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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die französische Frau bei Beginn 5er Revolution

Freunde und oft nicht ohne Glück; so wurde das Schicksal vieler dieser gefallenen
Größen erträglicher gestaltet. Und auch in einem anderen Punkte zeigten sich
die Pariserinnen dieser Tage echt feminin: sie hatten oft nur Blicke für die in
Uniform prangenden Milizsoldaten und trugen, ihrer Sympathie für diese
nachgebend, Hüte, die wie Helme geformt waren. Ganz besonders fanatische
Revolutionärinnen meinten zwar, der Schimmel, den Lafayette, der Kommandeur
dieser Bürgerwehr, ritt, sähe zu aristokratisch aus und müsse mit den Farben der
Republik angestrichen werden; was aber den Geist der Truppe anbetraf, so konnte
dieser selbst die ausgesprochenste Demokratin zufriedenstellen. Der Limonadenhändler
Godet z. B., der ein guter Patriot und in Anerkennung dieser seiner Eigenschaft
zum Hauptmann gewählt worden war, zeigte sich gleichzeitig als strebsamer Ge¬
schäftsmann und reichte im Schmucke seiner Epauletten, übrigens aber sich aller
militärischer Würde entäußernd, den Soldaten seiner Kompagnie, die ihn mit
ihrem Besuche beehrten, eigenhändig die begehrte Erfrischung. Es kam auch wohl
vor, daß ein Offizier zu einem seiner Tapferen sagte: "Halte doch Schritt, du
marschierst ja wie ein KlosterbruderI" und darauf die Antwort erhielt: "Das ist
Ihre Schuld, Herr Hauptmann, bedenken Sie doch, daß ich Schuhe trage, die Sie
gemacht Habens die drücken entsetzlich!"

Und selbst an den Stätten, wo die dem Schafott Geweihten gewissermaßen
vor der Schwelle des Todes antichambrierten, macht sich der Einfluß der Frau
geltend: in den Gefängnissen; hier blühte noch das gesellige französische Leben der
früheren Zeit, ja man kann sagen, daß die Kerker Salons wurden, in denen sich
die beste Gesellschaft bewegte. Sie zeigten belebte Bilder: verstörte Seelen, aber
eine nervöse Heiterkeit, Lachen unter Tränen und singende Lippen, um die die
Schatten der Verzweiflung huschten. Ein beliebter Zeitvertreib war die Probe
zu der bevorstehenden Tragödie auf dem Blutgerüst; man legte die letzte Toilette
an und übte den Todesgang ein; hinterher spielte man wohl, die trüben Gedanken
zu verscheuchen, Theater. Aber bei allem stand die Frau im Mittelpunkte: auch
jetzt noch suchte sie sich -- vielleicht zum letztenmale! -- mit Puder und Schminke
zu verschönern, auch jetzt noch besangen Kavaliere sie in zarten Gedichten. Und
die Liebe war um so glühender, weil sie keine Zukunft kannte; die Uhr, die die
Todesstunde schlug, machte ihr oft nur gar zu bald ein Ende, und das süßeste
Kosen störte der rohe Ruf des Henkers. Gern gewährten deshalb die Frauen
ihren Kerkergenossen die letzte Gunst, denn morgen war es vielleicht zu spät, ge¬
fällig zu sein. So erscheint in diesen Jahren die Liebe als die Schwester des
Todes, und die nahende Zeit des Direktoriums, in der auch das Gewand der
Frau sich gräzisierte, würde sie vielleicht als Eros-Thanatos bezeichnet haben.
