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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Lthik, Politik und Krieg

Farben aufweisen. Die Grenzen der Staatsmoral beruhen nicht auf einer Unvoll-
kommenheit des ethischen Denkens, fondern sind im Wesen des Staates zu suchen,
der ohne Abgrenzung gegen andere Gemeinschaftsgruppen unmöglich ist. Wie es
für den Handelnden nur eine ethische Norm geben kann, so kann für ihn auch nur
eine sittliche Gemeinschaft vorhanden sein, die von ihm moralisches Verhalten
fordert, und das ist in der gegenwärtigen Entwicklungsstufe der Staat. Da die
Jndividualmoral letzten Grundes die Erhaltung und Förderung des Staats"
wefens zum Zweck hat, so kann der sittliche Staat kein anderes Ziel als die Selbst¬
behauptung verfolgen. Er erkennt keine ihm übergeordnete sittliche reale Macht
an, deren Forderungen selbst mit Aufhebung seiner Existenz zu erfüllen ihm
Pflicht wäre. Jede Steigerung der Staatsmoral hierüber hinaus, hebt ihn als
sittliche Gemeinschaft auf und läßt ihn nur als Verwaltungsorganisation bestehen,
wie die Gemeinwesen eines Bundesstaates. Das setzt aber eine andere Stufe
der Menschheitsentwicklung voraus, als diejenige, welche gegenwärtigbesteht, wie
das Vorhandensein des Krieges beweist.

Hieraus ergibt sich nun die Stellung derer, die zugleich als Individuum
und im Namen eines Staates wollen und handeln, des Staatsmannes und des
Soldaten. Beide sind einem ähnlichen Konflikt unterworfen, der für den
Soldaten am deutlichsten zutage tritt. Nach den Grundsätzen christlicher Ethik,
auf der sich die Jndividualmoral aufbaut, darf er höchstens in der Selbst¬
verteidigung töten; diese liegt aber im Kriege für den einzelnen nicht immer vor.
Trotzdem kann für ihn kein Zweifel darüber bestehen, daß die Erhaltung seines
Staates für ihn höchste Pflicht ist, die er wollen muß. Wenn er aber den Zweck
will, so muß er auch die Mittel wollen, die ihm durch die Strategie vorgeschrieben
werden.

Beim Staatsmann ist die Frage mitunter schwieriger zu lösen. Auch bei
ihm ist der Zweck, die Erhaltung und Förderung des Staates, der gleiche, aber
die Zahl der friedlichen Mittel ist eine größere. Die Idee einer sittlichen Gesamt¬
menschheit fordert von ihm, daß er die beste Erreichung der Staatsziele mit
möglichst geringen Verstößen gegen die Jndividualmoral zu vereinigen sucht.
Geht das nicht,' so heiligt der Zweck, wenn er tatsächlich für die Erhaltung des
Staates erforderlich ist, hier allerdings die Mittel. Niemand wird einen Staats¬
lenker für gut halten, der sich auf den rauchenden Trümmern seines Landes damit
brüstet, sich niemals gegen die Normen der Ethik vergangen zu haben.

Ist nun der Gewissenskonflikt, in der ein Politiker oder Soldat geraten
kann, ein tragischer? Tragik erwächst aus dem Widerstreit zweier Pflichten und
ist ein ethischer Begriff (v. d. Pfordten a. a. O. S. 33 scheidet ihn als ästhetischen
Begriff aus diesen: Zusammenhang aus!). Der Widerstreit ist aber nur möglich,
wenn beide Forderungen an den gleichen sittlichen Willen herantreten. Staats¬
mann und Soldat handeln aber als solche nicht nach eigenen: Willen, sondern sind
ausführende Organe des Staatswillens, der, auch wenn er nicht durch eine Volks¬
vertretung zum Ausdruck gebracht wird, aus seinen Lebensbedürfnissen sich ergibt.
Die Mittel, die für feine Erhaltung und Förderung notwendig sind, kommen auf
Rechnung des Staates, dem er für die zweckentsprechende Wahl der Mittel ver¬
antwortlich ist. Denn Verantwortlichkeit dem gegenüber, der das Amt verliehen
hat, gehört zum Begriff des Amtes, und Absolutismus und Parlamentarismus
unterscheiden sich nur darin, daß jener Gott, dieser das Volk als Verleiher der
Regierungsgewalt auffaßt. Man kann also Cavours Wort: "Ich weiß nicht ein¬
mal, ob ich mich noch zu den Ehrenmännern zählen darf, weil ich die Einheit
meines Vaterlandes gründete" bejahen in der Voraussetzung, daß ihm andere
Mittel nicht zur Wahl standen. Dann aber kann ihm ein Gewissenskonflikt nicht
daraus entstehen. Denn sein Schaffen für den Staat hat ja eben den Zweck, auf
den auch die Jndividualmoral letzten Endes abzielt; nämlich die Erhaltung der
höchsten Gemeinschaftsform, die für ihn eine reale sittliche Welt darstellt: seines
Vaterlandes.




