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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Sind die Franzosen die echten Erben althellenischer Geistes?

phokles, dieses Unaussprechliche hat in Sappho und Pindar gewirkt, und nicht
zuletzt in Aristophanes. Aber diesen allen und ihren geistig Verwandten hat der
französische Geschmack niemals ein gerechtes Urteil gesprochen. Man kennt
den schweren Befreiungskampf, den der französische Sturm und Drang, genannt
Romantische Schule, für die versenke Einbildungskraft hat führen müssen. Zwar
hat Victor Hugo damals trotz Horaz und Boileau die Vertriebene in ihre alten
Ehlen wieder eingesetzt; aber das wäre ihm nie gelungen, hätte er nicht die uralte
gallisch-französische Rhetorik zu Hilfe gerufen, denen kein französischer Hörer auf die
Dauer sich verschließen kann.

Wir mögen ansetzen, wo wir wollen: die Tatsache bleibt bestehen, daß der
Geist von Althellas, so wie er sich in jenen Großtaten geäußert hat, in Gallien-
Frankreich nicht weiterlebt. Wohl aber erweist sich die eigentümlich französische
Geistesart, die allein als solche gilt und gelten will, als unmittelbare geschichtliche
Fortsetzung, ja als erstaunliche Wiederkehr und Wiedergeburt des Hellenismus.
Arier Hellenismus versteht, man seit I. G, Droysen (1877) die griechische Welt¬
kultur, die zugleich mit der griechischen Weltsprache, der x°^, seit Alexander
dem Großen die Reiche der Diadochen und den ganzen Osten bis nach Indien
ergriffen und deren Geistesentwicklung auf Jahrhunderte hinaus bestimmt hat.
Lange galt diese Weltkultur den Kennern als bloßer Verfall und Entartung.
Denn allerdings ist hier das geistige Erbe Athens und Attikas nach Ort und Zeit
vielfach abgewandelt worden und von allerlei fremdartiger, besonders orientalischer
Beimischung nicht frei geblieben. Erst die Forschung der letzten Jahrzehnte, an
der deutsche Gelehrte vorzugsweise beteiligt waren, hat im Hellenismus die vielen
neuen und wertvollen Grundzüge aufgedeckt, die nicht rückwärts, sondern vorwärts
weisen: Grundrichtungen, die bis in die Gegenwart herein mit ungeminderter
Tragweite nachwirken. Im Hellenismus liegen zu einem guten Teil die Wurzeln
der gesamten neueren Bildung: denn auch das Christentum, wie wir seit Paul
Wendland klar übersehen, ist dnrch diese Schule hindurchgegangen.

Seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. wurde diese Weltkultur aus dem
Osten nach der neuen Welthauptstadt Rom getragen. Rhetoren und Philosophen,
Vortragsmeister und Lehrer der Jugend, bald auch Baumeister und Bildhauer,
Maler und Arzte suchten und fanden Aufträge und Lebensstellung im Hause vor¬
nehmer Römer. Zwar beschränkte der nüchterne Zwecksinn des Römertums die
"unendliche Wissenschaft" der Akademie und der Aristoteliker auf Triplum und
Quadrivium, und begnügte sich mit einem nur enzyklopädischen, d. h. ein¬
führenden und das Nötigste zusammenfassenden Lehrbetrieb. Aber die kraftvolle
Würde und die sachliche Strenge der römischen Art wirkten wenigstens in der
republikanischen und frühen Kaiserzeit oft als fördernder Antrieb. Davon zeugt die
knappe und Epoche schlagende Sprachform der römischen Übertragungen und Bearbei¬
tungen alexandrinischer Dichter und Denker, davon zeugt auch die gediegene Sach¬
lichkeit und Dauerhaftigkeit so vieler Nutzbauten, die echt denkmalsmäßige Wirkung
mit voller Zweckmäßigkeit vorbildlich verbinden.

In Gallien fand dieser römische Hellenismus einen durch die Phokäerstadt
Massaua und ihre Tochterstädte längst bereiteten Boden. Nirgends im westlichen
Römerreich blühten so wie in Gallien die Schulen der Rhetoren, wo das grund¬
legende Triplum, Grammatik, Rhetorik und Dialektik, vor allem anderen gepflegt
und hochgehalten wurde.

Damals, es war um die Zeit von Christi Geburt, empfing das Land zwischen
Alpen und Weltmeer, Pyrenäen und Vogesen die entscheidenden Grundzüge seiner
künftigen Bildung und Gesittung. Und seine Bewohner hielten diese Grundzüge
fest bis in unsere Tage. Frcmzosentum und römischer Hellenismus gehören zu¬
sammen durch Geschichte und innerste Wesensgemeinschaft. Und immer wieder
sind in Frankreich die Werke des römischen Hellenismus denen des griechischen,
und die des griechischen denen von Althellas vorgezogen worden, nicht nur, weil
man das zeitlich nahestehende vor dem Entfernteren bevorzugte; es geschah auch darum,
weil es angeborene und anerzogene Geistesverwandtschaft nicht anders verlangte.