Und während hinter den Gefängnisgittern das Weib als tröstender Engel erschien,
wies ihm draußen Robespierre, der in den Himmel, aus dem er die Gottheit
vertrieben hatte, das "Lire supreme" einführte, ein anderes Feld der Tätigkeit:
hier widmete es sich dem Dienste des Kultus. In Paris wurde die "Göttin der
Vernunft", die man bei eineni festlichen Aufzuge zur Schau stellte, verkörpert in
der früheren Tänzerin Maillard, einem Wesen, das allerdings als Meisterschöpsung
der Natur gelten konnte, überhaupt mußten die Damen, die man zu Repräsen¬
tantinnen des höchsten Wesens erkor -- auch in Provinzialstädten bedürfte man
ihrer --, stattliche Erscheinungen sein; im übrigen störten Schönheitsfehler augen¬
scheinlich nicht; der Historiker Michelet erzählt wenigstens, ihm sei eine dieser
Surrogat-Gottheiten bekannt gewesen, die geschickt habe. Interessant ist an den
geschilderten Vorgängen, daß die Welt eine Art Priestertum den Frauen zurück¬
gab, die im Altertum häufig seine Trägerinnen gewesen waren. Geschlechts¬
genossinnen dieser Heiligen ertappte man freilich oft genug bei recht unheiligen
Beginnen; an Stelle'der raffinierter Gastmähler des früheren Regimes, die geweiht
gewesen waren durch den Geist der alten französischen Gesellschaft,, vereinigte man
sich jetzt zu sogenannten "Soupers lratemLls", einer Art republikanischer Picknicks,
die man, im Kote der Straße tafelnd, einnahm, die Füße in den Gossen; und
auch an diesen zweifelhaften Genüssen beteiligte sich ungeniert die holde Weiblichkeit


Die französische Frau bei Beginn 5er Revolution

Freunde und oft nicht ohne Glück; so wurde das Schicksal vieler dieser gefallenen
Größen erträglicher gestaltet. Und auch in einem anderen Punkte zeigten sich
die Pariserinnen dieser Tage echt feminin: sie hatten oft nur Blicke für die in
Uniform prangenden Milizsoldaten und trugen, ihrer Sympathie für diese
nachgebend, Hüte, die wie Helme geformt waren. Ganz besonders fanatische
Revolutionärinnen meinten zwar, der Schimmel, den Lafayette, der Kommandeur
dieser Bürgerwehr, ritt, sähe zu aristokratisch aus und müsse mit den Farben der
Republik angestrichen werden; was aber den Geist der Truppe anbetraf, so konnte
dieser selbst die ausgesprochenste Demokratin zufriedenstellen. Der Limonadenhändler
Godet z. B., der ein guter Patriot und in Anerkennung dieser seiner Eigenschaft
zum Hauptmann gewählt worden war, zeigte sich gleichzeitig als strebsamer Ge¬
schäftsmann und reichte im Schmucke seiner Epauletten, übrigens aber sich aller
militärischer Würde entäußernd, den Soldaten seiner Kompagnie, die ihn mit
ihrem Besuche beehrten, eigenhändig die begehrte Erfrischung. Es kam auch wohl
vor, daß ein Offizier zu einem seiner Tapferen sagte: „Halte doch Schritt, du
marschierst ja wie ein KlosterbruderI" und darauf die Antwort erhielt: „Das ist
Ihre Schuld, Herr Hauptmann, bedenken Sie doch, daß ich Schuhe trage, die Sie
gemacht Habens die drücken entsetzlich!"

