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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

sich im Gegenteil nicht nur die reichstreue lothringische Großindustrie, sondern
vor allem auch die Führer und Vertreter der Partei selbst in Rundschreiben und
Zeitungskorrespondenzen für endgültige Angliederung zum mindesten Lothringens
an die völkisch und wirtschaftlich stammverwandte Rheinprovinz ausgesprochen. Nur
so kann, das ist ihr realpolitischer Gedankengang, das erste und reichhaltigste
Eisenerzgebiet des Reiches, in enge, von keinem Interessengegensatz getrennte Ver¬
bindung mit dem Ruhrgebiet treten, dessen Kothe für die Ausbeutung der riesigen
Minetteerzlager unentbehrlich sind. Nur so kann Lothringen durch Ausbau und
Kanalisierung von Saar und Mosel eine leistungsfähige Wasserstraße erhalten,
deren Nutzen und Notwendigkeit nicht nur für das Land, sondern für Preußen
und für das Reich überhaupt der Weltkrieg sattsam erwiesen hat. "Der Ver¬
schmelzung der wirtschaftlichen Interessen würde eine Verschmelzung der Be¬
völkerung auf dem Fuße folgen." Auch Bayerns Ansprüche auf Abrundung der
Pfalz könnten dabei, wie Bismarck ja noch Anfang 1871 lockte, durch Abtretung
von Weißenburg sowie von Teilen des Hagenauer und des Saargemünder Kreises
befriedigt werden. Vor allem das Weitzenburger Land ist zumeist altes pfälzisch-
fränkisches Sprachgebiet und aufs innigste mit Landau verbunden, das sich treu
die Erinnerung an eine jahrhundertelange Zugehörigkeit zum Bund der elsässischen
Reichsstädte bewahrt hat und erst 1816 vom Elsaß zur Pfalz geschlagen wurde.

Wohl werden auch jetzt wie im Jahre der Reichsgründung Bedenken laut,
diesen letzten entscheidenden Schritt zu tun. Insbesondere Laband wies daraus
hin, daß es den süddeutschen Bundesstaaten "nicht erwünscht sei. baß Preußen
ein besonders wichtiges süddeutsches Gebiet erwirbt und seinen Einfluß in Süd¬
deutschland dadurch in hohem Grade verstärkt". Es würde, meint er, "als eine
Ungerechtigkeit und Unbilligkeit empfunden werden, wenn eine der Errungenschaften
des siegreich geführten Krieges in der Vergrößerung Preußens bestände". Er
vergißt dabei, daß der Besitz von Elsaß und Lothringen heute so gut wie 1870
zum wenigsten in den nächsten Jahrzehnten auch dem deutschen Großstaat mehr
Pflichten als Rechte bringen wird. Nicht nur Kapital, vor allem auch eine Fülle
selbstloser und undankbarer nationaler Arbeit ist in das fruchtbare Land hinein¬
zustecken, bis es dauernd wertvolle Frucht zu tragen vermag. Und außerdem
weiß der jüngst dahingegangene.Straßburger Professor nicht, daß Württemberg
noch im April 1871 amtlich als Ansicht der übrigen Vundesstaaten betonte:
"Was Preußen erwirbt, ist > zugleich Deutschland, dem Reiche erworben. Die
übrigen Glieder des Reiches würden nicht glauben, beeinträchtigt zu sein, wenn
Preußen statt als Mandatar des Reiches kraft eigenen Rechts die Souveränität
über Elsaß und Lothringen übernehme." Oder hat sich in der Tat im verflossenen
halben Jahrhundert das Band zwischen den Bundesstaaten so sehr gelockert, daß
dieser Satz keine Gstltigkeit mehr besitzt? Der Staatsrechtler, der fünf Jahr¬
zehnte lang scharfsinnig gewordenes Recht behandelt hat, kann sich nicht zu der
Auffassung durchringen, daß die Politik da zugreifen muß, wo das Staatsrecht
versaget Leider ist jedoch dies schwächliche Urteil bisher Gemeingut der öffentlich
zugelassenen Erörterung geblieben, und nur zu gern führen es die reichsländischen
Beamten im Munde, die in ihrem Eigenleben nicht von der drohenden preußischen
Verwaltungsreform gestört werden wollen. Selbst ein so tatkräftig durchgreifender,
jüngerer Lehrer des Staatsrechts wie Erich Kaufmann folgt dem verehrten Meister.
