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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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jene Regionen staatlicher Tätigkeit noch am längsten den exklusiven Charakter --
ein Erbe' der absolutistischen Zeit -- bewahrt. Danach möchte man fast auf die all¬
gemein menschliche Unzulänglichkeit, die von der anderen menschlichen Eigenschaft,
sich immer strebend um Besseres zu bemühen, schmerzlich empfunden wird, einen
größeren Teil der Schuld abbürden, als gemeinhin geschieht.

In dieser Ansicht können weitere Vergleiche aus anderen Gebieten nur be¬
stärken. So haben wir von der Schulbank her die Wissenschaft, daß Frankreich
ein besonders vorzügliches Kanalnetz und Schiffahrtssystem besitze. Dazu kommt
dann in rechtem .Kontrast früher oder später die Kunde von der Rückständigkeit
unserer eigenen Wasserstraßen. Die beweglichen Klagen über das Schmerzenskind,
den Mittellandkanal, sind angesichts der Kriegserfahrungen besonders laut ge¬
worden und haben nunmehr ja auch die harthörigen Ostelbier erweicht. Was aber
schreibt man jenseits des Rheins? "Habe?- wir in Frankreich nicht vortreffliche
Ströme wie die Loire, verstopft, versperrt mit Sand? . . . Mit ihrer Mündung
gerade Amerika gegenüber gelegen, würde sie einen gewaltigen Vorzug vor den
Häfen Norddeutschlands haben. Aber das interessiert unsere Bourgeois nicht.
Ein Projekt, die Schiffahrt auf der Loire betreffend, schläft seit einem halben
Jahrhundert in den Archiven des Ministeriums oder in den Mappen der Parla¬
mentarier. . . . Ach, wenn die Deutschen unsere Loire hätten, was würden sie
nicht daraus machen? Nantes würde ein zweites Hamburg. Und wenn sie
unsere Seine hätten, würde der Pariser Seehafen nicht mehr nur ein Traum sein,
eben so wenig wie der Kanal zwischen den beiden Meeren." So urteilte der
französische Sozialist Lucien Rolland unter dem Eindruck einer Reise durch
Deutschland (vgl. "Glocke". Jahrgang III Ur. 20).

Oder ein anderes Beispiel: Polizeischikane und Kasernenton im preußischen
"Anstaltsstaat" ist für den Westler ein Dogma. Aber, wer im Glashause sitzt,
sollte nicht mit Steinen werfen. Aus ihren eigenen Reihen findet jenes ungünstige
Urteil seine Widerlegung. "Ich bin sehr erstaunt, daß ich den deutschen Gamaschen¬
dienst (ce LAporalisme allsmaiiä), von dem man bei uns in Frankreich so oft
spricht, noch nicht bemerkt habe", schreibt jener eben genannte Franzose in seinen
Reiseerinnerungen. Und er muß die schmerzliche Erfahrung machen, daß gerade
umgekehrt der Geist jenes subalternen Militarismus, den er "LAporÄliZine" nennt,
in seinem Vaterlande umgeht. Über das unverschämte Benehmen der clouaniers
an der Grenze äußert er seine helle Entrüstung! "Man sollte meinen, daß alle
Schmutzfinken der Welt sich in diesen Dienst (der französischen Zollbehörde) ge¬
flüchtet haben. Ich habe nirgends derartiges gesehen, nicht bei der belgischen,
nicht bei der deutschen, nicht bei der dänischen und nicht bei der schwedischen Zoll¬
behörde; in jenen monarchischen Ländern sollen ja die Leute nicht frei sein, aber
bei uns, in unserem republikanischen Lande, wo die Leute alle mögliche Freiheit
haben sollen, befühlt man uns wie Tiere, belästigt uns, stößt uns hin und her,
und wir lassen das mit uns machen, weil wir Angst vor Geldstrafen und Ge¬
fängnis haben. Was müssen Ausländer von uns denken, wenn sie unsere Grenzen
überschreiten? ... O Freiheit, o Republik, o Frankreich, mein Land! Bei dir
ist's, wo ich den deutschen Kapvralismus gefunden habet"
"

