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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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reichs, das Beamtentum, die Bauernschaft und die Arbeiterklasse, würdigt leider
aber nicht mehr die Oberschicht, ihre Fehler, ihre Tat- und Unterlassungssünden.
Der zweite Teil handelt von der Verblendung und dem Dünkel der Franzosen,
denen "im allgemeinen innere Vornehmheit und großherzige Denkweise fehlt",
vom Mißverhältnis von Absichten und Leistungsfähigkeit der leitenden Stellen
bei Kriegsbeginn, von der allgemeinen Verwirrung nach den ersten Niederlagen,
den fruchtlosen Bemühungen, dem Rade des Schicksals in die Speichen zu fallen,
der wachsenden Kopflosigkeit oben und unten, mit Unwillen vom Franktireur¬
wesen, und schließlich auch von Vorgängen aus der nächsten kopf- und ratlosem
Umgebung des Verfassers.

Gobineau hat, wie wenige Schriftsteller, die Gabe zu fesseln; wer ihn zu
lesen beginnt, liest ihn auch bis zum Schluß. Sein angeborener völkerpsycho¬
logischer Instinkt und sein durch vielfache Beobachtungen in drei Weltteilen ge¬
schärfter Blick für Wesen und Verschiedenheit der Rassen, namentlich aber auch
für Verfallserscheinungen, befähigen ihn, lief einzudringen und, auch wo er irrt,
dem Leser einen reichen Ertrag an Gedanken und Anregungen zu übermitteln.
Er ist einer der großen Anreger, die -- heil- oder unheilvoll -- lange fortwirken, von
seinen Volksgenossen z. B. Rousseau, dessen Antipode er ist, und Voltaire. Ich
möchte glauben, er wird segensreicher als beide wirken, unter deren Unglücksstern
auch unser Volk und gerade heute steht; es wäre uns zu wünschen, daß wir uns
mit dem Rassegedanken Gobineaus erfüllten und uns jenen Stolz aneigneten,
zu dem die Germanen nach ihm so sehr berechtigt sind. Indem ich mich den Worten
Schlossers, daß die Veröffentlichung der Schrift in den Tagen des großen Völker¬
ringens doppelt und dreifach am Platze ist, den Franzosen zur Mahnung, den
Deutschen zur Stärkung und Belehrung, anschließe, möchte ich ihre Lektüre
besonders denen anraten, die das Gerede und Geschreibe der Bildungsphilister,
der gelehrten Querkopfe und der Parteifanatiker nachgerade satt haben und sich nach
dem Verkehr mit vornehmen Geistern sehnen, wie Gobineau einer war, und als
den ihn sein Buch "Frankreichs Schicksale im Jahre 1870" aufs neue erweist.
*

Nach einer Schrift von Gobineau sei anschließend noch auf eine Cartellieris )
über Gobineau hingewiesen. Auch diese benutzt Ludwig Schemanns mitten im
Weltkriege vollendete Biographie, die "erste, unentbehrliche Gesamtwürdigung und
das grundlegende Werk für alle Gobineau-Forschung"; trotz aller Kürze und
Knappheit bietet sie dem deutschen Leser alles Wichtige und Notwendige, um sich
von "einem der merkwürdigsten, eigenartigsten, anziehendsten und vielseitigsten
Menschen des neunzehnten Jahrhunderts" ein Bild zu machen. Einer eindrin¬
genden Charakteristik folgt ausführlicher eine Lebensgeschichte und in ihrem Rahmen
eine Würdigung der überaus zahlreichen, zum TeU erst nach des Verfassers Tode
veröffentlichten Schriften, während ein anderer, den die Franzosen heute schwerlich
tolerieren würden, allmählich von Schemcmn auf den deutschen Büchermarkt ge¬
bracht werden soll. Gobineau geriet wie alle strebsamen Franzosen in jungen
Jahren in den Brennpunkt Frankreichs -- Paris ist Frankreich --, war auf dem
politischen und literarischen Gebiete mit erstaunlicher Fruchtbarkeit tätig, wurde
aber zu seinem Glück durch Alexis de Tocqueville der Diplomatie zugeführt, in
der er sich -- mit Unterbrechungen -- erfolgreich betätigt hat; die Orte, an denen
er als Legationssekretär, bald als Gesandter wirkte, waren Bern, Frankfurt, wo
er Bismarck bekannt wurde, Teheran (zweimal), Athen, Rio de Janeiro und
Stockholm; 1877 entließ man ihn, da "seine Stelle zur Befriedigung dringender
parlamentarischer Bedürfnisse gebraucht wurde". Kartelliert saßt seine Gesamt¬
würdigung in die Worte zusammen: "Historiker und Geschichtsphilosoph, Publizist
und Dichter, Diplomat und Reisender, Sammler und Bildhauer, droht er uns
durch die bunte Mannigfaltigkeit des Geleisteten, Erlebten, Geplauder zu verwirren.
