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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Der neue tschechische Aurs
Professor Dr. Spina von

er Absolutismus des Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh hat auf
den Tschechen in den beiden ersten Kriegsjahren besonders schwer
gelastet: aus den bekannten schwerwiegenden Gründen der Kriegs¬
und Staatsraison stand das politisch und national regsamste öster¬
reichische Volk bis zum Beginn des Jahres 1917 unter einem jede
I öffentliche politische Betätigung niederhaltenden schweren Druck.
Acme Politik war in dieser Zeit durch den Absolutismus und durch die zeitweilige
Ausschaltung des Panslawismus infolge der Niederwerfung Rußlands und Serbiens
PMV geworden. Revision der österreichischen (cisleithcmischen) Verfassung bei
Nahrung des Dualismus war 1915 und 1916 ihr höchstes Ziel, also ein oppor-
iUUMNcyer austroslawischer Standpunkt mit Vermeidung einer stark betonten
Itaatsrechtllchen Tendenz. Noch im Mai 1917 hatte die parlamentarische Kom-
mynon pes tschechischen Abgeordnetenverbandes ursprünglich eine staatsrechtliche
Msklang " Mnkttoniert, die in einer Revision der österreichischen Verfassung

. c^^.Q?^°^la der tschechischen Politik ging in drei Etappen vor sich:
um Ma 1^17 un Aufruf des Rates der tschechischen'Schriftsteller an die Abge¬
ordneten, die Ende Mar den wiedererstandenen Reichsrat beziehen sollten; in der
staatsrechtlichen Deklaration der Abgeordneten aller Parteien in der ersten Sitzung
des Reichsrates am 80. Mai 1917; in dem "Gencrallandtag" der tschechischen
Abgeordneten von Böhmen. Mähren und Schlesien vom 6. Jänner 1918. der be¬
kannten Dreikomgsdeklaration, die am 13. April 1918 durch den "Schwur von
Prag" neu bekräftigt wurde: Solidarität der tschechischen Parteien ans der Grund¬
lage des souveränen tschechischen Staates und Solidarität der Tschechen mit
den Siidslawen.

Das erregende Moment, das die tschechische Politik aus ihrer Stagnation
in das neue Fahrwasser des extremsten Radikalismus drängte, war der Aufruf
der tschechischen Schriftsteller, eine politische Tat von gewichtigsten Folgen.

Durch ihn hat ein berufsmäßig nicht politischer Kreis die Führung der
Politik in die Hand genommen oder ihr wenigstens die Richtung nach einem Ziele
von bisher nie apgestrebter Höhe bestimmt. Stärker als es real denkende Be¬
rufspolitiker vermocht hätten, haben hier die Idealisten und Theoretiker durch eine
Steigerung ins Uferlose die national wie politisch großartig disziplinierten und
stets leicht entzündlichen breiten Schichten gewonnen. Die "aktivistische" Politik,
die auf ein positives Verhältnis zur Monarchie aufbaute (der Sozialistenführer
Dr. Sen6rat, der Jungtscheche or. Tobolka und sein Kreis) wurde in den Hinter¬
grund gedrängt. Ein staatsrechtlicher Ton von bisher unerreichter Schärfe, die


Grenzboten III 191S 1 ,


Der neue tschechische Aurs
Professor Dr. Spina von

er Absolutismus des Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh hat auf
den Tschechen in den beiden ersten Kriegsjahren besonders schwer
gelastet: aus den bekannten schwerwiegenden Gründen der Kriegs¬
und Staatsraison stand das politisch und national regsamste öster¬
reichische Volk bis zum Beginn des Jahres 1917 unter einem jede
I öffentliche politische Betätigung niederhaltenden schweren Druck.
Acme Politik war in dieser Zeit durch den Absolutismus und durch die zeitweilige
Ausschaltung des Panslawismus infolge der Niederwerfung Rußlands und Serbiens
PMV geworden. Revision der österreichischen (cisleithcmischen) Verfassung bei
Nahrung des Dualismus war 1915 und 1916 ihr höchstes Ziel, also ein oppor-
iUUMNcyer austroslawischer Standpunkt mit Vermeidung einer stark betonten
Itaatsrechtllchen Tendenz. Noch im Mai 1917 hatte die parlamentarische Kom-
mynon pes tschechischen Abgeordnetenverbandes ursprünglich eine staatsrechtliche
Msklang " Mnkttoniert, die in einer Revision der österreichischen Verfassung

. c^^.Q?^°^la der tschechischen Politik ging in drei Etappen vor sich:
um Ma 1^17 un Aufruf des Rates der tschechischen'Schriftsteller an die Abge¬
ordneten, die Ende Mar den wiedererstandenen Reichsrat beziehen sollten; in der
staatsrechtlichen Deklaration der Abgeordneten aller Parteien in der ersten Sitzung
des Reichsrates am 80. Mai 1917; in dem „Gencrallandtag" der tschechischen
Abgeordneten von Böhmen. Mähren und Schlesien vom 6. Jänner 1918. der be¬
kannten Dreikomgsdeklaration, die am 13. April 1918 durch den „Schwur von
Prag" neu bekräftigt wurde: Solidarität der tschechischen Parteien ans der Grund¬
lage des souveränen tschechischen Staates und Solidarität der Tschechen mit
den Siidslawen.

