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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Weshalb brauchen wir ein Reichsgcsetz über Jugendämter?

Kind können die Eltern dann nicht mehr ausüben; sie geht auf die Familie oder
auf die Anstalt über, in der das Kind untergebracht ist. Das elterliche Er-
ziehungsrecht beschränkt sich dann auf das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu be¬
stimmen und es zu beaufsichtigen.

Was bei den Eltern als Ausnahmefall erscheint, bildet bei der öffentlichen
Erziehung, bei der Jugendfürsorge der Behörden und Ämter die Regel. Es ist
unrichtw, davon zu reden, ob sie im engeren Sinne die Kinder überhaupt er¬
ziehen können, ob es möglich sei, daß ein Armenamt, ein Berufsvormund, eine
Fürsorgeerziehungsbehörde Hunderte oder Tausende von Kindern in diesem Sinne
erziehe." Das ist ein Streit um des Kaisers Bart. Es geschieht nirgends und ist
gar nicht Aufgabe der Behörden, des Berufsvormundes, wie im allgemeinen
überhaupt nicht Aufgabe eines Vormundes. Diese Erziehung im engeren Sinne
geht hier wie bei dem erwähnten Sonderfnll an Pflegeeltern oder Anstalten
über, in denen das Kind untergebracht ist. Hier muß sich jener persönliche Ein¬
fluß, jene Wirkung von Mensch zu Mensch durch die ständige, tägliche Berührung
zeigen, die das Wesen dieser Erziehung ausmacht. Der Behörde, dem Vor¬
mund fällt das andere Stück der Erziehung zu: den Aufenthalt des Kindes zu be¬
stimmen. Mit der Bestimmung des Aufenthaltes -- in dieser Familie gerade
oder in dieser besonderen Anstalt -- wird wesentlich ausgewählt, welche Er¬
ziehung im engeren Sinne das Kind erhalten soll. Der Vormund bestimmt mir,
wie das Kind'erzogen werden soll, aber erzieht in diesem Sinne nicht selber.
Er soll sich überzeugen, ob das Kind wirklich gut in seiner Stelle erzogen
wird. Dasselbe ist bei den Behörden, Andern, Vereinen der Fall, die sich mit der
Erziehung schutzbedürftiger Kinder befassen. Mit anderen Worten, das Wesen der
Vormundschaft wie das der öffentlichen Jugendfürsorge ist nicht eigentlich Er¬
ziehung der Kinder, sondern Erziehungsauswahl und Erziehungsaufficht.

Darüber sich klar zu fein, ist wesentlich. Ist jene eigentliche Erziehung
persönliche Sache, eine Arbeit einzelner, so ist Erziehungsaufsicht und Erziehungs¬
auswahl etwas, das gerade von einer großen Einrichtung besser als von einem
einzelnen geleistet werden kann. Es gilt, die Kinder und ihre Eigenart zu kennen;
es gilt, die genügende Auswahl an Pflegefamilien zu finden, -- jede davon ist in
ihrer Art wieder anders, hat andere Fähigkeiten und Kräfte, andere Wünsche und
Ansichten in der Erziehung. Unter ihnen muß für jedes Kind die beste aus
gesucht werden. Ähnlich bei den Anstalten; längst vorbei ist die Zeit, wo mau
bloß fragte, foll man Kinder in der Anstalt oder in der Familie erziehen;
heute hat man die Auswahl zwischen vielerlei Anstalten. Eine Fülle von An¬
stalten besteht, die den verschiedensten Erziehungsbedürfnissen entsprechen. Selbst
wo sie nicht grundsätzlich verschieden sind, sind sie es durch Einrichtung und Lage,
durch die Art ihres Leiters und seiner Mitarbeiter. "Wie kann ich ein Kind in
einer Anstalt unterbringen, die ick im letzten Jahre nicht selbst gesehen habe,"
sagte mir der Leiter der dänischen Fürsorgeerziehung.

Für Erziehungsauswahl und Erziehungsaufsicht sind Kenntnisse und Er¬
fahrungen, Einrichtungen verschiedenster Art nötig. Sie kann von einer Behörde
Wohl ausgeübt, ja in vielen Fällen besser ausgeübt werden, als von einem ein-
zelnen, bei dem sich nie so vielfältige Erfahrungen, fo viel Beziehungen und
Kenntnisse vereinigen werden, wie da, wo ständig die Fühlung mit vielen Kin¬
dern, vielen Pflegefamilien, vielen Anstalten vorhanden ist. Schulung, Ausbil¬
dung, Erfahrung mannigfacher Art sind das, was die großen Einrichtungen der
Kinderfürsorge für diese Arbeit mitbringen. Wenn sie recht gestaltet wird, so ist
ihre Größe nicht ein Hindernis, fondern ein sehr wesentlicher Vorteil.

Behörden, Jugendämter sollen nicht rin engeren Sinn erziehen, die Kin¬
der persönlich beeinflussen, sondern ihre Hauptaufgabe ist, Erziehungsauswähl
und Erziehungsaufsicht für diese Kinder, und das sind Dinge, die sie ebenso gut,
ja besser wie die einzelnen leisten können. Wenn nun das Gesetz auf Gestaltung
und Art der Behörden der Jugendfürsorge wesentlichen Einfluß herb so kann es
dieses Stück der Erziehung sehr wesentlich gestalten helfen. >


Weshalb brauchen wir ein Reichsgcsetz über Jugendämter?