Dem "caporalisme in den niederen Regionen entspricht das brutal-auto¬
kratische Austreten der deutschen Regierungsstellen. So stehl's im Kriegskatechismus
westeuropäischer Hetzpropaganda. Vor dem Kriege hörte man daneben sonderbarer¬
weise eine andere Lesart, nach welcher diese deutsche Negierung eigentlich an un¬
heilbarer Schwäche litt und die Leitung des Landes in die Hände von "Unver¬
antwortlichen", deren Ziele und Wünsche sich widersprachen, gleiten ließ. Unter
diesen "Unverantwortlichen" verstand man die verschiedenen Jnteressenvcrbände
vom Flottenverein, Bund der Landwirte, Hansabund und Bund der Industriellen,
bis zum OstMarkenverein und Evangelischen Bunde. Die Kriegervereine sollten
in der Verwaltung den Ton angeben. Die Parlamente waren für diese An¬
schauung machtlose Figuranten. Einmal abgesehen von der kindlichen Verzeichnung
des Bildes -- wie sah es denn in der Heimat dieser Kritiker aus? Hier müßte


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jene Regionen staatlicher Tätigkeit noch am längsten den exklusiven Charakter —
ein Erbe' der absolutistischen Zeit — bewahrt. Danach möchte man fast auf die all¬
gemein menschliche Unzulänglichkeit, die von der anderen menschlichen Eigenschaft,
sich immer strebend um Besseres zu bemühen, schmerzlich empfunden wird, einen
größeren Teil der Schuld abbürden, als gemeinhin geschieht.

In dieser Ansicht können weitere Vergleiche aus anderen Gebieten nur be¬
stärken. So haben wir von der Schulbank her die Wissenschaft, daß Frankreich
ein besonders vorzügliches Kanalnetz und Schiffahrtssystem besitze. Dazu kommt
dann in rechtem .Kontrast früher oder später die Kunde von der Rückständigkeit
unserer eigenen Wasserstraßen. Die beweglichen Klagen über das Schmerzenskind,
den Mittellandkanal, sind angesichts der Kriegserfahrungen besonders laut ge¬
worden und haben nunmehr ja auch die harthörigen Ostelbier erweicht. Was aber
schreibt man jenseits des Rheins? „Habe?- wir in Frankreich nicht vortreffliche
Ströme wie die Loire, verstopft, versperrt mit Sand? . . . Mit ihrer Mündung
gerade Amerika gegenüber gelegen, würde sie einen gewaltigen Vorzug vor den
Häfen Norddeutschlands haben. Aber das interessiert unsere Bourgeois nicht.
Ein Projekt, die Schiffahrt auf der Loire betreffend, schläft seit einem halben
Jahrhundert in den Archiven des Ministeriums oder in den Mappen der Parla¬
mentarier. . . . Ach, wenn die Deutschen unsere Loire hätten, was würden sie
nicht daraus machen? Nantes würde ein zweites Hamburg. Und wenn sie
unsere Seine hätten, würde der Pariser Seehafen nicht mehr nur ein Traum sein,
eben so wenig wie der Kanal zwischen den beiden Meeren." So urteilte der
französische Sozialist Lucien Rolland unter dem Eindruck einer Reise durch
Deutschland (vgl. „Glocke". Jahrgang III Ur. 20).

