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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland

vollen Jahrzehnt nach dem Krügertelegramm, privatim wiederholt "die materielle
Verantwortung für die entscheidende Veröffentlichung, die sie formell deckten, ab¬
gelehnt haben". (!) Sie trösteten sich mit der "^loria obsequii" und blieben
auf ihrem Platze, weil sich sonst "ja doch ein anderer bereit" gefunden hätte, den
Gewissenskonflikt auf sich zu nehmen.

Diesem in der Tat höchst bedenklichen Zustande muß allerdings ein Ende
gemacht werden. Für den Versasser gibt es aber dafür zurzeit "keinerlei anderes
technisches Mittel" als die Parlamentarisierung, die dadurch "unvermeidlich" wird.
Denn die von ihr erhofften Führer mit politischem "Charakter" -- der mit Privat¬
moral nichts zu tun hat -- würden ihr eigenes Wesen verleugnen, wenn sie die
Geste des treuen Herrendieners nachahmen wollten.

Bis hierher ist die Webcrsche Schrift aggressiv, sie hat gleichsam mit fliegenden
Fahnen die feindliche Stellung genommen, deren Schäden offen zutage lagen.
Nun gilt es zu behaupten, was sie an ihrer Stelle aufgebaut hat, denn der Gegner
bekämpft ihre Position seinerseits mit gewichtigen Argumenten.
"

Der "Gegner ist nun zunächst nicht der büreaukratische Obrigkeitsstaat,
wie man vermuten muß, sondern dieser hat einen Bundesgenossen, der mit oder
ohne Bekenntnis der Zusammengehörigkeit auf derselben Frontlinie ficht. Es ist,
was immer noch mit der Sensation einer gelungenen Überraschung wirkt und den
Schlagwmtkämpm ihre Waffen in Unordnung bringt -- die "Demokratie", im
Sinne einer Amel-Parlamentokratie. wie wir es nennen möchten.

"Parlamentarisierung und Demokratisierung stehen durchaus nicht notwendig
in Wechselbeziehung, sondern oft im Gegensatz zueinander". Demokratisierung in
Form eines gleichen Wahlrechtes -- und allein davon will Weber reden --
führt unvermeidlich den Demagogen zu Macht und Einfluß. Dieser ist genötigt,
das "Vertrauen und den Glauben der Massen an sich und also seine Macht mit
massendemagogischen Mitteln" zu gewinnen. (Plebiszit u. ä.) Das aber bedeutet
eine Art der Führerauslese, die "mit dem parlamentarischen Prinzip in Spannung
lebt", denn hier wird ja der politische Leiter, das was er ist, sehr im Gegensatze
zu obigem Verfahren, "auf Grund der Anerkennung seiner Bewährung im Kreise
einer Honoratiorenschicht" und sodann "kraft seines Hervortretens im Parlament".

Der innerliche Gegensatz dieser Regierungsformen ist auf beiden Seiten in
Erscheinung getreten. Die parlamentarische Demokratie sucht "die der Parlaments¬
macht gefährliche plebiszitäre Methode der Führerwahl" geflissentlich auszuschalten
(siehe die Verfassungsgesetze der jetzigen französischen Republik) und "gefühlsehr¬
liche Sozialisten" und "Demokraten", wenn sie nicht radikal das Parlament ab¬
schaffen wollen, möchten doch zum mindesten an die Stelle seiner Beschlüsse das
Referendum (Volksabstimmung) setzen und verwerfen das parlamentarische System
im technischen Sinne.

Weber sucht nun aber an Hand der englischen und amerikanischen Zustände
zu beweisen: nicht nur, daß die "Existenz" von Parlamenten auch bei plebiszitär-
cäsaristischer Führerauslese (wie sie as kscto heute auch in England bestehet Lloyd
George!) notwendig ist, sondern daß ebenso das parlamentarische Regierungssystem,
gerade auch in Massendemokratien, nicht entbehrt werden kann.

Seine Beweisgründe stützen sich auf die zutage liegenden Mängel einer
"reinen" Demokratie: 1. Das Fehlen einer Garantie für sachliche und unbestech¬
liche Verwaltung, weil die "Auslese der Amtskandidaten im Gegensatz zum par¬
lamentarischen System*) in die Hände unsichtbarer, unverantwortlicher Cliquen"
gelegt wird. (Siehe Amerika). 2. Die Unmöglichkeit eines Kompromisses beim
Referendum, da nur mit "ja" oder "nein" abgestimmt werden kann. Und damit,
da die meisten Gesetze auf Kompromissen beruhen, eine unglückliche Starrheit und
Unfähigkeit des legislativen Apparats. 3. Der Mangel eines selbständigen Kon¬
trollorgans gegenüber der allmächtigen Bureaukratie, einschließlich des diktatorisch



*) Und natürlich auch zum monarchisch-bureaukratischenI Aber dies wird von W.
ja aus den bekannten Gründen abgelehnt.
Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland

vollen Jahrzehnt nach dem Krügertelegramm, privatim wiederholt „die materielle
Verantwortung für die entscheidende Veröffentlichung, die sie formell deckten, ab¬
gelehnt haben". (!) Sie trösteten sich mit der „^loria obsequii" und blieben
auf ihrem Platze, weil sich sonst „ja doch ein anderer bereit" gefunden hätte, den
Gewissenskonflikt auf sich zu nehmen.