Und selbst an den Stätten, wo die dem Schafott Geweihten gewissermaßen
vor der Schwelle des Todes antichambrierten, macht sich der Einfluß der Frau
geltend: in den Gefängnissen; hier blühte noch das gesellige französische Leben der
früheren Zeit, ja man kann sagen, daß die Kerker Salons wurden, in denen sich
die beste Gesellschaft bewegte. Sie zeigten belebte Bilder: verstörte Seelen, aber
eine nervöse Heiterkeit, Lachen unter Tränen und singende Lippen, um die die
Schatten der Verzweiflung huschten. Ein beliebter Zeitvertreib war die Probe
zu der bevorstehenden Tragödie auf dem Blutgerüst; man legte die letzte Toilette
an und übte den Todesgang ein; hinterher spielte man wohl, die trüben Gedanken
zu verscheuchen, Theater. Aber bei allem stand die Frau im Mittelpunkte: auch
jetzt noch suchte sie sich — vielleicht zum letztenmale! — mit Puder und Schminke
zu verschönern, auch jetzt noch besangen Kavaliere sie in zarten Gedichten. Und
die Liebe war um so glühender, weil sie keine Zukunft kannte; die Uhr, die die
Todesstunde schlug, machte ihr oft nur gar zu bald ein Ende, und das süßeste
Kosen störte der rohe Ruf des Henkers. Gern gewährten deshalb die Frauen
ihren Kerkergenossen die letzte Gunst, denn morgen war es vielleicht zu spät, ge¬
fällig zu sein. So erscheint in diesen Jahren die Liebe als die Schwester des
Todes, und die nahende Zeit des Direktoriums, in der auch das Gewand der
Frau sich gräzisierte, würde sie vielleicht als Eros-Thanatos bezeichnet haben.
Und während hinter den Gefängnisgittern das Weib als tröstender Engel erschien,
wies ihm draußen Robespierre, der in den Himmel, aus dem er die Gottheit
vertrieben hatte, das „Lire supreme" einführte, ein anderes Feld der Tätigkeit:
hier widmete es sich dem Dienste des Kultus. In Paris wurde die „Göttin der
Vernunft", die man bei eineni festlichen Aufzuge zur Schau stellte, verkörpert in
der früheren Tänzerin Maillard, einem Wesen, das allerdings als Meisterschöpsung
der Natur gelten konnte, überhaupt mußten die Damen, die man zu Repräsen¬
tantinnen des höchsten Wesens erkor — auch in Provinzialstädten bedürfte man
ihrer —, stattliche Erscheinungen sein; im übrigen störten Schönheitsfehler augen¬
scheinlich nicht; der Historiker Michelet erzählt wenigstens, ihm sei eine dieser
Surrogat-Gottheiten bekannt gewesen, die geschickt habe. Interessant ist an den
geschilderten Vorgängen, daß die Welt eine Art Priestertum den Frauen zurück¬
gab, die im Altertum häufig seine Trägerinnen gewesen waren. Geschlechts¬
genossinnen dieser Heiligen ertappte man freilich oft genug bei recht unheiligen
Beginnen; an Stelle'der raffinierter Gastmähler des früheren Regimes, die geweiht
gewesen waren durch den Geist der alten französischen Gesellschaft,, vereinigte man
sich jetzt zu sogenannten „Soupers lratemLls", einer Art republikanischer Picknicks,
die man, im Kote der Straße tafelnd, einnahm, die Füße in den Gossen; und
auch an diesen zweifelhaften Genüssen beteiligte sich ungeniert die holde Weiblichkeit


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[0054] Die französische Frau bei Beginn 5er Revolution Freunde und oft nicht ohne Glück; so wurde das Schicksal vieler dieser gefallenen Größen erträglicher gestaltet. Und auch in einem anderen Punkte zeigten sich die Pariserinnen dieser Tage echt feminin: sie hatten oft nur Blicke für die in Uniform prangenden Milizsoldaten und trugen, ihrer Sympathie für diese nachgebend, Hüte, die wie Helme geformt waren. Ganz besonders fanatische Revolutionärinnen meinten zwar, der Schimmel, den Lafayette, der Kommandeur dieser Bürgerwehr, ritt, sähe zu aristokratisch aus und müsse mit den Farben der Republik angestrichen werden; was aber den Geist der Truppe anbetraf, so konnte dieser selbst die ausgesprochenste Demokratin