpfen, ein Verfahren, das jene vor den Kopf stößt
und geeignet ist, dem Vaterlande kaum gewonnene wertvolle Kräfte wieder zu
entziehen. Zu ihnen gehört der Kreis wissender und im allgemeinen gemäßigter
Männer sozialistischen Glaubens, die sich in den kleinen grauen Heften der "Glocke"
ihr literarisches Organ geschaffen haben. Wer die hier erscheinenden Artikel der
Hellmann, Lensch. Runde, Teschemacher u. a. zu lesen pflegt, der glaubte, das
Morgenrot einer besseren Zukunft unseres an bösartigem Zwiespalt leider so reichen
innerpolitischen Lebens zu sehen. "In den Veröffentlichungen dieser sozialdemo¬
kratischen Wochenschrift ist wahrlich dem Reiche gegeben worden, was dem Reiche
gehört, nicht aus irgendeinem gescheiten Zweckgedanken, einer klugen Berechnung
heraus, sondern aus einem reinen, selbstlosen Gefühl hingebender Liebe zum
deutschen Vaterlande. Wir haben uns bekannt, und bekennen uns zu ihm, weil
deutsche Erde unsere Mutter ward und deutsche Eichen unsere Heimat sind, weil
deutsche Kultur, Gesittung und Gesinnung uns als ein heiliges Völkergut dünken,
das wir verteidigen mit dem Blute unseres Herzens gegen das Wort der Ver¬
dächtigung, wie gegen Waffengewalt." Dieses Bekenntnis findet sich in einer
Antwort der "Glocke" auf die neuesten Veröffentlichungen antisozialdemo¬
kratischer Kampforganisationen, aus ihre zum Teil -- vergleiche den Aufruf der
Kaisertreuen -- mit dem häßlichen Mittel der Verleumdung arbeitenden Methoden.
Die unbeirrt" Antwort der "Landesverräter" bestätigt nur das über die Zeitschrift
von uns gefällte Urteil. In Stunden der Entfremdung und des Schmerzes über
erlittene Wunden quillt zur Rechtfertigung heiß aus der Tiefe deS Herzens, was
für gewöhnlich unausgesprochen bleibt. Aber gerade, weil wir uns dieses Geständ¬
nisses ehrlich freuen, fragen wir seinen Verfasser Atom Saenger und die Zeit¬
schrift, in der es sich findet: Wie verträgt sich die Harmonie solcher echten Vater¬
landsliebe mit den gleich daraus folgenden schrillen Mißtönen des Herrn Hirsch
über das unfähige, absolutistische Obrigkeitssystem Preußens? Will man etwa
den spitzfindigen Unterschied machen zwischen dem farblos-abstrakten Begriff des
"Vaterlandes" und der lebendig-konkreten Erscheinung des preußischen Staats¬
wesens? Bildet nicht vielmehr dieser Staat in Art und Unart einen und zwar
recht bedeutenden Bestandteil jenes Vaterlandes und ermöglicht nicht erst seine
robuste Existenz die gesicherte Ausbreitung und Förderung des "heiligen Völker-
gutes deutscher? Kultur, Gesittung und Gesinnung?"

Der Reichskanzler traf den Nagel aus den Kopf, als er die deutsche Form
der Kriegspsychose geißelte, die sich in verstärkter Neigung zur Kritik der heimischen
Zustände äußere, während sie bei den Feinden sich als Schmähung und Ver¬
leumdung Deutschlands Luft macht. Die Sucht, am eigenen Herde zu nörgeln,
ist in der Tat ein Kennzeichen des Deutschen, das sich aus historischen Schicksalen
zur Genüge erklären läßt. Da wo sich, wie in Preußen, Gelegenheit zu politischem
Handeln bot, zwang die Spannung der internationalen Lage die Obrigkeits¬
regierung, das Steuer selbst fest in die Hand zu nehmen. Durch solche Vormund¬
schaft in die Negative gedrängt, entwickelte "das regierbarste Volk der Welt" (Is
xeuplö 1e x>1u3 Muverrmble du morale) gleichsam als Ersatz den Hang zum
Räsonnieren, dessen oft übergroße Schärfe nicht nur Graf Hertling, sondern
Politiker der Oppositionsparteien anerkannt haben. Außerhalb der schwarz-weißen
Grenzpfähle mangelte selbst jene Gelegenheit, und die Folge war ein Verkümmern
des Nationalgefühls, das mit einer kritiklosen Bewunderung des Fremden Hand


Der preußische „Gbrigkcitsstcmt"

mehr nicht eher noch größer, da doch das Beispiel Englands zeigt, wie man die
Welt zu beherrschen vermag, ohne daß sich die Völker darüber erregen, weil sie
sich durch die Phrasen von Freiheit und Verfassung betäuben lassen?!

