Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.Die Polenfrage vor der Entscheidung Ziele gut bewußt sind und den geeigneten Augenblick abwarten können. Borläufig und bis Nun ist es nicht bei Worten geblieben. Längst sind die Polen zu Taten Die polnischen Positionen sind besetzt durch ein Volk von etwa 20 Millionen. *) Die ganze Schrift ist wiedergegeben in Heft 40 der "Grenzboten" vom 3. Ok¬ tober 1917. **) In diesem Zusammenhange werfen die Worte des Preußischen Ministers des Innern,
Herrn Dr. Drews, ein interessantes Streiflicht. Der Herr Minister führte am 4. d. M. im preußischen Abgeordnetenhause aus: "Ich habe im Herrenhause gesagt, man müsse Real¬ politik treiben, und ich habe den Plan angedeutet, wie sich die Regierung in Zukunft die Ostmarkenpolitik denkt. Wir rechneten dabei mit der Voraussetzung, daß von feiten auch der Polen ein größeres Verständnis für den Preußischen Staat gezeigt würde. Ich muß kon¬ statieren, daß seitens der Vertreter der polnischen Fraktionen bisse r diese Voraussetzung nicht erfüllt worden ist, wir haben infolgedessen keinerlei Anlaß, das, was wir als Programm hingestellt haben, gegenwärtig in die Tat zu übersetzen." Die Polenfrage vor der Entscheidung Ziele gut bewußt sind und den geeigneten Augenblick abwarten können. Borläufig und bis Nun ist es nicht bei Worten geblieben. Längst sind die Polen zu Taten Die polnischen Positionen sind besetzt durch ein Volk von etwa 20 Millionen. *) Die ganze Schrift ist wiedergegeben in Heft 40 der „Grenzboten" vom 3. Ok¬ tober 1917. **) In diesem Zusammenhange werfen die Worte des Preußischen Ministers des Innern,
Herrn Dr. Drews, ein interessantes Streiflicht. Der Herr Minister führte am 4. d. M. im preußischen Abgeordnetenhause aus: „Ich habe im Herrenhause gesagt, man müsse Real¬ politik treiben, und ich habe den Plan angedeutet, wie sich die Regierung in Zukunft die Ostmarkenpolitik denkt. Wir rechneten dabei mit der Voraussetzung, daß von feiten auch der Polen ein größeres Verständnis für den Preußischen Staat gezeigt würde. Ich muß kon¬ statieren, daß seitens der Vertreter der polnischen Fraktionen bisse r diese Voraussetzung nicht erfüllt worden ist, wir haben infolgedessen keinerlei Anlaß, das, was wir als Programm hingestellt haben, gegenwärtig in die Tat zu übersetzen." <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333639"/> <fw type="header" place="top"> Die Polenfrage vor der Entscheidung</fw><lb/> <p xml:id="ID_553" prev="#ID_552"> Ziele gut bewußt sind und den geeigneten Augenblick abwarten können. Borläufig und bis<lb/> zu einer gewissen Zeit dachte man nicht direkt an einen Krieg. Man war sich eben dessen<lb/> sehr Wohl bewußt, daß andere durch das Anwachsen der deutschen Macht bedrohte Staaten<lb/> weitere Annexionen nicht zulassen würden, und daß Rußland auch ein noch zu kräftiger<lb/> Gegner war. Jetzt, wo infolge des Krieges — gegen Japan 1905 — Rußland geschwächt<lb/> worden ist, liegt es im Interesse Deutschlands, daß es nicht wieder zu Kräften gelange.<lb/> Die Deutschen sind bereit, ihm ihre Freundschaft und ihre Unterstützung bis zu einer ge¬<lb/> wissen Zeit angedeihen zu lassen, jedoch unter der notwendigen und leicht zu durchschauenden<lb/> Bedingung, daß es auch fernerhin schwach, also von dem guten oder bösen<lb/> Willen seines kräftigen Nachbarn abhängig bleibt. Ein mächtiges Deutsch¬<lb/> land kann nicht Freund sein eines mächtigen Rußland."