Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.Des polnischen Problems neueste Phase sowie die Anerkennung des Rechtes dieser Nation, sich nach eigenen Wünschen und Gelegentlich der letzten Aussprache im Großen Hauptquartier sollten die Ab¬ Recht beiLichte besehen, kann uns und der deutschen Regierung diese Entwicklung 19"
Des polnischen Problems neueste Phase sowie die Anerkennung des Rechtes dieser Nation, sich nach eigenen Wünschen und Gelegentlich der letzten Aussprache im Großen Hauptquartier sollten die Ab¬ Recht beiLichte besehen, kann uns und der deutschen Regierung diese Entwicklung 19»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/334092"/> <fw type="header" place="top"> Des polnischen Problems neueste Phase</fw><lb/> <p xml:id="ID_1009" prev="#ID_1008"> sowie die Anerkennung des Rechtes dieser Nation, sich nach eigenen Wünschen und<lb/> eigenem Geschmack zu regieren und zu entwickeln. Diese Anerkennung liegt auch<lb/> in der Gewährung eines freien Zutrittes zum Meere durch die Weichsel bei Danzig<lb/> und in der Bereitschaft, Teile von Weißrußland und, Litauen zur Polonisierung<lb/> an den neuen Staat auszuliefern. Die Anerkennung des polnischen National¬<lb/> staates findet eine Beschränkung durch die beabsichtigte Führung der politischen<lb/> Grenzen Polens gegen Preußen und Galizien. Die polnische Regierung soll ge¬<lb/> bunden sein, sich um die in den befreundeten Staaten wohnenden Volksgenossen<lb/> nicht zu kümmern. Die Maßnahmen, die Deutschland fordert, um gegen Über¬<lb/> raschungen durch seinen neuen Freund gesichert zu sein, beschränken sich auf<lb/> militärische, wirtschaftliche und verkehrspolitische Konventionen, deren Einzelheiten<lb/> noch nicht der öffentlichen Besprechung unterliegen. Im übrigen soll die erste<lb/> selbständige polnische Regierung ausdrücklich den Verzicht auf die ehemals polnischen<lb/> Landesteile Preußens aussprechen. Das ganze ist somit ein Versuch, durch die<lb/> Schaffung und den Ausbau gemeinsamer Wirtschaftsinteressen die nationalen<lb/> Gegensätze und allen politischen Ehrgeiz zu überwinden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1010"> Gelegentlich der letzten Aussprache im Großen Hauptquartier sollten die Ab¬<lb/> reden des Sommers unter Mitwirkung unseres österreichisch-ungarischen Bundes¬<lb/> genossen zum Abschluß gebracht und alsdann in eine gehörige staatsrechtlich vor¬<lb/> gesehene Form gegossen werden. Am 14. August erschien Prinz Jcmusz Radziwill<lb/> im Großen Hauptquartier, und nach seiner Abreise fanden die Besprechungen<lb/> zwischen den beiden Kaisern und ihren Ministern statt. Wir glauben nicht fehl<lb/> zu gehen, wenn wir annehmen, daß die gewünschten und erhofften Ergebnisse<lb/> trotz größten Entgegenkommens von seiten des Kaisers Karl nicht erzielt worden<lb/> sind infolge der absoluten Weigerung des Grafen Burian, von der sogenannten<lb/> anhero-polnischen Lösung auch nur einen Schritt abzuweichen. Seitdem gehen die<lb/> Verhandlungen zwischen Berlin, Wien und Warschau hin und her. Sie haben<lb/> zunächst ein negatives Ergebnis gezeitigt: Graf Burian hat durch seine Presse,<lb/> verkünden lassen, daß ihm von der Preisgabe der anhero-polnischen Lösung nichts<lb/> bekannt sei, während Prinz Radziwill, der sich inzwischen in Wien und Krakau<lb/> aufgehalten hatte, einem Interviewer mitteilte, er sei ohne ein festes Programm<lb/> ins Große Hauptquartier gekommen. Mit anderen Worten, die Polen scheinen sich<lb/> wieder von ihrem Angebot im Frühjahr freigemacht zu haben und versuchen nun,<lb/> eine neue Grundlage zu Verhandlungen für sich zu schaffen, indem sie Wien und<lb/> Berlin gegeneinander ausspielen und die Frage hin und her schieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1011"> Recht beiLichte besehen, kann uns und der deutschen Regierung diese Entwicklung<lb/> der diplomatischen Verhandlungen über die Polenfrage nur willkommen sein, wenn<lb/> auch unsere Handelskreise sich dadurch beunruhigt fühlen wollten. Hier handelt<lb/> es sich nicht um kurzfristige Unternehmungen oder taktische Spekulationen, sondern<lb/> um den fundamentalen Neuaufbau aller Verhältnisse im Osten, der wirtschaftlichen<lb/> und politischen ebenso wie der sie schützenden rechtlichen und militärischen. Das<lb/> sollte von Niemandem übersehen werden, der jetzt die Negierung zur Nachgiebig-<lb/> keit und Preisgabe von politischen Stellungen drängt, nur um die Frage, der<lb/> wir alle ehrlich überdrüssig geworden sind, aus der Welt zu schaffen. Das wäre<lb/> nicht der Wegl Die Frage bliebe, aber wir würden wertvolle Positionen ver¬<lb/> loren haben, deren wir dringend bedürfen, um sie dennoch zu meistern.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 19»</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
