Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus "Lrizcheus Liederbuch"

Musikfreude und Begabung bildet fast in jedem Brief, den er ihm schreibt, den
Inhalt. Er erzählt ihm von Konzerten, von Sängerinnen, von Orchester- und
Kirchenmusik, die er in Paris genießt. Und er empfiehlt seinem Hans zugleich
das Studium der Musik, wie er ihn dringend warnt, sich dieser Neigung allzu
stark hinzugeben, "denn er soll nie vergessen, was seine Hauptsache sein und
bleiben muß" -- der Kaufmannsberuf. Mit väterlicher Besorgnis erfüllt ihn die
weiche Gemütsart seines Hans. In der Antwort auf einen Brief, in dem Hans
ihm offenbar in tiefer Bewegung von einem Trauerfall bei nahen Freunden
schreibt, warnt er ihn in liebevollster, väterlichster Weise:

"Das muß Dich indessen nicht zu Gefühlen herabspannen, die dem inneren
Frohscin drohen und dem Geiste seinen besten Sporn zu reger Tätigkeit rauben
können. Nur warnen soll uns das ernste Schicksal: hier, Jüngling! liegen Fuß-
angeln! ruft es. Wo denn hauptsächlich? Siehe, die Geschichte eines jeden
Tages predigt es Dir: In dem Hasche nach dem Genuß! In der damit ver¬
bundenen Verwilderung des Gemütes, wodurch der Geist der Ordnung, der Ge¬
wissenhaftigkeit, der Rechtschaffenheit verschwindet! -- Und dann: welch ein furcht¬
bares Übel ist die Schwäche! Man kann dabei den Namen des Gutmütiger in
der Welt behaupten, ist aber ein Sklave eigener und fremder Unart, ohne Gegen¬
wehr und ohne Rettung, der Tag des Umsturzes bricht unaufhaltsam herein, und
in seinen eigenen Augen erscheint man sich dann wahrlich nicht gut, sondern
jämmerlich."

Ebenso schreibt er aus demselben Anlaß:

Paris, den 8. August 1808.

"Ich danke Dir, mein bester Hans! für Deine Zuschrift vom 28. vorigen
Monats. Sie zeichnet ganz wiederum Dein Herz, wie es für Menschenschicksal
und für die Rechte der Tugend fühlet. Du mußt aber auch nicht der Sache zu
viel tun, so daß Deine eigene Heiterkeit darunter zugrunde geht. Du könntest
leicht einen Hang gewinnen zur Melancholie, und dann hättest Du nicht allein
die Freude Deines Lebens, sondern auch den reinen Spiegel der Wahrheit ein¬
gebüßt; Du sähest alle Gegenstände durch ein düster gefärbtes Glas und liefest
Gefahr, in den Sümpfen des Menschenhasses allen Trieb zu nützlicher Tätigkeit
zu ersticken. Wo wir sehr tief fühlen und doch nicht wirken, doch nicht helfen
können, da haben wir besonders Ursache, uns zusammenzunehmen: denn da sind
wir auf einem Gebiete, welches uns mit leidiger Passivität bedroht. ES ist nichts
nachteiliger, als das tote, müßige Bejammern eines Unglückes, das wie ein Riese
dasteht und unserer schwachen Kräfte spottet: es raubt uns unser Selbstgefühl
und macht uns zu einem bloßen Vulk das Schicksals. Handeln, wirken, schaffen
in uns selber und um uns her; das ist unser Beruf, und dazu bedürfen wir
freilich auch des Mitgefühls als eines edlen Reizes. Übernimmt uns aber das
Gefühl, so verwandelt sich gerade der Reiz in Abspannung, und wir geraten in
ein dumpfes, untätiges Staunen; wir verlieren dabei die heitere, gute Laune
und werden ungeschickt zum Handeln, werden uns und anderen unerträglich. Da
sucht der belaoene Geist denn doch gewöhnlich einen Ausweg, und dieser, er
visiere, wohin er wolle, ist fast immer unmoralisch. Entweder hadert man mit
Gott, oder man zankt mit den Menschen oder man sucht sich zu betäuben und
versinkt in dem Schlamm der Lüste. Unsere göttliche Religion gibt uns das beste
Umrahmungsmittel, indem sie lehrt, es geschieht nichts ohne den Willen unseres
Vaters im Himmel, der ein Herr ist auch des Bösen und am Ende es alles zum
Guten lenkt. Da geben wir uns kindlich hin in seine Hand; wo wir arm und
unvermögend sind, da sehen wir auf ihn; er ist reich und mächtig. Wo wir so
gerne helfen wollen und nicht können, da denken wir: Sein Auge sieht alles, es
sieht unser Herz, und seine Stunde wird kommen; nicht nötig, daß wir gerade
sein Werkzeug seien, er hat der Werkzeuge unzählige und ruft sie nach seinem
göttlichen Willen. Dann beruhigen wir uns, vertrauen auf ihn und gehen wieder
frisch und fröhlich an unser Werk. So, mein geliebtester Sohn, mache Du es


