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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Des polnischen Problems neueste Phase
Georg Lleinow von

le ein Korallenriff vor der Hafeneinfahrt liegt, umbrandet von den
Wogen politischer Leidenschaften und Habgier, die polnische Frage
vor dem Wege zum Frieden in Osteuropa. Und doch brauchte sie
tatsächlich nur das zu sein, was Fürst Metternich einst von ihr
sagte, ein Phantom I Es zerspränge in dem Augenblick, wo die
Erkenntnis der Riesenkomplexe gemeinsamer Kulturaufgaben, die Uneinigkeit
zwischen Habsburg und Hohenzollern über die Zukunft Polens wie eine Seifen¬
blase würde verschwinden machen. Einige Polen scheinen das problematische
im Wesen der Polenfrage zu empfinden. Sie drängen darum zur Lösung in
irgendeiner Form, die nicht Beseitigung des Riffes bedeuten würde, selbst
zu einer solchen wollen sie sich verstehen, die dem polnischen Volk zurzeit in
keiner Weise genügen könnte, nur um den Platz als Wellenbrecher und Hin¬
dernis der freien Schiffahrt sich zu erhalten. In ihrer Phantasie wächst das
Korallenriff empor zu einem alle polnischen Heimstätten umfassenden Ringe, auf
dem die blühenden duftenden Haine zu wachsen vermöchten für den heiligen
Dienst an der Nation. -- Bismarck hat die Polen Träumer und Dichter genannt,
aber er hat auch den Zusammenstoß deutscher und russischer Heere gefürchtet, weil
die deutsche Regierung alsdann gezwungen sein würde, die Polenfrage zu lösen.

Jeder Staatsmann, der gegenwärtig vor die vom Fürsten Bismarck so ge¬
miedene Aufgabe gestellt wird, hat sich in erster Reihe darüber klar zu sein, daß
die Polenfrage entstanden ist durch die Ohnmacht der alten polnischen Adels-
Republik zwischen den aufstrebenden preußischen und russischen Monarchien zu be¬
stehen. Friedrich der Große kennzeichnete dies "merkwürdige Land" in einem
Gespräch mit dem.Comte de Segor Ende Januar 1785: "Polen ist frei, und dabei
sind die Polen Sklaven, die Verfassung ist republikanisch, aber es steht ein König
an der Spitze, das Land ist unendlich groß und hat fast keine Einwohner, die
Polen lieben den Krieg und führen seit Jahrhunderten ruhmvolle Kriege, und
trotzdem haben sie keine Festungen und statt einer ordentlichen Armee nur das
allgemeine Aufgebot mutiger, aber undisziplinierter Männer, die stets in Faktionen


Grenzboten III 1918 Is


Des polnischen Problems neueste Phase
Georg Lleinow von

le ein Korallenriff vor der Hafeneinfahrt liegt, umbrandet von den
Wogen politischer Leidenschaften und Habgier, die polnische Frage
vor dem Wege zum Frieden in Osteuropa. Und doch brauchte sie
tatsächlich nur das zu sein, was Fürst Metternich einst von ihr
sagte, ein Phantom I Es zerspränge in dem Augenblick, wo die
Erkenntnis der Riesenkomplexe gemeinsamer Kulturaufgaben, die Uneinigkeit
zwischen Habsburg und Hohenzollern über die Zukunft Polens wie eine Seifen¬
blase würde verschwinden machen. Einige Polen scheinen das problematische
im Wesen der Polenfrage zu empfinden. Sie drängen darum zur Lösung in
irgendeiner Form, die nicht Beseitigung des Riffes bedeuten würde, selbst
zu einer solchen wollen sie sich verstehen, die dem polnischen Volk zurzeit in
keiner Weise genügen könnte, nur um den Platz als Wellenbrecher und Hin¬
dernis der freien Schiffahrt sich zu erhalten. In ihrer Phantasie wächst das
Korallenriff empor zu einem alle polnischen Heimstätten umfassenden Ringe, auf
dem die blühenden duftenden Haine zu wachsen vermöchten für den heiligen
Dienst an der Nation. — Bismarck hat die Polen Träumer und Dichter genannt,
aber er hat auch den Zusammenstoß deutscher und russischer Heere gefürchtet, weil
die deutsche Regierung alsdann gezwungen sein würde, die Polenfrage zu lösen.

