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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Der preußische "Vbrigkeitsstaat"

verändert. Als die anderen schon längst den Prozeß ihrer staatlichen und natio¬
nalen Einigung beendet hatten und sich in bequemer Rentnerstimmung dem wohn¬
licheren Ausbau des Inneren zuwenden konnten, führten wir noch immer mitten
in den Spannungen der europäischen Lage schwere Existenzkämpfe und suchten
eine Antwort aus die Frage: Was ist des Deutschen Vaterland? Zwar hatte in¬
zwischen insbesondere der preußische Staat sein Reformzeitalter erlebt, das die
schroffe Ständescheidung des ancien röZime aufhob und den freien Bauer und
Bürger aus passiven Untertanen zu bewußten und interessierten Mitgliedern des
staatlichen Verbandes umschuf, wie die nationale Begeisterung der Befreiungskriege
zeigte. Aber die damalige Renaissance des Genossenschaftsgedankens, die Eman¬
zipation der Gesellschaft vom obrigkeitlichen Staate ist auf halbem Wege ins
Stocken geraten. Wenn wir die programmatischen Forderungen des Freiherrn
vom Stein, wie er sie in seinem politischen Testamente niedergelegt hat. mit dem
vergleichen, was unter Hardenberg und weiterhin verwirklicht wurde, so zeigt es
sich, daß die Entwicklung, abgesehen von dem Ausbau der Selbstverwaltung in
den siebziger und achtziger Jahren, doch andere Bahnen eingeschlagen hat. Der
Schöpfer der Städteordnung hat in seinem idealistischen Bestreben, den Geist der
Freiwilligkeit, des Gemeinsinnes und der genossenschaftlichen Verpflichtung an die
Stelle obrigkeitlich-militärisch-bureaukratischen Zwanges zu setzen, die internatio¬
nalen Spannungsverhältnisse zu gering eingeschätzt, die von Preußen fortgesetzte
Berücksichtigung heisesten. Und schließlich hat doch diese Kraft der Selbstorgani¬
sation aus dem Schoße der Nation heraus versagt (Paulskirche) und nicht sie,
sondern die Politik des ierw iZnicms, mit den Machtmitteln des Obrigkeitsstaates den
großartigen Bau der nationalen Einheit vollendet. Nicht ist, wie der Großdeutsche
Stein es wollte, Preußen in Deutschland aufgegangen, sondern von ihm als festem
Kern hat sich die Neichsbildung vollzogen. Die beispiellosen Erfolge der Bismarckschen
Politik haben den bureaukratischen Obrigkeitsstaat, das monarchisch-konstitutionelle
Regime auf Jahrzehnte hinaus fest in den Sattel gesetzt und die friderizianischen
Traditionen auf einer neuen Linie wieder aufgenommen.

Man kann gegenüber diesen fundamentalen Entwicklungstatsachen der
preußischen Geschichte ein doppeltes Verhalten beobachten. Wer ihnen unwillig,
über ihre Herbheit erbittert und pessimistisch entgegentritt, gewahrt nur die dunklen
Partien des Bildes und endet in leidenschaftlicher Kritik und hoffnungslosen Ver¬
zweifeln. Wer sich aber mutig mit den Realitäten abzufinden sucht und "nun
erst recht" dem Mühsamer und Schwierigen die gute Seite abgewinnt, der ent¬
deckt genug, was ihm das Herz aufzurichten vermag. Diese Stimmung ist weit
davon entfernt, den Kopf in den Sand zu stecken und die vorliegenden Probleme
auf die leichte Schulter zu nehmen. Im Gegenteil, sie sühlt die Verantwortung,
den Finger auf brüchige Stellen zu legen, ebenso stark wie jene andere Richtung,
aber sie geht nicht mit griesgrämigem Gesicht ans Werk, sondern voll Zuversicht,
weil sie Fundamente sieht und kennt, auf denen sie aufbauen kann. Nichts ist
jedenfalls fruchtloser und bei ruhiger Verlegung beschämender als hinter Schicksals¬
notwendigkeiten menschliche Unzulänglichkeit und Schuld aufzuspüren und an dem
Prügelsetisch des Obrigkeitsstaates seinen Ärger über schlechtere Existenzbedin¬
gungen in der Gesellschaft der Nationen auszulassen.