Oder ein anderes Beispiel: Polizeischikane und Kasernenton im preußischen
„Anstaltsstaat" ist für den Westler ein Dogma. Aber, wer im Glashause sitzt,
sollte nicht mit Steinen werfen. Aus ihren eigenen Reihen findet jenes ungünstige
Urteil seine Widerlegung. „Ich bin sehr erstaunt, daß ich den deutschen Gamaschen¬
dienst (ce LAporalisme allsmaiiä), von dem man bei uns in Frankreich so oft
spricht, noch nicht bemerkt habe", schreibt jener eben genannte Franzose in seinen
Reiseerinnerungen. Und er muß die schmerzliche Erfahrung machen, daß gerade
umgekehrt der Geist jenes subalternen Militarismus, den er „LAporÄliZine" nennt,
in seinem Vaterlande umgeht. Über das unverschämte Benehmen der clouaniers
an der Grenze äußert er seine helle Entrüstung! „Man sollte meinen, daß alle
Schmutzfinken der Welt sich in diesen Dienst (der französischen Zollbehörde) ge¬
flüchtet haben. Ich habe nirgends derartiges gesehen, nicht bei der belgischen,
nicht bei der deutschen, nicht bei der dänischen und nicht bei der schwedischen Zoll¬
behörde; in jenen monarchischen Ländern sollen ja die Leute nicht frei sein, aber
bei uns, in unserem republikanischen Lande, wo die Leute alle mögliche Freiheit
haben sollen, befühlt man uns wie Tiere, belästigt uns, stößt uns hin und her,
und wir lassen das mit uns machen, weil wir Angst vor Geldstrafen und Ge¬
fängnis haben. Was müssen Ausländer von uns denken, wenn sie unsere Grenzen
überschreiten? ... O Freiheit, o Republik, o Frankreich, mein Land! Bei dir
ist's, wo ich den deutschen Kapvralismus gefunden habet"
"

Dem „caporalisme in den niederen Regionen entspricht das brutal-auto¬
kratische Austreten der deutschen Regierungsstellen. So stehl's im Kriegskatechismus
westeuropäischer Hetzpropaganda. Vor dem Kriege hörte man daneben sonderbarer¬
weise eine andere Lesart, nach welcher diese deutsche Negierung eigentlich an un¬
heilbarer Schwäche litt und die Leitung des Landes in die Hände von „Unver¬
antwortlichen", deren Ziele und Wünsche sich widersprachen, gleiten ließ. Unter
diesen „Unverantwortlichen" verstand man die verschiedenen Jnteressenvcrbände
vom Flottenverein, Bund der Landwirte, Hansabund und Bund der Industriellen,
bis zum OstMarkenverein und Evangelischen Bunde. Die Kriegervereine sollten
in der Verwaltung den Ton angeben. Die Parlamente waren für diese An¬
schauung machtlose Figuranten. Einmal abgesehen von der kindlichen Verzeichnung
des Bildes — wie sah es denn in der Heimat dieser Kritiker aus? Hier müßte


