Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.Des polnischen Problems neueste Phase und Koterie zerspalten und so leidenschaftlich aus ihre zügellose Freiheit ver¬ Dann nämlich würde der Staatsmann des gewählten Landes vor die Ent¬ Es ist selbstverständlich, daß die deutsche Regierung die ihr gebotene Hand Theoretisch betrachtet würde der von der deutschen und polnischen Regierung Des polnischen Problems neueste Phase und Koterie zerspalten und so leidenschaftlich aus ihre zügellose Freiheit ver¬ Dann nämlich würde der Staatsmann des gewählten Landes vor die Ent¬ Es ist selbstverständlich, daß die deutsche Regierung die ihr gebotene Hand Theoretisch betrachtet würde der von der deutschen und polnischen Regierung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0246" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/334091"/> <fw type="header" place="top"> Des polnischen Problems neueste Phase</fw><lb/> <p xml:id="ID_1005" prev="#ID_1004"> und Koterie zerspalten und so leidenschaftlich aus ihre zügellose Freiheit ver¬<lb/> sessen sind, daß bei ihren Reichstagen das Veto eines einzigen Mitgliedes genügt,<lb/> an den Volkswillen scheitern zu lassen. Die Polen sind tapfer und ritterlich,<lb/> aber daneben mit sehr wenigen Ausnahmen unbeständig und leichtsinnig. Nur<lb/> die Frauen zeigen eine, erstaunliche Charakterstärke und''sind manchmal die eigent¬<lb/> lichen Männer." In diesen Sätzen des großen Preußenkönigs findet der Staats¬<lb/> mann von heute, wo doch Rußland als Wettbewerber Preußens für eine Anzahl<lb/> von Jahren ausgeschieden ist, Me Grundlagen für ein diplomatisches Aktions¬<lb/> programm; sie geben ihm einen Maßstab für das, was die Polen wirtschaftlich<lb/> felbst aus eigener Kraft hervorgebracht haben und was ihnen durch Deutsche, Juden,<lb/> Russen mehr oder minder aufgezwungen wurde. Nach dem Ausscheiden Ru߬<lb/> lands geht der Kampf um die Seele Polens zwischen dem Deutschen Reiche und<lb/> Österreich-Ungarn. Die Polen sind nach wie vor ohnmächtig, ihr Geschick selbst<lb/> in die Hand zu nehmen, es sei denn, daß sie sich entschlössen, freiwillig aus die<lb/> eine oder andere Seite zu treten und dann auch mit dieser Seite durch dick und<lb/> dünn zu marschieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1006"> Dann nämlich würde der Staatsmann des gewählten Landes vor die Ent¬<lb/> scheidung gestellt, Polen die Möglichkeit zu geben, sich — selbst uuter Zurück¬<lb/> treten der Interessen des eigenen Landes — kulturell, wirtschaftlich und politisch<lb/> frei zu höheren Stufen zu entwickeln. Den ganzen Sommer dieses Jahres<lb/> hindurch hat es den Anschein gehabt, als wenn wenigstens einzelne Männer<lb/> unter den Polen, etwa Prinz Radziwill, Graf Nonickier, Adam Napieralski<lb/> und vielleicht noch ein halbes Dutzend die Lage der polnischen Frage<lb/> klar erkannt hätten. Sie schienen, vertrauend auf die natürlichen, wenn auch<lb/> unorganisierten Kräfte ihres Volkes, entschlossen, unter allen Umständen mit<lb/> Deutschland zu gehen und alle anhero- und russophilen Strömungen ebenso zurück¬<lb/> zudrängen, wie den extremen Anarcho-Sozialismus. In den Blütewochen dieses<lb/> Jahres, bald nach Beginn der großen deutschen Offensive, bat die Warschauer<lb/> Regierung in Berlin um den Nachweis eines preußischen Hohenzollernprinzen<lb/> für die Übernahme der polnischen Königskrone unter gleichzeitiger Erklärung ihrer<lb/> Bereitwilligkeit, mit dem Deutschen Reiche gewisse Konventionen gegen die<lb/> Garantierung gewisser Grenzen einzugehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1007"> Es ist selbstverständlich, daß die deutsche Regierung die ihr gebotene Hand<lb/> nicht zurückweisen konnte, dies um so weniger, als die Vorschläge der Polen im<lb/> allgemeinen auf dem Wege der von Deutschland schon seit Jahr und Tag an¬<lb/> gestrebten Richtung lagen. Auf die Namhaftmachung eines Hohenzollernprinzen<lb/> für den polnischen Königsthron wurde indessen verzichtet, da der König von Polen<lb/> zweckmäßigerweise ein Katholik sein sollte und das hohenzollernsche Haüsgesetz den<lb/> reformierten Mitgliedern des preußischen Königshauses den Übertritt in eine<lb/> andere Religionsgemeinschaft untersagt. Damit tritt denn die Königsfrage in<lb/> Polen für uns im Augenblick auf den zweiten Plan.