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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Randglossen zum Tage

An den Herausgeber

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^ aben Sie, sehr geehrter Herr, einen Onkel in der Landwirtschaft,
oder einen Vetter in der Etappe, da, wo sie nahrhaft ist? Dann
schicken Sie ihnen einen Kalender, auf daß sie daran denken, daß
die Sonne jeden Tag ein bißchen höher steigt und unter ihrem
wärmeren Strahl bald die eingepackte Butter schmelzen und der
sorgfältig unkenntlich gemachte Schinken belebt wird. Das ist jetzt
einer der schmerzlichen Unterschiede der Zeit: was die Großstadt an Genüssen
versendet, die politischen Betrachtungen der führenden Besserwisser, die geistreichen
Verse und Melodien der neuesten Operette, halten sich, bis sie in Posemuckel an>
kommen, was uns Posemuckel schickt, müssen wir mit Wacksender Sorge erwarten.
Nie war Berlin so klein, so schüchtern, so bittend-zaghaft, nie Posemuckel so macht¬
voll. In Berlin wird uns täglich das Bibelwort neu: Es ging ein Mann hinab
gen Jericho und er fiel unter die Räuber. Es gibt nichts Ergreifenderes, als die
Opserlammshaltung, in der wir uns täglich scheren lassen. Nichts tindlichreineres
-- mit verschwiegenen und verborgenen Ausnahmen natürlich -- als das Berlin,
das sozusagen keinen Alkohol mehr genießt, das nicht mehr tanzt und Sumpfe, das
brav im Theater oder Kino sitzt, gesittet sein Kriegsbierwasser trinkt, früh zu Bett
geht und von dessen Weltstadt-Lasteratmosphäre kein Hauch mehr zu spüren ist.
Wir sind ganz Geist geworden, ganz Seele, vom Materiellen unbeschwert. Wir
lesen in der Zeitung, daß Bayern bald noch besseres Bier haben wird, als es sich
bisher hat erhalten können, und wir lächeln sanft. Wir sind so gut geworden,
daß wir den süddeutschen Brüdern gönnen, was wir selbst nicht haben können.
Von Zeit zu Zeit bringt uns jemand eine Speisekarte aus Bayern mit. Wir
lesen sie mit dein Gesichtsausdruck, mit dem wir als Kinder Bechsteins Märchen
lasen und sagen: Wie schön ist das! An höheren Festtagen kaufen wir uns eine
Flasche Kratzbürster Schattenseite für sieben Mark und schlürfen andachtsvoll
jeden Tropfen. Noch nach dem Kriege wird man überall den Berliner am asketischen
Gesichtsausdruck erkennen, an der Schüchternheit beim Einkauf und an
der Fähigkeit, alles, aber auch alles zu essen und zu trinken. So finden uns die
ersten Tage dieses Frühlings der militärischen Ereignisse und der politischen Er-
eignislosigkeit als lyrisch, vegetarisch-abstinente Menschen von ätherischer Schlank¬
heit, imstande, wie kein Geschlecht vorher, zu entsagen und regiert zu werden.
Die Geübteren unter uns verstehen es, mit einem Stück Brot und einem Zeitungs¬
artikel über die Vorräte in der Ukraine so froh zu schwelgen, wie früher an einem
Graüsbuffet. Könnte man die Berliner zusammen auf eine Wage setzen, so würde
ein Gewichtsverlust herauskommen, der ungefähr den Mond aufwiegt. Wenn
eine Frau ihren Mann vor zwei Jahren nicht ausstehn konnte, hat sie heute die
Freude, dreißig Pfund weniger ertragen zu müssen. Wer unter seiner Schwieger¬
mutter gelitten hat und ihre Gewichtsabnahme feststellt, sieht sein Leiden um
durchschnittlich ein Drittel vermindert. Soviel Einbrüche auch verübt werden,
"Schwere Jungen" gibt's nicht mehr und die anständigste Frau ist heute eine
leichte Person. Das alles ist mit natürlichen Dingen zugegangen, aber die innere
Einstellung auf einen Zustand, den vor drei Jahren niemand für erträglich gehalten
hätte, ist das heitere Wunder der Zeit, und die alte Regel, daß man dem Hund
den Schwanz stückweise abhacken soll, gilt, wie wir erlebt haben, auch für Entbehrungen
und Wucher. Nach und nach lernt sich das Verzichten und das sich ausplündern
lassen, so daß es sich unter ruhiger Heiterkeit aller Beteiligten abspielt.
