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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die französische Frau bei Beginn der Revolution

durch die kräftigen Arme galanter Kavaliere gerudert, willig die leichte Last holder
Frauen über die kristallene Flut; in den entzückenden salleZ 6e vercture des Parks
wurden primitive Tanzfestlichkeiten abgehalten, und wenn der Abend niedersank,
sah man beim diskreten Licht des Mondes verliebte Pärchen die labyrinthischen
Pfade des Schloßgartens bevölkern. Das Leben war ja nach landläufiger Ansicht
dazu da, genossen zu werden. Und doch grollten in diese letzten sonnigen Jahre
einer dem Tode geweihten Herrlichkeit bereits die Donner des aufsteigenden Ge¬
witters hinein, und warnende Erdstöße kündeten das nahe soziale Beben an; schon
belästigte man Damen der Hofgesellschaft, die, wie die Herzogin von Orleans, in
eigener Equipage führen, und zwang sie aufzusteigen. Aus Furcht vor der Re¬
volution schlossen selbst die meisten Pariser Salons ihre Tore, diese von fein¬
sinnigen Frauen beherrschten Stätten der Aufklärung, in denen sich die Unterschiede
verwischten, die Stand und Rang Jahrhunderte hindurch markiert hatten, und
allein der Takt berechtigte Schranken zog. Und bald versank das alte Frankreich
völlig in der durch das Jakobinertum inaugurierten Götterdämmerung; wie vom
Sturm verweht war plötzlich die ganze Gesellschaft des anLisn reZims.

Eine neue Welt stieg empor, nicht minder interessant als die entschwundene;
aber auch auf der veränderten Bühne stellten die Frauen einen Teil der Prota¬
gonisten. Hohe Begeisterung für die revolutionäre Sache gab sich zumal in den
Kreisen der jungen Mädchen kund. Bei allen Festen trugen die anmutigen
Scharen zu ihren weißen Kleidern Gürtel in den drei republikanischen Farben
V!an, Weiß und Rot; hier sprach eine emphatische Worte, die Jünglinge zu
Helden machten, und dort schwenkte eine andere, edle Schwärmerei für das Vater¬
land weckend, einen Palmzweig mit der Inschrift: "Dem besten Bürger!"
Bald veranstalteten sie Umzüge, eine Fahne an der Spitze, bald schwangen sie
mit Grazie nackte Degen, bald gesellten sie sich, Verwundete zu Pflegen, den Kreuz¬
fahrern, die ins Feld zogen, das heilige Land der Freiheit zu gewinnen. Viele
Frauen schmückten sich auch wohl mit einem den Trümmern der Bastille, des, wie
der Volkswitz sagte, "pawis neu bon plaisir", entnommenen und hübsch polierten
Steinchen, und das Boudoir mancher anderen, sonst ein Heiligtum der Koketterie,
wurde zu einer Art politischen Kabinetts, in dem ein Bild jener zerstörten Zwing¬
burg vielleicht die Darstellung irgendeines erotischen Vorgangs aus dem Gebiete
der antiken Mythologie ersetzte. Diese und jene einst den feudalen Kreisen des
verflossenen Hofes Angehörige ließ sich sogar scheiden und heiratete einen ihrer
früheren Domestiken; wieder andere brachten, mehr patriotisch als gefallsüchtig,
ihren Gold- und Silberschmuck der Nationalversammlung als. willkommene Gabe
dar und ersetzten ihn durch einen in den erwähnten drei Farben gehaltenen Strauß,
das "boucmet ä la nation". Und auf die Männer übertrugen sie ihre Begeisterung
in dem Maße, daß ein häßliches Mädchen wohl für schön befunden wurde, wenn
es eine gute Republikanerin war. Mancher Jungfrau spielte zwar -- das ewig
Weibliche brach schließlich doch immer wieder durch -- ihr Herz einen tückischen
Streich, wie der schönen Schauspielerin Rosa Lncombe, die, Republikanerin vom
Scheitel bis zur Sohle, am 10. August 1792, die phrygische Mütze auf dem Kopfe
und den Säbel in der Hand, an dem Sturm auf die Tuilerien teilnahm und sich
dann in einen Aristokraten verliebte, dem seine reaktionäre Gesinnung den Tod
durch das Fallbeil eintrug, ohne daß sie ihn retten konnte. Wenn es aber für
die Mädchen und Frauen selbst aus dem Leben zu scheiden galt -- auch gut
republikanische Gesinnung schützte nicht immer vor dem Blutgerüst --, so starben
sie oft tapferer als die Männer und suchten ihre Leidensgenossen aus den Reihen
des stärkeren Geschlechts bisweilen noch auf dem Wege zur Guillotine zu erheitern.
Viele von ihnen dachten wie die extremsten Freiheitshelden: "Vivrs librs ein
mourir", eine Devise, deren heroischer Klang einen lockeren Spottvogel reizte, sie,
witzig genug, in das despektierliche: "Venere libre on mourir" umzuwandeln.