*)</p><lb/> <p xml:id="ID_554"> Nun ist es nicht bei Worten geblieben. Längst sind die Polen zu Taten<lb/> übergegangen. Ich erinnere nur an ihre Boykottbewegnng gegen den deutschen<lb/> Handel in Galizien und Russisch-Polen und an die Organisation der Absonde¬<lb/> rung der Polen von den Deutschen in der Ostmark. Während der Besetzung ist<lb/> die Haltung der Polen durchaus feindlich gegen unsere Truppen gewesen und bis<lb/> auf den heutigen Tag allen Wohltaten, die Exellenz von Beseler ihnen erwirkte,<lb/> zum Trotz feindselig geblieben. Die Offiziere der Legion, die für die Eidesleistung<lb/> im Sinne der Mittemächte eintraten, wurden von ihren eigenen Soldaten<lb/> gemißhandelt. In Posen und Westpreußen halten sich die Polen trotz des ihnen<lb/> seitens der preußischen Regierung bewiesenen Entgegenkommens feindselig zurück:<lb/> statt Reichsanleihen zu zeichnen, wird in den polnischen Sparkassen und Volks¬<lb/> banken ein Milliardenvermögen angehäuft mit dem ausgesprochenen Zweck, damit<lb/> den Ankauf deutschen Bodens zu bewirken. Schon jetzt gehen Anzeigen durch<lb/> die Blätter, durch die das Geld für diesen nationalpolnischen Zweck zur Ver¬<lb/> fügung gestellt wird**).</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p xml:id="ID_555" next="#ID_556"> Die polnischen Positionen sind besetzt durch ein Volk von etwa 20 Millionen.<lb/> Etwa die Hälfte davon sitzt in kompakter Masse um die Weichsel herum als ein<lb/> an sich friedliches, aber von einem unruhigen und ehrgeizigen Bürgertum geleitetes<lb/> Landvolk fest auf eigner Scholle. Im Norden stehen die polnischen Vorposten auf<lb/> preußischem Boden bis hart an die Masurischen Seen heran, Vortruppen längs des<lb/> Weichsellaufs bis Danzig, im Westen stehen sie in Posen und an der Oder, —<lb/> im Südwesten bildet das Habsburgische Teschen eine vorgeschobene Stellung und<lb/> Schlesien die Brücke nach Böhmen hinein. Im Süden ist der Karpathenkamm</p><lb/> <note xml:id="FID_21" place="foot"> *) Die ganze Schrift ist wiedergegeben in Heft 40 der „Grenzboten" vom 3. Ok¬<lb/> tober 1917.</note><lb/> <note xml:id="FID_22" place="foot"> **) In diesem Zusammenhange werfen die Worte des Preußischen Ministers des Innern,<lb/> Herrn Dr. Drews, ein interessantes Streiflicht. Der Herr Minister führte am 4. d. M. im<lb/> preußischen Abgeordnetenhause aus: „Ich habe im Herrenhause gesagt, man müsse Real¬<lb/> politik treiben, und ich habe den Plan angedeutet, wie sich die Regierung in Zukunft die<lb/> Ostmarkenpolitik denkt. Wir rechneten dabei mit der Voraussetzung, daß von feiten auch der<lb/> Polen ein größeres Verständnis für den Preußischen Staat gezeigt würde. Ich muß kon¬<lb/> statieren, daß seitens der Vertreter der polnischen Fraktionen bisse r diese<lb/> Voraussetzung nicht erfüllt worden ist, wir haben infolgedessen keinerlei<lb/> Anlaß, das, was wir als Programm hingestellt haben, gegenwärtig in die<lb/> Tat zu übersetzen."</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Die Polenfrage vor der Entscheidung
Ziele gut bewußt sind und den geeigneten Augenblick abwarten können. Borläufig und bis
zu einer gewissen Zeit dachte man nicht direkt an einen Krieg. Man war sich eben dessen
sehr Wohl bewußt, daß andere durch das Anwachsen der deutschen Macht bedrohte Staaten
weitere Annexionen nicht zulassen würden, und daß Rußland auch ein noch zu kräftiger
Gegner war. Jetzt, wo infolge des Krieges — gegen Japan 1905 — Rußland geschwächt
worden ist, liegt es im Interesse Deutschlands, daß es nicht wieder zu Kräften gelange.
