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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ethik, Politik und Krieg

Menschheit eines wird, daß er jeden Menschen gleichsam als Mitglied seines
Staates betrachtet; der Krieg zeigt ihm aber, daß die Grundlage seiner Moralität
eine viel engere ist.

Das Nationalgefühl ist die Phase, in der das natürliche Gemeinschafts¬
gefühl von der Horde ausgehend heute angelangt ist, und der Nationalstaat bildet
im allgemeinen den modernen sozialen Boden, auf dessen Erhaltung und Ent¬
wicklung sich alle moralischen Grundsätze, Gesinnungen, Handlungsweisen letzten
Endes beziehen lassen; oder negativ ausgedrückt, kein Wille wird von uns als gut
bewertet, dessen Inhalt auf eine Schädigung des Staates abzielt, dem der
Wollende angehört, auch wenn eine Förderung der Gefamtmenschheit damit ver¬
bunden wäre. Eine Selbstaufopferung des Staates zugunsten der Menschheit
etwa aus Vertragstreue, die für sie ein erhaltendes Prinzip bedeutet, gilt uns für
ebenso verwerflich, wie die Hingabe des Lebens für das Vaterland ruhmvoll. Die
Menschheit oder genauer die verstaatlichter Menschengruppen bilden eben, Wie die
Jndividualethik ideal voraussetzt, real noch keine soziale Gemeinschaft. Freilich
sind schon Uebergangsformen vorhanden. Ein Staat, der Teil eines Bundes¬
staates ist, handelt nach unserem sittlichen Denken zu Recht, wenn er feindliche
Invasion und Verwüstung dem Abfall vom Ganzen vorzieht. Das gemeinsame
Necht, die angewandte Moral, ist ein Symptom dafür, daß aus den einzelnen
staatlichen Gebilden eine ethische Gemeinschaft, ein Staat geworden ist, in dem
Krieg schon als Verbrechen gilt. Der Krieg weckt in jedem ein lebendiges Gefühl
dafür, welcher sozialen Gruppe er angehört. Zum Beispiel wird dem Deutsch-
Amerikaner heute klar, ob er seiner Gesinnung nach schon Amerikaner geworden
ist oder noch nicht. Der Krieg zwingt sogar die Kirchen, ständig oder für seine
Dauer einen nationalen Charakter anzunehmen.

Diese staatliche Grenze der Moralität der Staatenwelt ist aber keine starre.
Schon Begriffe wie "Christenheit", "Völker Europas" und "Zivilisation", für die
unsere Gegner zu kämpfen vorgeben, finden über die Landesmarken hinaus und
schlingen ein loses Band um größere Gruppen. In Umrissen ist eine Universal-
gemeinschaft als Träger einer Moralität bereits angelegt und internationale Ver¬
einbarungen, Friedenskonferenzen find, wenn auch noch schwankend, Stufen zur
Verwirklichung der idealen Forderung in der Staatenwelt. Für den einzelnen
kommt diese Erscheinung darin zum Ausdruck, daß sein moralisches Gefühl auch
den niedrigsten Südseeinsulaner als Mensch und nicht mehr wie zu Zeiten der
Sklaverei als Tier oder Sache anspricht. Die Jndividualmoral ist insoweit auch
unter den Staaten zur Anerkennung gelangt, als keine Schädigung für ihre
Existenz daraus erwächst. Ist aber das Staatsinteresse bedroht, so wird sie fast
bis zum Nullpunkt aufgesogen und findet im Krieg nur noch in wenigen Ein¬
richtungen, wie in der Genfer Konvention, einen Stützpunkt in der Wirklichkeit.
Denn die Staatsgemeinschaft, nicht die Menschheit ist der reale Träger der
Moralität.




Wir kehren nun zu der Frage zurück, von der wir ausgingen. Bedeutet der
Gegensatz der Staatsmoral zur Jndividualmoral eine Teilung der Ethik in zwei
Regelshsteme, von denen eines dem Staat die Macht zum Zweck setzt und die
Mittel frei gibt (Scholz), oder ist der Staat auf dem Wege zum einheitlichen Ideal
nur zurückgeblieben und dürfen wir von der Zukunft erhoffen, daß er den Stand¬
punkt der Jndividualmoral einmal erreichen oder gar überholen wird?
(v. d. Pfordten.) Aus den vorausgeschickten Betrachtungen ergibt sich die Ant¬
wort: keines von beiden. Das Ideal kennt theoretisch nur Gut und Böse ohne
Unterschied, ob es sich um einzelne oder Gemeinschaften handelt, das Leben aber,
die Wirklichkeit ist bedingt und der Grad der möglichen Verwirklichung des Ideals
hängt von den Bedingungen dieser Welt ab.' Auch ein Kunstwerk wird das
Schönheitsideal nie erreichen, schon weil die dem Künstler zu Gebote stehenden
stofflichen Ausdrucksmittel Grenzen haben. Diese Grenzen berücksichtigen wir
aber in unserem ästhetischen Urteil und werfen einem Maler nicht vor, daß seine
Schöpfungen nicht plastisch sind, und einem Bildhauer, daß die seinigen keine


Ethik, Politik und Krieg

Menschheit eines wird, daß er jeden Menschen gleichsam als Mitglied seines
Staates betrachtet; der Krieg zeigt ihm aber, daß die Grundlage seiner Moralität
eine viel engere ist.