</p><lb/> <p xml:id="ID_1008" next="#ID_1009"> Theoretisch betrachtet würde der von der deutschen und polnischen Regierung<lb/> eingeschlagene Weg die Fortsetzung des Versuches, die Polenfrage im Interesse der<lb/> polnischen Nationalität, d.h. unter bewußter Zurücksetzung deutsch-völkischer Belange<lb/> zu lösen, bedeuten. Er bedeutet die praktische Anerkennung des polnischen Volkes als<lb/> Nation, die bereits durch den Akt vom 6. November 1916 in Aussicht genommen war,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0246]
Des polnischen Problems neueste Phase
und Koterie zerspalten und so leidenschaftlich aus ihre zügellose Freiheit ver¬
sessen sind, daß bei ihren Reichstagen das Veto eines einzigen Mitgliedes genügt,
an den Volkswillen scheitern zu lassen. Die Polen sind tapfer und ritterlich,
aber daneben mit sehr wenigen Ausnahmen unbeständig und leichtsinnig. Nur
die Frauen zeigen eine, erstaunliche Charakterstärke und''sind manchmal die eigent¬
lichen Männer." In diesen Sätzen des großen Preußenkönigs findet der Staats¬
mann von heute, wo doch Rußland als Wettbewerber Preußens für eine Anzahl
von Jahren ausgeschieden ist, Me Grundlagen für ein diplomatisches Aktions¬
programm; sie geben ihm einen Maßstab für das, was die Polen wirtschaftlich
felbst aus eigener Kraft hervorgebracht haben und was ihnen durch Deutsche, Juden,
Russen mehr oder minder aufgezwungen wurde. Nach dem Ausscheiden Ru߬
lands geht der Kampf um die Seele Polens zwischen dem Deutschen Reiche und
Österreich-Ungarn. Die Polen sind nach wie vor ohnmächtig, ihr Geschick selbst
in die Hand zu nehmen, es sei denn, daß sie sich entschlössen, freiwillig aus die
eine oder andere Seite zu treten und dann auch mit dieser Seite durch dick und
dünn zu marschieren.
Dann nämlich würde der Staatsmann des gewählten Landes vor die Ent¬
scheidung gestellt, Polen die Möglichkeit zu geben, sich — selbst uuter Zurück¬
treten der Interessen des eigenen Landes — kulturell, wirtschaftlich und politisch
frei zu höheren Stufen zu entwickeln. Den ganzen Sommer dieses Jahres
hindurch hat es den Anschein gehabt, als wenn wenigstens einzelne Männer
unter den Polen, etwa Prinz Radziwill, Graf Nonickier, Adam Napieralski
und vielleicht noch ein halbes Dutzend die Lage der polnischen Frage
klar erkannt hätten. Sie schienen, vertrauend auf die natürlichen, wenn auch
unorganisierten Kräfte ihres Volkes, entschlossen, unter allen Umständen mit
Deutschland zu gehen und alle anhero- und russophilen Strömungen ebenso zurück¬
zudrängen, wie den extremen Anarcho-Sozialismus. In den Blütewochen dieses
Jahres, bald nach Beginn der großen deutschen Offensive, bat die Warschauer
Regierung in Berlin um den Nachweis eines preußischen Hohenzollernprinzen
für die Übernahme der polnischen Königskrone unter gleichzeitiger Erklärung ihrer
Bereitwilligkeit, mit dem Deutschen Reiche gewisse Konventionen gegen die
Garantierung gewisser Grenzen einzugehen.
Es ist selbstverständlich, daß die deutsche Regierung die ihr gebotene Hand
nicht zurückweisen konnte, dies um so weniger, als die Vorschläge der Polen im
allgemeinen auf dem Wege der von Deutschland schon seit Jahr und Tag an¬
gestrebten Richtung lagen. Auf die Namhaftmachung eines Hohenzollernprinzen
für den polnischen Königsthron wurde indessen verzichtet, da der König von Polen
zweckmäßigerweise ein Katholik sein sollte und das hohenzollernsche Haüsgesetz den
reformierten Mitgliedern des preußischen Königshauses den Übertritt in eine
andere Religionsgemeinschaft untersagt. Damit tritt denn die Königsfrage in
Polen für uns im Augenblick auf den zweiten Plan.
Theoretisch betrachtet würde der von der deutschen und polnischen Regierung
eingeschlagene Weg die Fortsetzung des Versuches, die Polenfrage im Interesse der
polnischen Nationalität, d.h. unter bewußter Zurücksetzung deutsch-völkischer Belange
zu lösen, bedeuten. Er bedeutet die praktische Anerkennung des polnischen Volkes als
Nation, die bereits durch den Akt vom 6. November 1916 in Aussicht genommen war,
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