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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Außer diesen nationalen Hindernissen aber bestehen auch vom rein ver¬
waltungstechnischen und wirtschaftlichen Standpunkte aus ernsteste Bedenken
gegen die Erhebung (oder Herabsetzung?) des Reichslandes zum selbständigen
Bundesstaat. In klarer, nüchterner Beweisführung hat unlängst ein wackerer
Vorkämpfer altelsässischen Deutschtums, Wilhelm Kapp, gezeigt,") daß Land und
Volk die Last eigenstaatlicher Selbstverwaltung nicht zu tragen vermögen. Es
fehlen, wie er betont, alle "persönlichen und dinglichen Elemente zur Ernährung
eines gesunden Staatswesens", das sich innerlich mit Gesamtdeutschland eins fühlen
würde. "Die für den zukünftigen autonomen Staat in Betracht kommenden
Volksteile", so mahnt die Erklärung einer starken Straßburger Gruppe, "Elsässer,
Lothringer, Einheimische und Eingewanderte, weisen zu viele tiefgehende Verschie¬
denheiten und Gegensätze auf, als daß von ihnen ein einigermaßen befriedigendes
oder gar gedeihliches staatliches Zusammenwirken erwartet werden könnte. Ein
Volk, das einen selbständigen Staat bilden soll, muß den starken Willen in sich
fühlen, ein Staatsvolk zu werden. Ein solcher aber ist in Elsaß-Lothringen im
Volk selbst nur gering entwickelt. Dem elsaß-lothringischen Volkstum ist aus der
französischen Zeit als Erbe ein ausgebildeter Sinn geblieben für einen weit¬
räumiger Großstaat; es widerstrebt seinem innersten, nach Ausweitung verlan-
genden Wesen, in die Enge des Kleinstaates eingesperrt zu werden. So verstärkt
sich die Versuchung, nach Frankreich auszuwandern, und damit die Gefahr, daß
das Land noch mehr als bisher seiner wurzelhaften, bodenständigen Bevölkerung
beraubt wird."

Viel zu wenig ist drüben überm Rhein ja bekannt, wie schwer und drückend
die Rayonbeschränkung auf dem Lande und auf allen Kreisen der Bevölkerung
lastet, die durch den Charakter als Glacis der hart umlagerten deutschen Festung
bedingt ist. Wohl sind die unmittelbaren Kriegsschäden nicht groß. Nur ein
kleiner Teil im Süden des Oberelsaß wird noch von Frankreich besetzt gehalten.
Aber um so empfindlicher hemmen die Beschränkungen, die der Kampf um das
Dasein des Reiches seiner Westmark seit vier Jahren auferlegt hat, jeden wirt¬
schaftlichen Aufschwung und jede Umstellung von Gewerbe, Handel und Industrie.
Dauernde Einquartierung und Mangel an Arbeitskräften legen in ganz anderem
Maße als sonst irgendwo in Deutschland selbst der Landwirtschaft enge Fesseln-
an. Die blühende Textilindustrie im Oberelsaß, im schlachtenumtobten Mülhausenst
Sennheim, am Hang des Hartmannsweilerkopses und in den Vogesentälern in
fast vernichtet. Die Kaliwerke des Sundgau können nur in mäßigen Grenzen i,
Betrieb gehalten werden. Selbst der Lothringer Eisenindustrie fehlt die Be,
Wegungsfreiheit, die den Konkurrenzwerken im Rheinland und Westfalen so über'
aus reichlich zuteil geworden ist. Vom nationalen Standpunkte ist es ja aufs
lebhafteste zu begrüßen, daß zahlreiche einflußreiche Führer gerade der alteinge¬
sessenen Großindustrie schon bei Kriegsausbruch landflüchtig geworden sind und
ihre Unternehmungen nunmehr in deutscher Zwangsverwaltung arbeiten. Für die
Wirtschafts- und. Steuerkraft des Landes aber, das bereits nach 1870 einen ähn¬
lichen schweren Aderlaß erdulden mußte, ist diese Abwanderung hoch bedenklich.
Eine Abwanderung, bei der die Hunderte von Millionen französischer Werte, die
in Liquidation genommen sind, noch gar nicht mitgezählt werden. Die großen
altdeutschen Unternehmer und Verbände, die. sich zur Übernahme der verwaisten
Werke zusammenschlossen, haben ihren Steuerwohnsitz außerhalb des Reichslandes.
Von einzelnen, wie von den Erben der Mülhauser Textilindustrie und von den An¬
wärtern auf die großen de Wendelswerke in Hayingen, wird mit Recht oder mit Unrecht
behauptet, daß sie nicht ungern künftig in Zeiten schlechten Geschäftsganges an Still-
legung der Konkurrenzbetriebe zugunsten der eigenen altdeutschen Fabriken denken
werden. Und ebenso sind bereits viele der altberühmten elsässischen und lothringischen
Landsitze und Schlösser von Familien angekauft worden, die ni,ehe beabsichtigen, auch



-) "Ist Elsaß-Lothringen als autonomer Bundesstaat möglich? "1918. Berlin, Julius
Springer.
Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage

Außer diesen nationalen Hindernissen aber bestehen auch vom rein ver¬
waltungstechnischen und wirtschaftlichen Standpunkte aus ernsteste Bedenken
gegen die Erhebung (oder Herabsetzung?) des Reichslandes zum selbständigen
Bundesstaat. In klarer, nüchterner Beweisführung hat unlängst ein wackerer
Vorkämpfer altelsässischen Deutschtums, Wilhelm Kapp, gezeigt,") daß Land und
Volk die Last eigenstaatlicher Selbstverwaltung nicht zu tragen vermögen. Es
fehlen, wie er betont, alle „persönlichen und dinglichen Elemente zur Ernährung
eines gesunden Staatswesens", das sich innerlich mit Gesamtdeutschland eins fühlen
würde. „Die für den zukünftigen autonomen Staat in Betracht kommenden
Volksteile", so mahnt die Erklärung einer starken Straßburger Gruppe, „Elsässer,
Lothringer, Einheimische und Eingewanderte, weisen zu viele tiefgehende Verschie¬
denheiten und Gegensätze auf, als daß von ihnen ein einigermaßen befriedigendes
oder gar gedeihliches staatliches Zusammenwirken erwartet werden könnte. Ein
Volk, das einen selbständigen Staat bilden soll, muß den starken Willen in sich
fühlen, ein Staatsvolk zu werden. Ein solcher aber ist in Elsaß-Lothringen im
Volk selbst nur gering entwickelt. Dem elsaß-lothringischen Volkstum ist aus der
französischen Zeit als Erbe ein ausgebildeter Sinn geblieben für einen weit¬
räumiger Großstaat; es widerstrebt seinem innersten, nach Ausweitung verlan-
genden Wesen, in die Enge des Kleinstaates eingesperrt zu werden. So verstärkt
sich die Versuchung, nach Frankreich auszuwandern, und damit die Gefahr, daß
das Land noch mehr als bisher seiner wurzelhaften, bodenständigen Bevölkerung
beraubt wird."

Viel zu wenig ist drüben überm Rhein ja bekannt, wie schwer und drückend
die Rayonbeschränkung auf dem Lande und auf allen Kreisen der Bevölkerung
lastet, die durch den Charakter als Glacis der hart umlagerten deutschen Festung
bedingt ist. Wohl sind die unmittelbaren Kriegsschäden nicht groß. Nur ein
kleiner Teil im Süden des Oberelsaß wird noch von Frankreich besetzt gehalten.
Aber um so empfindlicher hemmen die Beschränkungen, die der Kampf um das
Dasein des Reiches seiner Westmark seit vier Jahren auferlegt hat, jeden wirt¬
schaftlichen Aufschwung und jede Umstellung von Gewerbe, Handel und Industrie.
Dauernde Einquartierung und Mangel an Arbeitskräften legen in ganz anderem
Maße als sonst irgendwo in Deutschland selbst der Landwirtschaft enge Fesseln-
an. Die blühende Textilindustrie im Oberelsaß, im schlachtenumtobten Mülhausenst
Sennheim, am Hang des Hartmannsweilerkopses und in den Vogesentälern in
fast vernichtet. Die Kaliwerke des Sundgau können nur in mäßigen Grenzen i,
Betrieb gehalten werden. Selbst der Lothringer Eisenindustrie fehlt die Be,
Wegungsfreiheit, die den Konkurrenzwerken im Rheinland und Westfalen so über'
aus reichlich zuteil geworden ist. Vom nationalen Standpunkte ist es ja aufs
lebhafteste zu begrüßen, daß zahlreiche einflußreiche Führer gerade der alteinge¬
sessenen Großindustrie schon bei Kriegsausbruch landflüchtig geworden sind und
ihre Unternehmungen nunmehr in deutscher Zwangsverwaltung arbeiten. Für die
Wirtschafts- und. Steuerkraft des Landes aber, das bereits nach 1870 einen ähn¬
lichen schweren Aderlaß erdulden mußte, ist diese Abwanderung hoch bedenklich.
Eine Abwanderung, bei der die Hunderte von Millionen französischer Werte, die
in Liquidation genommen sind, noch gar nicht mitgezählt werden. Die großen
altdeutschen Unternehmer und Verbände, die. sich zur Übernahme der verwaisten
Werke zusammenschlossen, haben ihren Steuerwohnsitz außerhalb des Reichslandes.
Von einzelnen, wie von den Erben der Mülhauser Textilindustrie und von den An¬
wärtern auf die großen de Wendelswerke in Hayingen, wird mit Recht oder mit Unrecht
behauptet, daß sie nicht ungern künftig in Zeiten schlechten Geschäftsganges an Still-
legung der Konkurrenzbetriebe zugunsten der eigenen altdeutschen Fabriken denken
werden. Und ebenso sind bereits viele der altberühmten elsässischen und lothringischen
Landsitze und Schlösser von Familien angekauft worden, die ni,ehe beabsichtigen, auch