Lthik, Politik und Krieg

Farben aufweisen. Die Grenzen der Staatsmoral beruhen nicht auf einer Unvoll-
kommenheit des ethischen Denkens, fondern sind im Wesen des Staates zu suchen,
der ohne Abgrenzung gegen andere Gemeinschaftsgruppen unmöglich ist. Wie es
für den Handelnden nur eine ethische Norm geben kann, so kann für ihn auch nur
eine sittliche Gemeinschaft vorhanden sein, die von ihm moralisches Verhalten
fordert, und das ist in der gegenwärtigen Entwicklungsstufe der Staat. Da die
Jndividualmoral letzten Grundes die Erhaltung und Förderung des Staats»
wefens zum Zweck hat, so kann der sittliche Staat kein anderes Ziel als die Selbst¬
behauptung verfolgen. Er erkennt keine ihm übergeordnete sittliche reale Macht
an, deren Forderungen selbst mit Aufhebung seiner Existenz zu erfüllen ihm
Pflicht wäre. Jede Steigerung der Staatsmoral hierüber hinaus, hebt ihn als
sittliche Gemeinschaft auf und läßt ihn nur als Verwaltungsorganisation bestehen,
wie die Gemeinwesen eines Bundesstaates. Das setzt aber eine andere Stufe
der Menschheitsentwicklung voraus, als diejenige, welche gegenwärtigbesteht, wie
das Vorhandensein des Krieges beweist.

Hieraus ergibt sich nun die Stellung derer, die zugleich als Individuum
und im Namen eines Staates wollen und handeln, des Staatsmannes und des
Soldaten. Beide sind einem ähnlichen Konflikt unterworfen, der für den
Soldaten am deutlichsten zutage tritt. Nach den Grundsätzen christlicher Ethik,
auf der sich die Jndividualmoral aufbaut, darf er höchstens in der Selbst¬
verteidigung töten; diese liegt aber im Kriege für den einzelnen nicht immer vor.
Trotzdem kann für ihn kein Zweifel darüber bestehen, daß die Erhaltung seines
Staates für ihn höchste Pflicht ist, die er wollen muß. Wenn er aber den Zweck
will, so muß er auch die Mittel wollen, die ihm durch die Strategie vorgeschrieben
werden.

Beim Staatsmann ist die Frage mitunter schwieriger zu lösen. Auch bei
ihm ist der Zweck, die Erhaltung und Förderung des Staates, der gleiche, aber
die Zahl der friedlichen Mittel ist eine größere. Die Idee einer sittlichen Gesamt¬
menschheit fordert von ihm, daß er die beste Erreichung der Staatsziele mit
möglichst geringen Verstößen gegen die Jndividualmoral zu vereinigen sucht.
Geht das nicht,' so heiligt der Zweck, wenn er tatsächlich für die Erhaltung des
Staates erforderlich ist, hier allerdings die Mittel. Niemand wird einen Staats¬
lenker für gut halten, der sich auf den rauchenden Trümmern seines Landes damit
brüstet, sich niemals gegen die Normen der Ethik vergangen zu haben.

Ist nun der Gewissenskonflikt, in der ein Politiker oder Soldat geraten
kann, ein tragischer? Tragik erwächst aus dem Widerstreit zweier Pflichten und
ist ein ethischer Begriff (v. d. Pfordten a. a. O. S. 33 scheidet ihn als ästhetischen
Begriff aus diesen: Zusammenhang aus!). Der Widerstreit ist aber nur möglich,
wenn beide Forderungen an den gleichen sittlichen Willen herantreten. Staats¬
mann und Soldat handeln aber als solche nicht nach eigenen: Willen, sondern sind
ausführende Organe des Staatswillens, der, auch wenn er nicht durch eine Volks¬
vertretung zum Ausdruck gebracht wird, aus seinen Lebensbedürfnissen sich ergibt.
Die Mittel, die für feine Erhaltung und Förderung notwendig sind, kommen auf
Rechnung des Staates, dem er für die zweckentsprechende Wahl der Mittel ver¬
antwortlich ist. Denn Verantwortlichkeit dem gegenüber, der das Amt verliehen
hat, gehört zum Begriff des Amtes, und Absolutismus und Parlamentarismus
unterscheiden sich nur darin, daß jener Gott, dieser das Volk als Verleiher der
Regierungsgewalt auffaßt. Man kann also Cavours Wort: „Ich weiß nicht ein¬
mal, ob ich mich noch zu den Ehrenmännern zählen darf, weil ich die Einheit
meines Vaterlandes gründete" bejahen in der Voraussetzung, daß ihm andere
Mittel nicht zur Wahl standen. Dann aber kann ihm ein Gewissenskonflikt nicht
daraus entstehen. Denn sein Schaffen für den Staat hat ja eben den Zweck, auf
den auch die Jndividualmoral letzten Endes abzielt; nämlich die Erhaltung der
höchsten Gemeinschaftsform, die für ihn eine reale sittliche Welt darstellt: seines
Vaterlandes.




