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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die französische Frau bei Beginn der Revolution

Thron hatte kürzlich Maria Theresia geziert, in Petersburg schmückte das kaiser¬
liche Diadem die Stirn Katharinas, und das französische 'Staatsschiff war durch
die zarte Hand der Pompadour eine Zeitlang mit unleugbarer Energie gelenkt
worden -- war es da ein Wunder, wenn auch die Revolutionärin sich zu großen
Dingen berufen fühlte? So richtete denn bald nach der Scheidung von ihrem
ersten Gatten die Marquise von Fontenay, die später mehr berüchtigt als berühmt
gewordene Frau Tallien, eine Adresse an den Konvent, in der sie für ihr Geschlecht
sehr energisch den Dienst im öffentlichen Unterrichtswesen forderte und daneben
den ehrenden Vorzug, an alle geheiligten Zufluchtstätten des Unglücks und der
Leiden gerufen zu werden, um den bedauernswerten Hilfsbedürftigen Sorgfalt
und Trost angedeihen zu lassen. "Es scheint mir da" -- meinte sie ganz im
Sinne moderner Anschauungen "der richtige Ort zu sein für eine Lehrzeit der
Mädchen, bevor sie Frauen werden". Und für völlige Emanzipation der schwächeren
Hälfte der Menschheit wirkte durch Reden, die sie in politischen Klubs, ja selbst
in der Nationalversammlung hielt, Fran Olimpe de Gouges -- mit diesem ihrem
Mädchennamen nannte sie sich als Witwe -- die argumentierte: "Da die Frau
das Recht hat, das Schafott zu besteigen, muß ihr auch die Tribüne zugänglich
sein", und, temperamentvoll wie sie war, Spötter, die sich über eine so exaltierte
Dame lustig machten, vor die Mündung ihrer Pistole forderte. Man hätte glauben
sollen, die Schreckensherrschaft würde die Frauen mahnen, sich daran zu erinnern,
daß ihre eigentliche Welt das stille Heim und nicht der Lärm des Forums sei,
aber weit entfernt, solche Schlüsse zu ziehen, gründeten sie vielmehr politische Ge¬
sellschaften -- Vereine im Unterrock --, so daß maßgebende Männer sich veranlaßt
sahen auszusprechen, es sei eine Unsitte, wenn die zur Göttin des häuslichen
Tempels geschaffene Frau Haushalt, Mann und Kinder vernachlässige, um für
eine Änderung ihrer Stellung im Staatsleben zu agitieren, und die mißliebigen
Klubs schließlich aufgelöst wurden mit der Begründung, Persönlichkeiten wie
Jeanne d'Arc habe nur die Zeit Karls des Siebenten nötig gehabt. Solchen An¬
sichten huldigte allerdings keineswegs Charlotte Coroay, nicht etwa eine Furie,
die, wie man wohl gemeint hat, um jeden Preis Blut vergießen wollte, sondern
vielmehr eine warmherzige Patriotin, der das erhabene Ziel vorschwebte, dein
entsetzlichen Wüten des mordgierigen Marat ein Ende zu machen. Was sie voll¬
brachte, war ihrer Meinung nach eine Tat des Erbarmens; durch den Tod eines
einzigen dachte sie das Leben vieler zu erkaufen, und der Gedanke, dabei ihr
eigenes zu verlieren, machte der Hochherzigen wenig Kummer. Daß Charlotte
selbst ihr abenteuerliches Beginnen nur für einen Akt der Gerechtigkeit und keines¬
wegs für Mord ansah, ergibt sich aus einer ihrer Äußerungen Fouqier-Tinville,
dem öffentlichen Ankläger, gegenüber. Als dieser sie fragte: "Offenbar hatten Sie
sich vorher gut geübt?" rief sie: "O, der Unmensch! Er hält mich für eine
Mörderin!" Auch Lamartine verklärt die verbrecherische Tat, indem er in seiner
blumenreichen Sprache ihre Urheberin den "Engel des Mordes" nennt.