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[0328] „Lomme cke? nous' jene Regionen staatlicher Tätigkeit noch am längsten den exklusiven Charakter — ein Erbe' der absolutistischen Zeit — bewahrt. Danach möchte man fast auf die all¬ gemein menschliche Unzulänglichkeit, die von der anderen menschlichen Eigenschaft, sich immer strebend um Besseres zu bemühen, schmerzlich empfunden wird, einen größeren Teil der Schuld abbürden, als gemeinhin geschieht. In dieser Ansicht können weitere Vergleiche aus anderen Gebieten nur be¬ stärken. So haben wir von der Schulbank her die Wissenschaft, daß Frankreich ein besonders vorzügliches Kanalnetz und Schiffahrtssystem besitze. Dazu kommt dann in rechtem .Kontrast früher oder später die Kunde von der Rückständigkeit unserer eigenen Wasserstraßen. Die beweglichen Klagen über das Schmerzenskind, den Mittellandkanal, sind angesichts der Kriegserfahrungen besonders laut ge¬ worden und haben nunmehr ja auch die harthörigen Ostelbier erweicht. Was aber schreibt man jenseits des Rheins? „Habe?- wir in Frankreich nicht vortreffliche Ströme wie die Loire, verstopft, versperrt mit Sand? . . . Mit ihrer Mündung gerade Amerika gegenüber gelegen, würde sie einen gewaltigen Vorzug vor den Häfen Norddeutschlands haben. Aber das interessiert unsere Bourgeois nicht. Ein Projekt, die Schiffahrt auf der Loire betreffend, schläft seit einem halben Jahrhundert in den Archiven des Ministeriums oder in den Mappen der Parla¬ mentarier. . . . Ach, wenn die Deutschen unsere Loire hätten, was würden sie nicht daraus machen? Nantes würde ein zweites Hamburg. Und wenn sie unsere Seine hätten, würde der Pariser Seehafen nicht mehr nur ein Traum sein, eben so wenig wie der Kanal zwischen den beiden Meeren." So urteilte der französische Sozialist Lucien Rolland unter dem Eindruck einer Reise durch Deutschland (vgl. „Glocke". Jahrgang III Ur. 20). Oder ein anderes Beispiel: Polizeischikane und Kasernenton im preußischen „Anstaltsstaat" ist für den Westler ein Dogma. Aber, wer im Glashause sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Aus ihren eigenen Reihen findet jenes ungünstige Urteil seine Widerlegung. „Ich bin sehr erstaunt, daß ich den deutschen Gamaschen¬ dienst (ce LAporalisme allsmaiiä), von dem man bei uns in Frankreich so oft spricht, noch nicht bemerkt habe", schreibt jener eben genannte Franzose in seinen Reiseerinnerungen. Und er muß die schmerzliche Erfahrung machen, daß gerade umgekehrt der Geist jenes subalternen Militarismus, den er „LAporÄliZine" nennt, in seinem Vaterlande umgeht. Über das unverschämte Benehmen der clouaniers an der Grenze äußert er seine helle Entrüstung! „Man sollte meinen, daß alle Schmutzfinken der Welt sich in diesen Dienst (der französischen Zollbehörde) ge¬ flüchtet haben. Ich habe nirgends derartiges gesehen, nicht bei der belgischen, nicht bei der deutschen, nicht bei der dänischen und nicht bei der schwedischen Zoll¬ behörde; in jenen monarchischen Ländern sollen ja die Leute nicht frei sein, aber bei uns, in unserem republikanischen Lande, wo die Leute alle mögliche Freiheit haben sollen, befühlt man uns wie Tiere, belästigt uns, stößt uns hin und her, und wir lassen das mit uns machen, weil wir Angst vor Geldstrafen und Ge¬ fängnis haben. Was müssen Ausländer von uns denken, wenn sie unsere Grenzen überschreiten? ... O Freiheit, o Republik, o Frankreich, mein Land! Bei dir ist's, wo ich den deutschen Kapvralismus gefunden habet" " Dem „caporalisme in den niederen Regionen entspricht das brutal-auto¬ kratische Austreten der deutschen Regierungsstellen. So stehl's im Kriegskatechismus westeuropäischer Hetzpropaganda. Vor dem Kriege hörte man daneben sonderbarer¬ weise eine andere Lesart, nach welcher diese deutsche Negierung eigentlich an un¬ heilbarer Schwäche litt und die Leitung des Landes in die Hände von „Unver¬ antwortlichen", deren Ziele und Wünsche sich widersprachen, gleiten ließ. Unter diesen „Unverantwortlichen" verstand man die verschiedenen Jnteressenvcrbände vom Flottenverein, Bund der Landwirte, Hansabund und Bund der Industriellen, bis zum OstMarkenverein und Evangelischen Bunde. Die Kriegervereine sollten in der Verwaltung den Ton angeben. Die Parlamente waren für diese An¬ schauung machtlose Figuranten. Einmal abgesehen von der kindlichen Verzeichnung des Bildes — wie sah es denn in der Heimat dieser Kritiker aus? Hier müßte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/328>, abgerufen am 25.08.2024.