Auch er zieht beifällig unitarische Meinungen über die Zukunft Elsaß und
Lothringens aus der Zeit der Reichsgründung heran. "Wie Preußen", so mahnt
seine gedankenreiche Schrift über Bismarcks Erbe in der Reichs Verfassung*), "durch
die Erwerbung seiner westlichen Provinzen und durch die Annexionen von 1866
ganz reif zur Hegemonie wurde, so würde auch ein durch die heutigen Reichs¬
lande (so!) vergrößertes Preußen noch mehr in ganz Deutschland hineinwachsen
und seine partikularen Interessen immer mehr hinter seinen hegemonischen zurück¬
treten lassen können und müssen." Aber willig fügt er sich schließlich Laband?



*) Julius Springer, Berlin. 2,80 M.
Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

sich im Gegenteil nicht nur die reichstreue lothringische Großindustrie, sondern
vor allem auch die Führer und Vertreter der Partei selbst in Rundschreiben und
Zeitungskorrespondenzen für endgültige Angliederung zum mindesten Lothringens
an die völkisch und wirtschaftlich stammverwandte Rheinprovinz ausgesprochen. Nur
so kann, das ist ihr realpolitischer Gedankengang, das erste und reichhaltigste
Eisenerzgebiet des Reiches, in enge, von keinem Interessengegensatz getrennte Ver¬
bindung mit dem Ruhrgebiet treten, dessen Kothe für die Ausbeutung der riesigen
Minetteerzlager unentbehrlich sind. Nur so kann Lothringen durch Ausbau und
Kanalisierung von Saar und Mosel eine leistungsfähige Wasserstraße erhalten,
deren Nutzen und Notwendigkeit nicht nur für das Land, sondern für Preußen
und für das Reich überhaupt der Weltkrieg sattsam erwiesen hat. „Der Ver¬
schmelzung der wirtschaftlichen Interessen würde eine Verschmelzung der Be¬
völkerung auf dem Fuße folgen." Auch Bayerns Ansprüche auf Abrundung der
Pfalz könnten dabei, wie Bismarck ja noch Anfang 1871 lockte, durch Abtretung
von Weißenburg sowie von Teilen des Hagenauer und des Saargemünder Kreises
befriedigt werden. Vor allem das Weitzenburger Land ist zumeist altes pfälzisch-
fränkisches Sprachgebiet und aufs innigste mit Landau verbunden, das sich treu
die Erinnerung an eine jahrhundertelange Zugehörigkeit zum Bund der elsässischen
Reichsstädte bewahrt hat und erst 1816 vom Elsaß zur Pfalz geschlagen wurde.