Jedenfalls suchten die Frauen in der durch die Revolution völlig umge¬
stalteten Welt eine Stellung zu gewinnen, die ihnen neben höheren Pflichten, die
auf sich zu nehmen sie bereit waren, auch mehr Rechte geben sollte. Österreichs


Die französische Frau bei Beginn der Revolution

durch die kräftigen Arme galanter Kavaliere gerudert, willig die leichte Last holder
Frauen über die kristallene Flut; in den entzückenden salleZ 6e vercture des Parks
wurden primitive Tanzfestlichkeiten abgehalten, und wenn der Abend niedersank,
sah man beim diskreten Licht des Mondes verliebte Pärchen die labyrinthischen
Pfade des Schloßgartens bevölkern. Das Leben war ja nach landläufiger Ansicht
dazu da, genossen zu werden. Und doch grollten in diese letzten sonnigen Jahre
einer dem Tode geweihten Herrlichkeit bereits die Donner des aufsteigenden Ge¬
witters hinein, und warnende Erdstöße kündeten das nahe soziale Beben an; schon
belästigte man Damen der Hofgesellschaft, die, wie die Herzogin von Orleans, in
eigener Equipage führen, und zwang sie aufzusteigen. Aus Furcht vor der Re¬
volution schlossen selbst die meisten Pariser Salons ihre Tore, diese von fein¬
sinnigen Frauen beherrschten Stätten der Aufklärung, in denen sich die Unterschiede
verwischten, die Stand und Rang Jahrhunderte hindurch markiert hatten, und
allein der Takt berechtigte Schranken zog. Und bald versank das alte Frankreich
völlig in der durch das Jakobinertum inaugurierten Götterdämmerung; wie vom
Sturm verweht war plötzlich die ganze Gesellschaft des anLisn reZims.