Und wie in Charlotte wurden auch in anderen Frauen durch die Revolution
edle Instinkte geweckt: Mitleid, Energie und Heroismus; treu bis in den Tod
erwiesen sich viele, als die Schrecken der Bürgerverfolgungen wüteten. So die
schöne Delphine von Cüstine, die für ihren gefangen gesetzten und der Guillotine
verfallenen Gatten einen kühnen, ihr eigenes Leben bedrohenden Fluchtplan ent¬
warf, der allerdings nicht zur Ausführung gelangte, weil bei dem Eingekerkerten
das Pflichtgefühl die Liebe zum Leben überwog/ Nach dem Tode ihres Mannes
selbst in Haft genommen, gewann die wegen ihrer Heldenhaftigkeit viel bewunderte
Frau alt dem prachtvollen, goldblonden Haar, einem Erbe ihrer Ahnfrau Mar¬
garete von Provence, der Gemahlin Ludwigs des Neunten, die Liebe des in das
gleiche Gefängnis gebrachten Alexander Beauharnais, des ersten Gemahls der
späteren Kaiserin Josephine, der ihr, bevor er zum Tode geführt wurde, einen
arabischen Talisman schenkte: und da Delphine sicher eine Heldin, aber keineswegs
eine Heilige war, dürfen wir annehmen, daß sie seine leidenschaftliche Neigung
in gleicher Weise erwidert habe. Aus dem Kerker befreit, erlebte sie, deren Herz


Die französische Frau bei Beginn der Revolution

Thron hatte kürzlich Maria Theresia geziert, in Petersburg schmückte das kaiser¬
liche Diadem die Stirn Katharinas, und das französische 'Staatsschiff war durch
die zarte Hand der Pompadour eine Zeitlang mit unleugbarer Energie gelenkt
worden — war es da ein Wunder, wenn auch die Revolutionärin sich zu großen
Dingen berufen fühlte? So richtete denn bald nach der Scheidung von ihrem
ersten Gatten die Marquise von Fontenay, die später mehr berüchtigt als berühmt
gewordene Frau Tallien, eine Adresse an den Konvent, in der sie für ihr Geschlecht
sehr energisch den Dienst im öffentlichen Unterrichtswesen forderte und daneben
den ehrenden Vorzug, an alle geheiligten Zufluchtstätten des Unglücks und der
Leiden gerufen zu werden, um den bedauernswerten Hilfsbedürftigen Sorgfalt
und Trost angedeihen zu lassen. „Es scheint mir da" — meinte sie ganz im
Sinne moderner Anschauungen „der richtige Ort zu sein für eine Lehrzeit der
Mädchen, bevor sie Frauen werden". Und für völlige Emanzipation der schwächeren
Hälfte der Menschheit wirkte durch Reden, die sie in politischen Klubs, ja selbst
in der Nationalversammlung hielt, Fran Olimpe de Gouges — mit diesem ihrem
Mädchennamen nannte sie sich als Witwe — die argumentierte: „Da die Frau
das Recht hat, das Schafott zu besteigen, muß ihr auch die Tribüne zugänglich
sein", und, temperamentvoll wie sie war, Spötter, die sich über eine so exaltierte
Dame lustig machten, vor die Mündung ihrer Pistole forderte. Man hätte glauben
sollen, die Schreckensherrschaft würde die Frauen mahnen, sich daran zu erinnern,
daß ihre eigentliche Welt das stille Heim und nicht der Lärm des Forums sei,
aber weit entfernt, solche Schlüsse zu ziehen, gründeten sie vielmehr politische Ge¬
sellschaften — Vereine im Unterrock —, so daß maßgebende Männer sich veranlaßt
sahen auszusprechen, es sei eine Unsitte, wenn die zur Göttin des häuslichen
Tempels geschaffene Frau Haushalt, Mann und Kinder vernachlässige, um für
eine Änderung ihrer Stellung im Staatsleben zu agitieren, und die mißliebigen
Klubs schließlich aufgelöst wurden mit der Begründung, Persönlichkeiten wie
Jeanne d'Arc habe nur die Zeit Karls des Siebenten nötig gehabt. Solchen An¬
sichten huldigte allerdings keineswegs Charlotte Coroay, nicht etwa eine Furie,
die, wie man wohl gemeint hat, um jeden Preis Blut vergießen wollte, sondern
vielmehr eine warmherzige Patriotin, der das erhabene Ziel vorschwebte, dein
entsetzlichen Wüten des mordgierigen Marat ein Ende zu machen. Was sie voll¬
brachte, war ihrer Meinung nach eine Tat des Erbarmens; durch den Tod eines
einzigen dachte sie das Leben vieler zu erkaufen, und der Gedanke, dabei ihr
eigenes zu verlieren, machte der Hochherzigen wenig Kummer. Daß Charlotte
selbst ihr abenteuerliches Beginnen nur für einen Akt der Gerechtigkeit und keines¬
wegs für Mord ansah, ergibt sich aus einer ihrer Äußerungen Fouqier-Tinville,
dem öffentlichen Ankläger, gegenüber. Als dieser sie fragte: „Offenbar hatten Sie
sich vorher gut geübt?" rief sie: „O, der Unmensch! Er hält mich für eine
Mörderin!" Auch Lamartine verklärt die verbrecherische Tat, indem er in seiner
blumenreichen Sprache ihre Urheberin den „Engel des Mordes" nennt.

Und wie in Charlotte wurden auch in anderen Frauen durch die Revolution
edle Instinkte geweckt: Mitleid, Energie und Heroismus; treu bis in den Tod
erwiesen sich viele, als die Schrecken der Bürgerverfolgungen wüteten. So die
schöne Delphine von Cüstine, die für ihren gefangen gesetzten und der Guillotine
verfallenen Gatten einen kühnen, ihr eigenes Leben bedrohenden Fluchtplan ent¬
warf, der allerdings nicht zur Ausführung gelangte, weil bei dem Eingekerkerten
das Pflichtgefühl die Liebe zum Leben überwog/ Nach dem Tode ihres Mannes
selbst in Haft genommen, gewann die wegen ihrer Heldenhaftigkeit viel bewunderte
Frau alt dem prachtvollen, goldblonden Haar, einem Erbe ihrer Ahnfrau Mar¬
garete von Provence, der Gemahlin Ludwigs des Neunten, die Liebe des in das
gleiche Gefängnis gebrachten Alexander Beauharnais, des ersten Gemahls der
späteren Kaiserin Josephine, der ihr, bevor er zum Tode geführt wurde, einen
arabischen Talisman schenkte: und da Delphine sicher eine Heldin, aber keineswegs
eine Heilige war, dürfen wir annehmen, daß sie seine leidenschaftliche Neigung
in gleicher Weise erwidert habe. Aus dem Kerker befreit, erlebte sie, deren Herz


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[0051] Die französische Frau bei Beginn der Revolution Thron hatte kürzlich Maria Theresia geziert, in Petersburg schmückte das kaiser¬ liche Diadem die Stirn Katharinas, und das französische 'Staatsschiff war durch die zarte Hand der Pompadour eine Zeitlang mit unleugbarer Energie gelenkt worden — war es da ein Wunder, wenn auch die Revolutionärin sich zu großen Dingen berufen fühlte? So richtete denn bald nach der Scheidung von ihrem ersten Gatten die Marquise von Fontenay, die später mehr berüchtigt als berühmt gewordene Frau Tallien, eine Adresse an den Konvent, in der sie für ihr Geschlecht sehr energisch den Dienst im öffentlichen Unterrichtswesen forderte und daneben den ehrenden Vorzug, an alle geheiligten Zufluchtstätten des Unglücks und der Leiden gerufen zu werden, um den bedauernswerten Hilfsbedürftigen Sorgfalt und Trost angedeihen zu lassen. „Es scheint mir da" — meinte sie ganz im Sinne moderner Anschauungen „der richtige Ort zu sein für eine Lehrzeit der Mädchen, bevor sie Frauen werden". Und für völlige Emanzipation der schwächeren Hälfte der Menschheit wirkte durch Reden, die sie in