Das Lehrreiche des Zustandes, für den Berlin Symbol und Gipfel zugleich ist, ist
die Tatsache, daß sich in völliger Ordnung und bei gänzlich ungestörtem Ablauf
des öffentlichen Lebens und des Durchhaltens der Zustand der völligen Umkehrung
des wirtschaftlichen Lebens und des Versagens der Volkswirtschaftspolitik, --
soweit sie nicht die Versorgung mit einigen wenigen Haupt-Nahrungsmitteln
betrifft, -- herausgebildet hat.


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An den Herausgeber

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^ aben Sie, sehr geehrter Herr, einen Onkel in der Landwirtschaft,
oder einen Vetter in der Etappe, da, wo sie nahrhaft ist? Dann
schicken Sie ihnen einen Kalender, auf daß sie daran denken, daß
die Sonne jeden Tag ein bißchen höher steigt und unter ihrem
wärmeren Strahl bald die eingepackte Butter schmelzen und der
sorgfältig unkenntlich gemachte Schinken belebt wird. Das ist jetzt
einer der schmerzlichen Unterschiede der Zeit: was die Großstadt an Genüssen
versendet, die politischen Betrachtungen der führenden Besserwisser, die geistreichen
Verse und Melodien der neuesten Operette, halten sich, bis sie in Posemuckel an>
kommen, was uns Posemuckel schickt, müssen wir mit Wacksender Sorge erwarten.
Nie war Berlin so klein, so schüchtern, so bittend-zaghaft, nie Posemuckel so macht¬
voll. In Berlin wird uns täglich das Bibelwort neu: Es ging ein Mann hinab
gen Jericho und er fiel unter die Räuber. Es gibt nichts Ergreifenderes, als die
Opserlammshaltung, in der wir uns täglich scheren lassen. Nichts tindlichreineres
— mit verschwiegenen und verborgenen Ausnahmen natürlich — als das Berlin,
das sozusagen keinen Alkohol mehr genießt, das nicht mehr tanzt und Sumpfe, das
brav im Theater oder Kino sitzt, gesittet sein Kriegsbierwasser trinkt, früh zu Bett
geht und von dessen Weltstadt-Lasteratmosphäre kein Hauch mehr zu spüren ist.
Wir sind ganz Geist geworden, ganz Seele, vom Materiellen unbeschwert. Wir
lesen in der Zeitung, daß Bayern bald noch besseres Bier haben wird, als es sich
bisher hat erhalten können, und wir lächeln sanft. Wir sind so gut geworden,
daß wir den süddeutschen Brüdern gönnen, was wir selbst nicht haben können.
Von Zeit zu Zeit bringt uns jemand eine Speisekarte aus Bayern mit. Wir
lesen sie mit dein Gesichtsausdruck, mit dem wir als Kinder Bechsteins Märchen
lasen und sagen: Wie schön ist das! An höheren Festtagen kaufen wir uns eine
Flasche Kratzbürster Schattenseite für sieben Mark und schlürfen andachtsvoll
jeden Tropfen. Noch nach dem Kriege wird man überall den Berliner am asketischen
Gesichtsausdruck erkennen, an der Schüchternheit beim Einkauf und an
der Fähigkeit, alles, aber auch alles zu essen und zu trinken. So finden uns die
ersten Tage dieses Frühlings der militärischen Ereignisse und der politischen Er-
eignislosigkeit als lyrisch, vegetarisch-abstinente Menschen von ätherischer Schlank¬
heit, imstande, wie kein Geschlecht vorher, zu entsagen und regiert zu werden.
