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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Die Polenfrage vor der Entscheidung

nationalen Sozialismus, wie ihn die Juden in Polen vertreten. Er ist vielmehr
eines der Elemente, die sich den Polen zur Verfügung gestellt haben, um die
nationale Glut zu schüren. Der Grund für diese Erscheinung liegt in der Tat¬
sache, daß die polnischen Sozialisten sich bei ihren wirtschaftlichen Kämpfen nicht
der eigenen Rasse, sondern vorwiegend Fremden, den Deutschen und Juden, als
Unternehmer gegenübergestellt sahen. Der wirtschaftliche Haß des Sozialismus
wurde national eingeengt und in dieser Gebundenheit verstärkt zu einer scharfen
national-kulturellen Waffe; der durch den polnischen Sozialismus angestrebte
soziale Aufstieg kam sichtbar der polnischen Nationalität zugute. Ein wesentlicher
Grund für seinen überragenden Einfluß auf die polnische Nationaldemokratie und
auch der Hauptgrund für die Haltbarkeit der Ehe zwischen der Pilsudski-Partei
und dem niederen Klerus I

Ein weiterer Hauptgrund für das polnische Selbstbewußtsein ist die
Beobachtung, daß die Teilungen nicht vermocht haben, die Polen so tiefgehend zu
spalten, daß sie in den drei Teilungsgebieten das völkische Zusammengehörigkeitsgefühl
verloren. Es sind immer nur Splitter, die, sei es Russen, sei es Preußen ge¬
worden sind, überdies meist Angehörige solcher Adelsfamilien, über die die
nationale Demokratie ohnehin mit ihren Wirtschaftsplänen hinwegzuschreiten ge¬
dachte. Die Sprache hat zwar im Weichselgebiet Russizismen, in Preußen
Germanismen angenommen, aber in so geringfügiger Menge, daß die Literatur
kaum davon berührt weroen konnte.

Der dritte Grund ist die Tatsache des Aufbaues der polnischen Wirtschaft,
besonders in Rußland und Preußen, und damit im engen Zusammenhange die
Feststellung, mit welcher Leichtigkeit die Polen sich das deutsche
Element, mit Einschluß evangelischer Pastoren, im Weichselgebiet zu assi¬
milieren vermochten, während es dem preußischen Staat trotz seiner großen
Hilfsmittel ebensowenig wie dem russischen gelungen war, nationale Erfolge für
das Deutschtum und das Russentum auf Kosten der Polen zu erzielen. Daneben
machten die Polen die Entdeckung, wie leicht es ihnen fiel, den deutschen Einfluß
in Rußland auf allen Gebieten der Politik, des Handels, der Industrie dank dem
Jnteressenzusammenklcmg mit den russischen bürgerlichen Demokraten zu be¬
seitigen.

Für den politischen Effekt ist es belanglos, wenn die Entwicklung der Polen
nicht ganz ausschließlich auf sie selbst zurückzuführen ist, wenn vielmehr eine Reihe
günstiger, von ihnen durchaus unabhängiger Umstände zusammenwirken mußten,
um ihnen überhaupt nur die Möglichkeit zu eröffnen, das zu werden, was sie
geworden sind. Wesentlich ist dagegen die Tatsache, daß die Polen die moralische
Kraft aufgebracht haben, diese günstigen Verhältnisse auch wirklich für sich aus¬
zunutzen und daß ihre Führer in der Publizistik sich in den entscheidenden letzten
fünfzig Jahren bewußt geblieben sind, wo die Schwächen ihrer Position liegen, --
vor allem in dem Mangel einer polnischen Industrie und eines polnischen
Bürgertums, sowie, daß sie auch die richtigen Mittel anwenden, diese Schwächen
zu beseitigen.

Es war keine weltbeglückende Nächstenliebe, aus der diese Mittel
herauswuchsen: Vernichtung des deutschen Einflusse-s, nicht Ausgleich mit
den Deutschen war die Parole!