Des polnischen Problems neueste Phase
sowie die Anerkennung des Rechtes dieser Nation, sich nach eigenen Wünschen und
eigenem Geschmack zu regieren und zu entwickeln. Diese Anerkennung liegt auch
in der Gewährung eines freien Zutrittes zum Meere durch die Weichsel bei Danzig
und in der Bereitschaft, Teile von Weißrußland und, Litauen zur Polonisierung
an den neuen Staat auszuliefern. Die Anerkennung des polnischen National¬
staates findet eine Beschränkung durch die beabsichtigte Führung der politischen
Grenzen Polens gegen Preußen und Galizien. Die polnische Regierung soll ge¬
bunden sein, sich um die in den befreundeten Staaten wohnenden Volksgenossen
nicht zu kümmern. Die Maßnahmen, die Deutschland fordert, um gegen Über¬
raschungen durch seinen neuen Freund gesichert zu sein, beschränken sich auf
militärische, wirtschaftliche und verkehrspolitische Konventionen, deren Einzelheiten
noch nicht der öffentlichen Besprechung unterliegen. Im übrigen soll die erste
selbständige polnische Regierung ausdrücklich den Verzicht auf die ehemals polnischen
Landesteile Preußens aussprechen. Das ganze ist somit ein Versuch, durch die
Schaffung und den Ausbau gemeinsamer Wirtschaftsinteressen die nationalen
Gegensätze und allen politischen Ehrgeiz zu überwinden.
Gelegentlich der letzten Aussprache im Großen Hauptquartier sollten die Ab¬
reden des Sommers unter Mitwirkung unseres österreichisch-ungarischen Bundes¬
genossen zum Abschluß gebracht und alsdann in eine gehörige staatsrechtlich vor¬
gesehene Form gegossen werden. Am 14. August erschien Prinz Jcmusz Radziwill
im Großen Hauptquartier, und nach seiner Abreise fanden die Besprechungen
zwischen den beiden Kaisern und ihren Ministern statt. Wir glauben nicht fehl
zu gehen, wenn wir annehmen, daß die gewünschten und erhofften Ergebnisse
trotz größten Entgegenkommens von seiten des Kaisers Karl nicht erzielt worden
sind infolge der absoluten Weigerung des Grafen Burian, von der sogenannten
anhero-polnischen Lösung auch nur einen Schritt abzuweichen. Seitdem gehen die
Verhandlungen zwischen Berlin, Wien und Warschau hin und her. Sie haben
zunächst ein negatives Ergebnis gezeitigt: Graf Burian hat durch seine Presse,
verkünden lassen, daß ihm von der Preisgabe der anhero-polnischen Lösung nichts
bekannt sei, während Prinz Radziwill, der sich inzwischen in Wien und Krakau
aufgehalten hatte, einem Interviewer mitteilte, er sei ohne ein festes Programm
ins Große Hauptquartier gekommen. Mit anderen Worten, die Polen scheinen sich
wieder von ihrem Angebot im Frühjahr freigemacht zu haben und versuchen nun,
eine neue Grundlage zu Verhandlungen für sich zu schaffen, indem sie Wien und
Berlin gegeneinander ausspielen und die Frage hin und her schieben.
Recht beiLichte besehen, kann uns und der deutschen Regierung diese Entwicklung
der diplomatischen Verhandlungen über die Polenfrage nur willkommen sein, wenn
auch unsere Handelskreise sich dadurch beunruhigt fühlen wollten. Hier handelt
es sich nicht um kurzfristige Unternehmungen oder taktische Spekulationen, sondern
um den fundamentalen Neuaufbau aller Verhältnisse im Osten, der wirtschaftlichen
und politischen ebenso wie der sie schützenden rechtlichen und militärischen. Das
sollte von Niemandem übersehen werden, der jetzt die Negierung zur Nachgiebig-
keit und Preisgabe von politischen Stellungen drängt, nur um die Frage, der
wir alle ehrlich überdrüssig geworden sind, aus der Welt zu schaffen. Das wäre
nicht der Wegl Die Frage bliebe, aber wir würden wertvolle Positionen ver¬
loren haben, deren wir dringend bedürfen, um sie dennoch zu meistern.
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