Die Geübteren unter uns verstehen es, mit einem Stück Brot und einem Zeitungs¬
artikel über die Vorräte in der Ukraine so froh zu schwelgen, wie früher an einem
Graüsbuffet. Könnte man die Berliner zusammen auf eine Wage setzen, so würde
ein Gewichtsverlust herauskommen, der ungefähr den Mond aufwiegt. Wenn
eine Frau ihren Mann vor zwei Jahren nicht ausstehn konnte, hat sie heute die
Freude, dreißig Pfund weniger ertragen zu müssen. Wer unter seiner Schwieger¬
mutter gelitten hat und ihre Gewichtsabnahme feststellt, sieht sein Leiden um
durchschnittlich ein Drittel vermindert. Soviel Einbrüche auch verübt werden,
„Schwere Jungen" gibt's nicht mehr und die anständigste Frau ist heute eine
leichte Person. Das alles ist mit natürlichen Dingen zugegangen, aber die innere
Einstellung auf einen Zustand, den vor drei Jahren niemand für erträglich gehalten
hätte, ist das heitere Wunder der Zeit, und die alte Regel, daß man dem Hund
den Schwanz stückweise abhacken soll, gilt, wie wir erlebt haben, auch für Entbehrungen
und Wucher. Nach und nach lernt sich das Verzichten und das sich ausplündern
lassen, so daß es sich unter ruhiger Heiterkeit aller Beteiligten abspielt.
Das Lehrreiche des Zustandes, für den Berlin Symbol und Gipfel zugleich ist, ist
die Tatsache, daß sich in völliger Ordnung und bei gänzlich ungestörtem Ablauf
des öffentlichen Lebens und des Durchhaltens der Zustand der völligen Umkehrung
des wirtschaftlichen Lebens und des Versagens der Volkswirtschaftspolitik, —
soweit sie nicht die Versorgung mit einigen wenigen Haupt-Nahrungsmitteln
betrifft, — herausgebildet hat.


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[0059] Randglossen zum Tage H HGNWMK M'^> MsZ vT'-' ^7 V^M X ' -'»ÄjW^'..'-><6<^5v-^-,>'«-'^H>>x -'X- !K- 'H. -)MMsv5MW^^v^ÄA^^!M,M X '"W^ ' .^. ' ^^MH . - ,""K.dzzsö««5,)Lus tGGS«Vo»PDt» VA>M neu SAN Delfin Hdeus« G«»be«t ^---s. ^ H?>> --"5- ^ 1^ ^ ' ^S^.«'-^' >^-"- ^ s^.H^ ' . ' '."-^^ > .".-> - > ^- - -'' - ^ ' '--'^ '-^^ > ^ ^M«^> > Randglossen zum Tage An den Herausgeber > ^ aben Sie, sehr geehrter Herr, einen Onkel in der Landwirtschaft, oder einen Vetter in der Etappe, da, wo sie nahrhaft ist? Dann schicken Sie ihnen einen Kalender, auf daß sie daran denken, daß die Sonne jeden Tag ein bißchen höher steigt und unter ihrem wärmeren Strahl bald die eingepackte Butter schmelzen und der sorgfältig unkenntlich gemachte Schinken belebt wird. Das ist jetzt einer der schmerzlichen Unterschiede der Zeit: was die Großstadt an Genüssen versendet, die politischen Betrachtungen der führenden Besserwisser, die geistreichen Verse und Melodien der neuesten Operette, halten sich, bis sie in Posemuckel an> kommen, was uns Posemuckel schickt, müssen wir mit Wacksender Sorge erwarten. Nie war Berlin so klein, so schüchtern, so bittend-zaghaft, nie Posemuckel so macht¬ voll. In Berlin wird uns täglich das Bibelwort neu: Es ging ein Mann hinab gen Jericho und er fiel unter die Räuber. Es gibt nichts Ergreifenderes, als die Opserlammshaltung, in der wir uns täglich scheren lassen. Nichts tindlichreineres — mit