Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Randglossen zum Tage

französisches Geld gerade für diesen Herrscher begeistert wurden, nachfühlen, wenn
sie einem Personenwechsel geneigt sind und sich nicht vor Schmerz zerreißen
werden, wenn Ferdinand dem Verein ehemaliger Könige als aktives Mitglied
beitritt.

Aber so nüchtern vernünftig der Monarchismus in der ganzen Welt
geworden ist, seitdem man die Könige ganz aus der Nähe betrachten kann, auch
der Beitritt dieses Mitgliedes zur Gesellschaft gewesener Könige wird an der
inneren Stellung aller Menschen, die aus dem Kriege etwas gelernt haben, zur
Monarchie nichts ändern. Unbarmherzig haben sich im Sturme der Zeit die
Schwächen einiger Monarchien, die in der Schwäche und Einsichtslosigkeit ihrer
Monarchen wurzeln, enthüllt. Ebenso scharf hat sich aber auch der Wert anderer
Monarchien und die Bedeutung ihrer tüchtigen und einsichtigen Monarchen ins
Licht gestellt. Und gerade deshalb stehen diese heute innerlich fester da, als jemals,
weil die Bewährung im Sturm der Zeit ihren vollen Wert erwiesen hat. Außer¬
dem haben Republiken und ihre Präsidenten gezeigt, daß man in der "Muster¬
demokratie" mit aller Seelenvergiftung, Wahrheitsvergewaltigung und Freiheits¬
unterdrückung der schlimmsten Absolutien arbeiten kann, ohne daß man dabei
durch die Demokratie irgendwie gestört wird. So gleicht sich die Sache aus und
es bleibt ein Saldo zugunsten der Könige, die zugleich tüchtige, einsichtige und
pflichttreue Männer sind, in einer Monarchie, die freiheitlich alle guten Kräfte
entbindet. Dabei wird es bleiben, auch wenn sich Ferdinand, dem Tränenreichen,
noch ein gewogener und zu leicht befundener Kollege gesellen sollte. Höchstens,
daß die Kindermärchen der Zukunft eine kleine Änderung erfahren. Etwa so:

Es war einmal vor langen Jahren ein König. Der fragte eines Tages,
als er sich morgens auf den Thron setzte und sich sein Szepter reichen ließ, um
ein bißchen zu regieren, seinen obersten Ratgeber: "Mein lieber Großwesier, ich
habe da beim Frühstück in der Zeitung allerlei aus den Nachbarreichen gelesen,
das mir gar nicht gefällt. Stürmische Volksversammlungen, in denen wilde Reden
geführt werden. Man spricht von Revolution, in der Hauptstadt von Asturia
sollen heute Nacht Barrikaden gebaut worden sein und dergleichen unliebsame
Vorkommnisse mehr. Da ist es Zeit, daß wir etwas tun, um die Stellung unseres
Thrones zu festigen. Was können wir tun?" "Majestät," antwortete der Gro߬
wesier, "Sie können zweierlei tun. Sie können die verfassungsmäßigen Garantien
aufheben, die Zeitungen unterdrücken, alle Versammlungen verbieten und jede
etwa aufkeimende freiheitliche Bewegung mit rücksichtsloser Gewalt niederwerfen.
Oder" -- hier zögerte der greise Ratgeber, indem er den König aufmerksam an¬
sah, "Sie können das Gegenteil tun -- aber dazu gehört mutiges Vertrauen --
und jeden Unterschied in der Bemessung politischer Rechte beseitigen, indem Sie
jedem Mann den Zutritt zur großen Natsversammlung des Landes gleichmäßig
gewähren, was immer diejenigen Gruppen sagen mögen, die bisher auf den nume¬
rierten Vorzugsplätzen doppelt und dreifach soviel Platz beanspruchen durften, als
die anderen." Der König richtete sich hoch auf und rief: "Glaubt Ihr, es sei
allein den Professoren vorbehalten, aus der Geschichte zu lernen und den Zeitungs¬
schreibern, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten? Hier!" Und er zog eine Per¬
gamentrolle aus der Tasche seines Purpurmcmtels und reichte sie dem Wesier. "Das
habe ich niedergeschrieben, als mir so recht klar wurde, daß kein Volk es sich redlicher
verdient hat als das unsere, daß alle ihm Angehörigen ohne Unterschied der Geburt
an allen Rechten beteiligt und nur nach dem Unterschied der Begabung zur Voll-
führung aller Pflichten zugelassen werden." Der Wesier las und fächelte zu¬
frieden. "Majestät", sagte er, "verzeihen Sie einem alten Manne, der es nicht
lassen konnte, Sie, wenn auch nur einen Augenblick auf die Probe zu stellen.