Bestimmter Schriftstellern unserer demokratischen Presse bleibt der traurige
Ruhm vorbehalten, den politischen Überläufer und Renegaten zu spielen, und zum
Gaudium des höhnisch-zufriedenen Auslandes das eigene Nest zu beschmutzen. So
neuerdings wieder der sozialdemokratische Abgeordnete Hirsch in der "Glocke". Er
erklärt, das alte Preußen habe sich unfähig erwiesen, seine historische Mission zu
erfüllen, und zur Erläuterung entwirft er das bekannte maßlos verzerrte Bild des
Zuchthausstaates. Das Land, ein erweiterter Kasernenhof, wo an Stelle des Unter¬
offiziers der allmächtige Beamte seinen Bakel schwingt. Die Bewohner in "weiten
Kreisen" feige Vedientenseelen, die vor dem uniformierten Tschinownik zittern oder
ihn wie ein höheres Wesen anstaunen. Auf ihre trüben Jammergestalten, die
"gar kein Gefühl für das Entwürdigende ihres Zustandes haben", fällt dann --


Der preußische „Vbrigkeitsstaat"

verändert. Als die anderen schon längst den Prozeß ihrer staatlichen und natio¬
nalen Einigung beendet hatten und sich in bequemer Rentnerstimmung dem wohn¬
licheren Ausbau des Inneren zuwenden konnten, führten wir noch immer mitten
in den Spannungen der europäischen Lage schwere Existenzkämpfe und suchten
eine Antwort aus die Frage: Was ist des Deutschen Vaterland? Zwar hatte in¬
zwischen insbesondere der preußische Staat sein Reformzeitalter erlebt, das die
schroffe Ständescheidung des ancien röZime aufhob und den freien Bauer und
Bürger aus passiven Untertanen zu bewußten und interessierten Mitgliedern des
staatlichen Verbandes umschuf, wie die nationale Begeisterung der Befreiungskriege
zeigte. Aber die damalige Renaissance des Genossenschaftsgedankens, die Eman¬
zipation der Gesellschaft vom obrigkeitlichen Staate ist auf halbem Wege ins
Stocken geraten. Wenn wir die programmatischen Forderungen des Freiherrn
vom Stein, wie er sie in seinem politischen Testamente niedergelegt hat. mit dem
vergleichen, was unter Hardenberg und weiterhin verwirklicht wurde, so zeigt es
sich, daß die Entwicklung, abgesehen von dem Ausbau der Selbstverwaltung in
den siebziger und achtziger Jahren, doch andere Bahnen eingeschlagen hat. Der
Schöpfer der Städteordnung hat in seinem idealistischen Bestreben, den Geist der
Freiwilligkeit, des Gemeinsinnes und der genossenschaftlichen Verpflichtung an die
Stelle obrigkeitlich-militärisch-bureaukratischen Zwanges zu setzen, die internatio¬
nalen Spannungsverhältnisse zu gering eingeschätzt, die von Preußen fortgesetzte
Berücksichtigung heisesten. Und schließlich hat doch diese Kraft der Selbstorgani¬
sation aus dem Schoße der Nation heraus versagt (Paulskirche) und nicht sie,
sondern die Politik des ierw iZnicms, mit den Machtmitteln des Obrigkeitsstaates den
großartigen Bau der nationalen Einheit vollendet. Nicht ist, wie der Großdeutsche
Stein es wollte, Preußen in Deutschland aufgegangen, sondern von ihm als festem
Kern hat sich die Neichsbildung vollzogen. Die beispiellosen Erfolge der Bismarckschen
Politik haben den bureaukratischen Obrigkeitsstaat, das monarchisch-konstitutionelle
Regime auf Jahrzehnte hinaus fest in den Sattel gesetzt und die friderizianischen
Traditionen auf einer neuen Linie wieder aufgenommen.

