Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
"Lomme ehe? nous"

Widerwärtigkeiten und Ärgernis gegeben. Der Dienst unseres auswärtigen Amtes
hat einen größeren Zusammenbruch erlitten, als irgendein anderer Teil unserer
Regierungsmaschine. Die Beweise von Unkenntnis und Unfähigkeit sind geradezu
demütigend ... Die Folge hiervon war, daß wir von Bulgarien düpiert wurden
und hierdurch den Ruin unseres serbischen Verbündeten herbeiführten, daß von
dem schurkischen König von Griechenland mit uns wie mit einer Puppe gespielt
wurde, und daß wir völlig unvorbereitet der Entwicklung der Dinge in Rusland
gegenüberstanden. Man kann nur ahnen, wie weit uns dieselbe Unkenntnis und
Unfähigkeit in den neutralen Ländern geschädigt hat." Der Artikel kommt weiterhin
auf die Gründe dieser Umstände zu sprechen. "Der wesentliche Fehler unseres
diplomatischen Dienstes ist, daß wir der äußeren Form den Vorzug vor dem
Inhalt gegeben haben . . . Der auswärtige Dienst hat bisher Vertreter gehabt,
bei denen hauptsächlich auf den äußeren Schliff gesehen wurde. Kein Kandidat
wurde angenommen, der nicht den Besitz eines unabhängigen Einkommens nach¬
weisen konnte. Die, die zugelassen wurden, fanden, daß Salonkunstfertigkeiten
einen sichereren Pfad für die Beförderung bildeten, als wirkliche Kenntnis der inter¬
nationalen Politik und des Handels. Das System der internen Unterweisung
war grotesk, und die ganzen Anforderungen an den diplomatischen Dienst konnten
nur Zynismus fördern und Tüchtigkeit ersticken. Englische Geschäftsleute haben
sich lange über die beleidigende Gleichgültigkeit beschwert, mit der ihre Angelegen¬
heiten bei den Missionen behandelt wurden, und dies ist nur ein einzelnes Zeichen
für die Untüchtigkeit eines Dienstes, der auf Kastenwesen beruht, anstatt auf
Kenntnissen und Charakter. Die britische Negierung ist durch ihre Diplomaten
oft über die herrschenden Meinungen in fremden Ländern getäuscht worden. (Fall
Lichnowsky tout comme clrex nouslj Die wirkliche Welt kann heutzutage nicht
in Boudoirs und Lehnstühlen studiert werden. Wir haben zu sehr unter der an¬
maßenden Untüchtigkeit gelitten und brauchen bei der Beseitigung derselben nicht
mit allzugroßer Zeremonie vorzugehen." Der Verfasser fordert denn auch rigoros
die Entlassung von drei Viertel der politischen und diplomatischen Beamten wegen
Unfähigkeit.'

Nach diesen Ausführungen scheint doch auch die diplomatische National-
Hymne in England und Deutschland die gleiche Melodie zu besitzen!

Aus Frankreich vernehmen wir übrigens ganz ähnliche Klagen über die
Weltfremdheit der Diplomaten und die Bevorzugung äußerlicher Eigenschaften bei
der Anstellung in diesem Dienst. Die offiziellen Vertreter des Staates vermeiden,
wie der Abg. Chaumier in der Kammer sagte, den Verkehr mit Handel, Industrie
und Finanz, "daher kommt es denn auch, daß die besten wirtschaftlichen Berichte
niemals von den Chefs größerer Missionen geschrieben werden". Und "Victoire",
wie der patriotisch gewordene Heros seine "La Guerre sociale" von ehedem getauft
hat, schreibt im Anschluß an die parlamentarische Debatte: "Abgesehen von einigen
hervorragenden Männern ... war unser diplomatisches Korps vor dem Kriege für
die gesamte Welt ein Gegenstand des Mitleids und des Spottes", um dann eben¬
falls auf die Versager gegenüber Bulgarien und der Türkei und die "traurige
Rolle" der französischen Diplomatie in Spanien hinzuweisen, wo trotz aller Sym¬
pathien der Linken die Bildung eines deutschfreundlichen Agitotionshcrdes nicht
habe verhindert werden können. "Bei der großen internationalen Konferenz, die
alle die durch den Weltkrieg aufgestellten Probleme regeln wird, werden wir gut
tun. uns durch Diplomaten vertreten zu lassen, die etwas weniger über den West-
Mischen Frieden und den Wiener Kongreß unterrichtet sind, dafür aber um so
besser die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des gegenwärtigen Jahr-
Hunderts kennen/' Dementsprechend versucht Herr Clemenccau jetzt die Gesetze
des diplomatischen Zunftzwanges zu durchbrechen. Kürzlich ernannte er den bis¬
herigen Korrespondenten des "Matin" in Genf. Georges Casella. zum Attachö der
Bern er Gesandtschaft. ^ , ^ ...^ ^, ,