Was er aber auch anfaßt, er gleicht sich immer im aufrichtigen Streben nach
dem Höchsten, er bleibt doch, was er von Anfang an war. Ein ehrenvoller



*) Alexander Cartellieri, "Gobineau", Straßburg 1917; Karl I. Trübner (1,20 M.).
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reichs, das Beamtentum, die Bauernschaft und die Arbeiterklasse, würdigt leider
aber nicht mehr die Oberschicht, ihre Fehler, ihre Tat- und Unterlassungssünden.
Der zweite Teil handelt von der Verblendung und dem Dünkel der Franzosen,
denen „im allgemeinen innere Vornehmheit und großherzige Denkweise fehlt",
vom Mißverhältnis von Absichten und Leistungsfähigkeit der leitenden Stellen
bei Kriegsbeginn, von der allgemeinen Verwirrung nach den ersten Niederlagen,
den fruchtlosen Bemühungen, dem Rade des Schicksals in die Speichen zu fallen,
der wachsenden Kopflosigkeit oben und unten, mit Unwillen vom Franktireur¬
wesen, und schließlich auch von Vorgängen aus der nächsten kopf- und ratlosem
Umgebung des Verfassers.

Gobineau hat, wie wenige Schriftsteller, die Gabe zu fesseln; wer ihn zu
lesen beginnt, liest ihn auch bis zum Schluß. Sein angeborener völkerpsycho¬
logischer Instinkt und sein durch vielfache Beobachtungen in drei Weltteilen ge¬
schärfter Blick für Wesen und Verschiedenheit der Rassen, namentlich aber auch
für Verfallserscheinungen, befähigen ihn, lief einzudringen und, auch wo er irrt,
dem Leser einen reichen Ertrag an Gedanken und Anregungen zu übermitteln.
Er ist einer der großen Anreger, die — heil- oder unheilvoll — lange fortwirken, von
seinen Volksgenossen z. B. Rousseau, dessen Antipode er ist, und Voltaire. Ich
möchte glauben, er wird segensreicher als beide wirken, unter deren Unglücksstern
auch unser Volk und gerade heute steht; es wäre uns zu wünschen, daß wir uns
mit dem Rassegedanken Gobineaus erfüllten und uns jenen Stolz aneigneten,
zu dem die Germanen nach ihm so sehr berechtigt sind. Indem ich mich den Worten
Schlossers, daß die Veröffentlichung der Schrift in den Tagen des großen Völker¬
ringens doppelt und dreifach am Platze ist, den Franzosen zur Mahnung, den
Deutschen zur Stärkung und Belehrung, anschließe, möchte ich ihre Lektüre
besonders denen anraten, die das Gerede und Geschreibe der Bildungsphilister,
der gelehrten Querkopfe und der Parteifanatiker nachgerade satt haben und sich nach
dem Verkehr mit vornehmen Geistern sehnen, wie Gobineau einer war, und als
den ihn sein Buch „Frankreichs Schicksale im Jahre 1870" aufs neue erweist.