-) „Ist Elsaß-Lothringen als autonomer Bundesstaat möglich? "1918. Berlin, Julius
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[0123] Ideale und Irrtümer der elsaß-lothringischen Frage Außer diesen nationalen Hindernissen aber bestehen auch vom rein ver¬ waltungstechnischen und wirtschaftlichen Standpunkte aus ernsteste Bedenken gegen die Erhebung (oder Herabsetzung?) des Reichslandes zum selbständigen Bundesstaat. In klarer, nüchterner Beweisführung hat unlängst ein wackerer Vorkämpfer altelsässischen Deutschtums, Wilhelm Kapp, gezeigt,") daß Land und Volk die Last eigenstaatlicher Selbstverwaltung nicht zu tragen vermögen. Es fehlen, wie er betont, alle „persönlichen und dinglichen Elemente zur Ernährung eines gesunden Staatswesens", das sich innerlich mit Gesamtdeutschland eins fühlen würde. „Die für den zukünftigen autonomen Staat in Betracht kommenden Volksteile", so mahnt die Erklärung einer starken Straßburger Gruppe, „Elsässer, Lothringer, Einheimische und Eingewanderte, weisen zu viele tiefgehende Verschie¬ denheiten und Gegensätze auf, als daß von ihnen ein einigermaßen befriedigendes oder gar gedeihliches staatliches Zusammenwirken erwartet werden könnte. Ein Volk, das einen selbständigen Staat bilden soll, muß den starken Willen in sich fühlen, ein Staatsvolk zu werden. Ein solcher aber ist in Elsaß-Lothringen im Volk selbst nur gering entwickelt. Dem elsaß-lothringischen Volkstum ist aus der französischen Zeit als Erbe ein ausgebildeter Sinn geblieben für einen weit¬ räumiger Großstaat; es widerstrebt seinem innersten, nach Ausweitung verlan- genden Wesen, in die Enge des Kleinstaates eingesperrt zu werden. So verstärkt sich die Versuchung, nach Frankreich auszuwandern, und damit die Gefahr, daß das Land noch mehr als bisher seiner wurzelhaften, bodenständigen Bevölkerung beraubt wird." Viel zu wenig ist drüben überm Rhein ja bekannt, wie schwer und drückend die Rayonbeschränkung auf dem Lande und auf allen Kreisen der Bevölkerung lastet, die durch den Charakter als Glacis der hart umlagerten deutschen Festung bedingt ist. Wohl sind die unmittelbaren Kriegsschäden nicht groß. Nur ein kleiner Teil im Süden des Oberelsaß wird noch von Frankreich besetzt gehalten. Aber um so empfindlicher hemmen die Beschränkungen, die der Kampf um das Dasein des Reiches seiner Westmark seit vier Jahren auferlegt hat, jeden wirt¬ schaftlichen Aufschwung und jede Umstellung von Gewerbe, Handel und Industrie. Dauernde Einquartierung und Mangel an Arbeitskräften legen in ganz anderem Maße als sonst irgendwo in Deutschland selbst der Landwirtschaft enge Fesseln- an. Die blühende Textilindustrie im Oberelsaß, im schlachtenumtobten Mülhausenst Sennheim, am Hang des Hartmannsweilerkopses und in den Vogesentälern in fast vernichtet. Die Kaliwerke des Sundgau können nur in mäßigen Grenzen i, Betrieb gehalten werden. Selbst der Lothringer Eisenindustrie fehlt die Be, Wegungsfreiheit, die den Konkurrenzwerken im Rheinland und Westfalen so über' aus reichlich zuteil geworden ist. Vom nationalen Standpunkte ist es ja aufs lebhafteste zu begrüßen, daß zahlreiche einflußreiche Führer gerade der alteinge¬ sessenen Großindustrie schon bei Kriegsausbruch landflüchtig geworden sind und ihre Unternehmungen nunmehr in deutscher Zwangsverwaltung arbeiten. Für die Wirtschafts- und. Steuerkraft des Landes aber, das bereits nach 1870 einen ähn¬ lichen schweren Aderlaß erdulden mußte, ist diese Abwanderung hoch bedenklich. Eine Abwanderung, bei der die Hunderte von Millionen französischer Werte, die in Liquidation genommen sind, noch gar nicht mitgezählt werden. Die großen altdeutschen Unternehmer und Verbände, die. sich zur Übernahme der verwaisten Werke zusammenschlossen, haben ihren Steuerwohnsitz außerhalb des Reichslandes. Von einzelnen, wie von den Erben der Mülhauser Textilindustrie und von den An¬ wärtern auf die großen de Wendelswerke in Hayingen, wird mit Recht oder mit Unrecht behauptet, daß sie nicht ungern künftig in Zeiten schlechten Geschäftsganges an Still- legung der Konkurrenzbetriebe zugunsten der eigenen altdeutschen Fabriken denken werden. Und ebenso sind bereits viele der altberühmten elsässischen und lothringischen Landsitze und Schlösser von Familien angekauft worden, die ni,ehe beabsichtigen, auch -) „Ist Elsaß-Lothringen als autonomer Bundesstaat möglich? "1918. Berlin, Julius Springer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/123>, abgerufen am 22.07.2024.