Aus „Lrizcheus Liederbuch"

Musikfreude und Begabung bildet fast in jedem Brief, den er ihm schreibt, den
Inhalt. Er erzählt ihm von Konzerten, von Sängerinnen, von Orchester- und
Kirchenmusik, die er in Paris genießt. Und er empfiehlt seinem Hans zugleich
das Studium der Musik, wie er ihn dringend warnt, sich dieser Neigung allzu
stark hinzugeben, „denn er soll nie vergessen, was seine Hauptsache sein und
bleiben muß" — der Kaufmannsberuf. Mit väterlicher Besorgnis erfüllt ihn die
weiche Gemütsart seines Hans. In der Antwort auf einen Brief, in dem Hans
ihm offenbar in tiefer Bewegung von einem Trauerfall bei nahen Freunden
schreibt, warnt er ihn in liebevollster, väterlichster Weise:

„Das muß Dich indessen nicht zu Gefühlen herabspannen, die dem inneren
Frohscin drohen und dem Geiste seinen besten Sporn zu reger Tätigkeit rauben
können. Nur warnen soll uns das ernste Schicksal: hier, Jüngling! liegen Fuß-
angeln! ruft es. Wo denn hauptsächlich? Siehe, die Geschichte eines jeden
Tages predigt es Dir: In dem Hasche nach dem Genuß! In der damit ver¬
bundenen Verwilderung des Gemütes, wodurch der Geist der Ordnung, der Ge¬
wissenhaftigkeit, der Rechtschaffenheit verschwindet! — Und dann: welch ein furcht¬
bares Übel ist die Schwäche! Man kann dabei den Namen des Gutmütiger in
der Welt behaupten, ist aber ein Sklave eigener und fremder Unart, ohne Gegen¬
wehr und ohne Rettung, der Tag des Umsturzes bricht unaufhaltsam herein, und
in seinen eigenen Augen erscheint man sich dann wahrlich nicht gut, sondern
jämmerlich."

Ebenso schreibt er aus demselben Anlaß:

Paris, den 8. August 1808.