Es zeigt sich also deutlich eine Berufskrankheit der europäischen Diplomatie.
Im demokratischen Westen ebenso wie im monarchischen Deutschland haben


„Lomme ehe? nous"

Widerwärtigkeiten und Ärgernis gegeben. Der Dienst unseres auswärtigen Amtes
hat einen größeren Zusammenbruch erlitten, als irgendein anderer Teil unserer
Regierungsmaschine. Die Beweise von Unkenntnis und Unfähigkeit sind geradezu
demütigend ... Die Folge hiervon war, daß wir von Bulgarien düpiert wurden
und hierdurch den Ruin unseres serbischen Verbündeten herbeiführten, daß von
dem schurkischen König von Griechenland mit uns wie mit einer Puppe gespielt
wurde, und daß wir völlig unvorbereitet der Entwicklung der Dinge in Rusland
gegenüberstanden. Man kann nur ahnen, wie weit uns dieselbe Unkenntnis und
Unfähigkeit in den neutralen Ländern geschädigt hat." Der Artikel kommt weiterhin
auf die Gründe dieser Umstände zu sprechen. „Der wesentliche Fehler unseres
diplomatischen Dienstes ist, daß wir der äußeren Form den Vorzug vor dem
Inhalt gegeben haben . . . Der auswärtige Dienst hat bisher Vertreter gehabt,
bei denen hauptsächlich auf den äußeren Schliff gesehen wurde. Kein Kandidat
wurde angenommen, der nicht den Besitz eines unabhängigen Einkommens nach¬
weisen konnte. Die, die zugelassen wurden, fanden, daß Salonkunstfertigkeiten
einen sichereren Pfad für die Beförderung bildeten, als wirkliche Kenntnis der inter¬
nationalen Politik und des Handels. Das System der internen Unterweisung
war grotesk, und die ganzen Anforderungen an den diplomatischen Dienst konnten
nur Zynismus fördern und Tüchtigkeit ersticken. Englische Geschäftsleute haben
sich lange über die beleidigende Gleichgültigkeit beschwert, mit der ihre Angelegen¬
heiten bei den Missionen behandelt wurden, und dies ist nur ein einzelnes Zeichen
für die Untüchtigkeit eines Dienstes, der auf Kastenwesen beruht, anstatt auf
Kenntnissen und Charakter. Die britische Negierung ist durch ihre Diplomaten
oft über die herrschenden Meinungen in fremden Ländern getäuscht worden. (Fall
Lichnowsky tout comme clrex nouslj Die wirkliche Welt kann heutzutage nicht
in Boudoirs und Lehnstühlen studiert werden. Wir haben zu sehr unter der an¬
maßenden Untüchtigkeit gelitten und brauchen bei der Beseitigung derselben nicht
mit allzugroßer Zeremonie vorzugehen." Der Verfasser fordert denn auch rigoros
die Entlassung von drei Viertel der politischen und diplomatischen Beamten wegen
Unfähigkeit.'

Nach diesen Ausführungen scheint doch auch die diplomatische National-
Hymne in England und Deutschland die gleiche Melodie zu besitzen!