Die Deutschen sind bereit, ihm ihre Freundschaft und ihre Unterstützung bis zu einer ge¬
wissen Zeit angedeihen zu lassen, jedoch unter der notwendigen und leicht zu durchschauenden
Bedingung, daß es auch fernerhin schwach, also von dem guten oder bösen
Willen seines kräftigen Nachbarn abhängig bleibt. Ein mächtiges Deutsch¬
land kann nicht Freund sein eines mächtigen Rußland."*)
Nun ist es nicht bei Worten geblieben. Längst sind die Polen zu Taten
übergegangen. Ich erinnere nur an ihre Boykottbewegnng gegen den deutschen
Handel in Galizien und Russisch-Polen und an die Organisation der Absonde¬
rung der Polen von den Deutschen in der Ostmark. Während der Besetzung ist
die Haltung der Polen durchaus feindlich gegen unsere Truppen gewesen und bis
auf den heutigen Tag allen Wohltaten, die Exellenz von Beseler ihnen erwirkte,
zum Trotz feindselig geblieben. Die Offiziere der Legion, die für die Eidesleistung
im Sinne der Mittemächte eintraten, wurden von ihren eigenen Soldaten
gemißhandelt. In Posen und Westpreußen halten sich die Polen trotz des ihnen
seitens der preußischen Regierung bewiesenen Entgegenkommens feindselig zurück:
statt Reichsanleihen zu zeichnen, wird in den polnischen Sparkassen und Volks¬
banken ein Milliardenvermögen angehäuft mit dem ausgesprochenen Zweck, damit
den Ankauf deutschen Bodens zu bewirken. Schon jetzt gehen Anzeigen durch
die Blätter, durch die das Geld für diesen nationalpolnischen Zweck zur Ver¬
fügung gestellt wird**).
Die polnischen Positionen sind besetzt durch ein Volk von etwa 20 Millionen.
Etwa die Hälfte davon sitzt in kompakter Masse um die Weichsel herum als ein
an sich friedliches, aber von einem unruhigen und ehrgeizigen Bürgertum geleitetes
Landvolk fest auf eigner Scholle. Im Norden stehen die polnischen Vorposten auf
preußischem Boden bis hart an die Masurischen Seen heran, Vortruppen längs des
Weichsellaufs bis Danzig, im Westen stehen sie in Posen und an der Oder, —
im Südwesten bildet das Habsburgische Teschen eine vorgeschobene Stellung und
Schlesien die Brücke nach Böhmen hinein. Im Süden ist der Karpathenkamm
*) Die ganze Schrift ist wiedergegeben in Heft 40 der „Grenzboten" vom 3. Ok¬
tober 1917.
**) In diesem Zusammenhange werfen die Worte des Preußischen Ministers des Innern,
Herrn Dr. Drews, ein interessantes Streiflicht. Der Herr Minister führte am 4. d. M. im
preußischen Abgeordnetenhause aus: „Ich habe im Herrenhause gesagt, man müsse Real¬
politik treiben, und ich habe den Plan angedeutet, wie sich die Regierung in Zukunft die
Ostmarkenpolitik denkt. Wir rechneten dabei mit der Voraussetzung, daß von feiten auch der
Polen ein größeres Verständnis für den Preußischen Staat gezeigt würde. Ich muß kon¬
statieren, daß seitens der Vertreter der polnischen Fraktionen bisse r diese
Voraussetzung nicht erfüllt worden ist, wir haben infolgedessen keinerlei
Anlaß, das, was wir als Programm hingestellt haben, gegenwärtig in die
Tat zu übersetzen."
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |