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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

ihn Bismarck und AndrÄssy geschlossen haben.
Der "Naumannsche Oberstaat" wird daraus
nicht entstehen und daher wird es auch keine
absolut einheitliche auswärtige Politik der
beiden Staaten geben. Hohenzollern und
Habsburg schlössen und schließen den Bund
als "zwei gleichberechtigte Monarchien". Es
handelt sich bei Abschluß und nach Abschluß
des Bündnisses um gleichberechtigte und selb¬
ständige Staaten. Wie sinnlos die Unter¬
stellung ist, wir wollten Osterreich etwas von
seiner staatlichen Selbständigkeit nehmen, be¬
weist die Geschichte. Hat doch Preußen den
Krieg 1866 durchgefochten, um sich und Oster¬
reich zu selbständigen Staaten zu scheiden,
und Deutschland sollte jetzt Verlangen tragen,
Osterreich und damit den alten Gegensatz
wieder in sich aufzunehmen? Wir haben den
historischen Beweis dafür, daß die beiden
Staaten darauf angewiesen sind, verbündet
aber selbständig zu bleiben, zusammenzu¬
gehen, aber nicht ineinander aufzugehen.

Von einem Vasallitätsverhältnis in dem
von der Entente gemeinten Sinne läßt sich
nur reden, wenn ein Staat dem anderen
dienstbar wird, wenn das Bündnis eine
societss leonina ist, wenn der eine Staat
sich für die Pläne deS'anderen opfern darf
und bei dem blutigen "Geschäft" nur am
Verlust beteiligt ist. Wir haben dafür die
besten Beispiele im Westen und Süden. Für
das Verhältnis zwischen uns und unserem
Bundesgenossen bedarf es nur der Erinne¬
rung an die deutschen Armeen, die Galizien
befreien halfen, die Rumänien zu Boden
warfen und die bis tief nach Italien hinein¬
gestoßen sind, um deutlich zu machen, wie
treulich wir die Lasten des Krieges gemein¬
sam getragen haben.

Ein Vasallitätsverhältnis, so wie die
Ententeblätter meinen, setzt voraus, daß ein
Bündnis den militärischen, wirtschaftlichen
und politischen Interessen lediglich des einen
Teiles dient. Wie die Interessen der Mittel¬
wächte an dem neuen Bündnis beteiligt sind,
das lehrt ein Blick auf die Landkarte: die
beiden Nachbarn an der großen Handels¬
straße, die zum Orient führt, die beiden Ver¬
wandten, die Haus an Haus wohnen, die
Waffenbrüder, die ihre zusammenhängenden

[Spaltenumbruch]

Grenzen" seit vier Jahren gegen die gleichen
Feinde verteidigen, sind geradezu aufeinander
angewiesen. Der "Libre Parole" fand hier
das richtige Wort, das erweiterte und ver¬
tiefte Bündnis sei "logisch". Es ist historisch,
geographisch und ethnographisch betrachtet ein¬
fach eine Selbstverständlichkeit. Es ist wirt¬
schaftlich, politisch und militärisch angesehen
eine Notwendigkeit. Das bedarf für den
Einsichtigen keiner weiteren Begründung und
wird durch die entstellende Kritik der Entente¬
presse nicht widerlegt, sondern vielmehr be¬
stätigt.

Diese Kritik der durch den Gang der Er-
, eignisse Enttäuschten ist um so mehr verständlich,
wenn man den Wert des neuen Zweibundes,
der sich zum Vierbund auszuwachsen ver¬
spricht, mit dem des Vielverbandes für die
Zeit nach dem Kriege vergleicht. Die Entente
ist für den Krieg und für kriegerische Ziele --
die Revanche Frankreichs, die Raublust Italiens,
der britische Handelsneid usw. -- geschlossen.
Sie wird nach dem Kriege in betrogene, ein¬
ander verfeindete Staaten zerfallen, von denen
jeder den anderen für den gemeinsamen Mi߬
erfolg verantwortlich macht, ein Schauspiel,
dessen Beginn wir heute schon beobachten
können. Die Entente ist offensiver Natur.
Demgegenüber hat schon Bismarck 1879 ein
defensives Bündnis geschaffen mit dem aus¬
drücklichen Zweck, den Frieden zu erhalten.
Dieses friedliche Ziel ist jetzt ausgebaut und
vertieft worden und wird erst im Frieden
seine vollen Früchte tragen. Daß ein solches
Bündnis unseren Feinden mißfällt, wen kann
eS verwundern I

