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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Literarische Politik
Dr. Hermann Ullmann von

as gewaltige und plötzliche Anschwellen der öffentlichen Teilnahme
an politischen Fragen hat eine besondere Sorte von "politischen"
Schriftstellern gezeitigt, die nicht gerade dazu beiträgt, die bekannter¬
maßen nicht sehr weit gediehene politische Erziehung des deutschen
Volkes zu fördern. Auf eben diesen Mangel an politischer Erziehung
und Bildung, der den deutscheu Gebildeten leider auszeichnet, baut
jener literarische Politiker, wie wir ihn nennen wollen, mit Umsicht und edlem
Gottvertrauen. Er ist selbst bisher den von ihm behandelten Dingen innerlich
ziemlich fern gewesen, hat aber selbstverständlich Beziehungen, die es leicht ermög¬
lichen, in dem Augenblick, in dem sich die öffentliche Teilnahme einem bestimmten
Gebiete zuwendet, als Sachverständiger auf diesem Gebiete aufzutreten. Freilich
gibt es immerhin auch einige wirkliche Sachkenner, mit denen man zu konkurrieren
hat. Hier aber hilft eine sehr einfache Methode. Man stellr die Meinung, die
von diesen Sachkennern ausgesprochen wird, als abgeleiert, veraltet, unfruchtbar
hin, verknüpft sie möglichst durch einige geschickte Handgriffe mit Gedanken und
Bestrebungen, die in der Tat als.rückständig gelten können, und macht sich dann
selbst eine möglichst auffällige, neuartig scheinende, geistreich und pikant zugerichtete
"Überzeugung" zurecht, ganz an der Art, in der man "Literatur" macht: willkür¬
lich, ohne Rücksicht auf organische Entwicklung, ohne ursprüngliches Gefühl, ohne
inneren Zusammenhang mit der Sache, rein aus dem Kopfe heraus und nur für
das Papier bestimmt. Derlei liest sich gut und ist einer dankbaren Aufnahme
bei dem voraussetzungslosen Leser höheren Grades, der sich gern die Welt in einer
geistreichen Beleuchtung zeigen läßt, sicher. Daß es sich in diesem einen Falle
ausnahmsweise nicht um Plaudereien über gleichgültige Dinge, über eine Mode,
daß es sich vielmehr um politische, um Lebensfragen von Volk und Staat handelt,
vergißt der Literat, den, ja alles ohne Unterschied nur Stoff für seinen "Geist",
d. h. seine Feder ist.

Zu seinen dankbarsten Gebieten gehört absonderlicherweise auch alles, was
mit Österreich-Ungarn zusammenhängt. Man weiß, wie wohlwollend und ahnungs¬
los der Durchschnittsreichsdeutsche im Schatten des Bündnisses ausruhte und wie
sehr ihm dieser Schatten die klare Erkenntnis der bündnisfeindlichen und bündnis¬
freundlichen Kräfte in der Monarchie und der von dort herauf drohenden Ge¬
fahren verdunkelte. Um so leichter war eS vor dem Kriege, den Reichsdeutschen
mit Feuilletons über Osterreich zu unterhalten. Jetzt nach vier Kriegsjahren ist
freilich derlei nicht mehr gangbar. Man will Erkenntnisse, Lösungen, Ratschläge.
Man hat alle Ursache, sorgenvolle Fragen zu stellen und will sie beantwortet


Grenzboten III 1918 9


Literarische Politik
Dr. Hermann Ullmann von

as gewaltige und plötzliche Anschwellen der öffentlichen Teilnahme
an politischen Fragen hat eine besondere Sorte von „politischen"
Schriftstellern gezeitigt, die nicht gerade dazu beiträgt, die bekannter¬
maßen nicht sehr weit gediehene politische Erziehung des deutschen
Volkes zu fördern. Auf eben diesen Mangel an politischer Erziehung
und Bildung, der den deutscheu Gebildeten leider auszeichnet, baut
jener literarische Politiker, wie wir ihn nennen wollen, mit Umsicht und edlem
Gottvertrauen. Er ist selbst bisher den von ihm behandelten Dingen innerlich
ziemlich fern gewesen, hat aber selbstverständlich Beziehungen, die es leicht ermög¬
lichen, in dem Augenblick, in dem sich die öffentliche Teilnahme einem bestimmten
Gebiete zuwendet, als Sachverständiger auf diesem Gebiete aufzutreten. Freilich
gibt es immerhin auch einige wirkliche Sachkenner, mit denen man zu konkurrieren
hat. Hier aber hilft eine sehr einfache Methode. Man stellr die Meinung, die
von diesen Sachkennern ausgesprochen wird, als abgeleiert, veraltet, unfruchtbar
hin, verknüpft sie möglichst durch einige geschickte Handgriffe mit Gedanken und
Bestrebungen, die in der Tat als.rückständig gelten können, und macht sich dann
selbst eine möglichst auffällige, neuartig scheinende, geistreich und pikant zugerichtete
„Überzeugung" zurecht, ganz an der Art, in der man „Literatur" macht: willkür¬
lich, ohne Rücksicht auf organische Entwicklung, ohne ursprüngliches Gefühl, ohne
inneren Zusammenhang mit der Sache, rein aus dem Kopfe heraus und nur für
das Papier bestimmt. Derlei liest sich gut und ist einer dankbaren Aufnahme
bei dem voraussetzungslosen Leser höheren Grades, der sich gern die Welt in einer
geistreichen Beleuchtung zeigen läßt, sicher. Daß es sich in diesem einen Falle
ausnahmsweise nicht um Plaudereien über gleichgültige Dinge, über eine Mode,
daß es sich vielmehr um politische, um Lebensfragen von Volk und Staat handelt,
vergißt der Literat, den, ja alles ohne Unterschied nur Stoff für seinen „Geist",
d. h. seine Feder ist.

Zu seinen dankbarsten Gebieten gehört absonderlicherweise auch alles, was
mit Österreich-Ungarn zusammenhängt. Man weiß, wie wohlwollend und ahnungs¬
los der Durchschnittsreichsdeutsche im Schatten des Bündnisses ausruhte und wie
sehr ihm dieser Schatten die klare Erkenntnis der bündnisfeindlichen und bündnis¬
freundlichen Kräfte in der Monarchie und der von dort herauf drohenden Ge¬
fahren verdunkelte. Um so leichter war eS vor dem Kriege, den Reichsdeutschen
mit Feuilletons über Osterreich zu unterhalten. Jetzt nach vier Kriegsjahren ist
freilich derlei nicht mehr gangbar. Man will Erkenntnisse, Lösungen, Ratschläge.
Man hat alle Ursache, sorgenvolle Fragen zu stellen und will sie beantwortet


Grenzboten III 1918 9
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/117>, abgerufen am 22.07.2024.