Ich wußte, daß Sie über meinen ersten Vorschlag nicht einmal nachdenken würden."
"Und ich wußte," sagte der König, königlich lächelnd, "als ich Sie um Rat fragte,
genau, was ich wollte und was Sie ernstlich raten würden. So haben wir
einander nichts vorzuwerfen." Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben und
regieren sie heute noch.


Randglossen zum Tage

französisches Geld gerade für diesen Herrscher begeistert wurden, nachfühlen, wenn
sie einem Personenwechsel geneigt sind und sich nicht vor Schmerz zerreißen
werden, wenn Ferdinand dem Verein ehemaliger Könige als aktives Mitglied
beitritt.

Aber so nüchtern vernünftig der Monarchismus in der ganzen Welt
geworden ist, seitdem man die Könige ganz aus der Nähe betrachten kann, auch
der Beitritt dieses Mitgliedes zur Gesellschaft gewesener Könige wird an der
inneren Stellung aller Menschen, die aus dem Kriege etwas gelernt haben, zur
Monarchie nichts ändern. Unbarmherzig haben sich im Sturme der Zeit die
Schwächen einiger Monarchien, die in der Schwäche und Einsichtslosigkeit ihrer
Monarchen wurzeln, enthüllt. Ebenso scharf hat sich aber auch der Wert anderer
Monarchien und die Bedeutung ihrer tüchtigen und einsichtigen Monarchen ins
Licht gestellt. Und gerade deshalb stehen diese heute innerlich fester da, als jemals,
weil die Bewährung im Sturm der Zeit ihren vollen Wert erwiesen hat. Außer¬
dem haben Republiken und ihre Präsidenten gezeigt, daß man in der „Muster¬
demokratie" mit aller Seelenvergiftung, Wahrheitsvergewaltigung und Freiheits¬
unterdrückung der schlimmsten Absolutien arbeiten kann, ohne daß man dabei
durch die Demokratie irgendwie gestört wird. So gleicht sich die Sache aus und
es bleibt ein Saldo zugunsten der Könige, die zugleich tüchtige, einsichtige und
pflichttreue Männer sind, in einer Monarchie, die freiheitlich alle guten Kräfte
entbindet. Dabei wird es bleiben, auch wenn sich Ferdinand, dem Tränenreichen,
noch ein gewogener und zu leicht befundener Kollege gesellen sollte. Höchstens,
daß die Kindermärchen der Zukunft eine kleine Änderung erfahren. Etwa so:

Es war einmal vor langen Jahren ein König. Der fragte eines Tages,
als er sich morgens auf den Thron setzte und sich sein Szepter reichen ließ, um
ein bißchen zu regieren, seinen obersten Ratgeber: „Mein lieber Großwesier, ich
habe da beim Frühstück in der Zeitung allerlei aus den Nachbarreichen gelesen,
das mir gar nicht gefällt. Stürmische Volksversammlungen, in denen wilde Reden
geführt werden. Man spricht von Revolution, in der Hauptstadt von Asturia
sollen heute Nacht Barrikaden gebaut worden sein und dergleichen unliebsame
Vorkommnisse mehr. Da ist es Zeit, daß wir etwas tun, um die Stellung unseres
Thrones zu festigen. Was können wir tun?" „Majestät," antwortete der Gro߬
wesier, „Sie können zweierlei tun. Sie können die verfassungsmäßigen Garantien
aufheben, die Zeitungen unterdrücken, alle Versammlungen verbieten und jede
etwa aufkeimende freiheitliche Bewegung mit rücksichtsloser Gewalt niederwerfen.