Sind die Franzosen die echten Erben althellenischer Geistes?

phokles, dieses Unaussprechliche hat in Sappho und Pindar gewirkt, und nicht
zuletzt in Aristophanes. Aber diesen allen und ihren geistig Verwandten hat der
französische Geschmack niemals ein gerechtes Urteil gesprochen. Man kennt
den schweren Befreiungskampf, den der französische Sturm und Drang, genannt
Romantische Schule, für die versenke Einbildungskraft hat führen müssen. Zwar
hat Victor Hugo damals trotz Horaz und Boileau die Vertriebene in ihre alten
Ehlen wieder eingesetzt; aber das wäre ihm nie gelungen, hätte er nicht die uralte
gallisch-französische Rhetorik zu Hilfe gerufen, denen kein französischer Hörer auf die
Dauer sich verschließen kann.

Wir mögen ansetzen, wo wir wollen: die Tatsache bleibt bestehen, daß der
Geist von Althellas, so wie er sich in jenen Großtaten geäußert hat, in Gallien-
Frankreich nicht weiterlebt. Wohl aber erweist sich die eigentümlich französische
Geistesart, die allein als solche gilt und gelten will, als unmittelbare geschichtliche
Fortsetzung, ja als erstaunliche Wiederkehr und Wiedergeburt des Hellenismus.
Arier Hellenismus versteht, man seit I. G, Droysen (1877) die griechische Welt¬
kultur, die zugleich mit der griechischen Weltsprache, der x°^, seit Alexander
dem Großen die Reiche der Diadochen und den ganzen Osten bis nach Indien
ergriffen und deren Geistesentwicklung auf Jahrhunderte hinaus bestimmt hat.
Lange galt diese Weltkultur den Kennern als bloßer Verfall und Entartung.
Denn allerdings ist hier das geistige Erbe Athens und Attikas nach Ort und Zeit
vielfach abgewandelt worden und von allerlei fremdartiger, besonders orientalischer
Beimischung nicht frei geblieben. Erst die Forschung der letzten Jahrzehnte, an
der deutsche Gelehrte vorzugsweise beteiligt waren, hat im Hellenismus die vielen
neuen und wertvollen Grundzüge aufgedeckt, die nicht rückwärts, sondern vorwärts
weisen: Grundrichtungen, die bis in die Gegenwart herein mit ungeminderter
Tragweite nachwirken. Im Hellenismus liegen zu einem guten Teil die Wurzeln
der gesamten neueren Bildung: denn auch das Christentum, wie wir seit Paul
Wendland klar übersehen, ist dnrch diese Schule hindurchgegangen.

Seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. wurde diese Weltkultur aus dem
Osten nach der neuen Welthauptstadt Rom getragen. Rhetoren und Philosophen,
Vortragsmeister und Lehrer der Jugend, bald auch Baumeister und Bildhauer,
Maler und Arzte suchten und fanden Aufträge und Lebensstellung im Hause vor¬
nehmer Römer. Zwar beschränkte der nüchterne Zwecksinn des Römertums die
„unendliche Wissenschaft" der Akademie und der Aristoteliker auf Triplum und
Quadrivium, und begnügte sich mit einem nur enzyklopädischen, d. h. ein¬
führenden und das Nötigste zusammenfassenden Lehrbetrieb. Aber die kraftvolle
Würde und die sachliche Strenge der römischen Art wirkten wenigstens in der
republikanischen und frühen Kaiserzeit oft als fördernder Antrieb. Davon zeugt die
knappe und Epoche schlagende Sprachform der römischen Übertragungen und Bearbei¬
tungen alexandrinischer Dichter und Denker, davon zeugt auch die gediegene Sach¬
lichkeit und Dauerhaftigkeit so vieler Nutzbauten, die echt denkmalsmäßige Wirkung
mit voller Zweckmäßigkeit vorbildlich verbinden.

In Gallien fand dieser römische Hellenismus einen durch die Phokäerstadt
Massaua und ihre Tochterstädte längst bereiteten Boden. Nirgends im westlichen
Römerreich blühten so wie in Gallien die Schulen der Rhetoren, wo das grund¬
legende Triplum, Grammatik, Rhetorik und Dialektik, vor allem anderen gepflegt
und hochgehalten wurde.

Damals, es war um die Zeit von Christi Geburt, empfing das Land zwischen
Alpen und Weltmeer, Pyrenäen und Vogesen die entscheidenden Grundzüge seiner
künftigen Bildung und Gesittung. Und seine Bewohner hielten diese Grundzüge
fest bis in unsere Tage. Frcmzosentum und römischer Hellenismus gehören zu¬
sammen durch Geschichte und innerste Wesensgemeinschaft. Und immer wieder
sind in Frankreich die Werke des römischen Hellenismus denen des griechischen,
und die des griechischen denen von Althellas vorgezogen worden, nicht nur, weil
man das zeitlich nahestehende vor dem Entfernteren bevorzugte; es geschah auch darum,
weil es angeborene und anerzogene Geistesverwandtschaft nicht anders verlangte.


