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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Mehr politische Klarheit!

daß die politische Führung es im ganzen schwerer hat, allgemeinen Beifall zu
erringen, als die militärische, und sollte sich nie verleiten lassen, Licht und
Schatten allzu einseitig zu verteilen.

Eine gerechte Würdigung wird unsere politische Führung gewiß nicht für
so unfähig erklären, wie sie manchmal hingestellt worden ist, um so weniger ihr
aber den Vorwurf ersparen, daß sie dem Volke jede wirkliche Klarheit darüber,
was in diesem Kriege erreicht werden soll, vorenthalten hat. Man erfährt von
militärischen, von wirtschaftlichen Zielen, aber das politische Orakel schweigt sich
aus. Uns fehlte jedes politische Programm, als dieser Krieg begann. In unsere
Welt- und Kolonialpolitik waren wir aus wirtschaftlichen Gründen eingetreten.
Unser Fleiß wollte sich in allen Erdteilen tummeln, und wenn man hört, was
unfere Regierung an Wünschen für die Zukunft laut werden läßt, so kommt das
im wesentlichen auf Wiederherstellung der alten wirtschaftlichen Betätigungs-
möglichkeiten hinaus. Die Welt hat sich aber verwandelt und wird ihr altes
Gesicht nicht wieder bekommen. Könnte man die weltwirtschaftlichen Verhält¬
nisse der Vergangenheit einfach wiederherstellen, so würden ja auch nur die Vor¬
aussetzungen für die weltpolitische Katastrophe erneuert, die wir jetzt durch¬
leben. England erstrebt demgegenüber eine politische Neuordnung der Welt durch
einen Völkerbund unter Führung der angelsächsischen Nationen. Das ist ein
großer politischer Gedanke, dem wir noch nichts Ebenbürtiges gegenüberzustellen
gewußt haben. Immer wieder versteht es England, die Werbekräfte des politi¬
schen Internationalismus in seinen Dienst zu stellen. Wir Deutschen dagegen
können so wenig politisch klar sehen, daß wir diese lebendigen Kräfte gewöhn¬
lich gar nicht ernst nehmen, sondern meinen, wir befänden uns noch in der
Maienblüte des kleindeutschen nationalen Staatsgedankens und alle internatio¬
nalen Organisationsbestrebungen seien eitel Humbug und Phrase. Gerade die
wohlmeinendsten und gebildetsten Patrioten glauben oft, über den nationalen
Staat hinaus gäbe es keine politischen Werte, und der Internationalismus sei
politisch anrüchig. Dabei übersehen wir aber ganz, daß die Weltgeschichte mehr
und mehr in das Stadium eintritt, wo man daran geht, auch übernationale
Menschheitskomplexe politisch zu organisieren. In der Zeit der Bildung der
Nationalstaaten kamen wir schon beinahe zu spät- Nachdem wir aber unter Auf¬
gebot aller Kräfte gerade noch rechtzeitig mit einem fertigen Nationalstaat in
die moderne weltpolitische Epoche eingetreten sind, dürfen Wir uns nicht wieder
in Gefahr begeben, das Einlaufen in die politischen Strömungen der neuen Ge¬
schichtsperiode zu verpassen. Wir sind heute, was zu den Zeiten Napoleons
Frankreich werden wollte: der Anwalt Europas gegen die Weltmacht der über¬
seeisch gewordenen Angelsachsen. Aber wie selten unternimmt es unsere Negie¬
rung, Klarheit über diese große politische Aufgabe ins Volk und unter die Neu¬
tralen zu tragen! Wie unentwickelt ist noch unser europäisches Gefühl, Wie
unklar unser Bewußtsein, daß wir nicht nur einen deutschen, sondern auch einen
europäischen Kampf führen! Einzig Herr von Kühlmann hat vor dem Reichs¬
tage einmal klare Worte für dies Programm gefunden. Es scheint aber, daß
auch er die Spitze gegen das Angelsachsentum, die darin liegen muß, nicht scharf
genug herausgefühlt hat. Wahrscheinlich ist ihm deshalb, weil er gegen England
nicht klar genug Front zu machen verstand, der große politische Erfolg, für den
er Einsicht und Geschick offenbar mitbrachte, versagt geblieben.

Ohne moralische Eroberungen in Europa kann die deutsche Politik keinen
dauernden Sieg erringen: auch das ist eine Erkenntnis, die bei uns ins Volk ge¬
tragen werden müßte. Auf die Bajonette kann man sich bekanntlich nicht setzen.
So lange nationale Zeitungen Wunder wie weise sich vorkommen, wenn sie etwa
abreiben: "Wann wird man endlich lernen, die belgische Frage ohne jede Rück-
icht nach rein deutschen Interessen zu entscheiden!", so lange steht es schlecht
mit unserer politischen Befähigung, in Europa eine dauernde friedliche Ordnung
zu begründen. Man begreife nur folgenden einfachen Gedankengang: Durch die
Weltherrschaft der Angelsachsen ist das politische Schwergewicht der Welt im Be-


Mehr politische Klarheit!

daß die politische Führung es im ganzen schwerer hat, allgemeinen Beifall zu
erringen, als die militärische, und sollte sich nie verleiten lassen, Licht und
Schatten allzu einseitig zu verteilen.

