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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Nicht dürfen in einseitiger und /übertrie¬
bener Betonung des Interesses an reichlichem,
gesunden Nachwüchse Forderungen an die
Gesetzgebung, die Verwaltung gestellt werden,
die unter Veiseitelassen idealer Lebensziele
und unter Auferlegen unerträglicher Be¬
schränkungen Liebe und Ehe unter rein
Populationistischem Gesichtspunkte reglementiert
sehen möchten, wie wenn der Staat eine
Tierzucht-Anstalt wäre.

Mit dem Geburtenrückgang steht, ohne
darin ihre Bedeutung zu erschöpfen, die weite
Verbreitung der Geschlechtskrankheiten im
Zusammenhang. Da eine Anzeigepflicht für
diese Erkrankungen nicht eingeführt ist, so
gewährt die Statistik nur unvollständigen
Aufschluß. Immerhin fehlt es nicht an wich¬
tigen Anhaltspunkten: Zahl der in den all¬
gemeinen Krankenhäusern wegen solcher Leiden
Behandelten, Ergebnisse bei der Rekruten¬
untersuchung usw. Sehr erfreuliche Erfolge
in der Bekämpfung des Übels hat die Heeres¬
verwaltung erzielt: die Zahl der ErkrcmkungS-
sälle verglichen mit der Kopfstärke des Heeres
ist seit 1831/82 auf die Hälfte bis ein Drittel
zurückgegangen. Wenn auch der Zivilbe¬
völkerung gegenüber gleich durchgreifende
Maßnahmen unmöglich sind, so kann doch
nach diesen Ergebnissen nicht bezweifelt
werden, daß die Gesundheitspolizei im Besitze
der nötigen Vollmachten Ersprießliches leisten
könnte.

Der Wirksamkeit des Strafrechtes sind
weit engere Grenzen gesetzt. Die Wurzeln
des Übels lassen sich nicht durch Strafdrohungen
beseitigen. Aber die ethischen Werturteile
müssen in den Gesetzen ihren Ausdruck und
ihre Bekräftigung finden und durch scharfes
Einschreiten können gar manche schädliche
Einflüsse vom Volkskörper ferngehalten werden.
Gegen die gewissenlose Übertragung von
Geschlechtskrankheiten, gegen das Unwesen
der gewerbsmäßigen Abtreiber, die Seuche
der Kurpfuscher, die nur zu oft den Leidenden
statt der Heilung dauernde, nicht mehr zu
beseitigende Schädigung bringen, den schwung¬
haften Handel mit Abtreibungsmitteln und
Gegenständen zur Empfängnis-Verhütung,
ihre ungescheute öffentliche Anpreisung usw.,
für die Sichersiellnng ausreichender ärztlicher

[Spaltenumbruch]

Beobachtung weiblicher Personen, die gewerbs¬
mäßig Unzucht treiben, hat die Gesetzgebung
bisher nicht das ihrige getan. Auch in diesen
Beziehungen ist jetzt, während des Krieges,,
unsere umsichtige Heeresverwaltung mit gutem
Beispiele vorangegangen.

In Vereinen und Versammlungen, in
Broschüren, fachmännischer Zeitschriften und
der TageSPresse bildet die Bekämpfung des
Geburtenrückganges und der Ausbreitung
geschlechtlicher Erkrankungen den Gegenstand
lebhaftester Erörterung. Den Reichstag haben
bereits in der 12. und 13. Legislatur-Periode
Gesetzentwürfe zur Beseitigung der Gefahren,
die der ungeregelte Verkehr mit Mitteln zur
Verhütung der Empfängnis und zur Be¬
seitigung der Schwangerschaft mit sich bringt,
beschäftigt. Neuerdings hat er eine besondere
Kommission, 16. Aommisston für Bevölkerungs¬
politik, eingesetzt, in der die Ursachen des
Geburtenrückgangs und die Mittel, ihm zu
steuern, eingehend beraten werden.