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[0130] Sind die Franzosen die echten Erben althellenischer Geistes? phokles, dieses Unaussprechliche hat in Sappho und Pindar gewirkt, und nicht zuletzt in Aristophanes. Aber diesen allen und ihren geistig Verwandten hat der französische Geschmack niemals ein gerechtes Urteil gesprochen. Man kennt den schweren Befreiungskampf, den der französische Sturm und Drang, genannt Romantische Schule, für die versenke Einbildungskraft hat führen müssen. Zwar hat Victor Hugo damals trotz Horaz und Boileau die Vertriebene in ihre alten Ehlen wieder eingesetzt; aber das wäre ihm nie gelungen, hätte er nicht die uralte gallisch-französische Rhetorik zu Hilfe gerufen, denen kein französischer Hörer auf die Dauer sich verschließen kann. Wir mögen ansetzen, wo wir wollen: die Tatsache bleibt bestehen, daß der Geist von Althellas, so wie er sich in jenen Großtaten geäußert hat, in Gallien- Frankreich nicht weiterlebt. Wohl aber erweist sich die eigentümlich französische Geistesart, die allein als solche gilt und gelten will, als unmittelbare geschichtliche Fortsetzung, ja als erstaunliche Wiederkehr und Wiedergeburt des Hellenismus. Arier Hellenismus versteht, man seit I. G, Droysen (1877) die griechische Welt¬ kultur, die zugleich mit der griechischen Weltsprache, der x°^, seit Alexander dem Großen die Reiche der Diadochen und den ganzen Osten bis nach Indien ergriffen und deren Geistesentwicklung auf Jahrhunderte hinaus bestimmt hat. Lange galt diese Weltkultur den Kennern als bloßer Verfall und Entartung. Denn allerdings ist hier das geistige Erbe Athens und Attikas nach Ort und Zeit vielfach abgewandelt worden und von allerlei fremdartiger, besonders orientalischer Beimischung nicht frei geblieben. Erst die Forschung der letzten Jahrzehnte, an der deutsche Gelehrte vorzugsweise beteiligt waren, hat im Hellenismus die vielen neuen und wertvollen Grundzüge aufgedeckt, die nicht rückwärts, sondern vorwärts weisen: Grundrichtungen, die bis in die Gegenwart herein mit ungeminderter Tragweite nachwirken. Im Hellenismus liegen zu einem guten Teil die Wurzeln der gesamten neueren Bildung: denn auch das Christentum, wie wir seit Paul Wendland klar übersehen, ist dnrch diese Schule hindurchgegangen. Seit dem zweiten Jahrhundert v. Chr. wurde diese Weltkultur aus dem Osten nach der neuen Welthauptstadt Rom getragen. Rhetoren und Philosophen, Vortragsmeister und Lehrer der Jugend, bald auch Baumeister und Bildhauer, Maler und Arzte suchten und fanden Aufträge und Lebensstellung im Hause vor¬ nehmer Römer. Zwar beschränkte der nüchterne Zwecksinn des Römertums die „unendliche Wissenschaft" der Akademie und der Aristoteliker auf Triplum und Quadrivium, und begnügte sich mit einem nur enzyklopädischen, d. h. ein¬ führenden und das Nötigste zusammenfassenden Lehrbetrieb. Aber die kraftvolle Würde und die sachliche Strenge der römischen Art wirkten wenigstens in der republikanischen und frühen Kaiserzeit oft als fördernder Antrieb. Davon zeugt die knappe und Epoche schlagende Sprachform der römischen Übertragungen und Bearbei¬ tungen alexandrinischer Dichter und Denker, davon zeugt auch die gediegene Sach¬ lichkeit und Dauerhaftigkeit so vieler Nutzbauten, die echt denkmalsmäßige Wirkung mit voller Zweckmäßigkeit vorbildlich verbinden. In Gallien fand dieser römische Hellenismus einen durch die Phokäerstadt Massaua und ihre Tochterstädte längst bereiteten Boden. Nirgends im westlichen Römerreich blühten so wie in Gallien die Schulen der Rhetoren, wo das grund¬ legende Triplum, Grammatik, Rhetorik und Dialektik, vor allem anderen gepflegt und hochgehalten wurde. Damals, es war um die Zeit von Christi Geburt, empfing das Land zwischen Alpen und Weltmeer, Pyrenäen und Vogesen die entscheidenden Grundzüge seiner künftigen Bildung und Gesittung. Und seine Bewohner hielten diese Grundzüge fest bis in unsere Tage. Frcmzosentum und römischer Hellenismus gehören zu¬ sammen durch Geschichte und innerste Wesensgemeinschaft. Und immer wieder sind in Frankreich die Werke des römischen Hellenismus denen des griechischen, und die des griechischen denen von Althellas vorgezogen worden, nicht nur, weil man das zeitlich nahestehende vor dem Entfernteren bevorzugte; es geschah auch darum, weil es angeborene und anerzogene Geistesverwandtschaft nicht anders verlangte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/130>, abgerufen am 23.07.2024.