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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Parallelen äußerer und innerer Politik

Wir wollen gern zugeben, daß man umgekehrt an einen günstigen Fortschritt der
militärischen Aktionen auch ganz bestimmte innerpolitische Hoffnungen knüpfte, die
jene Entrüsteten ohne weiteres als Reaktion verschreien. Sei's darum, dann aber
Gerechtigkeit auf beiden Seiten, meine Herren I

Vor einigen Wochen schrieb ein Spanier daheim: "Uns scheint es, daß die,
die die Stimme am lautesten nach dem parlamentarischen Regime erheben, unter
dem Einflusz einer augenblicklichen Suggestion, die von außen aus den feindlichen
Ländern gekommen ist, handeln.....Aber .. der größte Teil derer, die eine
vollkommene Demokratisierung und als deren Garantie das parlamentarische
Regime verlangen, scheint nicht sehr überzeugt zu sein von der Notwendigkeit des
Verlangten. .. . Und das daher, weil alle Deutschen im Grunde darüber einig
sind, daß die Regierungsform, die sie aufwärts führte und während der Friedens¬
zeit groß und für den Krieg unbesiegbar machte, gut ist und gut bleiben wird,
solange sich nicht das Gegenteil ausweist. Es steht fest, daß von dem Ausgange
dieses Krieges zum großen Teil der Kurs abhängen muß, den die neuen politischen
Tendenzen in Deutschland einschlagen werden."

. Wir sind hinsichtlich der Anhänger parlamentarischer Regierungsweise bei
uns nicht so optimistisch wie der neutrale Beobachter, aber das eine ist sicher, in
Zeiten gesteigerten Kraftgefühls erliegt der Organismus von außen kommenden
Suggestionen schwerer, und (mit Rathenau zu reden) "das stärkste Argument für
das Bestehende ist der Erfolg."

So wirken die Ereignisse der äußeren auf die innere Front. Die Resolution
vom 19. Juli ist heute für viele, die sie einst unterschrieben, nur noch ein "Liniikon
6e papier"; als "innerpolitisches Jnteressengeschäft", wie der Außenseiter Martin
Spahn die Reichstagsmehrheit nennt, floriert sie noch, trotzdem von je auch hier
"Schattierungen" unter den Teilhabern bestehen. Wir haben das an dieser
Stelle wiederholt bemerkt und erinnern diesmal nur an die jüngsten Ausführungen
der "Germania" (Ur. 161) über das parlamentarische Enqueterecht (anläßlich des
Falles Lichnowsky), deren schroff abweisender Ton in der Jerusalemer- und
Lindenstraße wenig Entzücken erregt haben wird.

Die Haltung des Blattes ist, nebenbei gesagt, merkwürdig genug, da die
Erzbergersche Richtung des Zentrums (und deren Sprachrohr ist und bleibt die
"Germania") bewußt auf eine Machtvermehrung des Parlaments hinarbeitet und
in diesem Sinne soeben (Ur. 169) empfindlich das Polen-Rendezvous der Reichs¬
tagsmehrheit gegenüber dem Landwirtschaftsminister von Eisenbart-Rothe verteidigt.

In der nun wieder auf der Tagesordnung stehenden Frage der Wahlreform
dürfte das Zentrum noch eine Rolle spielen, die man für gewöhnlich neben den
nationalliberalen (und sreikonservativen) Akteuren übersieht, weil sich ihr Vertreter
zunächst im Hintergrunde der Ereignisse hält. Schon das Verhältnis zwischen
Partei und Landtagsfraktion war hier ein anderes als bei den Nationalliberalen.
Erstere vermied sichtlich jedes Hineinreden, weil "die Entscheidung und Verant¬
wortung für die preußische Wahlreform lediglich bei den preußischen gesetzgebenden
Faktoren liege" (Abg. Trimborn im Reichstage). Diese preußischen Kommissions-
mitglieder nun ihrerseits waren in der taktisch günstigen Lage, sich nicht für oder
gegen das gleiche Wahlrecht formell festlegen zu brauchen, da ja in der ersten
Lesung nur über den konservativen Pluralantrag abgestimmt worden ist (worauf
wir bereits am 1. März hinwiesen). Bei der zweiten Lesung ist ja die Partei
insofern aus dem ungewissen Dunkel ihrer Haltung herausgetreten, als sie sich
für Wiederherstellung des Z 3 in der Fassung der Regierungsvorlage entschieden'
hat. Damit dürfte aber noch keineswegs ein bindendes Prözedens für die Plenar-
debaite geschaffen sein. Da und solange es feststeht, daß der Widerspruch eines
Teiles der Nationalliberalen genügt, das gleiche Wahlrecht' zu Fall zu bringen,
kann sich das Zentrum den Luxus "populärer" Abstimmung leisten, hat doch die
Partei als solche von dem Glänze die angenehmsten Vorteile. Ob das allerdings
so bleibt, wenn die Majorität gegen die Regierungsvorlage zweifelhaft wird,
möchten wir ohne prophezeien zu wollen, dahingestellt sein lassen. Tatsache ist