Eine neue Welt stieg empor, nicht minder interessant als die entschwundene;
aber auch auf der veränderten Bühne stellten die Frauen einen Teil der Prota¬
gonisten. Hohe Begeisterung für die revolutionäre Sache gab sich zumal in den
Kreisen der jungen Mädchen kund. Bei allen Festen trugen die anmutigen
Scharen zu ihren weißen Kleidern Gürtel in den drei republikanischen Farben
V!an, Weiß und Rot; hier sprach eine emphatische Worte, die Jünglinge zu
Helden machten, und dort schwenkte eine andere, edle Schwärmerei für das Vater¬
land weckend, einen Palmzweig mit der Inschrift: „Dem besten Bürger!"
Bald veranstalteten sie Umzüge, eine Fahne an der Spitze, bald schwangen sie
mit Grazie nackte Degen, bald gesellten sie sich, Verwundete zu Pflegen, den Kreuz¬
fahrern, die ins Feld zogen, das heilige Land der Freiheit zu gewinnen. Viele
Frauen schmückten sich auch wohl mit einem den Trümmern der Bastille, des, wie
der Volkswitz sagte, „pawis neu bon plaisir", entnommenen und hübsch polierten
Steinchen, und das Boudoir mancher anderen, sonst ein Heiligtum der Koketterie,
wurde zu einer Art politischen Kabinetts, in dem ein Bild jener zerstörten Zwing¬
burg vielleicht die Darstellung irgendeines erotischen Vorgangs aus dem Gebiete
der antiken Mythologie ersetzte. Diese und jene einst den feudalen Kreisen des
verflossenen Hofes Angehörige ließ sich sogar scheiden und heiratete einen ihrer
früheren Domestiken; wieder andere brachten, mehr patriotisch als gefallsüchtig,
ihren Gold- und Silberschmuck der Nationalversammlung als. willkommene Gabe
dar und ersetzten ihn durch einen in den erwähnten drei Farben gehaltenen Strauß,
das „boucmet ä la nation". Und auf die Männer übertrugen sie ihre Begeisterung
in dem Maße, daß ein häßliches Mädchen wohl für schön befunden wurde, wenn
es eine gute Republikanerin war. Mancher Jungfrau spielte zwar — das ewig
Weibliche brach schließlich doch immer wieder durch — ihr Herz einen tückischen
Streich, wie der schönen Schauspielerin Rosa Lncombe, die, Republikanerin vom
Scheitel bis zur Sohle, am 10. August 1792, die phrygische Mütze auf dem Kopfe
und den Säbel in der Hand, an dem Sturm auf die Tuilerien teilnahm und sich
dann in einen Aristokraten verliebte, dem seine reaktionäre Gesinnung den Tod
durch das Fallbeil eintrug, ohne daß sie ihn retten konnte. Wenn es aber für
die Mädchen und Frauen selbst aus dem Leben zu scheiden galt — auch gut
republikanische Gesinnung schützte nicht immer vor dem Blutgerüst —, so starben
sie oft tapferer als die Männer und suchten ihre Leidensgenossen aus den Reihen
des stärkeren Geschlechts bisweilen noch auf dem Wege zur Guillotine zu erheitern.
Viele von ihnen dachten wie die extremsten Freiheitshelden: „Vivrs librs ein
mourir", eine Devise, deren heroischer Klang einen lockeren Spottvogel reizte, sie,
witzig genug, in das despektierliche: „Venere libre on mourir" umzuwandeln.

Jedenfalls suchten die Frauen in der durch die Revolution völlig umge¬
stalteten Welt eine Stellung zu gewinnen, die ihnen neben höheren Pflichten, die
auf sich zu nehmen sie bereit waren, auch mehr Rechte geben sollte. Österreichs


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[0050] Die französische Frau bei Beginn der Revolution durch die kräftigen Arme galanter Kavaliere gerudert, willig die leichte Last holder Frauen über die kristallene Flut; in den entzückenden salleZ 6e vercture des Parks wurden primitive Tanzfestlichkeiten abgehalten, und wenn der Abend niedersank, sah man beim diskreten Licht des Mondes verliebte Pärchen die labyrinthischen Pfade des Schloßgartens bevölkern. Das Leben war ja nach landläufiger Ansicht dazu da, genossen zu werden. Und doch grollten in diese letzten sonnigen Jahre einer dem Tode geweihten Herrlichkeit bereits die Donner des aufsteigenden Ge¬ witters hinein, und warnende Erdstöße kündeten das nahe soziale Beben an; schon belästigte man Damen der Hofgesellschaft, die, wie die Herzogin von Orleans, in eigener Equipage führen, und zwang sie aufzusteigen. Aus Furcht vor der Re¬ volution schlossen selbst die meisten Pariser Salons ihre Tore, diese von fein¬ sinnigen Frauen beherrschten Stätten der Aufklärung, in denen sich die Unterschiede verwischten, die Stand und Rang Jahrhunderte hindurch markiert hatten, und allein der Takt berechtigte Schranken zog. Und bald versank das alte Frankreich völlig in der durch das Jakobinertum inaugurierten Götterdämmerung; wie vom Sturm verweht war plötzlich die ganze Gesellschaft des anLisn reZims. Eine neue Welt stieg empor, nicht minder interessant als die entschwundene; aber auch auf der veränderten Bühne stellten die Frauen einen Teil der Prota¬ gonisten. Hohe Begeisterung für die revolutionäre Sache gab sich zumal in den Kreisen der jungen Mädchen kund. Bei allen Festen trugen die anmutigen Scharen zu ihren weißen Kleidern Gürtel in den drei republikanischen Farben V!an, Weiß und Rot; hier sprach eine emphatische Worte, die Jünglinge zu Helden machten, und dort schwenkte eine andere, edle Schwärmerei für das Vater¬ land weckend, einen Palmzweig mit der Inschrift: „Dem besten Bürger!" Bald veranstalteten sie Umzüge, eine Fahne an der Spitze, bald schwangen sie mit Grazie nackte Degen, bald gesellten sie sich, Verwundete zu Pflegen, den Kreuz¬ fahrern, die ins Feld zogen, das heilige Land der Freiheit zu gewinnen. Viele Frauen schmückten sich auch wohl mit einem den Trümmern der Bastille, des, wie der Volkswitz sagte, „pawis neu bon plaisir", entnommenen und hübsch polierten Steinchen, und das Boudoir mancher anderen, sonst ein Heiligtum der Koketterie, wurde zu einer Art politischen Kabinetts, in dem ein Bild jener zerstörten Zwing¬ burg vielleicht die Darstellung irgendeines erotischen Vorgangs aus dem Gebiete der antiken Mythologie ersetzte. Diese und jene einst den feudalen Kreisen des verflossenen Hofes Angehörige ließ sich sogar scheiden und heiratete einen ihrer früheren Domestiken; wieder andere brachten, mehr patriotisch als gefallsüchtig, ihren Gold- und Silberschmuck der Nationalversammlung als. willkommene Gabe dar und ersetzten ihn durch einen in den erwähnten drei Farben gehaltenen Strauß, das „boucmet ä la nation". Und auf die Männer übertrugen sie ihre Begeisterung in dem Maße, daß ein häßliches Mädchen wohl für schön befunden wurde, wenn es eine gute Republikanerin war. Mancher Jungfrau spielte zwar — das ewig Weibliche brach schließlich doch immer wieder durch — ihr Herz einen tückischen Streich, wie der schönen Schauspielerin Rosa Lncombe, die, Republikanerin vom Scheitel bis zur Sohle, am 10. August 1792, die phrygische Mütze auf dem Kopfe und den Säbel in der Hand, an dem Sturm auf die Tuilerien teilnahm und sich dann in einen Aristokraten verliebte, dem seine reaktionäre Gesinnung den Tod durch das Fallbeil eintrug, ohne daß sie ihn retten konnte. Wenn es aber für die Mädchen und Frauen selbst aus dem Leben zu scheiden galt — auch gut republikanische Gesinnung schützte nicht immer vor dem Blutgerüst —, so starben sie oft tapferer als die Männer und suchten ihre Leidensgenossen aus den Reihen des stärkeren Geschlechts bisweilen noch auf dem Wege zur Guillotine zu erheitern. Viele von ihnen dachten wie die extremsten Freiheitshelden: „Vivrs librs ein mourir", eine Devise, deren heroischer Klang einen lockeren Spottvogel reizte, sie, witzig genug, in das despektierliche: „Venere libre on mourir" umzuwandeln. Jedenfalls suchten die Frauen in der durch die Revolution völlig umge¬ stalteten Welt eine Stellung zu gewinnen, die ihnen neben höheren Pflichten, die auf sich zu nehmen sie bereit waren, auch mehr Rechte geben sollte. Österreichs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/50>, abgerufen am 26.08.2024.