Oder" — hier zögerte der greise Ratgeber, indem er den König aufmerksam an¬
sah, „Sie können das Gegenteil tun — aber dazu gehört mutiges Vertrauen —
und jeden Unterschied in der Bemessung politischer Rechte beseitigen, indem Sie
jedem Mann den Zutritt zur großen Natsversammlung des Landes gleichmäßig
gewähren, was immer diejenigen Gruppen sagen mögen, die bisher auf den nume¬
rierten Vorzugsplätzen doppelt und dreifach soviel Platz beanspruchen durften, als
die anderen." Der König richtete sich hoch auf und rief: „Glaubt Ihr, es sei
allein den Professoren vorbehalten, aus der Geschichte zu lernen und den Zeitungs¬
schreibern, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten? Hier!" Und er zog eine Per¬
gamentrolle aus der Tasche seines Purpurmcmtels und reichte sie dem Wesier. „Das
habe ich niedergeschrieben, als mir so recht klar wurde, daß kein Volk es sich redlicher
verdient hat als das unsere, daß alle ihm Angehörigen ohne Unterschied der Geburt
an allen Rechten beteiligt und nur nach dem Unterschied der Begabung zur Voll-
führung aller Pflichten zugelassen werden." Der Wesier las und fächelte zu¬
frieden. „Majestät", sagte er, „verzeihen Sie einem alten Manne, der es nicht
lassen konnte, Sie, wenn auch nur einen Augenblick auf die Probe zu stellen.
Ich wußte, daß Sie über meinen ersten Vorschlag nicht einmal nachdenken würden."
„Und ich wußte," sagte der König, königlich lächelnd, „als ich Sie um Rat fragte,
genau, was ich wollte und was Sie ernstlich raten würden. So haben wir
einander nichts vorzuwerfen." Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben und
regieren sie heute noch.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0144" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333627"/>
          <fw type="header" place="top"> Randglossen zum Tage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_512" prev="#ID_511"> französisches Geld gerade für diesen Herrscher begeistert wurden, nachfühlen, wenn<lb/>
sie einem Personenwechsel geneigt sind und sich nicht vor Schmerz zerreißen<lb/>
werden, wenn Ferdinand dem Verein ehemaliger Könige als aktives Mitglied<lb/>
beitritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_513"> Aber so nüchtern vernünftig der Monarchismus in der ganzen Welt<lb/>
geworden ist, seitdem man die Könige ganz aus der Nähe betrachten kann, auch<lb/>
der Beitritt dieses Mitgliedes zur Gesellschaft gewesener Könige wird an der<lb/>
inneren Stellung aller Menschen, die aus dem Kriege etwas gelernt haben, zur<lb/>
Monarchie nichts ändern. Unbarmherzig haben sich im Sturme der Zeit die<lb/>
Schwächen einiger Monarchien, die in der Schwäche und Einsichtslosigkeit ihrer<lb/>
Monarchen wurzeln, enthüllt. Ebenso scharf hat sich aber auch der Wert anderer<lb/>
Monarchien und die Bedeutung ihrer tüchtigen und einsichtigen Monarchen ins<lb/>
Licht gestellt. Und gerade deshalb stehen diese heute innerlich fester da, als jemals,<lb/>
weil die Bewährung im Sturm der Zeit ihren vollen Wert erwiesen hat. Außer¬<lb/>
dem haben Republiken und ihre Präsidenten gezeigt, daß man in der &#x201E;Muster¬<lb/>
demokratie" mit aller Seelenvergiftung, Wahrheitsvergewaltigung und Freiheits¬<lb/>
unterdrückung der schlimmsten Absolutien arbeiten kann, ohne daß man dabei<lb/>
durch die Demokratie irgendwie gestört wird. So gleicht sich die Sache aus und<lb/>
es bleibt ein Saldo zugunsten der Könige, die zugleich tüchtige, einsichtige und<lb/>
pflichttreue Männer sind, in einer Monarchie, die freiheitlich alle guten Kräfte<lb/>
entbindet. Dabei wird es bleiben, auch wenn sich Ferdinand, dem Tränenreichen,<lb/>
noch ein gewogener und zu leicht befundener Kollege gesellen sollte. Höchstens,<lb/>