Die Rsichsverwaltung war seit längerer
Zeit bemüht, diese Fragen zu klären, legis¬
lative Reformen vorzubereiten. In voller
Erkenntnis der bedingten Leistungsfähigkeit
des Strafrechtes hat sie in diesem Frühjahre
dem Reichstag zwei Gesetzentwürfe vorgelegt,
die eine Reihe von Strafbestimmungen bringen
"zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten"
und "gegen die Verhinderung von Geburten".
Die Begründung betont, daß mit diesen straf¬
rechtlichen und Polizeigesetzlichen Maßnahmen
nur ein erster Schritt getan sei, das Meiste
und Beste zur Beseitigung der übel auf
anderen Wegen erzielt werden müsse.

Die Richtungen, in denen eine Ergänzung
unseres Strafrechtes anzustreben ist, sind in
den Entwürfen zutreffend bestimmt. In tech¬
nischer Beziehung aber erHeden sich gegen die
vorgeschlagenen Strafvorschriften zum Teil
erhebliche Bedenken. So ist namentlich die
zu weite und zu unbestimmte Fassung der
Verbote des "öffentlichen Ankündigens, An-
preisens" von Mitteln, Gegenständen, Ver¬
fahren zur Heilung von Geschlechtskrankheiten,
zur Verhütung der Empfängnis, zur Besei¬
tigung der Schwangerschaft geeignet, der
Tagespresse nicht beabsichtigte und nicht be¬
gründete Beschränkungen aufzuerlegen. Bei

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Nicht dürfen in einseitiger und /übertrie¬
bener Betonung des Interesses an reichlichem,
gesunden Nachwüchse Forderungen an die
Gesetzgebung, die Verwaltung gestellt werden,
die unter Veiseitelassen idealer Lebensziele
und unter Auferlegen unerträglicher Be¬
schränkungen Liebe und Ehe unter rein
Populationistischem Gesichtspunkte reglementiert
sehen möchten, wie wenn der Staat eine
Tierzucht-Anstalt wäre.

Mit dem Geburtenrückgang steht, ohne
darin ihre Bedeutung zu erschöpfen, die weite
Verbreitung der Geschlechtskrankheiten im
Zusammenhang. Da eine Anzeigepflicht für
diese Erkrankungen nicht eingeführt ist, so
gewährt die Statistik nur unvollständigen
Aufschluß. Immerhin fehlt es nicht an wich¬
tigen Anhaltspunkten: Zahl der in den all¬
gemeinen Krankenhäusern wegen solcher Leiden
Behandelten, Ergebnisse bei der Rekruten¬
untersuchung usw. Sehr erfreuliche Erfolge
in der Bekämpfung des Übels hat die Heeres¬
verwaltung erzielt: die Zahl der ErkrcmkungS-
sälle verglichen mit der Kopfstärke des Heeres
ist seit 1831/82 auf die Hälfte bis ein Drittel
zurückgegangen. Wenn auch der Zivilbe¬
völkerung gegenüber gleich durchgreifende
Maßnahmen unmöglich sind, so kann doch
nach diesen Ergebnissen nicht bezweifelt
werden, daß die Gesundheitspolizei im Besitze
der nötigen Vollmachten Ersprießliches leisten
könnte.

Der Wirksamkeit des Strafrechtes sind
weit engere Grenzen gesetzt. Die Wurzeln
des Übels lassen sich nicht durch Strafdrohungen
beseitigen. Aber die ethischen Werturteile
müssen in den Gesetzen ihren Ausdruck und
ihre Bekräftigung finden und durch scharfes
Einschreiten können gar manche schädliche
Einflüsse vom Volkskörper ferngehalten werden.
Gegen die gewissenlose Übertragung von
Geschlechtskrankheiten, gegen das Unwesen
der gewerbsmäßigen Abtreiber, die Seuche
der Kurpfuscher, die nur zu oft den Leidenden
statt der Heilung dauernde, nicht mehr zu
beseitigende Schädigung bringen, den schwung¬
haften Handel mit Abtreibungsmitteln und
Gegenständen zur Empfängnis-Verhütung,
ihre ungescheute öffentliche Anpreisung usw.,
für die Sichersiellnng ausreichender ärztlicher

[Spaltenumbruch]

Beobachtung weiblicher Personen, die gewerbs¬
mäßig Unzucht treiben, hat die Gesetzgebung
bisher nicht das ihrige getan. Auch in diesen
Beziehungen ist jetzt, während des Krieges,,
unsere umsichtige Heeresverwaltung mit gutem
Beispiele vorangegangen.