Kind können die Eltern dann nicht mehr ausüben; sie geht auf die Familie oder
auf die Anstalt über, in der das Kind untergebracht ist. Das elterliche Er-
ziehungsrecht beschränkt sich dann auf das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu be¬
stimmen und es zu beaufsichtigen.

Was bei den Eltern als Ausnahmefall erscheint, bildet bei der öffentlichen
Erziehung, bei der Jugendfürsorge der Behörden und Ämter die Regel. Es ist
unrichtw, davon zu reden, ob sie im engeren Sinne die Kinder überhaupt er¬
ziehen können, ob es möglich sei, daß ein Armenamt, ein Berufsvormund, eine
Fürsorgeerziehungsbehörde Hunderte oder Tausende von Kindern in diesem Sinne
erziehe." Das ist ein Streit um des Kaisers Bart. Es geschieht nirgends und ist
gar nicht Aufgabe der Behörden, des Berufsvormundes, wie im allgemeinen
überhaupt nicht Aufgabe eines Vormundes. Diese Erziehung im engeren Sinne
geht hier wie bei dem erwähnten Sonderfnll an Pflegeeltern oder Anstalten
über, in denen das Kind untergebracht ist. Hier muß sich jener persönliche Ein¬
fluß, jene Wirkung von Mensch zu Mensch durch die ständige, tägliche Berührung
zeigen, die das Wesen dieser Erziehung ausmacht. Der Behörde, dem Vor¬
mund fällt das andere Stück der Erziehung zu: den Aufenthalt des Kindes zu be¬
stimmen. Mit der Bestimmung des Aufenthaltes — in dieser Familie gerade
oder in dieser besonderen Anstalt — wird wesentlich ausgewählt, welche Er¬
ziehung im engeren Sinne das Kind erhalten soll. Der Vormund bestimmt mir,
wie das Kind'erzogen werden soll, aber erzieht in diesem Sinne nicht selber.
Er soll sich überzeugen, ob das Kind wirklich gut in seiner Stelle erzogen
wird. Dasselbe ist bei den Behörden, Andern, Vereinen der Fall, die sich mit der
Erziehung schutzbedürftiger Kinder befassen. Mit anderen Worten, das Wesen der
Vormundschaft wie das der öffentlichen Jugendfürsorge ist nicht eigentlich Er¬
ziehung der Kinder, sondern Erziehungsauswahl und Erziehungsaufficht.

Darüber sich klar zu fein, ist wesentlich. Ist jene eigentliche Erziehung
persönliche Sache, eine Arbeit einzelner, so ist Erziehungsaufsicht und Erziehungs¬
auswahl etwas, das gerade von einer großen Einrichtung besser als von einem
einzelnen geleistet werden kann. Es gilt, die Kinder und ihre Eigenart zu kennen;
es gilt, die genügende Auswahl an Pflegefamilien zu finden, — jede davon ist in
ihrer Art wieder anders, hat andere Fähigkeiten und Kräfte, andere Wünsche und
Ansichten in der Erziehung. Unter ihnen muß für jedes Kind die beste aus
gesucht werden. Ähnlich bei den Anstalten; längst vorbei ist die Zeit, wo mau
bloß fragte, foll man Kinder in der Anstalt oder in der Familie erziehen;
heute hat man die Auswahl zwischen vielerlei Anstalten. Eine Fülle von An¬
stalten besteht, die den verschiedensten Erziehungsbedürfnissen entsprechen. Selbst
wo sie nicht grundsätzlich verschieden sind, sind sie es durch Einrichtung und Lage,
durch die Art ihres Leiters und seiner Mitarbeiter. „Wie kann ich ein Kind in
einer Anstalt unterbringen, die ick im letzten Jahre nicht selbst gesehen habe,"
sagte mir der Leiter der dänischen Fürsorgeerziehung.

Für Erziehungsauswahl und Erziehungsaufsicht sind Kenntnisse und Er¬
fahrungen, Einrichtungen verschiedenster Art nötig. Sie kann von einer Behörde
Wohl ausgeübt, ja in vielen Fällen besser ausgeübt werden, als von einem ein-
zelnen, bei dem sich nie so vielfältige Erfahrungen, fo viel Beziehungen und
Kenntnisse vereinigen werden, wie da, wo ständig die Fühlung mit vielen Kin¬
dern, vielen Pflegefamilien, vielen Anstalten vorhanden ist. Schulung, Ausbil¬
dung, Erfahrung mannigfacher Art sind das, was die großen Einrichtungen der
Kinderfürsorge für diese Arbeit mitbringen. Wenn sie recht gestaltet wird, so ist
ihre Größe nicht ein Hindernis, fondern ein sehr wesentlicher Vorteil.

Behörden, Jugendämter sollen nicht rin engeren Sinn erziehen, die Kin¬
der persönlich beeinflussen, sondern ihre Hauptaufgabe ist, Erziehungsauswähl
und Erziehungsaufsicht für diese Kinder, und das sind Dinge, die sie ebenso gut,
ja besser wie die einzelnen leisten können. Wenn nun das Gesetz auf Gestaltung
und Art der Behörden der Jugendfürsorge wesentlichen Einfluß herb so kann es
dieses Stück der Erziehung sehr wesentlich gestalten helfen. >


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/260>, abgerufen am 22.07.2024.