Jeder Staatsmann, der gegenwärtig vor die vom Fürsten Bismarck so ge¬
miedene Aufgabe gestellt wird, hat sich in erster Reihe darüber klar zu sein, daß
die Polenfrage entstanden ist durch die Ohnmacht der alten polnischen Adels-
Republik zwischen den aufstrebenden preußischen und russischen Monarchien zu be¬
stehen. Friedrich der Große kennzeichnete dies „merkwürdige Land" in einem
Gespräch mit dem.Comte de Segor Ende Januar 1785: „Polen ist frei, und dabei
sind die Polen Sklaven, die Verfassung ist republikanisch, aber es steht ein König
an der Spitze, das Land ist unendlich groß und hat fast keine Einwohner, die
Polen lieben den Krieg und führen seit Jahrhunderten ruhmvolle Kriege, und
trotzdem haben sie keine Festungen und statt einer ordentlichen Armee nur das
allgemeine Aufgebot mutiger, aber undisziplinierter Männer, die stets in Faktionen


Grenzboten III 1918 Is
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[0245] [Abbildung] Des polnischen Problems neueste Phase Georg Lleinow von le ein Korallenriff vor der Hafeneinfahrt liegt, umbrandet von den Wogen politischer Leidenschaften und Habgier, die polnische Frage vor dem Wege zum Frieden in Osteuropa. Und doch brauchte sie tatsächlich nur das zu sein, was Fürst Metternich einst von ihr sagte, ein Phantom I Es zerspränge in dem Augenblick, wo die Erkenntnis der Riesenkomplexe gemeinsamer Kulturaufgaben, die Uneinigkeit zwischen Habsburg und Hohenzollern über die Zukunft Polens wie eine Seifen¬ blase würde verschwinden machen. Einige Polen scheinen das problematische im Wesen der Polenfrage zu empfinden. Sie drängen darum zur Lösung in irgendeiner Form, die nicht Beseitigung des Riffes bedeuten würde, selbst zu einer solchen wollen sie sich verstehen, die dem polnischen Volk zurzeit in keiner Weise genügen könnte, nur um den Platz als Wellenbrecher und Hin¬ dernis der freien Schiffahrt sich zu erhalten. In ihrer Phantasie wächst das Korallenriff empor zu einem alle polnischen Heimstätten umfassenden Ringe, auf dem die blühenden duftenden Haine zu wachsen vermöchten für den heiligen Dienst an der Nation. — Bismarck hat die Polen Träumer und Dichter genannt, aber er hat auch den Zusammenstoß deutscher und russischer Heere gefürchtet, weil die deutsche Regierung alsdann gezwungen sein würde, die Polenfrage zu lösen. Jeder Staatsmann, der gegenwärtig vor die vom Fürsten Bismarck so ge¬ miedene Aufgabe gestellt wird, hat sich in erster Reihe darüber klar zu sein, daß die Polenfrage entstanden ist durch die Ohnmacht der alten polnischen Adels- Republik zwischen den aufstrebenden preußischen und russischen Monarchien zu be¬ stehen. Friedrich der Große kennzeichnete dies „merkwürdige Land" in einem Gespräch mit dem.Comte de Segor Ende Januar 1785: „Polen ist frei, und dabei sind die Polen Sklaven, die Verfassung ist republikanisch, aber es steht ein König an der Spitze, das Land ist unendlich groß und hat fast keine Einwohner, die Polen lieben den Krieg und führen seit Jahrhunderten ruhmvolle Kriege, und trotzdem haben sie keine Festungen und statt einer ordentlichen Armee nur das allgemeine Aufgebot mutiger, aber undisziplinierter Männer, die stets in Faktionen Grenzboten III 1918 Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/245>, abgerufen am 22.07.2024.