Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sind die Franzosen die echten Erben althellenischer Geistes?

wenden können von diesem seltsamen Spiel der Natur, dieser rätselhaften Wieder¬
kehr und c-oll^c!^, von dieser nicht nur so benannten, vielmehr wahrhaftigen
Wiedergeburt echten hellenischen Geistes.

Aber so sehr die innere Verwandtschaft so vieler französischer und griechischer
Köpfe beim ersten Anblick auch überrascht, gerade die höchsten Leistungen von
Althellas haben im französischen Wesen, so wie es sich in der Geschichte heraus¬
gebildet hat, wenig oder gar nicht gewirkt, haben wenig oder gar kein Ver¬
ständnis gefunden: wofern wir unter geistigem Nachwirken nicht Übersetzungen,
philologische Ausgaben oder schulmäßige Nachbildungen verstehen, sondern ein
unbefangenes Schaffen, das nur vom eigenen innersten Antrieb oder dem Streben
der Altersgenossen seine Ziele und Wege empfängt.

Ein Dreifaches ist dem französischen Denken niemals aus eigener Arbeit
aufgegangen. Ein Dreifaches ist dort immer fremd geblieben und höchstens von
einigen wenigen nacherlebt worden. Und bedeutsam genug: gerade wieder im
jüngsten Geschlecht, seit 1908, haben die Nationalisten und Klassizisten von der
^ctivn iran?aise einen leidenschaftlichen Kampf der schroffsten Ablehnung und
Abwehr dagegen eröffnet. Was wir mit jenem Dreifachen meinen, das sind nichts
Anderes als die Entdeckungen eines Sokrates, eines Platon und eines Homer.
Diese ganz Großen sind auf französischem Boden Fremdlinge geblieben: Meester,
wie Charles Maurras und seine Parteigenossen alle Einwanderer feindselig und
verächtlich benennen.

Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis heute der Gedanke der
sittlichen Freiheit des einzelnen: die erlösende Überzeugung, daß ein jeder, wo-
fern er seine Triebe beherrscht, nur seinem Gewissen Verantwortung schuldet, nicht
aber der Glaubensgemeinde und ihrem Haupt, noch dem Staatsgesetz oder dem
geltenden Gesellschaftswillen. Das war, wie die neuere Forschung festgestellt hat,
der schlichte und bei aller scheinbaren Selbstverständlichkeit unendlich tiefe und
weltbewegende Inhalt der soldatischen Heilslehre; das war die von ihm allein
entdeckte, von den Jüngeren oft verdunkelte Eigengesetzlichkeit und Selbstgenüg¬
samkeit (c-tur>vo>i.l" und "it^x-i") des sittlichen Willens, die nicht Glück bringt,
sondern an sich das Glück schon ist.

Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis Bergson die quälende
Frage, die das Nachdenken eines Platon und nach ihm eines Kant am schärfsten
erregte: vermögen wir überhaupt zu erkennen? Wie gelangen wir zu gesicherter
Wahrheit? oder, in Platons Sprache ausgedrückt: wie gelangen wir zu Begriffen
von Leben und Welt? Der wirklichkeitsfreudige, lebhaft begreifende und zugreifende
Franzose, gewohnt, im geselligen Verkehr die anderen und sich selbst zu
genießen, vertraut so gläubig seinen Sinnen und seiner Vernunft, daß eine Kritik
des Denkens, eine Selbstbesinnung des Erkennens auf seine Bedingungen und
Möglichkeiten, ihm, dem kritiklustig'en Spötter, überhaupt gar nicht beifällt. Oder
aber, wo ihm das Erkenntnisproblem lästig zu werden droht, lehnt er es lächelnd
als eine (Zuerelle alleliiancke mit weltmännischer Überlegenheit ab. So haben
weder Descartes noch Malebranche, diese tiefsten Denker der französischen Nation,
die Vernunft selber auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen unternommen. Als echte
Franzosen hat der eine der Vernunft, als dem logisch - mathematischen Denken,
einen Weg vorgezeichnet, der zu voraussetzungslosen und darum gesicherten Ergeb¬
nissen führen soll, und hat der andere ihr Arbeitsgebiet abgesteckt und die viel¬
fachen Hemmungen aufgezeigt, die ihre erfolgreiche Anwendung auf Schritt
und Tritt bedrohen.

Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart auch ein anderes: Die un¬
gebundene Schöpferkraft, die höher ist denn alle Vernunft und den echten Künstler
und Dichter, den großen Seher und Denker, emporträgt zu nie geschauten Ge¬
dankengebilden. Heiligen Wahnsinn, ^"v-a. hat Platon diese Urkraft genannt,
weil sie aus dem Taumel der Begeisterung ganz unberechenbare und unermeßliche
Gesichte zutage fördert. Dieser heilige Wahnsinn hat Platon selber erfüllt, wie
Herakleitos den Dunklen, hat machtvoll Homeros beseelt wie Aischylos oder So-


Sind die Franzosen die echten Erben althellenischer Geistes?

wenden können von diesem seltsamen Spiel der Natur, dieser rätselhaften Wieder¬
kehr und c-oll^c!^, von dieser nicht nur so benannten, vielmehr wahrhaftigen
Wiedergeburt echten hellenischen Geistes.

Aber so sehr die innere Verwandtschaft so vieler französischer und griechischer
Köpfe beim ersten Anblick auch überrascht, gerade die höchsten Leistungen von
Althellas haben im französischen Wesen, so wie es sich in der Geschichte heraus¬
gebildet hat, wenig oder gar nicht gewirkt, haben wenig oder gar kein Ver¬
ständnis gefunden: wofern wir unter geistigem Nachwirken nicht Übersetzungen,
philologische Ausgaben oder schulmäßige Nachbildungen verstehen, sondern ein
unbefangenes Schaffen, das nur vom eigenen innersten Antrieb oder dem Streben
der Altersgenossen seine Ziele und Wege empfängt.

Ein Dreifaches ist dem französischen Denken niemals aus eigener Arbeit
aufgegangen. Ein Dreifaches ist dort immer fremd geblieben und höchstens von
einigen wenigen nacherlebt worden. Und bedeutsam genug: gerade wieder im
jüngsten Geschlecht, seit 1908, haben die Nationalisten und Klassizisten von der
^ctivn iran?aise einen leidenschaftlichen Kampf der schroffsten Ablehnung und
Abwehr dagegen eröffnet. Was wir mit jenem Dreifachen meinen, das sind nichts
Anderes als die Entdeckungen eines Sokrates, eines Platon und eines Homer.
Diese ganz Großen sind auf französischem Boden Fremdlinge geblieben: Meester,
wie Charles Maurras und seine Parteigenossen alle Einwanderer feindselig und
verächtlich benennen.

Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis heute der Gedanke der
sittlichen Freiheit des einzelnen: die erlösende Überzeugung, daß ein jeder, wo-
fern er seine Triebe beherrscht, nur seinem Gewissen Verantwortung schuldet, nicht
aber der Glaubensgemeinde und ihrem Haupt, noch dem Staatsgesetz oder dem
geltenden Gesellschaftswillen. Das war, wie die neuere Forschung festgestellt hat,
der schlichte und bei aller scheinbaren Selbstverständlichkeit unendlich tiefe und
weltbewegende Inhalt der soldatischen Heilslehre; das war die von ihm allein
entdeckte, von den Jüngeren oft verdunkelte Eigengesetzlichkeit und Selbstgenüg¬
samkeit (c-tur>vo>i.l« und «it^x-i«) des sittlichen Willens, die nicht Glück bringt,
sondern an sich das Glück schon ist.

Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis Bergson die quälende
Frage, die das Nachdenken eines Platon und nach ihm eines Kant am schärfsten
erregte: vermögen wir überhaupt zu erkennen? Wie gelangen wir zu gesicherter
Wahrheit? oder, in Platons Sprache ausgedrückt: wie gelangen wir zu Begriffen
von Leben und Welt? Der wirklichkeitsfreudige, lebhaft begreifende und zugreifende
Franzose, gewohnt, im geselligen Verkehr die anderen und sich selbst zu
genießen, vertraut so gläubig seinen Sinnen und seiner Vernunft, daß eine Kritik
des Denkens, eine Selbstbesinnung des Erkennens auf seine Bedingungen und
Möglichkeiten, ihm, dem kritiklustig'en Spötter, überhaupt gar nicht beifällt. Oder
aber, wo ihm das Erkenntnisproblem lästig zu werden droht, lehnt er es lächelnd
als eine (Zuerelle alleliiancke mit weltmännischer Überlegenheit ab. So haben
weder Descartes noch Malebranche, diese tiefsten Denker der französischen Nation,
die Vernunft selber auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen unternommen. Als echte
Franzosen hat der eine der Vernunft, als dem logisch - mathematischen Denken,
einen Weg vorgezeichnet, der zu voraussetzungslosen und darum gesicherten Ergeb¬
nissen führen soll, und hat der andere ihr Arbeitsgebiet abgesteckt und die viel¬
fachen Hemmungen aufgezeigt, die ihre erfolgreiche Anwendung auf Schritt
und Tritt bedrohen.

Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart auch ein anderes: Die un¬
gebundene Schöpferkraft, die höher ist denn alle Vernunft und den echten Künstler
und Dichter, den großen Seher und Denker, emporträgt zu nie geschauten Ge¬
dankengebilden. Heiligen Wahnsinn, ^«v-a. hat Platon diese Urkraft genannt,
weil sie aus dem Taumel der Begeisterung ganz unberechenbare und unermeßliche
Gesichte zutage fördert. Dieser heilige Wahnsinn hat Platon selber erfüllt, wie
Herakleitos den Dunklen, hat machtvoll Homeros beseelt wie Aischylos oder So-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333612"/>
          <fw type="header" place="top"> Sind die Franzosen die echten Erben althellenischer Geistes?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_441" prev="#ID_440"> wenden können von diesem seltsamen Spiel der Natur, dieser rätselhaften Wieder¬<lb/>
kehr und c-oll^c!^, von dieser nicht nur so benannten, vielmehr wahrhaftigen<lb/>
Wiedergeburt echten hellenischen Geistes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_442"> Aber so sehr die innere Verwandtschaft so vieler französischer und griechischer<lb/>
Köpfe beim ersten Anblick auch überrascht, gerade die höchsten Leistungen von<lb/>
Althellas haben im französischen Wesen, so wie es sich in der Geschichte heraus¬<lb/>
gebildet hat, wenig oder gar nicht gewirkt, haben wenig oder gar kein Ver¬<lb/>
ständnis gefunden: wofern wir unter geistigem Nachwirken nicht Übersetzungen,<lb/>
philologische Ausgaben oder schulmäßige Nachbildungen verstehen, sondern ein<lb/>
unbefangenes Schaffen, das nur vom eigenen innersten Antrieb oder dem Streben<lb/>
der Altersgenossen seine Ziele und Wege empfängt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_443"> Ein Dreifaches ist dem französischen Denken niemals aus eigener Arbeit<lb/>
aufgegangen. Ein Dreifaches ist dort immer fremd geblieben und höchstens von<lb/>
einigen wenigen nacherlebt worden. Und bedeutsam genug: gerade wieder im<lb/>
jüngsten Geschlecht, seit 1908, haben die Nationalisten und Klassizisten von der<lb/>
^ctivn iran?aise einen leidenschaftlichen Kampf der schroffsten Ablehnung und<lb/>
Abwehr dagegen eröffnet. Was wir mit jenem Dreifachen meinen, das sind nichts<lb/>
Anderes als die Entdeckungen eines Sokrates, eines Platon und eines Homer.<lb/>
Diese ganz Großen sind auf französischem Boden Fremdlinge geblieben: Meester,<lb/>
wie Charles Maurras und seine Parteigenossen alle Einwanderer feindselig und<lb/>
verächtlich benennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_444"> Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis heute der Gedanke der<lb/>
sittlichen Freiheit des einzelnen: die erlösende Überzeugung, daß ein jeder, wo-<lb/>
fern er seine Triebe beherrscht, nur seinem Gewissen Verantwortung schuldet, nicht<lb/>
aber der Glaubensgemeinde und ihrem Haupt, noch dem Staatsgesetz oder dem<lb/>
geltenden Gesellschaftswillen. Das war, wie die neuere Forschung festgestellt hat,<lb/>
der schlichte und bei aller scheinbaren Selbstverständlichkeit unendlich tiefe und<lb/>
weltbewegende Inhalt der soldatischen Heilslehre; das war die von ihm allein<lb/>
entdeckte, von den Jüngeren oft verdunkelte Eigengesetzlichkeit und Selbstgenüg¬<lb/>
samkeit (c-tur&gt;vo&gt;i.l« und «it^x-i«) des sittlichen Willens, die nicht Glück bringt,<lb/>
sondern an sich das Glück schon ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_445"> Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis Bergson die quälende<lb/>
Frage, die das Nachdenken eines Platon und nach ihm eines Kant am schärfsten<lb/>
erregte: vermögen wir überhaupt zu erkennen? Wie gelangen wir zu gesicherter<lb/>
Wahrheit? oder, in Platons Sprache ausgedrückt: wie gelangen wir zu Begriffen<lb/>
von Leben und Welt? Der wirklichkeitsfreudige, lebhaft begreifende und zugreifende<lb/>
Franzose, gewohnt, im geselligen Verkehr die anderen und sich selbst zu<lb/>
genießen, vertraut so gläubig seinen Sinnen und seiner Vernunft, daß eine Kritik<lb/>
des Denkens, eine Selbstbesinnung des Erkennens auf seine Bedingungen und<lb/>
Möglichkeiten, ihm, dem kritiklustig'en Spötter, überhaupt gar nicht beifällt. Oder<lb/>
aber, wo ihm das Erkenntnisproblem lästig zu werden droht, lehnt er es lächelnd<lb/>
als eine (Zuerelle alleliiancke mit weltmännischer Überlegenheit ab. So haben<lb/>
weder Descartes noch Malebranche, diese tiefsten Denker der französischen Nation,<lb/>
die Vernunft selber auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen unternommen. Als echte<lb/>
Franzosen hat der eine der Vernunft, als dem logisch - mathematischen Denken,<lb/>
einen Weg vorgezeichnet, der zu voraussetzungslosen und darum gesicherten Ergeb¬<lb/>
nissen führen soll, und hat der andere ihr Arbeitsgebiet abgesteckt und die viel¬<lb/>
fachen Hemmungen aufgezeigt, die ihre erfolgreiche Anwendung auf Schritt<lb/>
und Tritt bedrohen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_446" next="#ID_447"> Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart auch ein anderes: Die un¬<lb/>
