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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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diesem Vebiete herrschende Mode nicht mitzumachen, in. a. W., sich heutzutage von
der Wallfahrt nach dem allgemeinen, gleichen Wahlrecht auszuschließen. Es ist
dies die bekannte Furcht, anders zu sein als die übrigen, der Glaube an die
Dampfwalze der unaufhaltsamen Demokratisierung und Parlamentarisierung, die
uns auch z. B. angeblich in die Schablone des westlichen part^ System pressen wird,
wir mögen wollen oder nicht. Nun soll die suggestive Macht solcher massen¬
psychologischer Prozesse, wie sie in den erwähnten Strukturveränderungen der
Verfassung liegen, gar nicht bestritten werden, ebensowenig wie die Notwendig¬
keit einer Reform zumal in diesen Kriegszeiten (die allerdings nicht ihr Grund,
sondern höchstens ihr auflösender Anlaß genannt werden können). Andererseits
ist doch klar: allein um der schönen demokratischen Augen Deutschlands willen
lockt man drüben keinen Hund vom Ofen, sie müßten denn schon außerdem pazi¬
fistisch verhornen drein blicken, wie es vor hundert Jahren zur ganz uneigen¬
nützigen Freude Europas der Fall war. Eine "militaristische" Demokratie würde
trotz aller inneren Gemeinsamkeiten in der äußeren Politik genau so Stein des
Anstoßes wie unser bisheriger "Obrigkeitsstaat". Wie man eines Teiles die
Verstandesehe mit dem Zarismus schloß, ob auch das für Freiheit und Gleichheit
schlagende Herz sich resigniert beschied, so hatte noch stets die glühende demokratische
Liebe sofort ein Ende, wenn sich der Partner eine machtpolitische Extratour
erlaubte. Beispiel aus dem Jahre 1846, wo uns Heinrich Heine die Entrüstung
eines englischen Parlamentariers schildert, als er hört, daß das deutsche Volk nicht
mehr bloß von weltbürgerlichen Idealen, sondern von einer künftigen Flotte
träumt. Und wenn dazu noch über den Kanal solche Stimmen dringen wie:
"Es gibt eine Menge Anzeichen, daß Deutschlands innere Front verwundbar ist,
daß die öffentliche Meinung beeinflußt wird von Ideen und Erregungen, die vom
Ausland kommen, und daß das Ideal der Demokratie, das der Verband verkündet,
eine Gärung in Deutschland erzeugt hat" -- dann wird man noch skeptischer über
den Wert und die Notwendigkeit einer so begründeten Anpassung an das Fremde,
zumal, wenn die Schlußfolgerung bei der Entente lautet: "Diesen Vorteil weiter
auszubauen, sollte das ununterbrochene Bemühen unserer Staatsmänner bilden."

Ferner interessiert die Auffassung Stier-Somlos vom preußischen Problem.
Er bezeichnet sich zwar als keinen begeisterten Anhänger des gleichen Wahlrechtes,
die Begründung geht aber mit einer Leichtigkeit und einem Optimismus über die
Bedenken hinweg, die zu obiger reservatio nicht recht passen wollen. In seinen
im Vorjahre erschienenen "Grund- und Zukunftsfragen deutscher Politik" hatte
Stier (S. 48) das radikale Wahlrecht in Preußen noch als "unmöglichen Ge¬
danken" bezeichnet, jetzt (S. 104) ist ihm "jeder wahnwitzig, der Widerstand leistet".