politischen Klubs, ja selbst in der Nationalversammlung hielt, Fran Olimpe de Gouges — mit diesem ihrem Mädchennamen nannte sie sich als Witwe — die argumentierte: „Da die Frau das Recht hat, das Schafott zu besteigen, muß ihr auch die Tribüne zugänglich sein", und, temperamentvoll wie sie war, Spötter, die sich über eine so exaltierte Dame lustig machten, vor die Mündung ihrer Pistole forderte. Man hätte glauben sollen, die Schreckensherrschaft würde die Frauen mahnen, sich daran zu erinnern, daß ihre eigentliche Welt das stille Heim und nicht der Lärm des Forums sei, aber weit entfernt, solche Schlüsse zu ziehen, gründeten sie vielmehr politische Ge¬ sellschaften — Vereine im Unterrock —, so daß maßgebende Männer sich veranlaßt sahen auszusprechen, es sei eine Unsitte, wenn die zur Göttin des häuslichen Tempels geschaffene Frau Haushalt, Mann und Kinder vernachlässige, um für eine Änderung ihrer Stellung im Staatsleben zu agitieren, und die mißliebigen Klubs schließlich aufgelöst wurden mit der Begründung, Persönlichkeiten wie Jeanne d'Arc habe nur die Zeit Karls des Siebenten nötig gehabt. Solchen An¬ sichten huldigte allerdings keineswegs Charlotte Coroay, nicht etwa eine Furie, die, wie man wohl gemeint hat, um jeden Preis Blut vergießen wollte, sondern vielmehr eine warmherzige Patriotin, der das erhabene Ziel vorschwebte, dein entsetzlichen Wüten des mordgierigen Marat ein Ende zu machen. Was sie voll¬ brachte, war ihrer Meinung nach eine Tat des Erbarmens; durch den Tod eines einzigen dachte sie das Leben vieler zu erkaufen, und der Gedanke, dabei ihr eigenes zu verlieren, machte der Hochherzigen wenig Kummer. Daß Charlotte selbst ihr abenteuerliches Beginnen nur für einen Akt der Gerechtigkeit und keines¬ wegs für Mord ansah, ergibt sich aus einer ihrer Äußerungen Fouqier-Tinville, dem öffentlichen Ankläger, gegenüber. Als dieser sie fragte: „Offenbar hatten Sie sich vorher gut geübt?" rief sie: „O, der Unmensch! Er hält mich für eine Mörderin!" Auch Lamartine verklärt die verbrecherische Tat, indem er in seiner blumenreichen Sprache ihre Urheberin den „Engel des Mordes" nennt. Und wie in Charlotte wurden auch in anderen Frauen durch die Revolution edle Instinkte geweckt: Mitleid, Energie und Heroismus; treu bis in den Tod erwiesen sich viele, als die Schrecken der Bürgerverfolgungen wüteten. So die schöne Delphine von Cüstine, die für ihren gefangen gesetzten und der Guillotine verfallenen Gatten einen kühnen, ihr eigenes Leben bedrohenden Fluchtplan ent¬ warf, der allerdings nicht zur Ausführung gelangte, weil bei dem Eingekerkerten das Pflichtgefühl die Liebe zum Leben überwog/ Nach dem Tode ihres Mannes selbst in Haft genommen, gewann die wegen ihrer Heldenhaftigkeit viel bewunderte Frau alt dem prachtvollen, goldblonden Haar, einem Erbe ihrer Ahnfrau Mar¬ garete von Provence, der Gemahlin Ludwigs des Neunten, die Liebe des in das gleiche Gefängnis gebrachten Alexander Beauharnais, des ersten Gemahls der späteren Kaiserin Josephine, der ihr, bevor er zum Tode geführt wurde, einen arabischen Talisman schenkte: und da Delphine sicher eine Heldin, aber keineswegs eine Heilige war, dürfen wir annehmen, daß sie seine leidenschaftliche Neigung in gleicher Weise erwidert habe. Aus dem Kerker befreit, erlebte sie, deren Herz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/51>, abgerufen am 26.08.2024.