daß die Kindermärchen der Zukunft eine kleine Änderung erfahren. Etwa so:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_514"> Es war einmal vor langen Jahren ein König. Der fragte eines Tages,<lb/>
als er sich morgens auf den Thron setzte und sich sein Szepter reichen ließ, um<lb/>
ein bißchen zu regieren, seinen obersten Ratgeber: &#x201E;Mein lieber Großwesier, ich<lb/>
habe da beim Frühstück in der Zeitung allerlei aus den Nachbarreichen gelesen,<lb/>
das mir gar nicht gefällt. Stürmische Volksversammlungen, in denen wilde Reden<lb/>
geführt werden. Man spricht von Revolution, in der Hauptstadt von Asturia<lb/>
sollen heute Nacht Barrikaden gebaut worden sein und dergleichen unliebsame<lb/>
Vorkommnisse mehr. Da ist es Zeit, daß wir etwas tun, um die Stellung unseres<lb/>
Thrones zu festigen. Was können wir tun?" &#x201E;Majestät," antwortete der Gro߬<lb/>
wesier, &#x201E;Sie können zweierlei tun. Sie können die verfassungsmäßigen Garantien<lb/>
aufheben, die Zeitungen unterdrücken, alle Versammlungen verbieten und jede<lb/>
etwa aufkeimende freiheitliche Bewegung mit rücksichtsloser Gewalt niederwerfen.<lb/>
Oder" &#x2014; hier zögerte der greise Ratgeber, indem er den König aufmerksam an¬<lb/>
sah, &#x201E;Sie können das Gegenteil tun &#x2014; aber dazu gehört mutiges Vertrauen &#x2014;<lb/>
und jeden Unterschied in der Bemessung politischer Rechte beseitigen, indem Sie<lb/>
jedem Mann den Zutritt zur großen Natsversammlung des Landes gleichmäßig<lb/>
gewähren, was immer diejenigen Gruppen sagen mögen, die bisher auf den nume¬<lb/>
rierten Vorzugsplätzen doppelt und dreifach soviel Platz beanspruchen durften, als<lb/>
die anderen." Der König richtete sich hoch auf und rief: &#x201E;Glaubt Ihr, es sei<lb/>
allein den Professoren vorbehalten, aus der Geschichte zu lernen und den Zeitungs¬<lb/>
schreibern, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten? Hier!" Und er zog eine Per¬<lb/>
gamentrolle aus der Tasche seines Purpurmcmtels und reichte sie dem Wesier. &#x201E;Das<lb/>
habe ich niedergeschrieben, als mir so recht klar wurde, daß kein Volk es sich redlicher<lb/>
verdient hat als das unsere, daß alle ihm Angehörigen ohne Unterschied der Geburt<lb/>
an allen Rechten beteiligt und nur nach dem Unterschied der Begabung zur Voll-<lb/>
führung aller Pflichten zugelassen werden." Der Wesier las und fächelte zu¬<lb/>
frieden. &#x201E;Majestät", sagte er, &#x201E;verzeihen Sie einem alten Manne, der es nicht<lb/>
lassen konnte, Sie, wenn auch nur einen Augenblick auf die Probe zu stellen.<lb/>
Ich wußte, daß Sie über meinen ersten Vorschlag nicht einmal nachdenken würden."<lb/>
&#x201E;Und ich wußte," sagte der König, königlich lächelnd, &#x201E;als ich Sie um Rat fragte,<lb/>
genau, was ich wollte und was Sie ernstlich raten würden. So haben wir<lb/>
einander nichts vorzuwerfen." Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben und<lb/>
regieren sie heute noch.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0144] Randglossen zum Tage französisches Geld gerade für diesen Herrscher begeistert wurden, nachfühlen, wenn sie einem Personenwechsel geneigt sind und sich nicht vor Schmerz zerreißen werden, wenn Ferdinand dem Verein ehemaliger Könige als aktives Mitglied beitritt. Aber so nüchtern vernünftig der Monarchismus in der ganzen Welt geworden ist, seitdem man die Könige ganz aus der Nähe betrachten kann, auch der Beitritt dieses Mitgliedes zur Gesellschaft gewesener Könige wird an der inneren Stellung aller Menschen, die aus dem Kriege etwas gelernt haben, zur Monarchie nichts ändern. Unbarmherzig haben sich im Sturme der Zeit die Schwächen einiger Monarchien, die in der Schwäche und Einsichtslosigkeit ihrer