„Ich danke Dir, mein bester Hans! für Deine Zuschrift vom 28. vorigen
Monats. Sie zeichnet ganz wiederum Dein Herz, wie es für Menschenschicksal
und für die Rechte der Tugend fühlet. Du mußt aber auch nicht der Sache zu
viel tun, so daß Deine eigene Heiterkeit darunter zugrunde geht. Du könntest
leicht einen Hang gewinnen zur Melancholie, und dann hättest Du nicht allein
die Freude Deines Lebens, sondern auch den reinen Spiegel der Wahrheit ein¬
gebüßt; Du sähest alle Gegenstände durch ein düster gefärbtes Glas und liefest
Gefahr, in den Sümpfen des Menschenhasses allen Trieb zu nützlicher Tätigkeit
zu ersticken. Wo wir sehr tief fühlen und doch nicht wirken, doch nicht helfen
können, da haben wir besonders Ursache, uns zusammenzunehmen: denn da sind
wir auf einem Gebiete, welches uns mit leidiger Passivität bedroht. ES ist nichts
nachteiliger, als das tote, müßige Bejammern eines Unglückes, das wie ein Riese
dasteht und unserer schwachen Kräfte spottet: es raubt uns unser Selbstgefühl
und macht uns zu einem bloßen Vulk das Schicksals. Handeln, wirken, schaffen
in uns selber und um uns her; das ist unser Beruf, und dazu bedürfen wir
freilich auch des Mitgefühls als eines edlen Reizes. Übernimmt uns aber das
Gefühl, so verwandelt sich gerade der Reiz in Abspannung, und wir geraten in
ein dumpfes, untätiges Staunen; wir verlieren dabei die heitere, gute Laune
und werden ungeschickt zum Handeln, werden uns und anderen unerträglich. Da
sucht der belaoene Geist denn doch gewöhnlich einen Ausweg, und dieser, er
visiere, wohin er wolle, ist fast immer unmoralisch. Entweder hadert man mit
Gott, oder man zankt mit den Menschen oder man sucht sich zu betäuben und
versinkt in dem Schlamm der Lüste. Unsere göttliche Religion gibt uns das beste
Umrahmungsmittel, indem sie lehrt, es geschieht nichts ohne den Willen unseres
Vaters im Himmel, der ein Herr ist auch des Bösen und am Ende es alles zum
Guten lenkt. Da geben wir uns kindlich hin in seine Hand; wo wir arm und
unvermögend sind, da sehen wir auf ihn; er ist reich und mächtig. Wo wir so
gerne helfen wollen und nicht können, da denken wir: Sein Auge sieht alles, es
sieht unser Herz, und seine Stunde wird kommen; nicht nötig, daß wir gerade
sein Werkzeug seien, er hat der Werkzeuge unzählige und ruft sie nach seinem
göttlichen Willen. Dann beruhigen wir uns, vertrauen auf ihn und gehen wieder
frisch und fröhlich an unser Werk. So, mein geliebtester Sohn, mache Du es


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333807"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus &#x201E;Lrizcheus Liederbuch"</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1234" prev="#ID_1233"> Musikfreude und Begabung bildet fast in jedem Brief, den er ihm schreibt, den<lb/>
Inhalt. Er erzählt ihm von Konzerten, von Sängerinnen, von Orchester- und<lb/>
Kirchenmusik, die er in Paris genießt. Und er empfiehlt seinem Hans zugleich<lb/>
das Studium der Musik, wie er ihn dringend warnt, sich dieser Neigung allzu<lb/>
stark hinzugeben, &#x201E;denn er soll nie vergessen, was seine Hauptsache sein und<lb/>
bleiben muß" &#x2014; der Kaufmannsberuf. Mit väterlicher Besorgnis erfüllt ihn die<lb/>
weiche Gemütsart seines Hans. In der Antwort auf einen Brief, in dem Hans<lb/>
ihm offenbar in tiefer Bewegung von einem Trauerfall bei nahen Freunden<lb/>
schreibt, warnt er ihn in liebevollster, väterlichster Weise:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1235"> &#x201E;Das muß Dich indessen nicht zu Gefühlen herabspannen, die dem inneren<lb/>
Frohscin drohen und dem Geiste seinen besten Sporn zu reger Tätigkeit rauben<lb/>
können. Nur warnen soll uns das ernste Schicksal: hier, Jüngling! liegen Fuß-<lb/>
angeln! ruft es. Wo denn hauptsächlich? Siehe, die Geschichte eines jeden<lb/>
Tages predigt es Dir: In dem Hasche nach dem Genuß! In der damit ver¬<lb/>
bundenen Verwilderung des Gemütes, wodurch der Geist der Ordnung, der Ge¬<lb/>
wissenhaftigkeit, der Rechtschaffenheit verschwindet! &#x2014; Und dann: welch ein furcht¬<lb/>
bares Übel ist die Schwäche! Man kann dabei den Namen des Gutmütiger in<lb/>
der Welt behaupten, ist aber ein Sklave eigener und fremder Unart, ohne Gegen¬<lb/>
wehr und ohne Rettung, der Tag des Umsturzes bricht unaufhaltsam herein, und<lb/>
in seinen eigenen Augen erscheint man sich dann wahrlich nicht gut, sondern<lb/>
jämmerlich."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1236"> Ebenso schreibt er aus demselben Anlaß:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1237"> Paris, den 8. August 1808.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1238" next="#ID_1239"> &#x201E;Ich danke Dir, mein bester Hans! für Deine Zuschrift vom 28. vorigen<lb/>
Monats. Sie zeichnet ganz wiederum Dein Herz, wie es für Menschenschicksal<lb/>
und für die Rechte der Tugend fühlet. Du mußt aber auch nicht der Sache zu<lb/>
viel tun, so daß Deine eigene Heiterkeit darunter zugrunde geht. Du könntest<lb/>
leicht einen Hang gewinnen zur Melancholie, und dann hättest Du nicht allein<lb/>
die Freude Deines Lebens, sondern auch den reinen Spiegel der Wahrheit ein¬<lb/>
gebüßt; Du sähest alle Gegenstände durch ein düster gefärbtes Glas und liefest<lb/>
Gefahr, in den Sümpfen des Menschenhasses allen Trieb zu nützlicher Tätigkeit<lb/>
zu ersticken. Wo wir sehr tief fühlen und doch nicht wirken, doch nicht helfen<lb/>
können, da haben wir besonders Ursache, uns zusammenzunehmen: denn da sind<lb/>
wir auf einem Gebiete, welches uns mit leidiger Passivität bedroht. ES ist nichts<lb/>
nachteiliger, als das tote, müßige Bejammern eines Unglückes, das wie ein Riese<lb/>
dasteht und unserer schwachen Kräfte spottet: es raubt uns unser Selbstgefühl<lb/>
und macht uns zu einem bloßen Vulk das Schicksals. Handeln, wirken, schaffen<lb/>
in uns selber und um uns her; das ist unser Beruf, und dazu bedürfen wir<lb/>
freilich auch des Mitgefühls als eines edlen Reizes. Übernimmt uns aber das<lb/>
Gefühl, so verwandelt sich gerade der Reiz in Abspannung, und wir geraten in<lb/>
ein dumpfes, untätiges Staunen; wir verlieren dabei die heitere, gute Laune<lb/>
und werden ungeschickt zum Handeln, werden uns und anderen unerträglich. Da<lb/>
sucht der belaoene Geist denn doch gewöhnlich einen Ausweg, und dieser, er<lb/>
visiere, wohin er wolle, ist fast immer unmoralisch. Entweder hadert man mit<lb/>
Gott, oder man zankt mit den Menschen oder man sucht sich zu betäuben und<lb/>
versinkt in dem Schlamm der Lüste. Unsere göttliche Religion gibt uns das beste<lb/>
Umrahmungsmittel, indem sie lehrt, es geschieht nichts ohne den Willen unseres<lb/>
Vaters im Himmel, der ein Herr ist auch des Bösen und am Ende es alles zum<lb/>
Guten lenkt. Da geben wir uns kindlich hin in seine Hand; wo wir arm und<lb/>
unvermögend sind, da sehen wir auf ihn; er ist reich und mächtig. Wo wir so<lb/>
gerne helfen wollen und nicht können, da denken wir: Sein Auge sieht alles, es<lb/>