*

Nach einer Schrift von Gobineau sei anschließend noch auf eine Cartellieris )
über Gobineau hingewiesen. Auch diese benutzt Ludwig Schemanns mitten im
Weltkriege vollendete Biographie, die „erste, unentbehrliche Gesamtwürdigung und
das grundlegende Werk für alle Gobineau-Forschung"; trotz aller Kürze und
Knappheit bietet sie dem deutschen Leser alles Wichtige und Notwendige, um sich
von „einem der merkwürdigsten, eigenartigsten, anziehendsten und vielseitigsten
Menschen des neunzehnten Jahrhunderts" ein Bild zu machen. Einer eindrin¬
genden Charakteristik folgt ausführlicher eine Lebensgeschichte und in ihrem Rahmen
eine Würdigung der überaus zahlreichen, zum TeU erst nach des Verfassers Tode
veröffentlichten Schriften, während ein anderer, den die Franzosen heute schwerlich
tolerieren würden, allmählich von Schemcmn auf den deutschen Büchermarkt ge¬
bracht werden soll. Gobineau geriet wie alle strebsamen Franzosen in jungen
Jahren in den Brennpunkt Frankreichs — Paris ist Frankreich —, war auf dem
politischen und literarischen Gebiete mit erstaunlicher Fruchtbarkeit tätig, wurde
aber zu seinem Glück durch Alexis de Tocqueville der Diplomatie zugeführt, in
der er sich — mit Unterbrechungen — erfolgreich betätigt hat; die Orte, an denen
er als Legationssekretär, bald als Gesandter wirkte, waren Bern, Frankfurt, wo
er Bismarck bekannt wurde, Teheran (zweimal), Athen, Rio de Janeiro und
Stockholm; 1877 entließ man ihn, da „seine Stelle zur Befriedigung dringender
parlamentarischer Bedürfnisse gebraucht wurde". Kartelliert saßt seine Gesamt¬
würdigung in die Worte zusammen: „Historiker und Geschichtsphilosoph, Publizist
und Dichter, Diplomat und Reisender, Sammler und Bildhauer, droht er uns
durch die bunte Mannigfaltigkeit des Geleisteten, Erlebten, Geplauder zu verwirren.
Was er aber auch anfaßt, er gleicht sich immer im aufrichtigen Streben nach
dem Höchsten, er bleibt doch, was er von Anfang an war. Ein ehrenvoller



*) Alexander Cartellieri, „Gobineau", Straßburg 1917; Karl I. Trübner (1,20 M.).
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[0114] Neue Bücher reichs, das Beamtentum, die Bauernschaft und die Arbeiterklasse, würdigt leider aber nicht mehr die Oberschicht, ihre Fehler, ihre Tat- und Unterlassungssünden. Der zweite Teil handelt von der Verblendung und dem Dünkel der Franzosen, denen „im allgemeinen innere Vornehmheit und großherzige Denkweise fehlt", vom Mißverhältnis von Absichten und Leistungsfähigkeit der leitenden Stellen bei Kriegsbeginn, von der allgemeinen Verwirrung nach den ersten Niederlagen, den fruchtlosen Bemühungen, dem Rade des Schicksals in die Speichen zu fallen, der wachsenden Kopflosigkeit oben und unten, mit Unwillen vom Franktireur¬ wesen, und schließlich auch von Vorgängen aus der nächsten kopf- und ratlosem Umgebung des Verfassers. Gobineau hat, wie wenige Schriftsteller, die Gabe zu fesseln; wer ihn zu lesen beginnt, liest ihn auch bis zum Schluß. Sein angeborener völkerpsycho¬ logischer Instinkt und sein durch vielfache Beobachtungen in drei Weltteilen ge¬ schärfter Blick für Wesen und Verschiedenheit der Rassen, namentlich aber auch für Verfallserscheinungen, befähigen ihn, lief einzudringen und, auch wo er