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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Der deutsch-russische Rückverstcherungsvertrag

Lage vielleicht noch gespannter gewesen wäre. DaS russisch-französische Bündnis
schwebte in der Lust. Durch Vermittlung des Großfürsten Wladimir kam in
Paris ein großes Waffengeschäft zustande. Frankreich lieferte an Rusland eine
halbe Million Lebet-Gewehre gegen die Zusicherung, daß diese Gewehre nicht
Hegen Frankreich benutzt werden würden. Natürlich gab sich der große Kanzler
von dieser Entwicklung vollkommen Rechenschaft, aber er traute seiner Staats
närrischen Kunst zu, die dein Frieden drohenden Gefahren zu beschwören, und
dazu rechnete er besonders "die beständigen Spannungen im Orient, die das
Verhältnis von Rußland zu Österreich-Ungarn gefährdeten. Und vor allem seiner
persönlichen Einwirkung auf den russischen Monarchen legte er besonderes Gewicht
hei. Bezüglich der Wirkung des Neutralitütsverirages stiegen ihm natürlich,
angesichts der eine so vernehmliche Sprache redenden Vorgänge in Rußland,
gelegentlich Zweifel auf, ob der Zar imstande sein werde, den Vertrag zu erfülle",
falls wir mit Frankreich in Krieg gerieten, und er hat ihnen bei Gelegenheit
bestimmten Ausdruck gegeben. Noch einmal, gerade die äußerste Geheimhaltung
des Vertrags trug wesentlich dazu bei, daß mit solcher Möglichkeit gerechnet
werden mußte. Wo war aber dann der Nutzen dieses Vertrages für Deutschland,
das seinerseits treu an ihm festhielt? Wir haben oben an einem Beispiel gesehen,
welchen Vorteil Rußland daraus für seine Orientinteressen zog"). Aber muh
sonst hat unsere Politik auf dem Balkan den russischen Wünschen und Interessen
Rechnung getragen. Für uns dagegen hatte der Vertrag nur den Vorteil, daß
er dazu beitrug, die Friedcnsstimmnug des Zaren und seines nächsten Beamten
lebendig zu erhalten. Liegen die Dinge aber so, dann läßt sich in der Tat
behaupten, daß die Vorteile überwiegend ans der anderen Seite zu suchen waren.
Eine Wirkung auf die politische Stimmung in Rußland war jedenfalls nicht
erzielt worden und die Annäherung an Frankreich machte schnelle Fortschritte.
Einer französisch-russischen Verständigung stand formell der Rückverfichernngs-
vertrag übrigens nicht im Wege. Nicht sowohl von der Existenz unseres Vertrages
als vielmehr von der StaaMnnst des Fürsten Bismarck hing es ab, daß die
fortdauernd kühlen Beziehungen sich nicht weiter verschlechterten. Als dann mit
seinem Ausscheiden das ungeheure Gewicht seines Namens entfiel, das keinem
seiner Nachfolger, wer es auch sei, beiwohnen konnte, mußte die Frage in den
Vordergrund treten, ob dein Vertrag die ursprünglich zugedachte Bedeutung noch
beizumessen sei lind ob bei einer längeren Fortdauer nicht unser Verhältnis, in
erster Linie zu ÖstLrreich-Ul'.garn, dann aber auch zu anderen Staaten, denen-
gegenüber wir in unseren Bewegungen durch das Abkommen eingeschränkt
wären, darunter leiden müsse. Wie diese Fragen zu beantworten waren, nachdem
von russischer Seite die Erneuerung angeregt worden, darüber wird sich vielleicht
auch heute noch keine volle Nbereinstimmnny in der Nation erzielen lassen.
Jedenfalls hätte in der Art der Ablehnung eine andere Form gewählt werden
können, vermöge deren Rußland die Rolle des Verzichtenden zugewiesen wurde.