zufriedenstellen. Der Limonadenhändler Godet z. B., der ein guter Patriot und in Anerkennung dieser seiner Eigenschaft zum Hauptmann gewählt worden war, zeigte sich gleichzeitig als strebsamer Ge¬ schäftsmann und reichte im Schmucke seiner Epauletten, übrigens aber sich aller militärischer Würde entäußernd, den Soldaten seiner Kompagnie, die ihn mit ihrem Besuche beehrten, eigenhändig die begehrte Erfrischung. Es kam auch wohl vor, daß ein Offizier zu einem seiner Tapferen sagte: „Halte doch Schritt, du marschierst ja wie ein KlosterbruderI" und darauf die Antwort erhielt: „Das ist Ihre Schuld, Herr Hauptmann, bedenken Sie doch, daß ich Schuhe trage, die Sie gemacht Habens die drücken entsetzlich!" Und selbst an den Stätten, wo die dem Schafott Geweihten gewissermaßen vor der Schwelle des Todes antichambrierten, macht sich der Einfluß der Frau geltend: in den Gefängnissen; hier blühte noch das gesellige französische Leben der früheren Zeit, ja man kann sagen, daß die Kerker Salons wurden, in denen sich die beste Gesellschaft bewegte. Sie zeigten belebte Bilder: verstörte Seelen, aber eine nervöse Heiterkeit, Lachen unter Tränen und singende Lippen, um die die Schatten der Verzweiflung huschten. Ein beliebter Zeitvertreib war die Probe zu der bevorstehenden Tragödie auf dem Blutgerüst; man legte die letzte Toilette an und übte den Todesgang ein; hinterher spielte man wohl, die trüben Gedanken zu verscheuchen, Theater. Aber bei allem stand die Frau im Mittelpunkte: auch jetzt noch suchte sie sich — vielleicht zum letztenmale! — mit Puder und Schminke zu verschönern, auch jetzt noch besangen Kavaliere sie in zarten Gedichten. Und die Liebe war um so glühender, weil sie keine Zukunft kannte; die Uhr, die die Todesstunde schlug, machte ihr oft nur gar zu bald ein Ende, und das süßeste Kosen störte der rohe Ruf des Henkers. Gern gewährten deshalb die Frauen ihren Kerkergenossen die letzte Gunst, denn morgen war es vielleicht zu spät, ge¬ fällig zu sein. So erscheint in diesen Jahren die Liebe als die Schwester des Todes, und die nahende Zeit des Direktoriums, in der auch das Gewand der Frau sich gräzisierte, würde sie vielleicht als Eros-Thanatos bezeichnet haben. Und während hinter den Gefängnisgittern das Weib als tröstender Engel erschien, wies ihm draußen Robespierre, der in den Himmel, aus dem er die Gottheit vertrieben hatte, das „Lire supreme" einführte, ein anderes Feld der Tätigkeit: hier widmete es sich dem Dienste des Kultus. In Paris wurde die „Göttin der Vernunft", die man bei eineni festlichen Aufzuge zur Schau stellte, verkörpert in der früheren Tänzerin Maillard, einem Wesen, das allerdings als Meisterschöpsung der Natur gelten konnte, überhaupt mußten die Damen, die man zu Repräsen¬ tantinnen des höchsten Wesens erkor — auch in Provinzialstädten bedürfte man ihrer —, stattliche Erscheinungen sein; im übrigen störten Schönheitsfehler augen¬ scheinlich nicht; der Historiker Michelet erzählt wenigstens, ihm sei eine dieser Surrogat-Gottheiten bekannt gewesen, die geschickt habe. Interessant ist an den geschilderten Vorgängen, daß die Welt eine Art Priestertum den Frauen zurück¬ gab, die im Altertum häufig seine Trägerinnen gewesen waren. Geschlechts¬ genossinnen dieser Heiligen ertappte man freilich oft genug bei recht unheiligen Beginnen; an Stelle'der raffinierter Gastmähler des früheren Regimes, die geweiht gewesen waren durch den Geist der alten französischen Gesellschaft,, vereinigte man sich jetzt zu sogenannten „Soupers lratemLls", einer Art republikanischer Picknicks, die man, im Kote der Straße tafelnd, einnahm, die Füße in den Gossen; und auch an diesen zweifelhaften Genüssen beteiligte sich ungeniert die holde Weiblichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/54>, abgerufen am 27.08.2024.