Das erregende Moment, das die tschechische Politik aus ihrer Stagnation
in das neue Fahrwasser des extremsten Radikalismus drängte, war der Aufruf
der tschechischen Schriftsteller, eine politische Tat von gewichtigsten Folgen.

Durch ihn hat ein berufsmäßig nicht politischer Kreis die Führung der
Politik in die Hand genommen oder ihr wenigstens die Richtung nach einem Ziele
von bisher nie apgestrebter Höhe bestimmt. Stärker als es real denkende Be¬
rufspolitiker vermocht hätten, haben hier die Idealisten und Theoretiker durch eine
Steigerung ins Uferlose die national wie politisch großartig disziplinierten und
stets leicht entzündlichen breiten Schichten gewonnen. Die „aktivistische" Politik,
die auf ein positives Verhältnis zur Monarchie aufbaute (der Sozialistenführer
Dr. Sen6rat, der Jungtscheche or. Tobolka und sein Kreis) wurde in den Hinter¬
grund gedrängt. Ein staatsrechtlicher Ton von bisher unerreichter Schärfe, die


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[0013] [Abbildung] Der neue tschechische Aurs Professor Dr. Spina von er Absolutismus des Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh hat auf den Tschechen in den beiden ersten Kriegsjahren besonders schwer gelastet: aus den bekannten schwerwiegenden Gründen der Kriegs¬ und Staatsraison stand das politisch und national regsamste öster¬ reichische Volk bis zum Beginn des Jahres 1917 unter einem jede I öffentliche politische Betätigung niederhaltenden schweren Druck. Acme Politik war in dieser Zeit durch den Absolutismus und durch die zeitweilige Ausschaltung des Panslawismus infolge der Niederwerfung Rußlands und Serbiens PMV geworden. Revision der österreichischen (cisleithcmischen) Verfassung bei Nahrung des Dualismus war 1915 und 1916 ihr höchstes Ziel, also ein oppor- iUUMNcyer austroslawischer Standpunkt mit Vermeidung einer stark betonten Itaatsrechtllchen Tendenz. Noch im Mai 1917 hatte die parlamentarische Kom- mynon pes tschechischen Abgeordnetenverbandes ursprünglich eine staatsrechtliche Msklang " Mnkttoniert, die in einer Revision der österreichischen Verfassung . c^^.Q?^°^la der tschechischen Politik ging in drei Etappen vor sich: um Ma 1^17 un Aufruf des Rates der tschechischen'Schriftsteller an die Abge¬ ordneten, die Ende Mar den wiedererstandenen Reichsrat beziehen sollten; in der staatsrechtlichen Deklaration der Abgeordneten aller Parteien in der ersten Sitzung des Reichsrates am 80. Mai 1917; in dem „Gencrallandtag" der tschechischen Abgeordneten von Böhmen. Mähren und Schlesien vom 6. Jänner 1918. der be¬ kannten Dreikomgsdeklaration, die am 13. April 1918 durch den „Schwur von Prag" neu bekräftigt wurde: Solidarität der tschechischen Parteien ans der Grund¬ lage des souveränen tschechischen Staates und Solidarität der Tschechen mit den Siidslawen. Das erregende Moment, das die tschechische Politik aus ihrer Stagnation in das neue Fahrwasser des extremsten Radikalismus drängte, war der Aufruf der tschechischen Schriftsteller, eine politische Tat von gewichtigsten Folgen. Durch ihn hat ein berufsmäßig nicht politischer Kreis die Führung der Politik in die Hand genommen oder ihr wenigstens die Richtung nach einem Ziele von bisher nie apgestrebter Höhe bestimmt. Stärker als es real denkende Be¬ rufspolitiker vermocht hätten, haben hier die Idealisten und Theoretiker durch eine Steigerung ins Uferlose die national wie politisch großartig disziplinierten und stets leicht entzündlichen breiten Schichten gewonnen. Die „aktivistische" Politik, die auf ein positives Verhältnis zur Monarchie aufbaute (der Sozialistenführer Dr. Sen6rat, der Jungtscheche or. Tobolka und sein Kreis) wurde in den Hinter¬ grund gedrängt. Ein staatsrechtlicher Ton von bisher unerreichter Schärfe, die Grenzboten III 191S 1 ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/13>, abgerufen am 22.07.2024.