Parallelen äußerer und innerer Politik

Wir wollen gern zugeben, daß man umgekehrt an einen günstigen Fortschritt der
militärischen Aktionen auch ganz bestimmte innerpolitische Hoffnungen knüpfte, die
jene Entrüsteten ohne weiteres als Reaktion verschreien. Sei's darum, dann aber
Gerechtigkeit auf beiden Seiten, meine Herren I

Vor einigen Wochen schrieb ein Spanier daheim: „Uns scheint es, daß die,
die die Stimme am lautesten nach dem parlamentarischen Regime erheben, unter
dem Einflusz einer augenblicklichen Suggestion, die von außen aus den feindlichen
Ländern gekommen ist, handeln.....Aber .. der größte Teil derer, die eine
vollkommene Demokratisierung und als deren Garantie das parlamentarische
Regime verlangen, scheint nicht sehr überzeugt zu sein von der Notwendigkeit des
Verlangten. .. . Und das daher, weil alle Deutschen im Grunde darüber einig
sind, daß die Regierungsform, die sie aufwärts führte und während der Friedens¬
zeit groß und für den Krieg unbesiegbar machte, gut ist und gut bleiben wird,
solange sich nicht das Gegenteil ausweist. Es steht fest, daß von dem Ausgange
dieses Krieges zum großen Teil der Kurs abhängen muß, den die neuen politischen
Tendenzen in Deutschland einschlagen werden."

. Wir sind hinsichtlich der Anhänger parlamentarischer Regierungsweise bei
uns nicht so optimistisch wie der neutrale Beobachter, aber das eine ist sicher, in
Zeiten gesteigerten Kraftgefühls erliegt der Organismus von außen kommenden
Suggestionen schwerer, und (mit Rathenau zu reden) „das stärkste Argument für
das Bestehende ist der Erfolg."

So wirken die Ereignisse der äußeren auf die innere Front. Die Resolution
vom 19. Juli ist heute für viele, die sie einst unterschrieben, nur noch ein „Liniikon
6e papier"; als „innerpolitisches Jnteressengeschäft", wie der Außenseiter Martin
Spahn die Reichstagsmehrheit nennt, floriert sie noch, trotzdem von je auch hier
„Schattierungen" unter den Teilhabern bestehen. Wir haben das an dieser
Stelle wiederholt bemerkt und erinnern diesmal nur an die jüngsten Ausführungen
der „Germania" (Ur. 161) über das parlamentarische Enqueterecht (anläßlich des
Falles Lichnowsky), deren schroff abweisender Ton in der Jerusalemer- und
Lindenstraße wenig Entzücken erregt haben wird.

Die Haltung des Blattes ist, nebenbei gesagt, merkwürdig genug, da die
Erzbergersche Richtung des Zentrums (und deren Sprachrohr ist und bleibt die
„Germania") bewußt auf eine Machtvermehrung des Parlaments hinarbeitet und
in diesem Sinne soeben (Ur. 169) empfindlich das Polen-Rendezvous der Reichs¬
tagsmehrheit gegenüber dem Landwirtschaftsminister von Eisenbart-Rothe verteidigt.

In der nun wieder auf der Tagesordnung stehenden Frage der Wahlreform
dürfte das Zentrum noch eine Rolle spielen, die man für gewöhnlich neben den
nationalliberalen (und sreikonservativen) Akteuren übersieht, weil sich ihr Vertreter
zunächst im Hintergrunde der Ereignisse hält. Schon das Verhältnis zwischen
Partei und Landtagsfraktion war hier ein anderes als bei den Nationalliberalen.
Erstere vermied sichtlich jedes Hineinreden, weil „die Entscheidung und Verant¬
wortung für die preußische Wahlreform lediglich bei den preußischen gesetzgebenden
Faktoren liege" (Abg. Trimborn im Reichstage). Diese preußischen Kommissions-
mitglieder nun ihrerseits waren in der taktisch günstigen Lage, sich nicht für oder
gegen das gleiche Wahlrecht formell festlegen zu brauchen, da ja in der ersten
Lesung nur über den konservativen Pluralantrag abgestimmt worden ist (worauf
wir bereits am 1. März hinwiesen). Bei der zweiten Lesung ist ja die Partei
insofern aus dem ungewissen Dunkel ihrer Haltung herausgetreten, als sie sich
für Wiederherstellung des Z 3 in der Fassung der Regierungsvorlage entschieden'
hat. Damit dürfte aber noch keineswegs ein bindendes Prözedens für die Plenar-
debaite geschaffen sein. Da und solange es feststeht, daß der Widerspruch eines
Teiles der Nationalliberalen genügt, das gleiche Wahlrecht' zu Fall zu bringen,
kann sich das Zentrum den Luxus „populärer" Abstimmung leisten, hat doch die
Partei als solche von dem Glänze die angenehmsten Vorteile. Ob das allerdings
so bleibt, wenn die Majorität gegen die Regierungsvorlage zweifelhaft wird,
möchten wir ohne prophezeien zu wollen, dahingestellt sein lassen. Tatsache ist