Man kann gegenüber diesen fundamentalen Entwicklungstatsachen der
preußischen Geschichte ein doppeltes Verhalten beobachten. Wer ihnen unwillig,
über ihre Herbheit erbittert und pessimistisch entgegentritt, gewahrt nur die dunklen
Partien des Bildes und endet in leidenschaftlicher Kritik und hoffnungslosen Ver¬
zweifeln. Wer sich aber mutig mit den Realitäten abzufinden sucht und „nun
erst recht" dem Mühsamer und Schwierigen die gute Seite abgewinnt, der ent¬
deckt genug, was ihm das Herz aufzurichten vermag. Diese Stimmung ist weit
davon entfernt, den Kopf in den Sand zu stecken und die vorliegenden Probleme
auf die leichte Schulter zu nehmen. Im Gegenteil, sie sühlt die Verantwortung,
den Finger auf brüchige Stellen zu legen, ebenso stark wie jene andere Richtung,
aber sie geht nicht mit griesgrämigem Gesicht ans Werk, sondern voll Zuversicht,
weil sie Fundamente sieht und kennt, auf denen sie aufbauen kann. Nichts ist
jedenfalls fruchtloser und bei ruhiger Verlegung beschämender als hinter Schicksals¬
notwendigkeiten menschliche Unzulänglichkeit und Schuld aufzuspüren und an dem
Prügelsetisch des Obrigkeitsstaates seinen Ärger über schlechtere Existenzbedin¬
gungen in der Gesellschaft der Nationen auszulassen.

Bestimmter Schriftstellern unserer demokratischen Presse bleibt der traurige
Ruhm vorbehalten, den politischen Überläufer und Renegaten zu spielen, und zum
Gaudium des höhnisch-zufriedenen Auslandes das eigene Nest zu beschmutzen. So
neuerdings wieder der sozialdemokratische Abgeordnete Hirsch in der „Glocke". Er
erklärt, das alte Preußen habe sich unfähig erwiesen, seine historische Mission zu
erfüllen, und zur Erläuterung entwirft er das bekannte maßlos verzerrte Bild des
Zuchthausstaates. Das Land, ein erweiterter Kasernenhof, wo an Stelle des Unter¬
offiziers der allmächtige Beamte seinen Bakel schwingt. Die Bewohner in „weiten
Kreisen" feige Vedientenseelen, die vor dem uniformierten Tschinownik zittern oder
ihn wie ein höheres Wesen anstaunen. Auf ihre trüben Jammergestalten, die
„gar kein Gefühl für das Entwürdigende ihres Zustandes haben", fällt dann —