Diesem in der Tat höchst bedenklichen Zustande muß allerdings ein Ende
gemacht werden. Für den Versasser gibt es aber dafür zurzeit „keinerlei anderes
technisches Mittel" als die Parlamentarisierung, die dadurch „unvermeidlich" wird.
Denn die von ihr erhofften Führer mit politischem „Charakter" — der mit Privat¬
moral nichts zu tun hat — würden ihr eigenes Wesen verleugnen, wenn sie die
Geste des treuen Herrendieners nachahmen wollten.

Bis hierher ist die Webcrsche Schrift aggressiv, sie hat gleichsam mit fliegenden
Fahnen die feindliche Stellung genommen, deren Schäden offen zutage lagen.
Nun gilt es zu behaupten, was sie an ihrer Stelle aufgebaut hat, denn der Gegner
bekämpft ihre Position seinerseits mit gewichtigen Argumenten.
"

Der „Gegner ist nun zunächst nicht der büreaukratische Obrigkeitsstaat,
wie man vermuten muß, sondern dieser hat einen Bundesgenossen, der mit oder
ohne Bekenntnis der Zusammengehörigkeit auf derselben Frontlinie ficht. Es ist,
was immer noch mit der Sensation einer gelungenen Überraschung wirkt und den
Schlagwmtkämpm ihre Waffen in Unordnung bringt — die „Demokratie", im
Sinne einer Amel-Parlamentokratie. wie wir es nennen möchten.

„Parlamentarisierung und Demokratisierung stehen durchaus nicht notwendig
in Wechselbeziehung, sondern oft im Gegensatz zueinander". Demokratisierung in
Form eines gleichen Wahlrechtes — und allein davon will Weber reden —
führt unvermeidlich den Demagogen zu Macht und Einfluß. Dieser ist genötigt,
das „Vertrauen und den Glauben der Massen an sich und also seine Macht mit
massendemagogischen Mitteln" zu gewinnen. (Plebiszit u. ä.) Das aber bedeutet
eine Art der Führerauslese, die „mit dem parlamentarischen Prinzip in Spannung
lebt", denn hier wird ja der politische Leiter, das was er ist, sehr im Gegensatze
zu obigem Verfahren, „auf Grund der Anerkennung seiner Bewährung im Kreise
einer Honoratiorenschicht" und sodann „kraft seines Hervortretens im Parlament".

Der innerliche Gegensatz dieser Regierungsformen ist auf beiden Seiten in
Erscheinung getreten. Die parlamentarische Demokratie sucht „die der Parlaments¬
macht gefährliche plebiszitäre Methode der Führerwahl" geflissentlich auszuschalten
(siehe die Verfassungsgesetze der jetzigen französischen Republik) und „gefühlsehr¬
liche Sozialisten" und „Demokraten", wenn sie nicht radikal das Parlament ab¬
schaffen wollen, möchten doch zum mindesten an die Stelle seiner Beschlüsse das
Referendum (Volksabstimmung) setzen und verwerfen das parlamentarische System
im technischen Sinne.

Weber sucht nun aber an Hand der englischen und amerikanischen Zustände
zu beweisen: nicht nur, daß die „Existenz" von Parlamenten auch bei plebiszitär-
cäsaristischer Führerauslese (wie sie as kscto heute auch in England bestehet Lloyd
George!) notwendig ist, sondern daß ebenso das parlamentarische Regierungssystem,
gerade auch in Massendemokratien, nicht entbehrt werden kann.

Seine Beweisgründe stützen sich auf die zutage liegenden Mängel einer
„reinen" Demokratie: 1. Das Fehlen einer Garantie für sachliche und unbestech¬
liche Verwaltung, weil die „Auslese der Amtskandidaten im Gegensatz zum par¬
lamentarischen System*) in die Hände unsichtbarer, unverantwortlicher Cliquen"
gelegt wird. (Siehe Amerika). 2. Die Unmöglichkeit eines Kompromisses beim
Referendum, da nur mit „ja" oder „nein" abgestimmt werden kann. Und damit,
da die meisten Gesetze auf Kompromissen beruhen, eine unglückliche Starrheit und
Unfähigkeit des legislativen Apparats. 3. Der Mangel eines selbständigen Kon¬
trollorgans gegenüber der allmächtigen Bureaukratie, einschließlich des diktatorisch



*) Und natürlich auch zum monarchisch-bureaukratischenI Aber dies wird von W.
ja aus den bekannten Gründen abgelehnt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/270>, abgerufen am 26.08.2024.