Die Polenfrage vor der Entscheidung

nationalen Sozialismus, wie ihn die Juden in Polen vertreten. Er ist vielmehr
eines der Elemente, die sich den Polen zur Verfügung gestellt haben, um die
nationale Glut zu schüren. Der Grund für diese Erscheinung liegt in der Tat¬
sache, daß die polnischen Sozialisten sich bei ihren wirtschaftlichen Kämpfen nicht
der eigenen Rasse, sondern vorwiegend Fremden, den Deutschen und Juden, als
Unternehmer gegenübergestellt sahen. Der wirtschaftliche Haß des Sozialismus
wurde national eingeengt und in dieser Gebundenheit verstärkt zu einer scharfen
national-kulturellen Waffe; der durch den polnischen Sozialismus angestrebte
soziale Aufstieg kam sichtbar der polnischen Nationalität zugute. Ein wesentlicher
Grund für seinen überragenden Einfluß auf die polnische Nationaldemokratie und
auch der Hauptgrund für die Haltbarkeit der Ehe zwischen der Pilsudski-Partei
und dem niederen Klerus I

Ein weiterer Hauptgrund für das polnische Selbstbewußtsein ist die
Beobachtung, daß die Teilungen nicht vermocht haben, die Polen so tiefgehend zu
spalten, daß sie in den drei Teilungsgebieten das völkische Zusammengehörigkeitsgefühl
verloren. Es sind immer nur Splitter, die, sei es Russen, sei es Preußen ge¬
worden sind, überdies meist Angehörige solcher Adelsfamilien, über die die
nationale Demokratie ohnehin mit ihren Wirtschaftsplänen hinwegzuschreiten ge¬
dachte. Die Sprache hat zwar im Weichselgebiet Russizismen, in Preußen
Germanismen angenommen, aber in so geringfügiger Menge, daß die Literatur
kaum davon berührt weroen konnte.

Der dritte Grund ist die Tatsache des Aufbaues der polnischen Wirtschaft,
besonders in Rußland und Preußen, und damit im engen Zusammenhange die
Feststellung, mit welcher Leichtigkeit die Polen sich das deutsche
Element, mit Einschluß evangelischer Pastoren, im Weichselgebiet zu assi¬
milieren vermochten, während es dem preußischen Staat trotz seiner großen
Hilfsmittel ebensowenig wie dem russischen gelungen war, nationale Erfolge für
das Deutschtum und das Russentum auf Kosten der Polen zu erzielen. Daneben
machten die Polen die Entdeckung, wie leicht es ihnen fiel, den deutschen Einfluß
in Rußland auf allen Gebieten der Politik, des Handels, der Industrie dank dem
Jnteressenzusammenklcmg mit den russischen bürgerlichen Demokraten zu be¬
seitigen.

Für den politischen Effekt ist es belanglos, wenn die Entwicklung der Polen
nicht ganz ausschließlich auf sie selbst zurückzuführen ist, wenn vielmehr eine Reihe
günstiger, von ihnen durchaus unabhängiger Umstände zusammenwirken mußten,
um ihnen überhaupt nur die Möglichkeit zu eröffnen, das zu werden, was sie
geworden sind. Wesentlich ist dagegen die Tatsache, daß die Polen die moralische
Kraft aufgebracht haben, diese günstigen Verhältnisse auch wirklich für sich aus¬
zunutzen und daß ihre Führer in der Publizistik sich in den entscheidenden letzten
fünfzig Jahren bewußt geblieben sind, wo die Schwächen ihrer Position liegen, —
vor allem in dem Mangel einer polnischen Industrie und eines polnischen
Bürgertums, sowie, daß sie auch die richtigen Mittel anwenden, diese Schwächen
zu beseitigen.

Es war keine weltbeglückende Nächstenliebe, aus der diese Mittel
herauswuchsen: Vernichtung des deutschen Einflusse-s, nicht Ausgleich mit
den Deutschen war die Parole!