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[0306] Der preußische „Vbrigkeitsstaat" verändert. Als die anderen schon längst den Prozeß ihrer staatlichen und natio¬ nalen Einigung beendet hatten und sich in bequemer Rentnerstimmung dem wohn¬ licheren Ausbau des Inneren zuwenden konnten, führten wir noch immer mitten in den Spannungen der europäischen Lage schwere Existenzkämpfe und suchten eine Antwort aus die Frage: Was ist des Deutschen Vaterland? Zwar hatte in¬ zwischen insbesondere der preußische Staat sein Reformzeitalter erlebt, das die schroffe Ständescheidung des ancien röZime aufhob und den freien Bauer und Bürger aus passiven Untertanen zu bewußten und interessierten Mitgliedern des staatlichen Verbandes umschuf, wie die nationale Begeisterung der Befreiungskriege zeigte. Aber die damalige Renaissance des Genossenschaftsgedankens, die Eman¬ zipation der Gesellschaft vom obrigkeitlichen Staate ist auf halbem Wege ins Stocken geraten. Wenn wir die programmatischen Forderungen des Freiherrn vom Stein, wie er sie in seinem politischen Testamente niedergelegt hat. mit dem vergleichen, was unter Hardenberg und weiterhin verwirklicht wurde, so zeigt es sich, daß die Entwicklung, abgesehen von dem Ausbau der Selbstverwaltung in den siebziger und achtziger Jahren, doch andere Bahnen eingeschlagen hat. Der Schöpfer der Städteordnung hat in seinem idealistischen Bestreben, den Geist der Freiwilligkeit, des Gemeinsinnes und der genossenschaftlichen Verpflichtung an die Stelle obrigkeitlich-militärisch-bureaukratischen Zwanges zu setzen, die internatio¬ nalen Spannungsverhältnisse zu gering eingeschätzt, die von Preußen fortgesetzte Berücksichtigung heisesten. Und schließlich hat doch diese Kraft der Selbstorgani¬ sation aus dem Schoße der Nation heraus versagt (Paulskirche) und nicht sie, sondern die Politik des ierw iZnicms, mit den Machtmitteln des Obrigkeitsstaates den großartigen Bau der nationalen Einheit vollendet. Nicht ist, wie der Großdeutsche Stein es wollte, Preußen in Deutschland aufgegangen, sondern von ihm als festem Kern hat sich die Neichsbildung vollzogen. Die beispiellosen Erfolge der Bismarckschen Politik haben den bureaukratischen Obrigkeitsstaat, das monarchisch-konstitutionelle Regime auf Jahrzehnte hinaus fest in den Sattel gesetzt und die friderizianischen Traditionen auf einer neuen Linie wieder aufgenommen. Man kann gegenüber diesen fundamentalen Entwicklungstatsachen der preußischen Geschichte ein doppeltes Verhalten beobachten. Wer ihnen unwillig, über ihre Herbheit erbittert und pessimistisch entgegentritt, gewahrt nur die dunklen Partien des Bildes und endet in leidenschaftlicher Kritik und hoffnungslosen Ver¬ zweifeln. Wer sich aber mutig mit den Realitäten abzufinden sucht und „nun erst recht" dem Mühsamer und Schwierigen die gute Seite abgewinnt, der ent¬ deckt genug, was ihm das Herz aufzurichten vermag. Diese Stimmung ist weit davon entfernt, den Kopf in den Sand zu stecken und die vorliegenden Probleme auf die leichte Schulter zu nehmen. Im Gegenteil, sie sühlt die Verantwortung, den Finger auf brüchige Stellen zu legen, ebenso stark wie jene andere Richtung, aber sie geht nicht mit griesgrämigem Gesicht ans Werk, sondern voll Zuversicht, weil sie Fundamente sieht und kennt, auf denen sie aufbauen kann. Nichts ist jedenfalls fruchtloser und bei ruhiger Verlegung beschämender als hinter Schicksals¬ notwendigkeiten menschliche Unzulänglichkeit und Schuld aufzuspüren und an dem Prügelsetisch des Obrigkeitsstaates seinen Ärger über schlechtere Existenzbedin¬ gungen in der Gesellschaft der Nationen auszulassen. Bestimmter Schriftstellern unserer demokratischen Presse bleibt der traurige Ruhm vorbehalten, den politischen Überläufer und Renegaten zu spielen, und zum Gaudium des höhnisch-zufriedenen Auslandes das eigene Nest zu beschmutzen. So neuerdings wieder der sozialdemokratische Abgeordnete Hirsch in der „Glocke". Er erklärt, das alte Preußen habe sich unfähig erwiesen, seine historische Mission zu erfüllen, und zur Erläuterung entwirft er das bekannte maßlos verzerrte Bild des Zuchthausstaates. Das Land, ein erweiterter Kasernenhof, wo an Stelle des Unter¬ offiziers der allmächtige Beamte seinen Bakel schwingt. Die Bewohner in „weiten Kreisen" feige Vedientenseelen, die vor dem uniformierten Tschinownik zittern oder ihn wie ein höheres Wesen anstaunen. Auf ihre trüben Jammergestalten, die „gar kein Gefühl für das Entwürdigende ihres Zustandes haben", fällt dann —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/306>, abgerufen am 22.07.2024.