Das Nationalgefühl ist die Phase, in der das natürliche Gemeinschafts¬
gefühl von der Horde ausgehend heute angelangt ist, und der Nationalstaat bildet
im allgemeinen den modernen sozialen Boden, auf dessen Erhaltung und Ent¬
wicklung sich alle moralischen Grundsätze, Gesinnungen, Handlungsweisen letzten
Endes beziehen lassen; oder negativ ausgedrückt, kein Wille wird von uns als gut
bewertet, dessen Inhalt auf eine Schädigung des Staates abzielt, dem der
Wollende angehört, auch wenn eine Förderung der Gefamtmenschheit damit ver¬
bunden wäre. Eine Selbstaufopferung des Staates zugunsten der Menschheit
etwa aus Vertragstreue, die für sie ein erhaltendes Prinzip bedeutet, gilt uns für
ebenso verwerflich, wie die Hingabe des Lebens für das Vaterland ruhmvoll. Die
Menschheit oder genauer die verstaatlichter Menschengruppen bilden eben, Wie die
Jndividualethik ideal voraussetzt, real noch keine soziale Gemeinschaft. Freilich
sind schon Uebergangsformen vorhanden. Ein Staat, der Teil eines Bundes¬
staates ist, handelt nach unserem sittlichen Denken zu Recht, wenn er feindliche
Invasion und Verwüstung dem Abfall vom Ganzen vorzieht. Das gemeinsame
Necht, die angewandte Moral, ist ein Symptom dafür, daß aus den einzelnen
staatlichen Gebilden eine ethische Gemeinschaft, ein Staat geworden ist, in dem
Krieg schon als Verbrechen gilt. Der Krieg weckt in jedem ein lebendiges Gefühl
dafür, welcher sozialen Gruppe er angehört. Zum Beispiel wird dem Deutsch-
Amerikaner heute klar, ob er seiner Gesinnung nach schon Amerikaner geworden
ist oder noch nicht. Der Krieg zwingt sogar die Kirchen, ständig oder für seine
Dauer einen nationalen Charakter anzunehmen.

Diese staatliche Grenze der Moralität der Staatenwelt ist aber keine starre.
Schon Begriffe wie „Christenheit", „Völker Europas" und „Zivilisation", für die
unsere Gegner zu kämpfen vorgeben, finden über die Landesmarken hinaus und
schlingen ein loses Band um größere Gruppen. In Umrissen ist eine Universal-
gemeinschaft als Träger einer Moralität bereits angelegt und internationale Ver¬
einbarungen, Friedenskonferenzen find, wenn auch noch schwankend, Stufen zur
Verwirklichung der idealen Forderung in der Staatenwelt. Für den einzelnen
kommt diese Erscheinung darin zum Ausdruck, daß sein moralisches Gefühl auch
den niedrigsten Südseeinsulaner als Mensch und nicht mehr wie zu Zeiten der
Sklaverei als Tier oder Sache anspricht. Die Jndividualmoral ist insoweit auch
unter den Staaten zur Anerkennung gelangt, als keine Schädigung für ihre
Existenz daraus erwächst. Ist aber das Staatsinteresse bedroht, so wird sie fast
bis zum Nullpunkt aufgesogen und findet im Krieg nur noch in wenigen Ein¬
richtungen, wie in der Genfer Konvention, einen Stützpunkt in der Wirklichkeit.
Denn die Staatsgemeinschaft, nicht die Menschheit ist der reale Träger der
Moralität.




Wir kehren nun zu der Frage zurück, von der wir ausgingen. Bedeutet der
Gegensatz der Staatsmoral zur Jndividualmoral eine Teilung der Ethik in zwei
Regelshsteme, von denen eines dem Staat die Macht zum Zweck setzt und die
Mittel frei gibt (Scholz), oder ist der Staat auf dem Wege zum einheitlichen Ideal
nur zurückgeblieben und dürfen wir von der Zukunft erhoffen, daß er den Stand¬
punkt der Jndividualmoral einmal erreichen oder gar überholen wird?
(v. d. Pfordten.) Aus den vorausgeschickten Betrachtungen ergibt sich die Ant¬
wort: keines von beiden. Das Ideal kennt theoretisch nur Gut und Böse ohne
Unterschied, ob es sich um einzelne oder Gemeinschaften handelt, das Leben aber,
die Wirklichkeit ist bedingt und der Grad der möglichen Verwirklichung des Ideals
hängt von den Bedingungen dieser Welt ab.' Auch ein Kunstwerk wird das
Schönheitsideal nie erreichen, schon weil die dem Künstler zu Gebote stehenden
stofflichen Ausdrucksmittel Grenzen haben. Diese Grenzen berücksichtigen wir
aber in unserem ästhetischen Urteil und werfen einem Maler nicht vor, daß seine
Schöpfungen nicht plastisch sind, und einem Bildhauer, daß die seinigen keine


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[0280] Ethik, Politik und Krieg Menschheit eines wird, daß er jeden Menschen gleichsam als Mitglied seines Staates betrachtet; der Krieg zeigt ihm aber, daß die Grundlage seiner Moralität eine viel engere ist. Das Nationalgefühl ist die Phase, in der das natürliche Gemeinschafts¬ gefühl von der Horde ausgehend heute angelangt ist, und der Nationalstaat bildet im allgemeinen den modernen sozialen Boden, auf dessen Erhaltung und Ent¬ wicklung sich alle moralischen Grundsätze, Gesinnungen, Handlungsweisen letzten Endes beziehen lassen; oder negativ ausgedrückt, kein Wille wird von uns als gut bewertet, dessen Inhalt auf eine Schädigung des Staates abzielt, dem der Wollende angehört, auch wenn eine Förderung der Gefamtmenschheit damit ver¬ bunden wäre. Eine Selbstaufopferung des Staates zugunsten der Menschheit etwa aus Vertragstreue, die für sie ein erhaltendes Prinzip bedeutet, gilt uns für ebenso verwerflich, wie die Hingabe des Lebens für das Vaterland ruhmvoll. Die Menschheit oder genauer die verstaatlichter Menschengruppen bilden eben, Wie die Jndividualethik ideal voraussetzt, real noch keine soziale Gemeinschaft. Freilich sind schon Uebergangsformen vorhanden. Ein Staat, der Teil eines Bundes¬ staates ist, handelt nach unserem sittlichen Denken zu Recht, wenn er feindliche Invasion und Verwüstung dem Abfall vom Ganzen vorzieht. Das gemeinsame Necht, die angewandte Moral, ist ein Symptom dafür, daß aus den einzelnen staatlichen Gebilden eine ethische Gemeinschaft, ein Staat geworden ist, in dem Krieg schon als Verbrechen gilt. Der Krieg weckt in jedem ein lebendiges Gefühl dafür, welcher sozialen Gruppe er angehört. Zum Beispiel wird dem Deutsch- Amerikaner heute klar, ob er seiner Gesinnung nach schon Amerikaner geworden ist oder noch nicht. Der Krieg zwingt sogar die Kirchen, ständig oder für seine Dauer einen nationalen Charakter anzunehmen. Diese staatliche Grenze der Moralität der Staatenwelt ist aber keine starre. Schon Begriffe wie „Christenheit", „Völker Europas" und „Zivilisation", für die unsere Gegner zu kämpfen vorgeben, finden über die Landesmarken hinaus und schlingen ein loses Band um größere Gruppen. In Umrissen ist eine Universal- gemeinschaft als Träger einer Moralität bereits angelegt und internationale Ver¬ einbarungen, Friedenskonferenzen find, wenn auch noch schwankend, Stufen zur Verwirklichung der idealen Forderung in der Staatenwelt. Für den einzelnen kommt diese Erscheinung darin zum Ausdruck, daß sein moralisches Gefühl auch den niedrigsten Südseeinsulaner als Mensch und nicht mehr wie zu Zeiten der Sklaverei als Tier oder Sache anspricht. Die Jndividualmoral ist insoweit auch unter den Staaten zur Anerkennung gelangt, als keine Schädigung für ihre Existenz daraus erwächst. Ist aber das Staatsinteresse bedroht, so wird sie fast bis zum Nullpunkt aufgesogen und findet im Krieg nur noch in wenigen Ein¬ richtungen, wie in der Genfer Konvention, einen Stützpunkt in der Wirklichkeit. Denn die Staatsgemeinschaft, nicht die Menschheit ist der reale Träger der Moralität. Wir kehren nun zu der Frage zurück, von der wir ausgingen. Bedeutet der Gegensatz der Staatsmoral zur Jndividualmoral eine Teilung der Ethik in zwei Regelshsteme, von denen eines dem Staat die Macht zum Zweck setzt und die Mittel frei gibt (Scholz), oder ist der Staat auf dem Wege zum einheitlichen Ideal nur zurückgeblieben und dürfen wir von der Zukunft erhoffen, daß er den Stand¬ punkt der Jndividualmoral einmal erreichen oder gar überholen wird? (v. d. Pfordten.) Aus den vorausgeschickten Betrachtungen ergibt sich die Ant¬ wort: keines von beiden. Das Ideal kennt theoretisch nur Gut und Böse ohne Unterschied, ob es sich um einzelne oder Gemeinschaften handelt, das Leben aber, die Wirklichkeit ist bedingt und der Grad der möglichen Verwirklichung des Ideals hängt von den Bedingungen dieser Welt ab.' Auch ein Kunstwerk wird das Schönheitsideal nie erreichen, schon weil die dem Künstler zu Gebote stehenden stofflichen Ausdrucksmittel Grenzen haben. Diese Grenzen berücksichtigen wir aber in unserem ästhetischen Urteil und werfen einem Maler nicht vor, daß seine Schöpfungen nicht plastisch sind, und einem Bildhauer, daß die seinigen keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/280>, abgerufen am 22.07.2024.