Aus Frankreich vernehmen wir übrigens ganz ähnliche Klagen über die
Weltfremdheit der Diplomaten und die Bevorzugung äußerlicher Eigenschaften bei
der Anstellung in diesem Dienst. Die offiziellen Vertreter des Staates vermeiden,
wie der Abg. Chaumier in der Kammer sagte, den Verkehr mit Handel, Industrie
und Finanz, „daher kommt es denn auch, daß die besten wirtschaftlichen Berichte
niemals von den Chefs größerer Missionen geschrieben werden". Und „Victoire",
wie der patriotisch gewordene Heros seine „La Guerre sociale" von ehedem getauft
hat, schreibt im Anschluß an die parlamentarische Debatte: „Abgesehen von einigen
hervorragenden Männern ... war unser diplomatisches Korps vor dem Kriege für
die gesamte Welt ein Gegenstand des Mitleids und des Spottes", um dann eben¬
falls auf die Versager gegenüber Bulgarien und der Türkei und die „traurige
Rolle" der französischen Diplomatie in Spanien hinzuweisen, wo trotz aller Sym¬
pathien der Linken die Bildung eines deutschfreundlichen Agitotionshcrdes nicht
habe verhindert werden können. „Bei der großen internationalen Konferenz, die
alle die durch den Weltkrieg aufgestellten Probleme regeln wird, werden wir gut
tun. uns durch Diplomaten vertreten zu lassen, die etwas weniger über den West-
Mischen Frieden und den Wiener Kongreß unterrichtet sind, dafür aber um so
besser die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des gegenwärtigen Jahr-
Hunderts kennen/' Dementsprechend versucht Herr Clemenccau jetzt die Gesetze
des diplomatischen Zunftzwanges zu durchbrechen. Kürzlich ernannte er den bis¬
herigen Korrespondenten des „Matin" in Genf. Georges Casella. zum Attachö der
Bern er Gesandtschaft. ^ , ^ ...^ ^, ,

Es zeigt sich also deutlich eine Berufskrankheit der europäischen Diplomatie.
Im demokratischen Westen ebenso wie im monarchischen Deutschland haben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0327" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333810"/>
          <fw type="header" place="top"> &#x201E;Lomme ehe? nous"</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1248" prev="#ID_1247"> Widerwärtigkeiten und Ärgernis gegeben. Der Dienst unseres auswärtigen Amtes<lb/>
hat einen größeren Zusammenbruch erlitten, als irgendein anderer Teil unserer<lb/>
Regierungsmaschine. Die Beweise von Unkenntnis und Unfähigkeit sind geradezu<lb/>
demütigend ... Die Folge hiervon war, daß wir von Bulgarien düpiert wurden<lb/>
und hierdurch den Ruin unseres serbischen Verbündeten herbeiführten, daß von<lb/>
dem schurkischen König von Griechenland mit uns wie mit einer Puppe gespielt<lb/>
wurde, und daß wir völlig unvorbereitet der Entwicklung der Dinge in Rusland<lb/>
gegenüberstanden. Man kann nur ahnen, wie weit uns dieselbe Unkenntnis und<lb/>
Unfähigkeit in den neutralen Ländern geschädigt hat." Der Artikel kommt weiterhin<lb/>
auf die Gründe dieser Umstände zu sprechen. &#x201E;Der wesentliche Fehler unseres<lb/>
diplomatischen Dienstes ist, daß wir der äußeren Form den Vorzug vor dem<lb/>
Inhalt gegeben haben . . . Der auswärtige Dienst hat bisher Vertreter gehabt,<lb/>
bei denen hauptsächlich auf den äußeren Schliff gesehen wurde. Kein Kandidat<lb/>
wurde angenommen, der nicht den Besitz eines unabhängigen Einkommens nach¬<lb/>
weisen konnte. Die, die zugelassen wurden, fanden, daß Salonkunstfertigkeiten<lb/>
einen sichereren Pfad für die Beförderung bildeten, als wirkliche Kenntnis der inter¬<lb/>
nationalen Politik und des Handels. Das System der internen Unterweisung<lb/>
war grotesk, und die ganzen Anforderungen an den diplomatischen Dienst konnten<lb/>
nur Zynismus fördern und Tüchtigkeit ersticken. Englische Geschäftsleute haben<lb/>
sich lange über die beleidigende Gleichgültigkeit beschwert, mit der ihre Angelegen¬<lb/>
heiten bei den Missionen behandelt wurden, und dies ist nur ein einzelnes Zeichen<lb/>
für die Untüchtigkeit eines Dienstes, der auf Kastenwesen beruht, anstatt auf<lb/>
Kenntnissen und Charakter. Die britische Negierung ist durch ihre Diplomaten<lb/>
oft über die herrschenden Meinungen in fremden Ländern getäuscht worden. (Fall<lb/>
Lichnowsky tout comme clrex nouslj Die wirkliche Welt kann heutzutage nicht<lb/>
in Boudoirs und Lehnstühlen studiert werden. Wir haben zu sehr unter der an¬<lb/>
maßenden Untüchtigkeit gelitten und brauchen bei der Beseitigung derselben nicht<lb/>
mit allzugroßer Zeremonie vorzugehen." Der Verfasser fordert denn auch rigoros<lb/>
die Entlassung von drei Viertel der politischen und diplomatischen Beamten wegen<lb/>
Unfähigkeit.'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1249"> Nach diesen Ausführungen scheint doch auch die diplomatische National-<lb/>
Hymne in England und Deutschland die gleiche Melodie zu besitzen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1250"> Aus Frankreich vernehmen wir übrigens ganz ähnliche Klagen über die<lb/>
Weltfremdheit der Diplomaten und die Bevorzugung äußerlicher Eigenschaften bei<lb/>
der Anstellung in diesem Dienst. Die offiziellen Vertreter des Staates vermeiden,<lb/>
wie der Abg. Chaumier in der Kammer sagte, den Verkehr mit Handel, Industrie<lb/>
und Finanz, &#x201E;daher kommt es denn auch, daß die besten wirtschaftlichen Berichte<lb/>
niemals von den Chefs größerer Missionen geschrieben werden". Und &#x201E;Victoire",<lb/>
wie der patriotisch gewordene Heros seine &#x201E;La Guerre sociale" von ehedem getauft<lb/>
hat, schreibt im Anschluß an die parlamentarische Debatte: &#x201E;Abgesehen von einigen<lb/>
hervorragenden Männern ... war unser diplomatisches Korps vor dem Kriege für<lb/>
die gesamte Welt ein Gegenstand des Mitleids und des Spottes", um dann eben¬<lb/>
falls auf die Versager gegenüber Bulgarien und der Türkei und die &#x201E;traurige<lb/>
Rolle" der französischen Diplomatie in Spanien hinzuweisen, wo trotz aller Sym¬<lb/>
pathien der Linken die Bildung eines deutschfreundlichen Agitotionshcrdes nicht<lb/>
habe verhindert werden können. &#x201E;Bei der großen internationalen Konferenz, die<lb/>
alle die durch den Weltkrieg aufgestellten Probleme regeln wird, werden wir gut<lb/>
tun. uns durch Diplomaten vertreten zu lassen, die etwas weniger über den West-<lb/>
Mischen Frieden und den Wiener Kongreß unterrichtet sind, dafür aber um so<lb/>
besser die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des gegenwärtigen Jahr-<lb/>
Hunderts kennen/' Dementsprechend versucht Herr Clemenccau jetzt die Gesetze<lb/>
des diplomatischen Zunftzwanges zu durchbrechen. Kürzlich ernannte er den bis¬<lb/>