Die bewußte Mißdeutung, die das Er¬
gebnis der Kaiserbegegnung bei unseren
Gegnern fand, mußten wir erwarten. Schmerz¬
lich berührt uns die schiefe Auffassung, mit
der unlängst ein süddeutsches Blatt an seine
Beurteilung ging. Die "Münchener Post"
vom 23. Mai führt unter der Überschrift
"Deutscher Bund' und Mitteleuropa" aus,
durch Mitteleuropa werde der Deutsche Bund
erneuert, nachdem durch die "Bismarcksche
Blut- und Eisenpolitik" 1866 "der letzte ver-
knüpfende Faden zerrissen worden" sei, der
Preußen, Osterreich und die deutschen Einzel-
stciaten zu einem deutschen, zu einem Mittel-

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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ihn Bismarck und AndrÄssy geschlossen haben.
Der „Naumannsche Oberstaat" wird daraus
nicht entstehen und daher wird es auch keine
absolut einheitliche auswärtige Politik der
beiden Staaten geben. Hohenzollern und
Habsburg schlössen und schließen den Bund
als „zwei gleichberechtigte Monarchien". Es
handelt sich bei Abschluß und nach Abschluß
des Bündnisses um gleichberechtigte und selb¬
ständige Staaten. Wie sinnlos die Unter¬
stellung ist, wir wollten Osterreich etwas von
seiner staatlichen Selbständigkeit nehmen, be¬
weist die Geschichte. Hat doch Preußen den
Krieg 1866 durchgefochten, um sich und Oster¬
reich zu selbständigen Staaten zu scheiden,
und Deutschland sollte jetzt Verlangen tragen,
Osterreich und damit den alten Gegensatz
wieder in sich aufzunehmen? Wir haben den
historischen Beweis dafür, daß die beiden
Staaten darauf angewiesen sind, verbündet
aber selbständig zu bleiben, zusammenzu¬
gehen, aber nicht ineinander aufzugehen.

Von einem Vasallitätsverhältnis in dem
von der Entente gemeinten Sinne läßt sich
nur reden, wenn ein Staat dem anderen
dienstbar wird, wenn das Bündnis eine
societss leonina ist, wenn der eine Staat
sich für die Pläne deS'anderen opfern darf
und bei dem blutigen „Geschäft" nur am
Verlust beteiligt ist. Wir haben dafür die
besten Beispiele im Westen und Süden. Für
das Verhältnis zwischen uns und unserem
Bundesgenossen bedarf es nur der Erinne¬
rung an die deutschen Armeen, die Galizien
befreien halfen, die Rumänien zu Boden
warfen und die bis tief nach Italien hinein¬
gestoßen sind, um deutlich zu machen, wie
treulich wir die Lasten des Krieges gemein¬
sam getragen haben.