Wohl werden auch jetzt wie im Jahre der Reichsgründung Bedenken laut,
diesen letzten entscheidenden Schritt zu tun. Insbesondere Laband wies daraus
hin, daß es den süddeutschen Bundesstaaten „nicht erwünscht sei. baß Preußen
ein besonders wichtiges süddeutsches Gebiet erwirbt und seinen Einfluß in Süd¬
deutschland dadurch in hohem Grade verstärkt". Es würde, meint er, „als eine
Ungerechtigkeit und Unbilligkeit empfunden werden, wenn eine der Errungenschaften
des siegreich geführten Krieges in der Vergrößerung Preußens bestände". Er
vergißt dabei, daß der Besitz von Elsaß und Lothringen heute so gut wie 1870
zum wenigsten in den nächsten Jahrzehnten auch dem deutschen Großstaat mehr
Pflichten als Rechte bringen wird. Nicht nur Kapital, vor allem auch eine Fülle
selbstloser und undankbarer nationaler Arbeit ist in das fruchtbare Land hinein¬
zustecken, bis es dauernd wertvolle Frucht zu tragen vermag. Und außerdem
weiß der jüngst dahingegangene.Straßburger Professor nicht, daß Württemberg
noch im April 1871 amtlich als Ansicht der übrigen Vundesstaaten betonte:
„Was Preußen erwirbt, ist > zugleich Deutschland, dem Reiche erworben. Die
übrigen Glieder des Reiches würden nicht glauben, beeinträchtigt zu sein, wenn
Preußen statt als Mandatar des Reiches kraft eigenen Rechts die Souveränität
über Elsaß und Lothringen übernehme." Oder hat sich in der Tat im verflossenen
halben Jahrhundert das Band zwischen den Bundesstaaten so sehr gelockert, daß
dieser Satz keine Gstltigkeit mehr besitzt? Der Staatsrechtler, der fünf Jahr¬
zehnte lang scharfsinnig gewordenes Recht behandelt hat, kann sich nicht zu der
Auffassung durchringen, daß die Politik da zugreifen muß, wo das Staatsrecht
versaget Leider ist jedoch dies schwächliche Urteil bisher Gemeingut der öffentlich
zugelassenen Erörterung geblieben, und nur zu gern führen es die reichsländischen
Beamten im Munde, die in ihrem Eigenleben nicht von der drohenden preußischen
Verwaltungsreform gestört werden wollen. Selbst ein so tatkräftig durchgreifender,
jüngerer Lehrer des Staatsrechts wie Erich Kaufmann folgt dem verehrten Meister.
Auch er zieht beifällig unitarische Meinungen über die Zukunft Elsaß und
Lothringens aus der Zeit der Reichsgründung heran. „Wie Preußen", so mahnt
seine gedankenreiche Schrift über Bismarcks Erbe in der Reichs Verfassung*), „durch
die Erwerbung seiner westlichen Provinzen und durch die Annexionen von 1866
ganz reif zur Hegemonie wurde, so würde auch ein durch die heutigen Reichs¬
lande (so!) vergrößertes Preußen noch mehr in ganz Deutschland hineinwachsen
und seine partikularen Interessen immer mehr hinter seinen hegemonischen zurück¬
treten lassen können und müssen." Aber willig fügt er sich schließlich Laband?



*) Julius Springer, Berlin. 2,80 M.
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[0126] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage sich im Gegenteil nicht nur die reichstreue lothringische Großindustrie, sondern vor allem auch die Führer und Vertreter der Partei selbst in Rundschreiben und Zeitungskorrespondenzen für endgültige Angliederung zum mindesten Lothringens an die völkisch und wirtschaftlich stammverwandte Rheinprovinz ausgesprochen. Nur so kann, das ist ihr realpolitischer Gedankengang, das erste und reichhaltigste Eisenerzgebiet des Reiches, in enge, von keinem Interessengegensatz getrennte Ver¬ bindung mit dem Ruhrgebiet treten, dessen Kothe für die Ausbeutung der riesigen Minetteerzlager unentbehrlich sind. Nur so kann Lothringen durch Ausbau und Kanalisierung von Saar und Mosel eine leistungsfähige Wasserstraße erhalten, deren