gebundene Schöpferkraft, die höher ist denn alle Vernunft und den echten Künstler<lb/>
und Dichter, den großen Seher und Denker, emporträgt zu nie geschauten Ge¬<lb/>
dankengebilden. Heiligen Wahnsinn, ^«v-a. hat Platon diese Urkraft genannt,<lb/>
weil sie aus dem Taumel der Begeisterung ganz unberechenbare und unermeßliche<lb/>
Gesichte zutage fördert. Dieser heilige Wahnsinn hat Platon selber erfüllt, wie<lb/>
Herakleitos den Dunklen, hat machtvoll Homeros beseelt wie Aischylos oder So-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0129] Sind die Franzosen die echten Erben althellenischer Geistes? wenden können von diesem seltsamen Spiel der Natur, dieser rätselhaften Wieder¬ kehr und c-oll^c!^, von dieser nicht nur so benannten, vielmehr wahrhaftigen Wiedergeburt echten hellenischen Geistes. Aber so sehr die innere Verwandtschaft so vieler französischer und griechischer Köpfe beim ersten Anblick auch überrascht, gerade die höchsten Leistungen von Althellas haben im französischen Wesen, so wie es sich in der Geschichte heraus¬ gebildet hat, wenig oder gar nicht gewirkt, haben wenig oder gar kein Ver¬ ständnis gefunden: wofern wir unter geistigem Nachwirken nicht Übersetzungen, philologische Ausgaben oder schulmäßige Nachbildungen verstehen, sondern ein unbefangenes Schaffen, das nur vom eigenen innersten Antrieb oder dem Streben der Altersgenossen seine Ziele und Wege empfängt. Ein Dreifaches ist dem französischen Denken niemals aus eigener Arbeit aufgegangen. Ein Dreifaches ist dort immer fremd geblieben und höchstens von einigen wenigen nacherlebt worden. Und bedeutsam genug: gerade wieder im jüngsten Geschlecht, seit 1908, haben die Nationalisten und Klassizisten von der ^ctivn iran?aise einen leidenschaftlichen Kampf der schroffsten Ablehnung und Abwehr dagegen eröffnet. Was wir mit jenem Dreifachen meinen, das sind nichts Anderes als die Entdeckungen eines Sokrates, eines Platon und eines Homer. Diese ganz Großen sind auf französischem Boden Fremdlinge geblieben: Meester, wie Charles Maurras und seine Parteigenossen alle Einwanderer feindselig und verächtlich benennen. Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis heute der Gedanke der sittlichen Freiheit des einzelnen: die erlösende Überzeugung, daß ein jeder, wo- fern er seine Triebe beherrscht, nur seinem Gewissen Verantwortung schuldet, nicht aber der Glaubensgemeinde und ihrem Haupt, noch dem Staatsgesetz oder dem geltenden Gesellschaftswillen. Das war, wie die neuere Forschung festgestellt hat, der schlichte und bei aller scheinbaren Selbstverständlichkeit unendlich tiefe und weltbewegende Inhalt der soldatischen Heilslehre; das war die von ihm allein entdeckte, von den Jüngeren oft verdunkelte Eigengesetzlichkeit und Selbstgenüg¬ samkeit (c-tur>vo>i.l« und «it^x-i«) des sittlichen Willens, die nicht Glück bringt, sondern an sich das Glück schon ist. Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart bis Bergson die quälende Frage, die das Nachdenken eines Platon und nach ihm eines Kant am schärfsten erregte: vermögen wir überhaupt zu erkennen? Wie gelangen wir zu gesicherter Wahrheit? oder, in Platons Sprache ausgedrückt: wie gelangen wir zu Begriffen von Leben und Welt? Der wirklichkeitsfreudige, lebhaft begreifende und zugreifende Franzose, gewohnt, im geselligen Verkehr die anderen und sich selbst zu genießen, vertraut so gläubig seinen Sinnen und seiner Vernunft, daß eine Kritik des Denkens, eine Selbstbesinnung des Erkennens auf seine Bedingungen und Möglichkeiten, ihm, dem kritiklustig'en Spötter, überhaupt gar nicht beifällt. Oder aber, wo ihm das Erkenntnisproblem lästig zu werden droht, lehnt er es lächelnd als eine (Zuerelle alleliiancke mit weltmännischer Überlegenheit ab. So haben weder Descartes noch Malebranche, diese tiefsten Denker der französischen Nation, die Vernunft selber auf ihre Zuverlässigkeit zu prüfen unternommen. Als echte Franzosen hat der eine der Vernunft, als dem logisch - mathematischen Denken, einen Weg vorgezeichnet, der zu voraussetzungslosen und darum gesicherten Ergeb¬ nissen führen soll, und hat der andere ihr Arbeitsgebiet abgesteckt und die viel¬ fachen Hemmungen aufgezeigt, die ihre erfolgreiche Anwendung auf Schritt und Tritt bedrohen. Fremd blieb dem Wesen französischer Geistesart auch ein anderes: Die un¬ gebundene Schöpferkraft, die höher ist denn alle Vernunft und den echten Künstler und Dichter, den großen Seher und Denker, emporträgt zu nie geschauten Ge¬ dankengebilden. Heiligen Wahnsinn, ^«v-a. hat Platon diese Urkraft genannt, weil sie aus dem Taumel der Begeisterung ganz unberechenbare und unermeßliche Gesichte zutage fördert. Dieser heilige Wahnsinn hat Platon selber erfüllt, wie Herakleitos den Dunklen, hat machtvoll Homeros beseelt wie Aischylos oder So-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/129
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/129>, abgerufen am 23.07.2024.