In Vereinen und Versammlungen, in
Broschüren, fachmännischer Zeitschriften und
der TageSPresse bildet die Bekämpfung des
Geburtenrückganges und der Ausbreitung
geschlechtlicher Erkrankungen den Gegenstand
lebhaftester Erörterung. Den Reichstag haben
bereits in der 12. und 13. Legislatur-Periode
Gesetzentwürfe zur Beseitigung der Gefahren,
die der ungeregelte Verkehr mit Mitteln zur
Verhütung der Empfängnis und zur Be¬
seitigung der Schwangerschaft mit sich bringt,
beschäftigt. Neuerdings hat er eine besondere
Kommission, 16. Aommisston für Bevölkerungs¬
politik, eingesetzt, in der die Ursachen des
Geburtenrückgangs und die Mittel, ihm zu
steuern, eingehend beraten werden.

Die Rsichsverwaltung war seit längerer
Zeit bemüht, diese Fragen zu klären, legis¬
lative Reformen vorzubereiten. In voller
Erkenntnis der bedingten Leistungsfähigkeit
des Strafrechtes hat sie in diesem Frühjahre
dem Reichstag zwei Gesetzentwürfe vorgelegt,
die eine Reihe von Strafbestimmungen bringen
„zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten"
und „gegen die Verhinderung von Geburten".
Die Begründung betont, daß mit diesen straf¬
rechtlichen und Polizeigesetzlichen Maßnahmen
nur ein erster Schritt getan sei, das Meiste
und Beste zur Beseitigung der übel auf
anderen Wegen erzielt werden müsse.

Die Richtungen, in denen eine Ergänzung
unseres Strafrechtes anzustreben ist, sind in
den Entwürfen zutreffend bestimmt. In tech¬
nischer Beziehung aber erHeden sich gegen die
vorgeschlagenen Strafvorschriften zum Teil
erhebliche Bedenken. So ist namentlich die
zu weite und zu unbestimmte Fassung der
Verbote des „öffentlichen Ankündigens, An-
preisens" von Mitteln, Gegenständen, Ver¬
fahren zur Heilung von Geschlechtskrankheiten,
zur Verhütung der Empfängnis, zur Besei¬
tigung der Schwangerschaft geeignet, der
Tagespresse nicht beabsichtigte und nicht be¬
gründete Beschränkungen aufzuerlegen. Bei