Nutzen und Notwendigkeit nicht nur für das Land, sondern für Preußen und für das Reich überhaupt der Weltkrieg sattsam erwiesen hat. „Der Ver¬ schmelzung der wirtschaftlichen Interessen würde eine Verschmelzung der Be¬ völkerung auf dem Fuße folgen." Auch Bayerns Ansprüche auf Abrundung der Pfalz könnten dabei, wie Bismarck ja noch Anfang 1871 lockte, durch Abtretung von Weißenburg sowie von Teilen des Hagenauer und des Saargemünder Kreises befriedigt werden. Vor allem das Weitzenburger Land ist zumeist altes pfälzisch- fränkisches Sprachgebiet und aufs innigste mit Landau verbunden, das sich treu die Erinnerung an eine jahrhundertelange Zugehörigkeit zum Bund der elsässischen Reichsstädte bewahrt hat und erst 1816 vom Elsaß zur Pfalz geschlagen wurde. Wohl werden auch jetzt wie im Jahre der Reichsgründung Bedenken laut, diesen letzten entscheidenden Schritt zu tun. Insbesondere Laband wies daraus hin, daß es den süddeutschen Bundesstaaten „nicht erwünscht sei. baß Preußen ein besonders wichtiges süddeutsches Gebiet erwirbt und seinen Einfluß in Süd¬ deutschland dadurch in hohem Grade verstärkt". Es würde, meint er, „als eine Ungerechtigkeit und Unbilligkeit empfunden werden, wenn eine der Errungenschaften des siegreich geführten Krieges in der Vergrößerung Preußens bestände". Er vergißt dabei, daß der Besitz von Elsaß und Lothringen heute so gut wie 1870 zum wenigsten in den nächsten Jahrzehnten auch dem deutschen Großstaat mehr Pflichten als Rechte bringen wird. Nicht nur Kapital, vor allem auch eine Fülle selbstloser und undankbarer nationaler Arbeit ist in das fruchtbare Land hinein¬ zustecken, bis es dauernd wertvolle Frucht zu tragen vermag. Und außerdem weiß der jüngst dahingegangene.Straßburger Professor nicht, daß Württemberg noch im April 1871 amtlich als Ansicht der übrigen Vundesstaaten betonte: „Was Preußen erwirbt, ist > zugleich Deutschland, dem Reiche erworben. Die übrigen Glieder des Reiches würden nicht glauben, beeinträchtigt zu sein, wenn Preußen statt als Mandatar des Reiches kraft eigenen Rechts die Souveränität über Elsaß und Lothringen übernehme." Oder hat sich in der Tat im verflossenen halben Jahrhundert das Band zwischen den Bundesstaaten so sehr gelockert, daß dieser Satz keine Gstltigkeit mehr besitzt? Der Staatsrechtler, der fünf Jahr¬ zehnte lang scharfsinnig gewordenes Recht behandelt hat, kann sich nicht zu der Auffassung durchringen, daß die Politik da zugreifen muß, wo das Staatsrecht versaget Leider ist jedoch dies schwächliche Urteil bisher Gemeingut der öffentlich zugelassenen Erörterung geblieben, und nur zu gern führen es die reichsländischen Beamten im Munde, die in ihrem Eigenleben nicht von der drohenden preußischen Verwaltungsreform gestört werden wollen. Selbst ein so tatkräftig durchgreifender, jüngerer Lehrer des Staatsrechts wie Erich Kaufmann folgt dem verehrten Meister. Auch er zieht beifällig unitarische Meinungen über die Zukunft Elsaß und Lothringens aus der Zeit der Reichsgründung heran. „Wie Preußen", so mahnt seine gedankenreiche Schrift über Bismarcks Erbe in der Reichs Verfassung*), „durch die Erwerbung seiner westlichen Provinzen und durch die Annexionen von 1866 ganz reif zur Hegemonie wurde, so würde auch ein durch die heutigen Reichs¬ lande (so!) vergrößertes Preußen noch mehr in ganz Deutschland hineinwachsen und seine partikularen Interessen immer mehr hinter seinen hegemonischen zurück¬ treten lassen können und müssen." Aber willig fügt er sich schließlich Laband? *) Julius Springer, Berlin. 2,80 M.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/126>, abgerufen am 22.07.2024.