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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Englands Bild in den Augen der deutschen Klassiker

deutschem Sinn bei den Engländern: "Bei den Engländern kann das Element,
worin die Nation lebt und webt, nie Element der Poesie werden." Das Tagebuch
von 1862 nimmt diesen Gedanken aus Anlaß einer Reise nach England in neuer
Wendung auf: "Die Größe der englischen Dichter beruht darauf, daß die einzelnen
Individuen der Nation gar keine poetische Ader haben und daß das allen Völkern
eigentümliche und notwendige poetische Vermögen sich ganz in den Ausnahmen
ergießt." Diese Nüchternheit des englischen Volkes findet Hebbel auch in der Ent¬
persönlichung der Arbeit; die Londoner Zeitungsannoncen suchen nicht Arbeiter,
sondern Hände, wie sich Hebbel aufschreibt. Er erkennt auch, daß der praktische
Sinn der Engländer in Politik und Privatleben auf ihren Egoismus zurückgehe.
Die weltumspannende Politik Englands erweckt Hebbels Achtung; Englands Pläne
gegen China nennt er 1342 "den genialsten Gedanken der neueren Geschichte".
Wenn sich Hebbel auch gern englische Sonderlichkeiten aufzeichnet, so erscheint
ihm doch der einzelne stets von feiner Nation getragen, auf deren Größe er seine
Ansprüche stützt. Ein Gesamtbild der Hauptvertreter Europas wollte Hebbel in
dem Lustspiel "4 Nationen unter einem Dach" geben, das einen Deutschen und
seinen Freund, dem Italiener Cajetan, mit einem Franzosen und einem Eng¬
länder in einem italienischen Gasthaus zusammentreffen läßt (1854). Nur der
erste Akt ist fast fertig geworden, doch ist der Gesamtplan bekannt. Hebbels
Biograph Emil Kuh bemerkt: "Die Schwäche des Deutschen, wo es gilt, sich und
sein Recht den Fremden gegenüber zu behaupten, sollte als der Ausfluß seiner
edlen Eigenschaften, aber nichtsdestoweniger satirisch geschildert werden." Wir
greifen eine bezeichnende Szene heraus: Valentin, ein deutscher Maler, kommt
mit seinem Reisegefährten, einem Italiener, in ein einsames italienisches Wirtshaus
und mietet gegen den vom Wirt geforderten, viel zu hohen Preis das einzige
vorhandene Fremdenzimmer. Bald darauf erscheint der Engländer Sir John,
den der Wirt abweisen will. Sir John macht geltend, das Zimmer sei das einzige,
also habe jeder Reisende darauf Anspruch, und schon wird der Deutsche in seinem
Rechtsgefühl bedenklich: "Aber er hat im Grunde Recht! Ich durste wirklich nicht
für mich allein verlangen, was . . ." In diesem Augenblick fällt ihm sein Reise¬
gefährte verwundert ins Wort, da er das Zimmer dem Deutschen bewahren will.
Im Verlauf der Unterhaltung schiebt der Engländer ohne Fragen das Gepäck des
Deutschen bei Seite und legt sich auf das Sopha. Valentins Freund spottet,
er richte sich ein "wie Cook auf einer herrenlosen Insel". Sir John in der
Selbstverständlichkeit seines Besitzergefühls erwidert: "Cook? Großer Mann, Cook.
Was würde der noch alles für Großbritannien entdeckt haben, wenn die verfluchten
Wilden ihn nicht erschlagen hätten." Als später noch ein Reisender, der Franzose
Chevalier, sich in das Zimmer eindrängen will, weist ihn Sir John schon wie
dessen Herr ab: "Das ist mein", und deckt sich das Bett auf. -- Nach Hebbels
Plan endet der Streit um das Zimmer zunäckst damit, daß der Deutsche dem
Engländer und dem Franzosen den Platz räumt. Der listige Reisegefährte des
Deutschen aber fingiert einen Räuberüberfall, und die beiden Eindringlinge fliehen.
Der Deutsche und sein Freund behalten die Stube, der Deutsche aber nicht ohne
Sorge, ob es recht gewesen sei, die anderen auszuschließen. !^a gibt ihm der
Italiener eine "politische" Lehre: "Aber die hätten Euch ausgeschlossen."

Es ist bezeichnend, daß Grillparzer als Österreicher Metternichscher Epoche
und Otto Ludwig als Sohn der Thüringer Kleinstaatenwelt England weit mehr
als Hebbel von der Literatur aus betrachten. Wenn Grillparzer 1836 bei seiner
Reise nach England der Beratung irischer Angelegenheiten im Parlament bei¬
zuwohnen Gelegenheit hat, so findet er das Zusammenstoßen der Parteien, die
sich wie Heerhaufen gegenüberstehen, als ein hinreißendes Schauspiel und schildert
es mit folgenden Worten: "Die Redner traten wie homerische Helden vor und
schleuderten die Speere ihrer Worte in die feindliche Schar". Aber kein Wort
gilt der verhandelten Sache des tötlich gedrückten Volkes. -- Während
Deutschland und Osterreich damals vom Weltmarkt fast ausgeschlossen sind,
lernt Grillparzer die großen englischen Jnoustrieetablifsements kennen, "die, so


Englands Bild in den Augen der deutschen Klassiker

deutschem Sinn bei den Engländern: „Bei den Engländern kann das Element,
worin die Nation lebt und webt, nie Element der Poesie werden." Das Tagebuch
von 1862 nimmt diesen Gedanken aus Anlaß einer Reise nach England in neuer
Wendung auf: „Die Größe der englischen Dichter beruht darauf, daß die einzelnen
Individuen der Nation gar keine poetische Ader haben und daß das allen Völkern
eigentümliche und notwendige poetische Vermögen sich ganz in den Ausnahmen
ergießt." Diese Nüchternheit des englischen Volkes findet Hebbel auch in der Ent¬
persönlichung der Arbeit; die Londoner Zeitungsannoncen suchen nicht Arbeiter,
sondern Hände, wie sich Hebbel aufschreibt. Er erkennt auch, daß der praktische
Sinn der Engländer in Politik und Privatleben auf ihren Egoismus zurückgehe.
Die weltumspannende Politik Englands erweckt Hebbels Achtung; Englands Pläne
gegen China nennt er 1342 „den genialsten Gedanken der neueren Geschichte".
Wenn sich Hebbel auch gern englische Sonderlichkeiten aufzeichnet, so erscheint
ihm doch der einzelne stets von feiner Nation getragen, auf deren Größe er seine
Ansprüche stützt. Ein Gesamtbild der Hauptvertreter Europas wollte Hebbel in
dem Lustspiel „4 Nationen unter einem Dach" geben, das einen Deutschen und
seinen Freund, dem Italiener Cajetan, mit einem Franzosen und einem Eng¬
länder in einem italienischen Gasthaus zusammentreffen läßt (1854). Nur der
erste Akt ist fast fertig geworden, doch ist der Gesamtplan bekannt. Hebbels
Biograph Emil Kuh bemerkt: „Die Schwäche des Deutschen, wo es gilt, sich und
sein Recht den Fremden gegenüber zu behaupten, sollte als der Ausfluß seiner
edlen Eigenschaften, aber nichtsdestoweniger satirisch geschildert werden." Wir
greifen eine bezeichnende Szene heraus: Valentin, ein deutscher Maler, kommt
mit seinem Reisegefährten, einem Italiener, in ein einsames italienisches Wirtshaus
und mietet gegen den vom Wirt geforderten, viel zu hohen Preis das einzige
vorhandene Fremdenzimmer. Bald darauf erscheint der Engländer Sir John,
den der Wirt abweisen will. Sir John macht geltend, das Zimmer sei das einzige,
also habe jeder Reisende darauf Anspruch, und schon wird der Deutsche in seinem
Rechtsgefühl bedenklich: „Aber er hat im Grunde Recht! Ich durste wirklich nicht
für mich allein verlangen, was . . ." In diesem Augenblick fällt ihm sein Reise¬
gefährte verwundert ins Wort, da er das Zimmer dem Deutschen bewahren will.
Im Verlauf der Unterhaltung schiebt der Engländer ohne Fragen das Gepäck des
Deutschen bei Seite und legt sich auf das Sopha. Valentins Freund spottet,
er richte sich ein „wie Cook auf einer herrenlosen Insel". Sir John in der
Selbstverständlichkeit seines Besitzergefühls erwidert: „Cook? Großer Mann, Cook.
Was würde der noch alles für Großbritannien entdeckt haben, wenn die verfluchten
Wilden ihn nicht erschlagen hätten." Als später noch ein Reisender, der Franzose
Chevalier, sich in das Zimmer eindrängen will, weist ihn Sir John schon wie
dessen Herr ab: „Das ist mein", und deckt sich das Bett auf. — Nach Hebbels
Plan endet der Streit um das Zimmer zunäckst damit, daß der Deutsche dem
Engländer und dem Franzosen den Platz räumt. Der listige Reisegefährte des
Deutschen aber fingiert einen Räuberüberfall, und die beiden Eindringlinge fliehen.
Der Deutsche und sein Freund behalten die Stube, der Deutsche aber nicht ohne
Sorge, ob es recht gewesen sei, die anderen auszuschließen. !^a gibt ihm der
Italiener eine „politische" Lehre: „Aber die hätten Euch ausgeschlossen."

Es ist bezeichnend, daß Grillparzer als Österreicher Metternichscher Epoche
und Otto Ludwig als Sohn der Thüringer Kleinstaatenwelt England weit mehr
als Hebbel von der Literatur aus betrachten. Wenn Grillparzer 1836 bei seiner
Reise nach England der Beratung irischer Angelegenheiten im Parlament bei¬
zuwohnen Gelegenheit hat, so findet er das Zusammenstoßen der Parteien, die
sich wie Heerhaufen gegenüberstehen, als ein hinreißendes Schauspiel und schildert
es mit folgenden Worten: „Die Redner traten wie homerische Helden vor und
schleuderten die Speere ihrer Worte in die feindliche Schar". Aber kein Wort
gilt der verhandelten Sache des tötlich gedrückten Volkes. — Während
Deutschland und Osterreich damals vom Weltmarkt fast ausgeschlossen sind,
lernt Grillparzer die großen englischen Jnoustrieetablifsements kennen, „die, so


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[0265] Englands Bild in den Augen der deutschen Klassiker deutschem Sinn bei den Engländern: „Bei den Engländern kann das Element, worin die Nation lebt und webt, nie Element der Poesie werden." Das Tagebuch von 1862 nimmt diesen Gedanken aus Anlaß einer Reise nach England in neuer Wendung auf: „Die Größe der englischen Dichter beruht darauf, daß die einzelnen Individuen der Nation gar keine poetische Ader haben und daß das allen Völkern eigentümliche und notwendige poetische Vermögen sich ganz in den Ausnahmen ergießt." Diese Nüchternheit des englischen Volkes findet Hebbel auch in der Ent¬ persönlichung der Arbeit; die Londoner Zeitungsannoncen suchen nicht Arbeiter, sondern Hände, wie sich Hebbel aufschreibt. Er erkennt auch, daß der praktische Sinn der Engländer in Politik und Privatleben auf ihren Egoismus zurückgehe. Die weltumspannende Politik Englands erweckt Hebbels Achtung; Englands Pläne gegen China nennt er 1342 „den genialsten Gedanken der neueren Geschichte". Wenn sich Hebbel auch gern englische Sonderlichkeiten aufzeichnet, so erscheint ihm doch der einzelne stets von feiner Nation getragen, auf deren Größe er seine Ansprüche stützt. Ein Gesamtbild der Hauptvertreter Europas wollte Hebbel in dem Lustspiel „4 Nationen unter einem Dach" geben, das einen Deutschen und seinen Freund, dem Italiener Cajetan, mit einem Franzosen und einem Eng¬ länder in einem italienischen Gasthaus zusammentreffen läßt (1854). Nur der erste Akt ist fast fertig geworden, doch ist der Gesamtplan bekannt. Hebbels Biograph Emil Kuh bemerkt: „Die Schwäche des Deutschen, wo es gilt, sich und sein Recht den Fremden gegenüber zu behaupten, sollte als der Ausfluß seiner edlen Eigenschaften, aber nichtsdestoweniger satirisch geschildert werden." Wir greifen eine bezeichnende Szene heraus: Valentin, ein deutscher Maler, kommt mit seinem Reisegefährten, einem Italiener, in ein einsames italienisches Wirtshaus und mietet gegen den vom Wirt geforderten, viel zu hohen Preis das einzige vorhandene Fremdenzimmer. Bald darauf erscheint der Engländer Sir John, den der Wirt abweisen will. Sir John macht geltend, das Zimmer sei das einzige, also habe jeder Reisende darauf Anspruch, und schon wird der Deutsche in seinem Rechtsgefühl bedenklich: „Aber er hat im Grunde Recht! Ich durste wirklich nicht für mich allein verlangen, was . . ." In diesem Augenblick fällt ihm sein Reise¬ gefährte verwundert ins Wort, da er das Zimmer dem Deutschen bewahren will. Im Verlauf der Unterhaltung schiebt der Engländer ohne Fragen das Gepäck des Deutschen bei Seite und legt sich auf das Sopha. Valentins Freund spottet, er richte sich ein „wie Cook auf einer herrenlosen Insel". Sir John in der Selbstverständlichkeit seines Besitzergefühls erwidert: „Cook? Großer Mann, Cook. Was würde der noch alles für Großbritannien entdeckt haben, wenn die verfluchten Wilden ihn nicht erschlagen hätten." Als später noch ein Reisender, der Franzose Chevalier, sich in das Zimmer eindrängen will, weist ihn Sir John schon wie dessen Herr ab: „Das ist mein", und deckt sich das Bett auf. — Nach Hebbels Plan endet der Streit um das Zimmer zunäckst damit, daß der Deutsche dem Engländer und dem Franzosen den Platz räumt. Der listige Reisegefährte des Deutschen aber fingiert einen Räuberüberfall, und die beiden Eindringlinge fliehen. Der Deutsche und sein Freund behalten die Stube, der Deutsche aber nicht ohne Sorge, ob es recht gewesen sei, die anderen auszuschließen. !^a gibt ihm der Italiener eine „politische" Lehre: „Aber die hätten Euch ausgeschlossen." Es ist bezeichnend, daß Grillparzer als Österreicher Metternichscher Epoche und Otto Ludwig als Sohn der Thüringer Kleinstaatenwelt England weit mehr als Hebbel von der Literatur aus betrachten. Wenn Grillparzer 1836 bei seiner Reise nach England der Beratung irischer Angelegenheiten im Parlament bei¬ zuwohnen Gelegenheit hat, so findet er das Zusammenstoßen der Parteien, die sich wie Heerhaufen gegenüberstehen, als ein hinreißendes Schauspiel und schildert es mit folgenden Worten: „Die Redner traten wie homerische Helden vor und schleuderten die Speere ihrer Worte in die feindliche Schar". Aber kein Wort gilt der verhandelten Sache des tötlich gedrückten Volkes. — Während Deutschland und Osterreich damals vom Weltmarkt fast ausgeschlossen sind, lernt Grillparzer die großen englischen Jnoustrieetablifsements kennen, „die, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/265>, abgerufen am 22.07.2024.