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[0201] Maßgebliches und Unmaßgebliches Nicht dürfen in einseitiger und /übertrie¬ bener Betonung des Interesses an reichlichem, gesunden Nachwüchse Forderungen an die Gesetzgebung, die Verwaltung gestellt werden, die unter Veiseitelassen idealer Lebensziele und unter Auferlegen unerträglicher Be¬ schränkungen Liebe und Ehe unter rein Populationistischem Gesichtspunkte reglementiert sehen möchten, wie wenn der Staat eine Tierzucht-Anstalt wäre. Mit dem Geburtenrückgang steht, ohne darin ihre Bedeutung zu erschöpfen, die weite Verbreitung der Geschlechtskrankheiten im Zusammenhang. Da eine Anzeigepflicht für diese Erkrankungen nicht eingeführt ist, so gewährt die Statistik nur unvollständigen Aufschluß. Immerhin fehlt es nicht an wich¬ tigen Anhaltspunkten: Zahl der in den all¬ gemeinen Krankenhäusern wegen solcher Leiden Behandelten, Ergebnisse bei der Rekruten¬ untersuchung usw. Sehr erfreuliche Erfolge in der Bekämpfung des Übels hat die Heeres¬ verwaltung erzielt: die Zahl der ErkrcmkungS- sälle verglichen mit der Kopfstärke des Heeres ist seit 1831/82 auf die Hälfte bis ein Drittel zurückgegangen. Wenn auch der Zivilbe¬ völkerung gegenüber gleich durchgreifende Maßnahmen unmöglich sind, so kann doch nach diesen Ergebnissen nicht bezweifelt werden, daß die Gesundheitspolizei im Besitze der nötigen Vollmachten Ersprießliches leisten könnte. Der Wirksamkeit des Strafrechtes sind weit engere Grenzen gesetzt. Die Wurzeln des Übels lassen sich nicht durch Strafdrohungen beseitigen. Aber die ethischen Werturteile müssen in den Gesetzen ihren Ausdruck und ihre Bekräftigung finden und durch scharfes Einschreiten können gar manche schädliche Einflüsse vom Volkskörper ferngehalten werden. Gegen die gewissenlose Übertragung von Geschlechtskrankheiten, gegen das Unwesen der gewerbsmäßigen Abtreiber, die Seuche der Kurpfuscher, die nur zu oft den Leidenden statt der Heilung dauernde, nicht mehr zu beseitigende Schädigung bringen, den schwung¬ haften Handel mit Abtreibungsmitteln und Gegenständen zur Empfängnis-Verhütung, ihre ungescheute öffentliche Anpreisung usw., für die Sichersiellnng ausreichender ärztlicher Beobachtung weiblicher Personen, die gewerbs¬ mäßig Unzucht treiben, hat die Gesetzgebung bisher nicht das ihrige getan. Auch in diesen Beziehungen ist jetzt, während des Krieges,, unsere umsichtige Heeresverwaltung mit gutem Beispiele vorangegangen. In Vereinen und Versammlungen, in Broschüren, fachmännischer Zeitschriften und der TageSPresse bildet die Bekämpfung des Geburtenrückganges und der Ausbreitung geschlechtlicher Erkrankungen den Gegenstand lebhaftester Erörterung. Den Reichstag haben bereits in der 12. und 13. Legislatur-Periode Gesetzentwürfe zur Beseitigung der Gefahren, die der ungeregelte Verkehr mit Mitteln zur Verhütung der Empfängnis und zur Be¬ seitigung der Schwangerschaft mit sich bringt, beschäftigt. Neuerdings hat er eine besondere Kommission, 16. Aommisston für Bevölkerungs¬ politik, eingesetzt, in der die Ursachen des Geburtenrückgangs und die Mittel, ihm zu steuern, eingehend beraten werden. Die Rsichsverwaltung war seit längerer Zeit bemüht, diese Fragen zu klären, legis¬ lative Reformen vorzubereiten. In voller Erkenntnis der bedingten Leistungsfähigkeit des Strafrechtes hat sie in diesem Frühjahre dem Reichstag zwei Gesetzentwürfe vorgelegt, die eine Reihe von Strafbestimmungen bringen „zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten" und „gegen die Verhinderung von Geburten". Die Begründung betont, daß mit diesen straf¬ rechtlichen und Polizeigesetzlichen Maßnahmen nur ein erster Schritt getan sei, das Meiste und Beste zur Beseitigung der übel auf anderen Wegen erzielt werden müsse. Die Richtungen, in denen eine Ergänzung unseres Strafrechtes anzustreben ist, sind in den Entwürfen zutreffend bestimmt. In tech¬ nischer Beziehung aber erHeden sich gegen die vorgeschlagenen Strafvorschriften zum Teil erhebliche Bedenken. So ist namentlich die zu weite und zu unbestimmte Fassung der Verbote des „öffentlichen Ankündigens, An- preisens" von Mitteln, Gegenständen, Ver¬ fahren zur Heilung von Geschlechtskrankheiten, zur Verhütung der Empfängnis, zur Besei¬ tigung der Schwangerschaft geeignet, der Tagespresse nicht beabsichtigte und nicht be¬ gründete Beschränkungen aufzuerlegen. Bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/201>, abgerufen am 20.10.2024.