Ein Vasallitätsverhältnis, so wie die
Ententeblätter meinen, setzt voraus, daß ein
Bündnis den militärischen, wirtschaftlichen
und politischen Interessen lediglich des einen
Teiles dient. Wie die Interessen der Mittel¬
wächte an dem neuen Bündnis beteiligt sind,
das lehrt ein Blick auf die Landkarte: die
beiden Nachbarn an der großen Handels¬
straße, die zum Orient führt, die beiden Ver¬
wandten, die Haus an Haus wohnen, die
Waffenbrüder, die ihre zusammenhängenden

[Spaltenumbruch]

Grenzen" seit vier Jahren gegen die gleichen
Feinde verteidigen, sind geradezu aufeinander
angewiesen. Der „Libre Parole" fand hier
das richtige Wort, das erweiterte und ver¬
tiefte Bündnis sei „logisch". Es ist historisch,
geographisch und ethnographisch betrachtet ein¬
fach eine Selbstverständlichkeit. Es ist wirt¬
schaftlich, politisch und militärisch angesehen
eine Notwendigkeit. Das bedarf für den
Einsichtigen keiner weiteren Begründung und
wird durch die entstellende Kritik der Entente¬
presse nicht widerlegt, sondern vielmehr be¬
stätigt.

Diese Kritik der durch den Gang der Er-
, eignisse Enttäuschten ist um so mehr verständlich,
wenn man den Wert des neuen Zweibundes,
der sich zum Vierbund auszuwachsen ver¬
spricht, mit dem des Vielverbandes für die
Zeit nach dem Kriege vergleicht. Die Entente
ist für den Krieg und für kriegerische Ziele —
die Revanche Frankreichs, die Raublust Italiens,
der britische Handelsneid usw. — geschlossen.
Sie wird nach dem Kriege in betrogene, ein¬
ander verfeindete Staaten zerfallen, von denen
jeder den anderen für den gemeinsamen Mi߬
erfolg verantwortlich macht, ein Schauspiel,
dessen Beginn wir heute schon beobachten
können. Die Entente ist offensiver Natur.
Demgegenüber hat schon Bismarck 1879 ein
defensives Bündnis geschaffen mit dem aus¬
drücklichen Zweck, den Frieden zu erhalten.
Dieses friedliche Ziel ist jetzt ausgebaut und
vertieft worden und wird erst im Frieden
seine vollen Früchte tragen. Daß ein solches
Bündnis unseren Feinden mißfällt, wen kann
eS verwundern I

Die bewußte Mißdeutung, die das Er¬
gebnis der Kaiserbegegnung bei unseren
Gegnern fand, mußten wir erwarten. Schmerz¬
lich berührt uns die schiefe Auffassung, mit
der unlängst ein süddeutsches Blatt an seine
Beurteilung ging. Die „Münchener Post"
vom 23. Mai führt unter der Überschrift
„Deutscher Bund' und Mitteleuropa" aus,
durch Mitteleuropa werde der Deutsche Bund
erneuert, nachdem durch die „Bismarcksche
Blut- und Eisenpolitik" 1866 „der letzte ver-
knüpfende Faden zerrissen worden" sei, der
Preußen, Osterreich und die deutschen Einzel-
stciaten zu einem deutschen, zu einem Mittel-