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[0154] Die Polenfrage vor der Entscheidung nationalen Sozialismus, wie ihn die Juden in Polen vertreten. Er ist vielmehr eines der Elemente, die sich den Polen zur Verfügung gestellt haben, um die nationale Glut zu schüren. Der Grund für diese Erscheinung liegt in der Tat¬ sache, daß die polnischen Sozialisten sich bei ihren wirtschaftlichen Kämpfen nicht der eigenen Rasse, sondern vorwiegend Fremden, den Deutschen und Juden, als Unternehmer gegenübergestellt sahen. Der wirtschaftliche Haß des Sozialismus wurde national eingeengt und in dieser Gebundenheit verstärkt zu einer scharfen national-kulturellen Waffe; der durch den polnischen Sozialismus angestrebte soziale Aufstieg kam sichtbar der polnischen Nationalität zugute. Ein wesentlicher Grund für seinen überragenden Einfluß auf die polnische Nationaldemokratie und auch der Hauptgrund für die Haltbarkeit der Ehe zwischen der Pilsudski-Partei und dem niederen Klerus I Ein weiterer Hauptgrund für das polnische Selbstbewußtsein ist die Beobachtung, daß die Teilungen nicht vermocht haben, die Polen so tiefgehend zu spalten, daß sie in den drei Teilungsgebieten das völkische Zusammengehörigkeitsgefühl verloren. Es sind immer nur Splitter, die, sei es Russen, sei es Preußen ge¬ worden sind, überdies meist Angehörige solcher Adelsfamilien, über die die nationale Demokratie ohnehin mit ihren Wirtschaftsplänen hinwegzuschreiten ge¬ dachte. Die Sprache hat zwar im Weichselgebiet Russizismen, in Preußen Germanismen angenommen, aber in so geringfügiger Menge, daß die Literatur kaum davon berührt weroen konnte. Der dritte Grund ist die Tatsache des Aufbaues der polnischen Wirtschaft, besonders in Rußland und Preußen, und damit im engen Zusammenhange die Feststellung, mit welcher Leichtigkeit die Polen sich das deutsche Element, mit Einschluß evangelischer Pastoren, im Weichselgebiet zu assi¬ milieren vermochten, während es dem preußischen Staat trotz seiner großen Hilfsmittel ebensowenig wie dem russischen gelungen war, nationale Erfolge für das Deutschtum und das Russentum auf Kosten der Polen zu erzielen. Daneben machten die Polen die Entdeckung, wie leicht es ihnen fiel, den deutschen Einfluß in Rußland auf allen Gebieten der Politik, des Handels, der Industrie dank dem Jnteressenzusammenklcmg mit den russischen bürgerlichen Demokraten zu be¬ seitigen. Für den politischen Effekt ist es belanglos, wenn die Entwicklung der Polen nicht ganz ausschließlich auf sie selbst zurückzuführen ist, wenn vielmehr eine Reihe günstiger, von ihnen durchaus unabhängiger Umstände zusammenwirken mußten, um ihnen überhaupt nur die Möglichkeit zu eröffnen, das zu werden, was sie geworden sind. Wesentlich ist dagegen die Tatsache, daß die Polen die moralische Kraft aufgebracht haben, diese günstigen Verhältnisse auch wirklich für sich aus¬ zunutzen und daß ihre Führer in der Publizistik sich in den entscheidenden letzten fünfzig Jahren bewußt geblieben sind, wo die Schwächen ihrer Position liegen, — vor allem in dem Mangel einer polnischen Industrie und eines polnischen Bürgertums, sowie, daß sie auch die richtigen Mittel anwenden, diese Schwächen zu beseitigen. Es war keine weltbeglückende Nächstenliebe, aus der diese Mittel herauswuchsen: Vernichtung des deutschen Einflusse-s, nicht Ausgleich mit den Deutschen war die Parole!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/154>, abgerufen am 23.07.2024.