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[0090] Parallelen äußerer und innerer Politik Wir wollen gern zugeben, daß man umgekehrt an einen günstigen Fortschritt der militärischen Aktionen auch ganz bestimmte innerpolitische Hoffnungen knüpfte, die jene Entrüsteten ohne weiteres als Reaktion verschreien. Sei's darum, dann aber Gerechtigkeit auf beiden Seiten, meine Herren I Vor einigen Wochen schrieb ein Spanier daheim: „Uns scheint es, daß die, die die Stimme am lautesten nach dem parlamentarischen Regime erheben, unter dem Einflusz einer augenblicklichen Suggestion, die von außen aus den feindlichen Ländern gekommen ist, handeln.....Aber .. der größte Teil derer, die eine vollkommene Demokratisierung und als deren Garantie das parlamentarische Regime verlangen, scheint nicht sehr überzeugt zu sein von der Notwendigkeit des Verlangten. .. . Und das daher, weil alle Deutschen im Grunde darüber einig sind, daß die Regierungsform, die sie aufwärts führte und während der Friedens¬ zeit groß und für den Krieg unbesiegbar machte, gut ist und gut bleiben wird, solange sich nicht das Gegenteil ausweist. Es steht fest, daß von dem Ausgange dieses Krieges zum großen Teil der Kurs abhängen muß, den die neuen politischen Tendenzen in Deutschland einschlagen werden." . Wir sind hinsichtlich der Anhänger parlamentarischer Regierungsweise bei uns nicht so optimistisch wie der neutrale Beobachter, aber das eine ist sicher, in Zeiten gesteigerten Kraftgefühls erliegt der Organismus von außen kommenden Suggestionen schwerer, und (mit Rathenau zu reden) „das stärkste Argument für das Bestehende ist der Erfolg." So wirken die Ereignisse der äußeren auf die innere Front. Die Resolution vom 19. Juli ist heute für viele, die sie einst unterschrieben, nur noch ein „Liniikon 6e papier"; als „innerpolitisches Jnteressengeschäft", wie der Außenseiter Martin Spahn die Reichstagsmehrheit nennt, floriert sie noch, trotzdem von je auch hier „Schattierungen" unter den Teilhabern bestehen. Wir haben das an dieser Stelle wiederholt bemerkt und erinnern diesmal nur an die jüngsten Ausführungen der „Germania" (Ur. 161) über das parlamentarische Enqueterecht (anläßlich des Falles Lichnowsky), deren schroff abweisender Ton in der Jerusalemer- und Lindenstraße wenig Entzücken erregt haben wird. Die Haltung des Blattes ist, nebenbei gesagt, merkwürdig genug, da die Erzbergersche Richtung des Zentrums (und deren Sprachrohr ist und bleibt die „Germania") bewußt auf eine Machtvermehrung des Parlaments hinarbeitet und in diesem Sinne soeben (Ur. 169) empfindlich das Polen-Rendezvous der Reichs¬ tagsmehrheit gegenüber dem Landwirtschaftsminister von Eisenbart-Rothe verteidigt. In der nun wieder auf der Tagesordnung stehenden Frage der Wahlreform dürfte das Zentrum noch eine Rolle spielen, die man für gewöhnlich neben den nationalliberalen (und sreikonservativen) Akteuren übersieht, weil sich ihr Vertreter zunächst im Hintergrunde der Ereignisse hält. Schon das Verhältnis zwischen Partei und Landtagsfraktion war hier ein anderes als bei den Nationalliberalen. Erstere vermied sichtlich jedes Hineinreden, weil „die Entscheidung und Verant¬ wortung für die preußische Wahlreform lediglich bei den preußischen gesetzgebenden Faktoren liege" (Abg. Trimborn im Reichstage). Diese preußischen Kommissions- mitglieder nun ihrerseits waren in der taktisch günstigen Lage, sich nicht für oder gegen das gleiche Wahlrecht formell festlegen zu brauchen, da ja in der ersten Lesung nur über den konservativen Pluralantrag abgestimmt worden ist (worauf wir bereits am 1. März hinwiesen). Bei der zweiten Lesung ist ja die Partei insofern aus dem ungewissen Dunkel ihrer Haltung herausgetreten, als sie sich für Wiederherstellung des Z 3 in der Fassung der Regierungsvorlage entschieden' hat. Damit dürfte aber noch keineswegs ein bindendes Prözedens für die Plenar- debaite geschaffen sein. Da und solange es feststeht, daß der Widerspruch eines Teiles der Nationalliberalen genügt, das gleiche Wahlrecht' zu Fall zu bringen, kann sich das Zentrum den Luxus „populärer" Abstimmung leisten, hat doch die Partei als solche von dem Glänze die angenehmsten Vorteile. Ob das allerdings so bleibt, wenn die Majorität gegen die Regierungsvorlage zweifelhaft wird, möchten wir ohne prophezeien zu wollen, dahingestellt sein lassen. Tatsache ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/90>, abgerufen am 22.07.2024.