Das wäre unschwer zu erzielen gewesen. Aber darüber bestand damals unter
allen Beteiligten nur die eine Ansicht, daß das Abkommen die von deutscher Seite
erhoffte Wirkung nicht erzielt habe und daß sogar der Zar, auf dessen Haltung
Fürst Bismarck nach seinen öffentlichen Erklärungen fest vertraute, bedenkliche
Beweise der Unsicherheit -- dix.-Episode der gefälschten diplomatischen Schrift¬
stücke zeugt davon -- zu erkennen gab. Dr. Hammann erwähnt in seiner Schrift
weitere Belege für das Mißtrauen, das den Zaren beherrschte, und er kommt zu
dem erwähnten Schlüsse, daß die Bedeutung des Vertrages weit überschätzt
worden sei. Auch Professor Oncken in seiner gedankenreichen neuen Schrift "DaS



*) Für Rußland lag der Hauptwerk dos Vertrages in der Aussicht, bei einem Konflikt
mit England der deutschen Neutralität sicher zu sein. Klein-Hatlingen in seinem Werke
"Bismarck und seine Welt" (Band 2) ist in Verlegenheit zu sagen, welcher N>u>en bei dem
Vertrage für Rußland herausgekommen sei. Die Richtung auf England bleibt ihm ganz
"erborgen. Dagegen hat Graf Rebentloro in seinem Werle "Deutschlands auswärtige Politik
tM8--1vt4" diese Seile der Frage zutreffend dargelegt.
Der deutsch-russische Rückverstcherungsvertrag

Lage vielleicht noch gespannter gewesen wäre. DaS russisch-französische Bündnis
schwebte in der Lust. Durch Vermittlung des Großfürsten Wladimir kam in
Paris ein großes Waffengeschäft zustande. Frankreich lieferte an Rusland eine
halbe Million Lebet-Gewehre gegen die Zusicherung, daß diese Gewehre nicht
Hegen Frankreich benutzt werden würden. Natürlich gab sich der große Kanzler
von dieser Entwicklung vollkommen Rechenschaft, aber er traute seiner Staats
närrischen Kunst zu, die dein Frieden drohenden Gefahren zu beschwören, und
dazu rechnete er besonders „die beständigen Spannungen im Orient, die das
Verhältnis von Rußland zu Österreich-Ungarn gefährdeten. Und vor allem seiner
persönlichen Einwirkung auf den russischen Monarchen legte er besonderes Gewicht
hei. Bezüglich der Wirkung des Neutralitütsverirages stiegen ihm natürlich,
angesichts der eine so vernehmliche Sprache redenden Vorgänge in Rußland,
gelegentlich Zweifel auf, ob der Zar imstande sein werde, den Vertrag zu erfülle«,
falls wir mit Frankreich in Krieg gerieten, und er hat ihnen bei Gelegenheit
bestimmten Ausdruck gegeben. Noch einmal, gerade die äußerste Geheimhaltung
des Vertrags trug wesentlich dazu bei, daß mit solcher Möglichkeit gerechnet
werden mußte. Wo war aber dann der Nutzen dieses Vertrages für Deutschland,
das seinerseits treu an ihm festhielt? Wir haben oben an einem Beispiel gesehen,
welchen Vorteil Rußland daraus für seine Orientinteressen zog"). Aber muh
sonst hat unsere Politik auf dem Balkan den russischen Wünschen und Interessen
Rechnung getragen. Für uns dagegen hatte der Vertrag nur den Vorteil, daß
er dazu beitrug, die Friedcnsstimmnug des Zaren und seines nächsten Beamten
lebendig zu erhalten. Liegen die Dinge aber so, dann läßt sich in der Tat
behaupten, daß die Vorteile überwiegend ans der anderen Seite zu suchen waren.
Eine Wirkung auf die politische Stimmung in Rußland war jedenfalls nicht
erzielt worden und die Annäherung an Frankreich machte schnelle Fortschritte.