sieht unser Herz, und seine Stunde wird kommen; nicht nötig, daß wir gerade<lb/>
sein Werkzeug seien, er hat der Werkzeuge unzählige und ruft sie nach seinem<lb/>
göttlichen Willen. Dann beruhigen wir uns, vertrauen auf ihn und gehen wieder<lb/>
frisch und fröhlich an unser Werk. So, mein geliebtester Sohn, mache Du es</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] Aus „Lrizcheus Liederbuch" Musikfreude und Begabung bildet fast in jedem Brief, den er ihm schreibt, den Inhalt. Er erzählt ihm von Konzerten, von Sängerinnen, von Orchester- und Kirchenmusik, die er in Paris genießt. Und er empfiehlt seinem Hans zugleich das Studium der Musik, wie er ihn dringend warnt, sich dieser Neigung allzu stark hinzugeben, „denn er soll nie vergessen, was seine Hauptsache sein und bleiben muß" — der Kaufmannsberuf. Mit väterlicher Besorgnis erfüllt ihn die weiche Gemütsart seines Hans. In der Antwort auf einen Brief, in dem Hans ihm offenbar in tiefer Bewegung von einem Trauerfall bei nahen Freunden schreibt, warnt er ihn in liebevollster, väterlichster Weise: „Das muß Dich indessen nicht zu Gefühlen herabspannen, die dem inneren Frohscin drohen und dem Geiste seinen besten Sporn zu reger Tätigkeit rauben können. Nur warnen soll uns das ernste Schicksal: hier, Jüngling! liegen Fuß- angeln! ruft es. Wo denn hauptsächlich? Siehe, die Geschichte eines jeden Tages predigt es Dir: In dem Hasche nach dem Genuß! In der damit ver¬ bundenen Verwilderung des Gemütes, wodurch der Geist der Ordnung, der Ge¬ wissenhaftigkeit, der Rechtschaffenheit verschwindet! — Und dann: welch ein furcht¬ bares Übel ist die Schwäche! Man kann dabei den Namen des Gutmütiger in der Welt behaupten, ist aber ein Sklave eigener und fremder Unart, ohne Gegen¬ wehr und ohne Rettung, der Tag des Umsturzes bricht unaufhaltsam herein, und in seinen eigenen Augen erscheint man sich dann wahrlich nicht gut, sondern jämmerlich." Ebenso schreibt er aus demselben Anlaß: Paris, den 8. August 1808. „Ich danke Dir, mein bester Hans! für Deine Zuschrift vom 28. vorigen Monats. Sie zeichnet ganz wiederum Dein Herz, wie es für Menschenschicksal und für die Rechte der Tugend fühlet. Du mußt aber auch nicht der Sache zu viel tun, so daß Deine eigene Heiterkeit darunter zugrunde geht. Du könntest leicht einen Hang gewinnen zur Melancholie, und dann hättest Du nicht allein die Freude Deines Lebens, sondern auch den reinen Spiegel der Wahrheit ein¬ gebüßt; Du sähest alle Gegenstände durch ein düster gefärbtes Glas und liefest Gefahr, in den Sümpfen des Menschenhasses allen Trieb zu nützlicher Tätigkeit zu ersticken. Wo wir sehr tief fühlen und doch nicht wirken, doch nicht helfen können, da haben wir besonders Ursache, uns zusammenzunehmen: denn da sind wir auf einem Gebiete, welches uns mit leidiger Passivität bedroht. ES ist nichts nachteiliger, als das tote, müßige Bejammern eines Unglückes, das wie ein Riese dasteht und unserer schwachen Kräfte spottet: es raubt uns unser Selbstgefühl und macht uns zu einem bloßen Vulk das Schicksals. Handeln, wirken, schaffen in uns selber und um uns her; das ist unser Beruf, und dazu bedürfen wir freilich auch des Mitgefühls als eines edlen Reizes. Übernimmt uns aber das Gefühl, so verwandelt sich gerade der Reiz in Abspannung, und wir geraten in ein dumpfes, untätiges Staunen; wir verlieren dabei die heitere, gute Laune und werden ungeschickt zum Handeln, werden uns und anderen unerträglich. Da sucht der belaoene Geist denn doch gewöhnlich einen Ausweg, und dieser, er visiere, wohin er wolle, ist fast immer unmoralisch. Entweder hadert man mit Gott, oder man zankt mit den Menschen oder man sucht sich zu betäuben und versinkt in dem Schlamm der Lüste. Unsere göttliche Religion gibt uns das beste Umrahmungsmittel, indem sie lehrt, es geschieht nichts ohne den Willen unseres Vaters im Himmel, der ein Herr ist auch des Bösen und am Ende es alles zum Guten lenkt. Da geben wir uns kindlich hin in seine Hand; wo wir arm und unvermögend sind, da sehen wir auf ihn; er ist reich und mächtig. Wo wir so gerne helfen wollen und nicht können, da denken wir: Sein Auge sieht alles, es sieht unser Herz, und seine Stunde wird kommen; nicht nötig, daß wir gerade sein Werkzeug seien, er hat der Werkzeuge unzählige und ruft sie nach seinem göttlichen Willen. Dann beruhigen wir uns, vertrauen auf ihn und gehen wieder frisch und fröhlich an unser Werk. So, mein geliebtester Sohn, mache Du es

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/324>, abgerufen am 25.08.2024.