Eine gerechte Würdigung wird unsere politische Führung gewiß nicht für
so unfähig erklären, wie sie manchmal hingestellt worden ist, um so weniger ihr
aber den Vorwurf ersparen, daß sie dem Volke jede wirkliche Klarheit darüber,
was in diesem Kriege erreicht werden soll, vorenthalten hat. Man erfährt von
militärischen, von wirtschaftlichen Zielen, aber das politische Orakel schweigt sich
aus. Uns fehlte jedes politische Programm, als dieser Krieg begann. In unsere
Welt- und Kolonialpolitik waren wir aus wirtschaftlichen Gründen eingetreten.
Unser Fleiß wollte sich in allen Erdteilen tummeln, und wenn man hört, was
unfere Regierung an Wünschen für die Zukunft laut werden läßt, so kommt das
im wesentlichen auf Wiederherstellung der alten wirtschaftlichen Betätigungs-
möglichkeiten hinaus. Die Welt hat sich aber verwandelt und wird ihr altes
Gesicht nicht wieder bekommen. Könnte man die weltwirtschaftlichen Verhält¬
nisse der Vergangenheit einfach wiederherstellen, so würden ja auch nur die Vor¬
aussetzungen für die weltpolitische Katastrophe erneuert, die wir jetzt durch¬
leben. England erstrebt demgegenüber eine politische Neuordnung der Welt durch
einen Völkerbund unter Führung der angelsächsischen Nationen. Das ist ein
großer politischer Gedanke, dem wir noch nichts Ebenbürtiges gegenüberzustellen
gewußt haben. Immer wieder versteht es England, die Werbekräfte des politi¬
schen Internationalismus in seinen Dienst zu stellen. Wir Deutschen dagegen
können so wenig politisch klar sehen, daß wir diese lebendigen Kräfte gewöhn¬
lich gar nicht ernst nehmen, sondern meinen, wir befänden uns noch in der
Maienblüte des kleindeutschen nationalen Staatsgedankens und alle internatio¬
nalen Organisationsbestrebungen seien eitel Humbug und Phrase. Gerade die
wohlmeinendsten und gebildetsten Patrioten glauben oft, über den nationalen
Staat hinaus gäbe es keine politischen Werte, und der Internationalismus sei
politisch anrüchig. Dabei übersehen wir aber ganz, daß die Weltgeschichte mehr
und mehr in das Stadium eintritt, wo man daran geht, auch übernationale
Menschheitskomplexe politisch zu organisieren. In der Zeit der Bildung der
Nationalstaaten kamen wir schon beinahe zu spät- Nachdem wir aber unter Auf¬
gebot aller Kräfte gerade noch rechtzeitig mit einem fertigen Nationalstaat in
die moderne weltpolitische Epoche eingetreten sind, dürfen Wir uns nicht wieder
in Gefahr begeben, das Einlaufen in die politischen Strömungen der neuen Ge¬
schichtsperiode zu verpassen. Wir sind heute, was zu den Zeiten Napoleons
Frankreich werden wollte: der Anwalt Europas gegen die Weltmacht der über¬
seeisch gewordenen Angelsachsen. Aber wie selten unternimmt es unsere Negie¬
rung, Klarheit über diese große politische Aufgabe ins Volk und unter die Neu¬
tralen zu tragen! Wie unentwickelt ist noch unser europäisches Gefühl, Wie
unklar unser Bewußtsein, daß wir nicht nur einen deutschen, sondern auch einen
europäischen Kampf führen! Einzig Herr von Kühlmann hat vor dem Reichs¬
tage einmal klare Worte für dies Programm gefunden. Es scheint aber, daß
auch er die Spitze gegen das Angelsachsentum, die darin liegen muß, nicht scharf
genug herausgefühlt hat. Wahrscheinlich ist ihm deshalb, weil er gegen England
nicht klar genug Front zu machen verstand, der große politische Erfolg, für den
er Einsicht und Geschick offenbar mitbrachte, versagt geblieben.

Ohne moralische Eroberungen in Europa kann die deutsche Politik keinen
dauernden Sieg erringen: auch das ist eine Erkenntnis, die bei uns ins Volk ge¬
tragen werden müßte. Auf die Bajonette kann man sich bekanntlich nicht setzen.
So lange nationale Zeitungen Wunder wie weise sich vorkommen, wenn sie etwa
abreiben: „Wann wird man endlich lernen, die belgische Frage ohne jede Rück-
icht nach rein deutschen Interessen zu entscheiden!", so lange steht es schlecht
mit unserer politischen Befähigung, in Europa eine dauernde friedliche Ordnung
zu begründen. Man begreife nur folgenden einfachen Gedankengang: Durch die
Weltherrschaft der Angelsachsen ist das politische Schwergewicht der Welt im Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/251>, abgerufen am 22.07.2024.