Monarchen wurzeln, enthüllt. Ebenso scharf hat sich aber auch der Wert anderer Monarchien und die Bedeutung ihrer tüchtigen und einsichtigen Monarchen ins Licht gestellt. Und gerade deshalb stehen diese heute innerlich fester da, als jemals, weil die Bewährung im Sturm der Zeit ihren vollen Wert erwiesen hat. Außer¬ dem haben Republiken und ihre Präsidenten gezeigt, daß man in der „Muster¬ demokratie" mit aller Seelenvergiftung, Wahrheitsvergewaltigung und Freiheits¬ unterdrückung der schlimmsten Absolutien arbeiten kann, ohne daß man dabei durch die Demokratie irgendwie gestört wird. So gleicht sich die Sache aus und es bleibt ein Saldo zugunsten der Könige, die zugleich tüchtige, einsichtige und pflichttreue Männer sind, in einer Monarchie, die freiheitlich alle guten Kräfte entbindet. Dabei wird es bleiben, auch wenn sich Ferdinand, dem Tränenreichen, noch ein gewogener und zu leicht befundener Kollege gesellen sollte. Höchstens, daß die Kindermärchen der Zukunft eine kleine Änderung erfahren. Etwa so: Es war einmal vor langen Jahren ein König. Der fragte eines Tages, als er sich morgens auf den Thron setzte und sich sein Szepter reichen ließ, um ein bißchen zu regieren, seinen obersten Ratgeber: „Mein lieber Großwesier, ich habe da beim Frühstück in der Zeitung allerlei aus den Nachbarreichen gelesen, das mir gar nicht gefällt. Stürmische Volksversammlungen, in denen wilde Reden geführt werden. Man spricht von Revolution, in der Hauptstadt von Asturia sollen heute Nacht Barrikaden gebaut worden sein und dergleichen unliebsame Vorkommnisse mehr. Da ist es Zeit, daß wir etwas tun, um die Stellung unseres Thrones zu festigen. Was können wir tun?" „Majestät," antwortete der Gro߬ wesier, „Sie können zweierlei tun. Sie können die verfassungsmäßigen Garantien aufheben, die Zeitungen unterdrücken, alle Versammlungen verbieten und jede etwa aufkeimende freiheitliche Bewegung mit rücksichtsloser Gewalt niederwerfen. Oder" — hier zögerte der greise Ratgeber, indem er den König aufmerksam an¬ sah, „Sie können das Gegenteil tun — aber dazu gehört mutiges Vertrauen — und jeden Unterschied in der Bemessung politischer Rechte beseitigen, indem Sie jedem Mann den Zutritt zur großen Natsversammlung des Landes gleichmäßig gewähren, was immer diejenigen Gruppen sagen mögen, die bisher auf den nume¬ rierten Vorzugsplätzen doppelt und dreifach soviel Platz beanspruchen durften, als die anderen." Der König richtete sich hoch auf und rief: „Glaubt Ihr, es sei allein den Professoren vorbehalten, aus der Geschichte zu lernen und den Zeitungs¬ schreibern, die Zeichen der Zeit richtig zu deuten? Hier!" Und er zog eine Per¬ gamentrolle aus der Tasche seines Purpurmcmtels und reichte sie dem Wesier. „Das habe ich niedergeschrieben, als mir so recht klar wurde, daß kein Volk es sich redlicher verdient hat als das unsere, daß alle ihm Angehörigen ohne Unterschied der Geburt an allen Rechten beteiligt und nur nach dem Unterschied der Begabung zur Voll- führung aller Pflichten zugelassen werden." Der Wesier las und fächelte zu¬ frieden. „Majestät", sagte er, „verzeihen Sie einem alten Manne, der es nicht lassen konnte, Sie, wenn auch nur einen Augenblick auf die Probe zu stellen. Ich wußte, daß Sie über meinen ersten Vorschlag nicht einmal nachdenken würden." „Und ich wußte," sagte der König, königlich lächelnd, „als ich Sie um Rat fragte, genau, was ich wollte und was Sie ernstlich raten würden. So haben wir einander nichts vorzuwerfen." Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben und regieren sie heute noch.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/144
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/144>, abgerufen am 22.07.2024.