Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Bücher

Bändchen vorweg genommen wurden. Zunächst Meineckes fesselnder Beitrag aus
dem Teubnerscheu Sammelwerke "Deutschland und der Weltkrieg": "Kultur, Mckcht-
Politik und Militarismus", ferner "Bismarck und das neue Deutschland" (aus
dem "Bismarckjahr" von Lenz und Marcks) und endlich der glänzende Vortrag
über "Die deutsche Freiheit", den der Gelehrte vor Jahresfrist im Abgeordneten¬
hause gehalten hat. So klingt auch dieser Sammelband, wie "Weltbürgertum
und Nationalstaat", aus in die drängenden Probleme unserer politischen Gegen¬
wart, deren Lösung hoffentlich vom Geiste dieses maßvoll entschiedenen Historikers
Dr. H. V. Meisner getragen ist. "


Wilhelm Stapel, "Volksbürgerliche Erziehung. Verlag von Eugen
Diederichs, Jena 1917. Preis 2 M.. geb. 2,80 M.

Mit festen Griffen setzt der Verfasser Siaat und Volk einander gegenüber:
der Staat ist nichts anderes als die durch den Verstand erfaßte Verpflichtung zur
Einheit, Mittel zum Zw?et, Arbeitsgemeinschaft, nicht Lebensgemeinschaft; Volk ist
eine sich in der Zeit entfallende Einheit, die von körperlichen Zusammenhängen,
der Blutsverwandtschaft getragen ist und deren seelische Eigenart sich in ihren
Kulturgütern und Idealen kundtut. Sofern wir leben wollen in der Fülle unserer
Kraft, nutz dem schaffenden Prinzip, dem Volk, unsere Liebe gehören. Diese
Lebensgemeinschaft als die höchste Einheit gilt es festzuhalten und zu Pflegen, ihr
ist in der Erziehung in erster Reihe Rechnung zu tragen. Ein Volk erziehen,
heißt Glieder eines Gesamtphänomens erziehen, also Überwindung des Atomis¬
mus, des Individualismus durch Hinabsteigen in letzte metaphysische Zusammen¬
hänge, denn das Leben in der Kette der Geschlechter weist über sich selbst hinaus
in die Ewigkeit. Ein Volk wird zum VM durch Bildung seiner Gesinnung. Die
Bildung der deutschen Gesinnung umfaßt nun die Ausbildung der allgemeinen
sinnlichen Fähigkeiten zum bewußten geistigen Leben, vor allem der deutschen
Sprache; die Entwicklung der Phantasie durch unsere Volksmärchen. Volkslieder,
Volkssagen und andere Werke der Dichtkunst, der Musik und bildenden Kunst; die
Hinlenkung auf die Fragen der Weltanschauung, so daß die Gedanken unserer
größten Denker uns zu lebendigen Führern werden in der Welt, in die wir hin¬
eingeboren sind, und schließlich geschichtlichen Unterricht im Sinne deutscher Volks-
geschichte, nicht reichsdentfcher Staatsgeschichte, unter Benutzung von Urkunden,
wie denn überall Echtheit und Ursprünglichkeit zu fordern ist. So steht gegen und
neben dem Ideal des ^-maisbürgers das des Volksbürgers.

Es liegt auf der Hand, daß dieses Ideal nicht etwa in Volkshochschulen
verwirklicht wird, die nicht in die Tiefe gehen, oder durch die buntschillernde Vor-
tragskultur unserer Tage, die statt zu sammeln der Zersplitterung dient. Unsere
Volkserziehungsarbeit ist im besten Fall Teilarbeit, deshalb im Grunde unschöpferisch
und für alle Beteiligten unbefriedigend. Das Problem der Volkserziehung ist
eben nicht genügend grundsätzlich durchdacht und es besteht keine Klarheit über
das Grundphänomen "Volk". Was Stapel in seiner kleinen Schrift bietet, ist im
Grunde ein Aufruf zur Selbstbesinnung, denn in dem Einzelleben blüht und reift
das Volk. Aus einer großen Sehnsucht geboren, bringt sie tief innerlich Erlebtes,
eine Zukunftshoffnuug,' die den erkältenden Hauch praktischer Verwertung noch
scheut. Der Verfasser weiß, daß seine Zeit kommen wird, vorläufig aber, so sagt
er, ist die äußere Welt zu stark, als daß die innere Welt hervorbrechen könnte.
Wer aus der Verneinung des Bestehenden zur Klarheit einer Neugestaltung des
Volkslebens dringen will, nehme Stapels gedankenvolles Büchlein zur Hand. Es
wird manchem den Weg erhellen, der in den Fesseln des Intellektualismus und
Individualismus schmachtet. Nicht nur den Volkserziehern, sondern jedem, dem
sich der Blick über den Alltag weitet, sei es warm empfohlen. Mögen sich die
M. R. Geister im Sinne Fichtes sammeln!

Wer jetzt über fliimische Literatur spricht, beginnt füglich mit dem Besten,
dem kürzlich erschienenen "Pallieter" von Felix Timmermans (Van Kämpen K Zoom,
Amsterdam). Künstlerisch ist es ein etwas problematisches Buch, es hat Haltung,
aber keine, wenigstens keine traditionelle Form, es hat bei aller Naturnähe keine


Neue Bücher

Bändchen vorweg genommen wurden. Zunächst Meineckes fesselnder Beitrag aus
dem Teubnerscheu Sammelwerke „Deutschland und der Weltkrieg": „Kultur, Mckcht-
Politik und Militarismus", ferner „Bismarck und das neue Deutschland" (aus
dem „Bismarckjahr" von Lenz und Marcks) und endlich der glänzende Vortrag
über „Die deutsche Freiheit", den der Gelehrte vor Jahresfrist im Abgeordneten¬
hause gehalten hat. So klingt auch dieser Sammelband, wie „Weltbürgertum
und Nationalstaat", aus in die drängenden Probleme unserer politischen Gegen¬
wart, deren Lösung hoffentlich vom Geiste dieses maßvoll entschiedenen Historikers
Dr. H. V. Meisner getragen ist. "


Wilhelm Stapel, „Volksbürgerliche Erziehung. Verlag von Eugen
Diederichs, Jena 1917. Preis 2 M.. geb. 2,80 M.

Mit festen Griffen setzt der Verfasser Siaat und Volk einander gegenüber:
der Staat ist nichts anderes als die durch den Verstand erfaßte Verpflichtung zur
Einheit, Mittel zum Zw?et, Arbeitsgemeinschaft, nicht Lebensgemeinschaft; Volk ist
eine sich in der Zeit entfallende Einheit, die von körperlichen Zusammenhängen,
der Blutsverwandtschaft getragen ist und deren seelische Eigenart sich in ihren
Kulturgütern und Idealen kundtut. Sofern wir leben wollen in der Fülle unserer
Kraft, nutz dem schaffenden Prinzip, dem Volk, unsere Liebe gehören. Diese
Lebensgemeinschaft als die höchste Einheit gilt es festzuhalten und zu Pflegen, ihr
ist in der Erziehung in erster Reihe Rechnung zu tragen. Ein Volk erziehen,
heißt Glieder eines Gesamtphänomens erziehen, also Überwindung des Atomis¬
mus, des Individualismus durch Hinabsteigen in letzte metaphysische Zusammen¬
hänge, denn das Leben in der Kette der Geschlechter weist über sich selbst hinaus
in die Ewigkeit. Ein Volk wird zum VM durch Bildung seiner Gesinnung. Die
Bildung der deutschen Gesinnung umfaßt nun die Ausbildung der allgemeinen
sinnlichen Fähigkeiten zum bewußten geistigen Leben, vor allem der deutschen
Sprache; die Entwicklung der Phantasie durch unsere Volksmärchen. Volkslieder,
Volkssagen und andere Werke der Dichtkunst, der Musik und bildenden Kunst; die
Hinlenkung auf die Fragen der Weltanschauung, so daß die Gedanken unserer
größten Denker uns zu lebendigen Führern werden in der Welt, in die wir hin¬
eingeboren sind, und schließlich geschichtlichen Unterricht im Sinne deutscher Volks-
geschichte, nicht reichsdentfcher Staatsgeschichte, unter Benutzung von Urkunden,
wie denn überall Echtheit und Ursprünglichkeit zu fordern ist. So steht gegen und
neben dem Ideal des ^-maisbürgers das des Volksbürgers.

Es liegt auf der Hand, daß dieses Ideal nicht etwa in Volkshochschulen
verwirklicht wird, die nicht in die Tiefe gehen, oder durch die buntschillernde Vor-
tragskultur unserer Tage, die statt zu sammeln der Zersplitterung dient. Unsere
Volkserziehungsarbeit ist im besten Fall Teilarbeit, deshalb im Grunde unschöpferisch
und für alle Beteiligten unbefriedigend. Das Problem der Volkserziehung ist
eben nicht genügend grundsätzlich durchdacht und es besteht keine Klarheit über
das Grundphänomen „Volk". Was Stapel in seiner kleinen Schrift bietet, ist im
Grunde ein Aufruf zur Selbstbesinnung, denn in dem Einzelleben blüht und reift
das Volk. Aus einer großen Sehnsucht geboren, bringt sie tief innerlich Erlebtes,
eine Zukunftshoffnuug,' die den erkältenden Hauch praktischer Verwertung noch
scheut. Der Verfasser weiß, daß seine Zeit kommen wird, vorläufig aber, so sagt
er, ist die äußere Welt zu stark, als daß die innere Welt hervorbrechen könnte.
Wer aus der Verneinung des Bestehenden zur Klarheit einer Neugestaltung des
Volkslebens dringen will, nehme Stapels gedankenvolles Büchlein zur Hand. Es
wird manchem den Weg erhellen, der in den Fesseln des Intellektualismus und
Individualismus schmachtet. Nicht nur den Volkserziehern, sondern jedem, dem
sich der Blick über den Alltag weitet, sei es warm empfohlen. Mögen sich die
M. R. Geister im Sinne Fichtes sammeln!

Wer jetzt über fliimische Literatur spricht, beginnt füglich mit dem Besten,
dem kürzlich erschienenen „Pallieter" von Felix Timmermans (Van Kämpen K Zoom,
Amsterdam). Künstlerisch ist es ein etwas problematisches Buch, es hat Haltung,
aber keine, wenigstens keine traditionelle Form, es hat bei aller Naturnähe keine


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333630"/>
            <fw type="header" place="top"> Neue Bücher</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_519" prev="#ID_518"> Bändchen vorweg genommen wurden. Zunächst Meineckes fesselnder Beitrag aus<lb/>
dem Teubnerscheu Sammelwerke &#x201E;Deutschland und der Weltkrieg": &#x201E;Kultur, Mckcht-<lb/>
Politik und Militarismus", ferner &#x201E;Bismarck und das neue Deutschland" (aus<lb/>
dem &#x201E;Bismarckjahr" von Lenz und Marcks) und endlich der glänzende Vortrag<lb/>
über &#x201E;Die deutsche Freiheit", den der Gelehrte vor Jahresfrist im Abgeordneten¬<lb/>
hause gehalten hat. So klingt auch dieser Sammelband, wie &#x201E;Weltbürgertum<lb/>
und Nationalstaat", aus in die drängenden Probleme unserer politischen Gegen¬<lb/>
wart, deren Lösung hoffentlich vom Geiste dieses maßvoll entschiedenen Historikers<lb/><note type="byline"> Dr. H. V. Meisner</note> getragen ist. "</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Wilhelm Stapel,  &#x201E;Volksbürgerliche Erziehung.  Verlag von Eugen<lb/>
Diederichs, Jena 1917. Preis 2 M.. geb. 2,80 M.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_520"> Mit festen Griffen setzt der Verfasser Siaat und Volk einander gegenüber:<lb/>
der Staat ist nichts anderes als die durch den Verstand erfaßte Verpflichtung zur<lb/>
Einheit, Mittel zum Zw?et, Arbeitsgemeinschaft, nicht Lebensgemeinschaft; Volk ist<lb/>
eine sich in der Zeit entfallende Einheit, die von körperlichen Zusammenhängen,<lb/>
der Blutsverwandtschaft getragen ist und deren seelische Eigenart sich in ihren<lb/>
Kulturgütern und Idealen kundtut. Sofern wir leben wollen in der Fülle unserer<lb/>
Kraft, nutz dem schaffenden Prinzip, dem Volk, unsere Liebe gehören. Diese<lb/>
Lebensgemeinschaft als die höchste Einheit gilt es festzuhalten und zu Pflegen, ihr<lb/>
ist in der Erziehung in erster Reihe Rechnung zu tragen. Ein Volk erziehen,<lb/>
heißt Glieder eines Gesamtphänomens erziehen, also Überwindung des Atomis¬<lb/>
mus, des Individualismus durch Hinabsteigen in letzte metaphysische Zusammen¬<lb/>
hänge, denn das Leben in der Kette der Geschlechter weist über sich selbst hinaus<lb/>
in die Ewigkeit. Ein Volk wird zum VM durch Bildung seiner Gesinnung. Die<lb/>
Bildung der deutschen Gesinnung umfaßt nun die Ausbildung der allgemeinen<lb/>
sinnlichen Fähigkeiten zum bewußten geistigen Leben, vor allem der deutschen<lb/>
Sprache; die Entwicklung der Phantasie durch unsere Volksmärchen. Volkslieder,<lb/>
Volkssagen und andere Werke der Dichtkunst, der Musik und bildenden Kunst; die<lb/>
Hinlenkung auf die Fragen der Weltanschauung, so daß die Gedanken unserer<lb/>
größten Denker uns zu lebendigen Führern werden in der Welt, in die wir hin¬<lb/>
eingeboren sind, und schließlich geschichtlichen Unterricht im Sinne deutscher Volks-<lb/>
geschichte, nicht reichsdentfcher Staatsgeschichte, unter Benutzung von Urkunden,<lb/>
wie denn überall Echtheit und Ursprünglichkeit zu fordern ist. So steht gegen und<lb/>
neben dem Ideal des ^-maisbürgers das des Volksbürgers.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_521"> Es liegt auf der Hand, daß dieses Ideal nicht etwa in Volkshochschulen<lb/>
verwirklicht wird, die nicht in die Tiefe gehen, oder durch die buntschillernde Vor-<lb/>
tragskultur unserer Tage, die statt zu sammeln der Zersplitterung dient. Unsere<lb/>
Volkserziehungsarbeit ist im besten Fall Teilarbeit, deshalb im Grunde unschöpferisch<lb/>
und für alle Beteiligten unbefriedigend. Das Problem der Volkserziehung ist<lb/>
eben nicht genügend grundsätzlich durchdacht und es besteht keine Klarheit über<lb/>
das Grundphänomen &#x201E;Volk". Was Stapel in seiner kleinen Schrift bietet, ist im<lb/>
Grunde ein Aufruf zur Selbstbesinnung, denn in dem Einzelleben blüht und reift<lb/>
das Volk. Aus einer großen Sehnsucht geboren, bringt sie tief innerlich Erlebtes,<lb/>
eine Zukunftshoffnuug,' die den erkältenden Hauch praktischer Verwertung noch<lb/>
scheut. Der Verfasser weiß, daß seine Zeit kommen wird, vorläufig aber, so sagt<lb/>
er, ist die äußere Welt zu stark, als daß die innere Welt hervorbrechen könnte.<lb/>
Wer aus der Verneinung des Bestehenden zur Klarheit einer Neugestaltung des<lb/>
Volkslebens dringen will, nehme Stapels gedankenvolles Büchlein zur Hand. Es<lb/>
wird manchem den Weg erhellen, der in den Fesseln des Intellektualismus und<lb/>
Individualismus schmachtet. Nicht nur den Volkserziehern, sondern jedem, dem<lb/>
sich der Blick über den Alltag weitet, sei es warm empfohlen. Mögen sich die<lb/><note type="byline"> M. R.</note> Geister im Sinne Fichtes sammeln! </p><lb/>
            <p xml:id="ID_522" next="#ID_523"> Wer jetzt über fliimische Literatur spricht, beginnt füglich mit dem Besten,<lb/>
dem kürzlich erschienenen &#x201E;Pallieter" von Felix Timmermans (Van Kämpen K Zoom,<lb/>
Amsterdam). Künstlerisch ist es ein etwas problematisches Buch, es hat Haltung,<lb/>
aber keine, wenigstens keine traditionelle Form, es hat bei aller Naturnähe keine</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] Neue Bücher Bändchen vorweg genommen wurden. Zunächst Meineckes fesselnder Beitrag aus dem Teubnerscheu Sammelwerke „Deutschland und der Weltkrieg": „Kultur, Mckcht- Politik und Militarismus", ferner „Bismarck und das neue Deutschland" (aus dem „Bismarckjahr" von Lenz und Marcks) und endlich der glänzende Vortrag über „Die deutsche Freiheit", den der Gelehrte vor Jahresfrist im Abgeordneten¬ hause gehalten hat. So klingt auch dieser Sammelband, wie „Weltbürgertum und Nationalstaat", aus in die drängenden Probleme unserer politischen Gegen¬ wart, deren Lösung hoffentlich vom Geiste dieses maßvoll entschiedenen Historikers Dr. H. V. Meisner getragen ist. " Wilhelm Stapel, „Volksbürgerliche Erziehung. Verlag von Eugen Diederichs, Jena 1917. Preis 2 M.. geb. 2,80 M. Mit festen Griffen setzt der Verfasser Siaat und Volk einander gegenüber: der Staat ist nichts anderes als die durch den Verstand erfaßte Verpflichtung zur Einheit, Mittel zum Zw?et, Arbeitsgemeinschaft, nicht Lebensgemeinschaft; Volk ist eine sich in der Zeit entfallende Einheit, die von körperlichen Zusammenhängen, der Blutsverwandtschaft getragen ist und deren seelische Eigenart sich in ihren Kulturgütern und Idealen kundtut. Sofern wir leben wollen in der Fülle unserer Kraft, nutz dem schaffenden Prinzip, dem Volk, unsere Liebe gehören. Diese Lebensgemeinschaft als die höchste Einheit gilt es festzuhalten und zu Pflegen, ihr ist in der Erziehung in erster Reihe Rechnung zu tragen. Ein Volk erziehen, heißt Glieder eines Gesamtphänomens erziehen, also Überwindung des Atomis¬ mus, des Individualismus durch Hinabsteigen in letzte metaphysische Zusammen¬ hänge, denn das Leben in der Kette der Geschlechter weist über sich selbst hinaus in die Ewigkeit. Ein Volk wird zum VM durch Bildung seiner Gesinnung. Die Bildung der deutschen Gesinnung umfaßt nun die Ausbildung der allgemeinen sinnlichen Fähigkeiten zum bewußten geistigen Leben, vor allem der deutschen Sprache; die Entwicklung der Phantasie durch unsere Volksmärchen. Volkslieder, Volkssagen und andere Werke der Dichtkunst, der Musik und bildenden Kunst; die Hinlenkung auf die Fragen der Weltanschauung, so daß die Gedanken unserer größten Denker uns zu lebendigen Führern werden in der Welt, in die wir hin¬ eingeboren sind, und schließlich geschichtlichen Unterricht im Sinne deutscher Volks- geschichte, nicht reichsdentfcher Staatsgeschichte, unter Benutzung von Urkunden, wie denn überall Echtheit und Ursprünglichkeit zu fordern ist. So steht gegen und neben dem Ideal des ^-maisbürgers das des Volksbürgers. Es liegt auf der Hand, daß dieses Ideal nicht etwa in Volkshochschulen verwirklicht wird, die nicht in die Tiefe gehen, oder durch die buntschillernde Vor- tragskultur unserer Tage, die statt zu sammeln der Zersplitterung dient. Unsere Volkserziehungsarbeit ist im besten Fall Teilarbeit, deshalb im Grunde unschöpferisch und für alle Beteiligten unbefriedigend. Das Problem der Volkserziehung ist eben nicht genügend grundsätzlich durchdacht und es besteht keine Klarheit über das Grundphänomen „Volk". Was Stapel in seiner kleinen Schrift bietet, ist im Grunde ein Aufruf zur Selbstbesinnung, denn in dem Einzelleben blüht und reift das Volk. Aus einer großen Sehnsucht geboren, bringt sie tief innerlich Erlebtes, eine Zukunftshoffnuug,' die den erkältenden Hauch praktischer Verwertung noch scheut. Der Verfasser weiß, daß seine Zeit kommen wird, vorläufig aber, so sagt er, ist die äußere Welt zu stark, als daß die innere Welt hervorbrechen könnte. Wer aus der Verneinung des Bestehenden zur Klarheit einer Neugestaltung des Volkslebens dringen will, nehme Stapels gedankenvolles Büchlein zur Hand. Es wird manchem den Weg erhellen, der in den Fesseln des Intellektualismus und Individualismus schmachtet. Nicht nur den Volkserziehern, sondern jedem, dem sich der Blick über den Alltag weitet, sei es warm empfohlen. Mögen sich die M. R. Geister im Sinne Fichtes sammeln! Wer jetzt über fliimische Literatur spricht, beginnt füglich mit dem Besten, dem kürzlich erschienenen „Pallieter" von Felix Timmermans (Van Kämpen K Zoom, Amsterdam). Künstlerisch ist es ein etwas problematisches Buch, es hat Haltung, aber keine, wenigstens keine traditionelle Form, es hat bei aller Naturnähe keine

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/147
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/147>, abgerufen am 22.07.2024.