Einer französisch-russischen Verständigung stand formell der Rückverfichernngs-
vertrag übrigens nicht im Wege. Nicht sowohl von der Existenz unseres Vertrages
als vielmehr von der StaaMnnst des Fürsten Bismarck hing es ab, daß die
fortdauernd kühlen Beziehungen sich nicht weiter verschlechterten. Als dann mit
seinem Ausscheiden das ungeheure Gewicht seines Namens entfiel, das keinem
seiner Nachfolger, wer es auch sei, beiwohnen konnte, mußte die Frage in den
Vordergrund treten, ob dein Vertrag die ursprünglich zugedachte Bedeutung noch
beizumessen sei lind ob bei einer längeren Fortdauer nicht unser Verhältnis, in
erster Linie zu ÖstLrreich-Ul'.garn, dann aber auch zu anderen Staaten, denen-
gegenüber wir in unseren Bewegungen durch das Abkommen eingeschränkt
wären, darunter leiden müsse. Wie diese Fragen zu beantworten waren, nachdem
von russischer Seite die Erneuerung angeregt worden, darüber wird sich vielleicht
auch heute noch keine volle Nbereinstimmnny in der Nation erzielen lassen.
Jedenfalls hätte in der Art der Ablehnung eine andere Form gewählt werden
können, vermöge deren Rußland die Rolle des Verzichtenden zugewiesen wurde.
Das wäre unschwer zu erzielen gewesen. Aber darüber bestand damals unter
allen Beteiligten nur die eine Ansicht, daß das Abkommen die von deutscher Seite
erhoffte Wirkung nicht erzielt habe und daß sogar der Zar, auf dessen Haltung
Fürst Bismarck nach seinen öffentlichen Erklärungen fest vertraute, bedenkliche
Beweise der Unsicherheit — dix.-Episode der gefälschten diplomatischen Schrift¬
stücke zeugt davon — zu erkennen gab. Dr. Hammann erwähnt in seiner Schrift
weitere Belege für das Mißtrauen, das den Zaren beherrschte, und er kommt zu
dem erwähnten Schlüsse, daß die Bedeutung des Vertrages weit überschätzt
worden sei. Auch Professor Oncken in seiner gedankenreichen neuen Schrift „DaS



*) Für Rußland lag der Hauptwerk dos Vertrages in der Aussicht, bei einem Konflikt
mit England der deutschen Neutralität sicher zu sein. Klein-Hatlingen in seinem Werke
„Bismarck und seine Welt" (Band 2) ist in Verlegenheit zu sagen, welcher N>u>en bei dem
Vertrage für Rußland herausgekommen sei. Die Richtung auf England bleibt ihm ganz
»erborgen. Dagegen hat Graf Rebentloro in seinem Werle „Deutschlands auswärtige Politik
tM8—1vt4" diese Seile der Frage zutreffend dargelegt.
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[0044] Der deutsch-russische Rückverstcherungsvertrag Lage vielleicht noch gespannter gewesen wäre. DaS russisch-französische Bündnis schwebte in der Lust. Durch Vermittlung des Großfürsten Wladimir kam in Paris ein großes Waffengeschäft zustande. Frankreich lieferte an Rusland eine halbe Million Lebet-Gewehre gegen die Zusicherung, daß diese Gewehre nicht Hegen Frankreich benutzt werden würden. Natürlich gab sich der große Kanzler von dieser Entwicklung vollkommen Rechenschaft, aber er traute seiner Staats närrischen Kunst zu, die dein Frieden drohenden Gefahren zu beschwören, und dazu rechnete er besonders „die beständigen Spannungen im Orient, die das Verhältnis von Rußland zu Österreich-Ungarn gefährdeten. Und vor allem seiner persönlichen Einwirkung auf den russischen Monarchen legte er besonderes Gewicht hei. Bezüglich der Wirkung des Neutralitütsverirages stiegen ihm natürlich, angesichts der eine so vernehmliche Sprache redenden Vorgänge in Rußland, gelegentlich Zweifel auf, ob der Zar imstande sein werde, den Vertrag zu erfülle«, falls wir mit Frankreich in Krieg gerieten, und er hat ihnen bei Gelegenheit bestimmten Ausdruck gegeben. Noch einmal, gerade die äußerste Geheimhaltung des Vertrags trug wesentlich dazu bei, daß mit solcher Möglichkeit gerechnet werden mußte. Wo war aber dann der Nutzen dieses Vertrages für Deutschland, das seinerseits treu an ihm festhielt? Wir haben oben an einem Beispiel gesehen, welchen Vorteil Rußland daraus für seine Orientinteressen zog"). Aber muh sonst hat unsere Politik auf dem Balkan den russischen Wünschen und Interessen Rechnung getragen. Für uns dagegen hatte der Vertrag nur den Vorteil, daß er dazu beitrug, die Friedcnsstimmnug des Zaren und seines nächsten Beamten lebendig zu erhalten. Liegen die Dinge aber so, dann läßt sich in der Tat behaupten, daß die Vorteile überwiegend ans der anderen Seite zu suchen waren. Eine Wirkung auf die politische Stimmung in Rußland war jedenfalls nicht erzielt worden und die Annäherung an Frankreich machte schnelle Fortschritte. Einer französisch-russischen Verständigung stand formell der Rückverfichernngs- vertrag übrigens nicht im Wege. Nicht sowohl von der Existenz unseres Vertrages als vielmehr von der StaaMnnst des Fürsten Bismarck hing es ab, daß die fortdauernd kühlen Beziehungen sich nicht weiter verschlechterten. Als dann mit seinem Ausscheiden das ungeheure Gewicht seines Namens entfiel, das keinem seiner Nachfolger, wer es auch sei, beiwohnen konnte, mußte die Frage in den Vordergrund treten, ob dein Vertrag die ursprünglich zugedachte Bedeutung noch beizumessen sei lind ob bei einer längeren Fortdauer nicht unser Verhältnis, in erster Linie zu ÖstLrreich-Ul'.garn, dann aber auch zu anderen Staaten, denen- gegenüber wir in unseren Bewegungen durch das Abkommen eingeschränkt wären, darunter leiden müsse. Wie diese Fragen zu beantworten waren, nachdem von russischer Seite die Erneuerung angeregt worden, darüber wird sich vielleicht auch heute noch keine volle Nbereinstimmnny in der Nation erzielen lassen. Jedenfalls hätte in der Art der Ablehnung eine andere Form gewählt werden können, vermöge deren Rußland die Rolle des Verzichtenden zugewiesen wurde. Das wäre unschwer zu erzielen gewesen. Aber darüber bestand damals unter allen Beteiligten nur die eine Ansicht, daß das Abkommen die von deutscher Seite erhoffte Wirkung nicht erzielt habe und daß sogar der Zar, auf dessen Haltung Fürst Bismarck nach seinen öffentlichen Erklärungen fest vertraute, bedenkliche Beweise der Unsicherheit — dix.-Episode der gefälschten diplomatischen Schrift¬ stücke zeugt davon — zu erkennen gab. Dr. Hammann erwähnt in seiner Schrift weitere Belege für das Mißtrauen, das den Zaren beherrschte, und er kommt zu dem erwähnten Schlüsse, daß die Bedeutung des Vertrages weit überschätzt worden sei. Auch Professor Oncken in seiner gedankenreichen neuen Schrift „DaS *) Für Rußland lag der Hauptwerk dos Vertrages in der Aussicht, bei einem Konflikt mit England der deutschen Neutralität sicher zu sein. Klein-Hatlingen in seinem Werke „Bismarck und seine Welt" (Band 2) ist in Verlegenheit zu sagen, welcher N>u>en bei dem Vertrage für Rußland herausgekommen sei. Die Richtung auf England bleibt ihm ganz »erborgen. Dagegen hat Graf Rebentloro in seinem Werle „Deutschlands auswärtige Politik tM8—1vt4" diese Seile der Frage zutreffend dargelegt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/44>, abgerufen am 23.07.2024.