Der Wechsel der Anschauung ist zu kraß, um überzeugend zu wirken, es sei denn
unter Zuhilfenahme der massenhypnotischen Beeinflussung. Denn der Verfasser
sieht nicht nur, worin man ihm allenfalls zustimmen könnte, in dem gleichen
Rechte eine politische Notwendigkeit, sondern streckt ihm gegenüber die Waffen so
völlig, daß er nicht einmal von den "Sicherungen" der Defensive etwas wissen
will. Die von der Regierung bekanntlich nicht ungünstig aufgenommene Alters¬
stimme lehnt er ab. Gewiß, Argumente lassen sich gegen jede Einzelheit jedes
Wahlsystems vorbringen. Jedoch, wenn irgendwo, so muß es hier heißen: "2 x>o
tiori n't äenominatio" und UrteilI Auch die Wahlpflicht wird von Stier ab¬
gelehnt, weil "ein praktisches Bedürfnis zur Einführung nicht vorhanden sei."
Zu dieser Bemerkung braucht man kein Fragezeichen zu machen, seitdem die For¬
derung im Hause der Abgeordneten durchgegangen ist.

Gerade die eigentümliche Blickeinstellung des Verfassers, das Wahlrecht so¬
wohl in seiner internationalen wie in seiner besonderen nationalen Funktion zu
begreifen, will uns trotz zweifellos gewinnreicher Aussichten nicht so ganz zuver¬
lässig erscheinen. Von der Weltmode war oben die Rede, die jeweils nationalen
Besonderheiten und Verknüpfungen, die Verfasser daneben hervorheben möchte,
sind unseres Erachtens (leider) nicht oder nur recht dürftig vorhanden. An der
Stelle individuell wechselnder, funktioneller Eigenschaften und Gestaltungen des


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diesem Vebiete herrschende Mode nicht mitzumachen, in. a. W., sich heutzutage von
der Wallfahrt nach dem allgemeinen, gleichen Wahlrecht auszuschließen. Es ist
dies die bekannte Furcht, anders zu sein als die übrigen, der Glaube an die
Dampfwalze der unaufhaltsamen Demokratisierung und Parlamentarisierung, die
uns auch z. B. angeblich in die Schablone des westlichen part^ System pressen wird,
wir mögen wollen oder nicht. Nun soll die suggestive Macht solcher massen¬
psychologischer Prozesse, wie sie in den erwähnten Strukturveränderungen der
Verfassung liegen, gar nicht bestritten werden, ebensowenig wie die Notwendig¬
keit einer Reform zumal in diesen Kriegszeiten (die allerdings nicht ihr Grund,
sondern höchstens ihr auflösender Anlaß genannt werden können). Andererseits
ist doch klar: allein um der schönen demokratischen Augen Deutschlands willen
lockt man drüben keinen Hund vom Ofen, sie müßten denn schon außerdem pazi¬
fistisch verhornen drein blicken, wie es vor hundert Jahren zur ganz uneigen¬
nützigen Freude Europas der Fall war. Eine „militaristische" Demokratie würde
trotz aller inneren Gemeinsamkeiten in der äußeren Politik genau so Stein des
Anstoßes wie unser bisheriger „Obrigkeitsstaat". Wie man eines Teiles die
Verstandesehe mit dem Zarismus schloß, ob auch das für Freiheit und Gleichheit
schlagende Herz sich resigniert beschied, so hatte noch stets die glühende demokratische
Liebe sofort ein Ende, wenn sich der Partner eine machtpolitische Extratour
erlaubte. Beispiel aus dem Jahre 1846, wo uns Heinrich Heine die Entrüstung
eines englischen Parlamentariers schildert, als er hört, daß das deutsche Volk nicht
mehr bloß von weltbürgerlichen Idealen, sondern von einer künftigen Flotte
träumt. Und wenn dazu noch über den Kanal solche Stimmen dringen wie:
„Es gibt eine Menge Anzeichen, daß Deutschlands innere Front verwundbar ist,
daß die öffentliche Meinung beeinflußt wird von Ideen und Erregungen, die vom
Ausland kommen, und daß das Ideal der Demokratie, das der Verband verkündet,
eine Gärung in Deutschland erzeugt hat" — dann wird man noch skeptischer über
den Wert und die Notwendigkeit einer so begründeten Anpassung an das Fremde,
zumal, wenn die Schlußfolgerung bei der Entente lautet: „Diesen Vorteil weiter
auszubauen, sollte das ununterbrochene Bemühen unserer Staatsmänner bilden."