Der Artikel des Herrn Hirsch legt aber auch eine Frage an die Zeitschrift
nahe, die ihm ihre Blätter zur Verfügung gestellt hat. Man wird den Kreuz¬
artikeln schwerlich den Vorwurf machen können, daß sie dem sozialistischen Problem
nicht das gebührende Verständnis entgegenbringen. Wir haben im Gegenteil keine
Gelegenheit vorüber gelassen, ohne auf die positiv schaffenden Kräfte im Lager
der Sozialdemokratie hinzuweisen und ihre kritiklose Vermengung mit der intran-
sigenten Parttischlacke zu bekämpfen, ein Verfahren, das jene vor den Kopf stößt
und geeignet ist, dem Vaterlande kaum gewonnene wertvolle Kräfte wieder zu
entziehen. Zu ihnen gehört der Kreis wissender und im allgemeinen gemäßigter
Männer sozialistischen Glaubens, die sich in den kleinen grauen Heften der „Glocke"
ihr literarisches Organ geschaffen haben. Wer die hier erscheinenden Artikel der
Hellmann, Lensch. Runde, Teschemacher u. a. zu lesen pflegt, der glaubte, das
Morgenrot einer besseren Zukunft unseres an bösartigem Zwiespalt leider so reichen
innerpolitischen Lebens zu sehen. „In den Veröffentlichungen dieser sozialdemo¬
kratischen Wochenschrift ist wahrlich dem Reiche gegeben worden, was dem Reiche
gehört, nicht aus irgendeinem gescheiten Zweckgedanken, einer klugen Berechnung
heraus, sondern aus einem reinen, selbstlosen Gefühl hingebender Liebe zum
deutschen Vaterlande. Wir haben uns bekannt, und bekennen uns zu ihm, weil
deutsche Erde unsere Mutter ward und deutsche Eichen unsere Heimat sind, weil
deutsche Kultur, Gesittung und Gesinnung uns als ein heiliges Völkergut dünken,
das wir verteidigen mit dem Blute unseres Herzens gegen das Wort der Ver¬
dächtigung, wie gegen Waffengewalt." Dieses Bekenntnis findet sich in einer
Antwort der „Glocke" auf die neuesten Veröffentlichungen antisozialdemo¬
kratischer Kampforganisationen, aus ihre zum Teil — vergleiche den Aufruf der
Kaisertreuen — mit dem häßlichen Mittel der Verleumdung arbeitenden Methoden.
Die unbeirrt« Antwort der „Landesverräter" bestätigt nur das über die Zeitschrift
von uns gefällte Urteil. In Stunden der Entfremdung und des Schmerzes über
erlittene Wunden quillt zur Rechtfertigung heiß aus der Tiefe deS Herzens, was
für gewöhnlich unausgesprochen bleibt. Aber gerade, weil wir uns dieses Geständ¬
nisses ehrlich freuen, fragen wir seinen Verfasser Atom Saenger und die Zeit¬
schrift, in der es sich findet: Wie verträgt sich die Harmonie solcher echten Vater¬
landsliebe mit den gleich daraus folgenden schrillen Mißtönen des Herrn Hirsch
über das unfähige, absolutistische Obrigkeitssystem Preußens? Will man etwa
den spitzfindigen Unterschied machen zwischen dem farblos-abstrakten Begriff des
„Vaterlandes" und der lebendig-konkreten Erscheinung des preußischen Staats¬
wesens? Bildet nicht vielmehr dieser Staat in Art und Unart einen und zwar
recht bedeutenden Bestandteil jenes Vaterlandes und ermöglicht nicht erst seine
robuste Existenz die gesicherte Ausbreitung und Förderung des „heiligen Völker-
gutes deutscher? Kultur, Gesittung und Gesinnung?"

Der Reichskanzler traf den Nagel aus den Kopf, als er die deutsche Form
der Kriegspsychose geißelte, die sich in verstärkter Neigung zur Kritik der heimischen
Zustände äußere, während sie bei den Feinden sich als Schmähung und Ver¬
leumdung Deutschlands Luft macht. Die Sucht, am eigenen Herde zu nörgeln,
ist in der Tat ein Kennzeichen des Deutschen, das sich aus historischen Schicksalen
zur Genüge erklären läßt. Da wo sich, wie in Preußen, Gelegenheit zu politischem
Handeln bot, zwang die Spannung der internationalen Lage die Obrigkeits¬
regierung, das Steuer selbst fest in die Hand zu nehmen. Durch solche Vormund¬
schaft in die Negative gedrängt, entwickelte „das regierbarste Volk der Welt" (Is
xeuplö 1e x>1u3 Muverrmble du morale) gleichsam als Ersatz den Hang zum
Räsonnieren, dessen oft übergroße Schärfe nicht nur Graf Hertling, sondern
Politiker der Oppositionsparteien anerkannt haben. Außerhalb der schwarz-weißen
Grenzpfähle mangelte selbst jene Gelegenheit, und die Folge war ein Verkümmern
des Nationalgefühls, das mit einer kritiklosen Bewunderung des Fremden Hand