irrt, dem Leser einen reichen Ertrag an Gedanken und Anregungen zu übermitteln. Er ist einer der großen Anreger, die — heil- oder unheilvoll — lange fortwirken, von seinen Volksgenossen z. B. Rousseau, dessen Antipode er ist, und Voltaire. Ich möchte glauben, er wird segensreicher als beide wirken, unter deren Unglücksstern auch unser Volk und gerade heute steht; es wäre uns zu wünschen, daß wir uns mit dem Rassegedanken Gobineaus erfüllten und uns jenen Stolz aneigneten, zu dem die Germanen nach ihm so sehr berechtigt sind. Indem ich mich den Worten Schlossers, daß die Veröffentlichung der Schrift in den Tagen des großen Völker¬ ringens doppelt und dreifach am Platze ist, den Franzosen zur Mahnung, den Deutschen zur Stärkung und Belehrung, anschließe, möchte ich ihre Lektüre besonders denen anraten, die das Gerede und Geschreibe der Bildungsphilister, der gelehrten Querkopfe und der Parteifanatiker nachgerade satt haben und sich nach dem Verkehr mit vornehmen Geistern sehnen, wie Gobineau einer war, und als den ihn sein Buch „Frankreichs Schicksale im Jahre 1870" aufs neue erweist. * Nach einer Schrift von Gobineau sei anschließend noch auf eine Cartellieris ) über Gobineau hingewiesen. Auch diese benutzt Ludwig Schemanns mitten im Weltkriege vollendete Biographie, die „erste, unentbehrliche Gesamtwürdigung und das grundlegende Werk für alle Gobineau-Forschung"; trotz aller Kürze und Knappheit bietet sie dem deutschen Leser alles Wichtige und Notwendige, um sich von „einem der merkwürdigsten, eigenartigsten, anziehendsten und vielseitigsten Menschen des neunzehnten Jahrhunderts" ein Bild zu machen. Einer eindrin¬ genden Charakteristik folgt ausführlicher eine Lebensgeschichte und in ihrem Rahmen eine Würdigung der überaus zahlreichen, zum TeU erst nach des Verfassers Tode veröffentlichten Schriften, während ein anderer, den die Franzosen heute schwerlich tolerieren würden, allmählich von Schemcmn auf den deutschen Büchermarkt ge¬ bracht werden soll. Gobineau geriet wie alle strebsamen Franzosen in jungen Jahren in den Brennpunkt Frankreichs — Paris ist Frankreich —, war auf dem politischen und literarischen Gebiete mit erstaunlicher Fruchtbarkeit tätig, wurde aber zu seinem Glück durch Alexis de Tocqueville der Diplomatie zugeführt, in der er sich — mit Unterbrechungen — erfolgreich betätigt hat; die Orte, an denen er als Legationssekretär, bald als Gesandter wirkte, waren Bern, Frankfurt, wo er Bismarck bekannt wurde, Teheran (zweimal), Athen, Rio de Janeiro und Stockholm; 1877 entließ man ihn, da „seine Stelle zur Befriedigung dringender parlamentarischer Bedürfnisse gebraucht wurde". Kartelliert saßt seine Gesamt¬ würdigung in die Worte zusammen: „Historiker und Geschichtsphilosoph, Publizist und Dichter, Diplomat und Reisender, Sammler und Bildhauer, droht er uns durch die bunte Mannigfaltigkeit des Geleisteten, Erlebten, Geplauder zu verwirren. Was er aber auch anfaßt, er gleicht sich immer im aufrichtigen Streben nach dem Höchsten, er bleibt doch, was er von Anfang an war. Ein ehrenvoller *) Alexander Cartellieri, „Gobineau", Straßburg 1917; Karl I. Trübner (1,20 M.).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/114>, abgerufen am 22.07.2024.