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[0275] Maßgebliches und Unmaßgebliches ihn Bismarck und AndrÄssy geschlossen haben. Der „Naumannsche Oberstaat" wird daraus nicht entstehen und daher wird es auch keine absolut einheitliche auswärtige Politik der beiden Staaten geben. Hohenzollern und Habsburg schlössen und schließen den Bund als „zwei gleichberechtigte Monarchien". Es handelt sich bei Abschluß und nach Abschluß des Bündnisses um gleichberechtigte und selb¬ ständige Staaten. Wie sinnlos die Unter¬ stellung ist, wir wollten Osterreich etwas von seiner staatlichen Selbständigkeit nehmen, be¬ weist die Geschichte. Hat doch Preußen den Krieg 1866 durchgefochten, um sich und Oster¬ reich zu selbständigen Staaten zu scheiden, und Deutschland sollte jetzt Verlangen tragen, Osterreich und damit den alten Gegensatz wieder in sich aufzunehmen? Wir haben den historischen Beweis dafür, daß die beiden Staaten darauf angewiesen sind, verbündet aber selbständig zu bleiben, zusammenzu¬ gehen, aber nicht ineinander aufzugehen. Von einem Vasallitätsverhältnis in dem von der Entente gemeinten Sinne läßt sich nur reden, wenn ein Staat dem anderen dienstbar wird, wenn das Bündnis eine societss leonina ist, wenn der eine Staat sich für die Pläne deS'anderen opfern darf und bei dem blutigen „Geschäft" nur am Verlust beteiligt ist. Wir haben dafür die besten Beispiele im Westen und Süden. Für das Verhältnis zwischen uns und unserem Bundesgenossen bedarf es nur der Erinne¬ rung an die deutschen Armeen, die Galizien befreien halfen, die Rumänien zu Boden warfen und die bis tief nach Italien hinein¬ gestoßen sind, um deutlich zu machen, wie treulich wir die Lasten des Krieges gemein¬ sam getragen haben. Ein Vasallitätsverhältnis, so wie die Ententeblätter meinen, setzt voraus, daß ein Bündnis den militärischen, wirtschaftlichen und politischen Interessen lediglich des einen Teiles dient. Wie die Interessen der Mittel¬ wächte an dem neuen Bündnis beteiligt sind, das lehrt ein Blick auf die Landkarte: die beiden Nachbarn an der großen Handels¬ straße, die zum Orient führt, die beiden Ver¬ wandten, die Haus an Haus wohnen, die Waffenbrüder, die ihre zusammenhängenden Grenzen" seit vier Jahren gegen die gleichen Feinde verteidigen, sind geradezu aufeinander angewiesen. Der „Libre Parole" fand hier das richtige Wort, das erweiterte und ver¬ tiefte Bündnis sei „logisch". Es ist historisch, geographisch und ethnographisch betrachtet ein¬ fach eine Selbstverständlichkeit. Es ist wirt¬ schaftlich, politisch und militärisch angesehen eine Notwendigkeit. Das bedarf für den Einsichtigen keiner weiteren Begründung und wird durch die entstellende Kritik der Entente¬ presse nicht widerlegt, sondern vielmehr be¬ stätigt. Diese Kritik der durch den Gang der Er- , eignisse Enttäuschten ist um so mehr verständlich, wenn man den Wert des neuen Zweibundes, der sich zum Vierbund auszuwachsen ver¬ spricht, mit dem des Vielverbandes für die Zeit nach dem Kriege vergleicht. Die Entente ist für den Krieg und für kriegerische Ziele — die Revanche Frankreichs, die Raublust Italiens, der britische Handelsneid usw. — geschlossen. Sie wird nach dem Kriege in betrogene, ein¬ ander verfeindete Staaten zerfallen, von denen jeder den anderen für den gemeinsamen Mi߬ erfolg verantwortlich macht, ein Schauspiel, dessen Beginn wir heute schon beobachten können. Die Entente ist offensiver Natur. Demgegenüber hat schon Bismarck 1879 ein defensives Bündnis geschaffen mit dem aus¬ drücklichen Zweck, den Frieden zu erhalten. Dieses friedliche Ziel ist jetzt ausgebaut und vertieft worden und wird erst im Frieden seine vollen Früchte tragen. Daß ein solches Bündnis unseren Feinden mißfällt, wen kann eS verwundern I Die bewußte Mißdeutung, die das Er¬ gebnis der Kaiserbegegnung bei unseren Gegnern fand, mußten wir erwarten. Schmerz¬ lich berührt uns die schiefe Auffassung, mit der unlängst ein süddeutsches Blatt an seine Beurteilung ging. Die „Münchener Post" vom 23. Mai führt unter der Überschrift „Deutscher Bund' und Mitteleuropa" aus, durch Mitteleuropa werde der Deutsche Bund erneuert, nachdem durch die „Bismarcksche Blut- und Eisenpolitik" 1866 „der letzte ver- knüpfende Faden zerrissen worden" sei, der Preußen, Osterreich und die deutschen Einzel- stciaten zu einem deutschen, zu einem Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/275>, abgerufen am 23.07.2024.