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[0308] Der preußische „Gbrigkcitsstcmt" mehr nicht eher noch größer, da doch das Beispiel Englands zeigt, wie man die Welt zu beherrschen vermag, ohne daß sich die Völker darüber erregen, weil sie sich durch die Phrasen von Freiheit und Verfassung betäuben lassen?! Der Artikel des Herrn Hirsch legt aber auch eine Frage an die Zeitschrift nahe, die ihm ihre Blätter zur Verfügung gestellt hat. Man wird den Kreuz¬ artikeln schwerlich den Vorwurf machen können, daß sie dem sozialistischen Problem nicht das gebührende Verständnis entgegenbringen. Wir haben im Gegenteil keine Gelegenheit vorüber gelassen, ohne auf die positiv schaffenden Kräfte im Lager der Sozialdemokratie hinzuweisen und ihre kritiklose Vermengung mit der intran- sigenten Parttischlacke zu bekämpfen, ein Verfahren, das jene vor den Kopf stößt und geeignet ist, dem Vaterlande kaum gewonnene wertvolle Kräfte wieder zu entziehen. Zu ihnen gehört der Kreis wissender und im allgemeinen gemäßigter Männer sozialistischen Glaubens, die sich in den kleinen grauen Heften der „Glocke" ihr literarisches Organ geschaffen haben. Wer die hier erscheinenden Artikel der Hellmann, Lensch. Runde, Teschemacher u. a. zu lesen pflegt, der glaubte, das Morgenrot einer besseren Zukunft unseres an bösartigem Zwiespalt leider so reichen innerpolitischen Lebens zu sehen. „In den Veröffentlichungen dieser sozialdemo¬ kratischen Wochenschrift ist wahrlich dem Reiche gegeben worden, was dem Reiche gehört, nicht aus irgendeinem gescheiten Zweckgedanken, einer klugen Berechnung heraus, sondern aus einem reinen, selbstlosen Gefühl hingebender Liebe zum deutschen Vaterlande. Wir haben uns bekannt, und bekennen uns zu ihm, weil deutsche Erde unsere Mutter ward und deutsche Eichen unsere Heimat sind, weil deutsche Kultur, Gesittung und Gesinnung uns als ein heiliges Völkergut dünken, das wir verteidigen mit dem Blute unseres Herzens gegen das Wort der Ver¬ dächtigung, wie gegen Waffengewalt." Dieses Bekenntnis findet sich in einer Antwort der „Glocke" auf die neuesten Veröffentlichungen antisozialdemo¬ kratischer Kampforganisationen, aus ihre zum Teil — vergleiche den Aufruf der Kaisertreuen — mit dem häßlichen Mittel der Verleumdung arbeitenden Methoden. Die unbeirrt« Antwort der „Landesverräter" bestätigt nur das über die Zeitschrift von uns gefällte Urteil. In Stunden der Entfremdung und des Schmerzes über erlittene Wunden quillt zur Rechtfertigung heiß aus der Tiefe deS Herzens, was für gewöhnlich unausgesprochen bleibt. Aber gerade, weil wir uns dieses Geständ¬ nisses ehrlich freuen, fragen wir seinen Verfasser Atom Saenger und die Zeit¬ schrift, in der es sich findet: Wie verträgt sich die Harmonie solcher echten Vater¬ landsliebe mit den gleich daraus folgenden schrillen Mißtönen des Herrn Hirsch über das unfähige, absolutistische Obrigkeitssystem Preußens? Will man etwa den spitzfindigen Unterschied machen zwischen dem farblos-abstrakten Begriff des „Vaterlandes" und der lebendig-konkreten Erscheinung des preußischen Staats¬ wesens? Bildet nicht vielmehr dieser Staat in Art und Unart einen und zwar recht bedeutenden Bestandteil jenes Vaterlandes und ermöglicht nicht erst seine robuste Existenz die gesicherte Ausbreitung und Förderung des „heiligen Völker- gutes deutscher? Kultur, Gesittung und Gesinnung?" Der Reichskanzler traf den Nagel aus den Kopf, als er die deutsche Form der Kriegspsychose geißelte, die sich in verstärkter Neigung zur Kritik der heimischen Zustände äußere, während sie bei den Feinden sich als Schmähung und Ver¬ leumdung Deutschlands Luft macht. Die Sucht, am eigenen Herde zu nörgeln, ist in der Tat ein Kennzeichen des Deutschen, das sich aus historischen Schicksalen zur Genüge erklären läßt. Da wo sich, wie in Preußen, Gelegenheit zu politischem Handeln bot, zwang die Spannung der internationalen Lage die Obrigkeits¬ regierung, das Steuer selbst fest in die Hand zu nehmen. Durch solche Vormund¬ schaft in die Negative gedrängt, entwickelte „das regierbarste Volk der Welt" (Is xeuplö 1e x>1u3 Muverrmble du morale) gleichsam als Ersatz den Hang zum Räsonnieren, dessen oft übergroße Schärfe nicht nur Graf Hertling, sondern Politiker der Oppositionsparteien anerkannt haben. Außerhalb der schwarz-weißen Grenzpfähle mangelte selbst jene Gelegenheit, und die Folge war ein Verkümmern des Nationalgefühls, das mit einer kritiklosen Bewunderung des Fremden Hand

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/308>, abgerufen am 22.07.2024.