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[0281] Lthik, Politik und Krieg Farben aufweisen. Die Grenzen der Staatsmoral beruhen nicht auf einer Unvoll- kommenheit des ethischen Denkens, fondern sind im Wesen des Staates zu suchen, der ohne Abgrenzung gegen andere Gemeinschaftsgruppen unmöglich ist. Wie es für den Handelnden nur eine ethische Norm geben kann, so kann für ihn auch nur eine sittliche Gemeinschaft vorhanden sein, die von ihm moralisches Verhalten fordert, und das ist in der gegenwärtigen Entwicklungsstufe der Staat. Da die Jndividualmoral letzten Grundes die Erhaltung und Förderung des Staats» wefens zum Zweck hat, so kann der sittliche Staat kein anderes Ziel als die Selbst¬ behauptung verfolgen. Er erkennt keine ihm übergeordnete sittliche reale Macht an, deren Forderungen selbst mit Aufhebung seiner Existenz zu erfüllen ihm Pflicht wäre. Jede Steigerung der Staatsmoral hierüber hinaus, hebt ihn als sittliche Gemeinschaft auf und läßt ihn nur als Verwaltungsorganisation bestehen, wie die Gemeinwesen eines Bundesstaates. Das setzt aber eine andere Stufe der Menschheitsentwicklung voraus, als diejenige, welche gegenwärtigbesteht, wie das Vorhandensein des Krieges beweist. Hieraus ergibt sich nun die Stellung derer, die zugleich als Individuum und im Namen eines Staates wollen und handeln, des Staatsmannes und des Soldaten. Beide sind einem ähnlichen Konflikt unterworfen, der für den Soldaten am deutlichsten zutage tritt. Nach den Grundsätzen christlicher Ethik, auf der sich die Jndividualmoral aufbaut, darf er höchstens in der Selbst¬ verteidigung töten; diese liegt aber im Kriege für den einzelnen nicht immer vor. Trotzdem kann für ihn kein Zweifel darüber bestehen, daß die Erhaltung seines Staates für ihn höchste Pflicht ist, die er wollen muß. Wenn er aber den Zweck will, so muß er auch die Mittel wollen, die ihm durch die Strategie vorgeschrieben werden. Beim Staatsmann ist die Frage mitunter schwieriger zu lösen. Auch bei ihm ist der Zweck, die Erhaltung und Förderung des Staates, der gleiche, aber die Zahl der friedlichen Mittel ist eine größere. Die Idee einer sittlichen Gesamt¬ menschheit fordert von ihm, daß er die beste Erreichung der Staatsziele mit möglichst geringen Verstößen gegen die Jndividualmoral zu vereinigen sucht. Geht das nicht,' so heiligt der Zweck, wenn er tatsächlich für die Erhaltung des Staates erforderlich ist, hier allerdings die Mittel. Niemand wird einen Staats¬ lenker für gut halten, der sich auf den rauchenden Trümmern seines Landes damit brüstet, sich niemals gegen die Normen der Ethik vergangen zu haben. Ist nun der Gewissenskonflikt, in der ein Politiker oder Soldat geraten kann, ein tragischer? Tragik erwächst aus dem Widerstreit zweier Pflichten und ist ein ethischer Begriff (v. d. Pfordten a. a. O. S. 33 scheidet ihn als ästhetischen Begriff aus diesen: Zusammenhang aus!). Der Widerstreit ist aber nur möglich, wenn beide Forderungen an den gleichen sittlichen Willen herantreten. Staats¬ mann und Soldat handeln aber als solche nicht nach eigenen: Willen, sondern sind ausführende Organe des Staatswillens, der, auch wenn er nicht durch eine Volks¬ vertretung zum Ausdruck gebracht wird, aus seinen Lebensbedürfnissen sich ergibt. Die Mittel, die für feine Erhaltung und Förderung notwendig sind, kommen auf Rechnung des Staates, dem er für die zweckentsprechende Wahl der Mittel ver¬ antwortlich ist. Denn Verantwortlichkeit dem gegenüber, der das Amt verliehen hat, gehört zum Begriff des Amtes, und Absolutismus und Parlamentarismus unterscheiden sich nur darin, daß jener Gott, dieser das Volk als Verleiher der Regierungsgewalt auffaßt. Man kann also Cavours Wort: „Ich weiß nicht ein¬ mal, ob ich mich noch zu den Ehrenmännern zählen darf, weil ich die Einheit meines Vaterlandes gründete" bejahen in der Voraussetzung, daß ihm andere Mittel nicht zur Wahl standen. Dann aber kann ihm ein Gewissenskonflikt nicht daraus entstehen. Denn sein Schaffen für den Staat hat ja eben den Zweck, auf den auch die Jndividualmoral letzten Endes abzielt; nämlich die Erhaltung der höchsten Gemeinschaftsform, die für ihn eine reale sittliche Welt darstellt: seines Vaterlandes.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/281>, abgerufen am 22.07.2024.