Ferner interessiert die Auffassung Stier-Somlos vom preußischen Problem.
Er bezeichnet sich zwar als keinen begeisterten Anhänger des gleichen Wahlrechtes,
die Begründung geht aber mit einer Leichtigkeit und einem Optimismus über die
Bedenken hinweg, die zu obiger reservatio nicht recht passen wollen. In seinen
im Vorjahre erschienenen „Grund- und Zukunftsfragen deutscher Politik" hatte
Stier (S. 48) das radikale Wahlrecht in Preußen noch als „unmöglichen Ge¬
danken" bezeichnet, jetzt (S. 104) ist ihm „jeder wahnwitzig, der Widerstand leistet".
Der Wechsel der Anschauung ist zu kraß, um überzeugend zu wirken, es sei denn
unter Zuhilfenahme der massenhypnotischen Beeinflussung. Denn der Verfasser
sieht nicht nur, worin man ihm allenfalls zustimmen könnte, in dem gleichen
Rechte eine politische Notwendigkeit, sondern streckt ihm gegenüber die Waffen so
völlig, daß er nicht einmal von den „Sicherungen" der Defensive etwas wissen
will. Die von der Regierung bekanntlich nicht ungünstig aufgenommene Alters¬
stimme lehnt er ab. Gewiß, Argumente lassen sich gegen jede Einzelheit jedes
Wahlsystems vorbringen. Jedoch, wenn irgendwo, so muß es hier heißen: „2 x>o
tiori n't äenominatio" und UrteilI Auch die Wahlpflicht wird von Stier ab¬
gelehnt, weil „ein praktisches Bedürfnis zur Einführung nicht vorhanden sei."
Zu dieser Bemerkung braucht man kein Fragezeichen zu machen, seitdem die For¬
derung im Hause der Abgeordneten durchgegangen ist.

Gerade die eigentümliche Blickeinstellung des Verfassers, das Wahlrecht so¬
wohl in seiner internationalen wie in seiner besonderen nationalen Funktion zu
begreifen, will uns trotz zweifellos gewinnreicher Aussichten nicht so ganz zuver¬
lässig erscheinen. Von der Weltmode war oben die Rede, die jeweils nationalen
Besonderheiten und Verknüpfungen, die Verfasser daneben hervorheben möchte,
sind unseres Erachtens (leider) nicht oder nur recht dürftig vorhanden. An der
Stelle individuell wechselnder, funktioneller Eigenschaften und Gestaltungen des


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[0139] Neue Bücher diesem Vebiete herrschende Mode nicht mitzumachen, in. a. W., sich heutzutage von der Wallfahrt nach dem allgemeinen, gleichen Wahlrecht auszuschließen. Es ist dies die bekannte Furcht, anders zu sein als die übrigen, der Glaube an die Dampfwalze der unaufhaltsamen Demokratisierung und Parlamentarisierung, die uns auch z. B. angeblich in die Schablone des westlichen part^ System pressen wird, wir mögen wollen oder nicht. Nun soll die suggestive Macht solcher massen¬ psychologischer Prozesse, wie sie in den erwähnten Strukturveränderungen der Verfassung liegen, gar nicht bestritten werden, ebensowenig wie die Notwendig¬ keit einer Reform zumal in diesen Kriegszeiten (die allerdings nicht ihr Grund, sondern höchstens ihr auflösender Anlaß genannt werden können). Andererseits ist doch klar: allein um der schönen demokratischen Augen Deutschlands willen lockt man drüben keinen Hund vom Ofen, sie müßten denn schon außerdem pazi¬ fistisch verhornen drein blicken, wie es vor hundert Jahren zur ganz uneigen¬ nützigen Freude Europas der Fall war. Eine „militaristische" Demokratie würde trotz aller inneren Gemeinsamkeiten in der äußeren Politik genau so Stein des Anstoßes wie unser bisheriger „Obrigkeitsstaat". Wie man eines Teiles die Verstandesehe mit dem Zarismus schloß, ob auch das für Freiheit und Gleichheit schlagende Herz sich resigniert beschied, so hatte noch stets die glühende demokratische Liebe sofort ein Ende, wenn sich der Partner eine machtpolitische Extratour erlaubte. Beispiel aus dem Jahre 1846, wo uns Heinrich Heine die Entrüstung eines englischen Parlamentariers schildert, als er hört, daß das deutsche Volk nicht mehr bloß von weltbürgerlichen Idealen, sondern von einer künftigen Flotte träumt. Und wenn dazu noch über den Kanal solche Stimmen dringen wie: „Es gibt eine Menge Anzeichen, daß Deutschlands innere Front verwundbar ist, daß die öffentliche Meinung beeinflußt wird von Ideen und Erregungen, die vom Ausland kommen, und daß das Ideal der Demokratie, das der Verband verkündet, eine Gärung in Deutschland erzeugt hat" — dann wird man noch skeptischer über den Wert und die Notwendigkeit einer so begründeten Anpassung an das Fremde, zumal, wenn die Schlußfolgerung bei der Entente lautet: „Diesen Vorteil weiter auszubauen, sollte das ununterbrochene Bemühen unserer Staatsmänner bilden." Ferner interessiert die Auffassung Stier-Somlos vom preußischen Problem. Er bezeichnet sich zwar als keinen begeisterten Anhänger des gleichen Wahlrechtes, die Begründung geht aber mit einer Leichtigkeit und einem Optimismus über die Bedenken hinweg, die zu obiger reservatio nicht recht passen wollen. In seinen im Vorjahre erschienenen „Grund- und Zukunftsfragen deutscher Politik" hatte Stier (S. 48) das radikale Wahlrecht in Preußen noch als „unmöglichen Ge¬ danken" bezeichnet, jetzt (S. 104) ist ihm „jeder wahnwitzig, der Widerstand leistet". Der Wechsel der Anschauung ist zu kraß, um überzeugend zu wirken, es sei denn unter Zuhilfenahme der massenhypnotischen Beeinflussung. Denn der Verfasser sieht nicht nur, worin man ihm allenfalls zustimmen könnte, in dem gleichen Rechte eine politische Notwendigkeit, sondern streckt ihm gegenüber die Waffen so völlig, daß er nicht einmal von den „Sicherungen" der Defensive etwas wissen will. Die von der Regierung bekanntlich nicht ungünstig aufgenommene Alters¬ stimme lehnt er ab. Gewiß, Argumente lassen sich gegen jede Einzelheit jedes Wahlsystems vorbringen. Jedoch, wenn irgendwo, so muß es hier heißen: „2 x>o tiori n't äenominatio" und UrteilI Auch die Wahlpflicht wird von Stier ab¬ gelehnt, weil „ein praktisches Bedürfnis zur Einführung nicht vorhanden sei." Zu dieser Bemerkung braucht man kein Fragezeichen zu machen, seitdem die For¬ derung im Hause der Abgeordneten durchgegangen ist. Gerade die eigentümliche Blickeinstellung des Verfassers, das Wahlrecht so¬ wohl in seiner internationalen wie in seiner besonderen nationalen Funktion zu begreifen, will uns trotz zweifellos gewinnreicher Aussichten nicht so ganz zuver¬ lässig erscheinen. Von der Weltmode war oben die Rede, die jeweils nationalen Besonderheiten und Verknüpfungen, die Verfasser daneben hervorheben möchte, sind unseres Erachtens (leider) nicht oder nur recht dürftig vorhanden. An der Stelle individuell wechselnder, funktioneller Eigenschaften und Gestaltungen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/139>, abgerufen am 28.09.2024.