herigen Korrespondenten des &#x201E;Matin" in Genf. Georges Casella. zum Attachö der<lb/>
Bern er Gesandtschaft. ^ , ^ ...^  ^, ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1251" next="#ID_1252"> Es zeigt sich also deutlich eine Berufskrankheit der europäischen Diplomatie.<lb/>
Im demokratischen Westen ebenso wie im monarchischen Deutschland haben</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0327] „Lomme ehe? nous" Widerwärtigkeiten und Ärgernis gegeben. Der Dienst unseres auswärtigen Amtes hat einen größeren Zusammenbruch erlitten, als irgendein anderer Teil unserer Regierungsmaschine. Die Beweise von Unkenntnis und Unfähigkeit sind geradezu demütigend ... Die Folge hiervon war, daß wir von Bulgarien düpiert wurden und hierdurch den Ruin unseres serbischen Verbündeten herbeiführten, daß von dem schurkischen König von Griechenland mit uns wie mit einer Puppe gespielt wurde, und daß wir völlig unvorbereitet der Entwicklung der Dinge in Rusland gegenüberstanden. Man kann nur ahnen, wie weit uns dieselbe Unkenntnis und Unfähigkeit in den neutralen Ländern geschädigt hat." Der Artikel kommt weiterhin auf die Gründe dieser Umstände zu sprechen. „Der wesentliche Fehler unseres diplomatischen Dienstes ist, daß wir der äußeren Form den Vorzug vor dem Inhalt gegeben haben . . . Der auswärtige Dienst hat bisher Vertreter gehabt, bei denen hauptsächlich auf den äußeren Schliff gesehen wurde. Kein Kandidat wurde angenommen, der nicht den Besitz eines unabhängigen Einkommens nach¬ weisen konnte. Die, die zugelassen wurden, fanden, daß Salonkunstfertigkeiten einen sichereren Pfad für die Beförderung bildeten, als wirkliche Kenntnis der inter¬ nationalen Politik und des Handels. Das System der internen Unterweisung war grotesk, und die ganzen Anforderungen an den diplomatischen Dienst konnten nur Zynismus fördern und Tüchtigkeit ersticken. Englische Geschäftsleute haben sich lange über die beleidigende Gleichgültigkeit beschwert, mit der ihre Angelegen¬ heiten bei den Missionen behandelt wurden, und dies ist nur ein einzelnes Zeichen für die Untüchtigkeit eines Dienstes, der auf Kastenwesen beruht, anstatt auf Kenntnissen und Charakter. Die britische Negierung ist durch ihre Diplomaten oft über die herrschenden Meinungen in fremden Ländern getäuscht worden. (Fall Lichnowsky tout comme clrex nouslj Die wirkliche Welt kann heutzutage nicht in Boudoirs und Lehnstühlen studiert werden. Wir haben zu sehr unter der an¬ maßenden Untüchtigkeit gelitten und brauchen bei der Beseitigung derselben nicht mit allzugroßer Zeremonie vorzugehen." Der Verfasser fordert denn auch rigoros die Entlassung von drei Viertel der politischen und diplomatischen Beamten wegen Unfähigkeit.' Nach diesen Ausführungen scheint doch auch die diplomatische National- Hymne in England und Deutschland die gleiche Melodie zu besitzen! Aus Frankreich vernehmen wir übrigens ganz ähnliche Klagen über die Weltfremdheit der Diplomaten und die Bevorzugung äußerlicher Eigenschaften bei der Anstellung in diesem Dienst. Die offiziellen Vertreter des Staates vermeiden, wie der Abg. Chaumier in der Kammer sagte, den Verkehr mit Handel, Industrie und Finanz, „daher kommt es denn auch, daß die besten wirtschaftlichen Berichte niemals von den Chefs größerer Missionen geschrieben werden". Und „Victoire", wie der patriotisch gewordene Heros seine „La Guerre sociale" von ehedem getauft hat, schreibt im Anschluß an die parlamentarische Debatte: „Abgesehen von einigen hervorragenden Männern ... war unser diplomatisches Korps vor dem Kriege für die gesamte Welt ein Gegenstand des Mitleids und des Spottes", um dann eben¬ falls auf die Versager gegenüber Bulgarien und der Türkei und die „traurige Rolle" der französischen Diplomatie in Spanien hinzuweisen, wo trotz aller Sym¬ pathien der Linken die Bildung eines deutschfreundlichen Agitotionshcrdes nicht habe verhindert werden können. „Bei der großen internationalen Konferenz, die alle die durch den Weltkrieg aufgestellten Probleme regeln wird, werden wir gut tun. uns durch Diplomaten vertreten zu lassen, die etwas weniger über den West- Mischen Frieden und den Wiener Kongreß unterrichtet sind, dafür aber um so besser die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des gegenwärtigen Jahr- Hunderts kennen/' Dementsprechend versucht Herr Clemenccau jetzt die Gesetze des diplomatischen Zunftzwanges zu durchbrechen. Kürzlich ernannte er den bis¬ herigen Korrespondenten des „Matin" in Genf. Georges Casella. zum Attachö der Bern er Gesandtschaft. ^ , ^ ...^ ^, , Es zeigt sich also deutlich eine Berufskrankheit der europäischen Diplomatie. Im demokratischen Westen ebenso wie im monarchischen Deutschland haben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/327
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/327>, abgerufen am 25.08.2024.