verschwiegenen und verborgenen Ausnahmen natürlich — als das Berlin, das sozusagen keinen Alkohol mehr genießt, das nicht mehr tanzt und Sumpfe, das brav im Theater oder Kino sitzt, gesittet sein Kriegsbierwasser trinkt, früh zu Bett geht und von dessen Weltstadt-Lasteratmosphäre kein Hauch mehr zu spüren ist. Wir sind ganz Geist geworden, ganz Seele, vom Materiellen unbeschwert. Wir lesen in der Zeitung, daß Bayern bald noch besseres Bier haben wird, als es sich bisher hat erhalten können, und wir lächeln sanft. Wir sind so gut geworden, daß wir den süddeutschen Brüdern gönnen, was wir selbst nicht haben können. Von Zeit zu Zeit bringt uns jemand eine Speisekarte aus Bayern mit. Wir lesen sie mit dein Gesichtsausdruck, mit dem wir als Kinder Bechsteins Märchen lasen und sagen: Wie schön ist das! An höheren Festtagen kaufen wir uns eine Flasche Kratzbürster Schattenseite für sieben Mark und schlürfen andachtsvoll jeden Tropfen. Noch nach dem Kriege wird man überall den Berliner am asketischen Gesichtsausdruck erkennen, an der Schüchternheit beim Einkauf und an der Fähigkeit, alles, aber auch alles zu essen und zu trinken. So finden uns die ersten Tage dieses Frühlings der militärischen Ereignisse und der politischen Er- eignislosigkeit als lyrisch, vegetarisch-abstinente Menschen von ätherischer Schlank¬ heit, imstande, wie kein Geschlecht vorher, zu entsagen und regiert zu werden. Die Geübteren unter uns verstehen es, mit einem Stück Brot und einem Zeitungs¬ artikel über die Vorräte in der Ukraine so froh zu schwelgen, wie früher an einem Graüsbuffet. Könnte man die Berliner zusammen auf eine Wage setzen, so würde ein Gewichtsverlust herauskommen, der ungefähr den Mond aufwiegt. Wenn eine Frau ihren Mann vor zwei Jahren nicht ausstehn konnte, hat sie heute die Freude, dreißig Pfund weniger ertragen zu müssen. Wer unter seiner Schwieger¬ mutter gelitten hat und ihre Gewichtsabnahme feststellt, sieht sein Leiden um durchschnittlich ein Drittel vermindert. Soviel Einbrüche auch verübt werden, „Schwere Jungen" gibt's nicht mehr und die anständigste Frau ist heute eine leichte Person. Das alles ist mit natürlichen Dingen zugegangen, aber die innere Einstellung auf einen Zustand, den vor drei Jahren niemand für erträglich gehalten hätte, ist das heitere Wunder der Zeit, und die alte Regel, daß man dem Hund den Schwanz stückweise abhacken soll, gilt, wie wir erlebt haben, auch für Entbehrungen und Wucher. Nach und nach lernt sich das Verzichten und das sich ausplündern lassen, so daß es sich unter ruhiger Heiterkeit aller Beteiligten abspielt. Das Lehrreiche des Zustandes, für den Berlin Symbol und Gipfel zugleich ist, ist die Tatsache, daß sich in völliger Ordnung und bei gänzlich ungestörtem Ablauf des öffentlichen Lebens und des Durchhaltens der Zustand der völligen Umkehrung des wirtschaftlichen Lebens und des Versagens der Volkswirtschaftspolitik, — soweit sie nicht die Versorgung mit einigen wenigen Haupt-Nahrungsmitteln betrifft, — herausgebildet hat.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/59>, abgerufen am 27.08.2024.