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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Der Frankfurter Friede und die französischen Sozialisten

Wunsch der Vater des Gedanken ist. Die Sozialisten bringen nur alten Wein in
neuen Schläuchen. Sie verlangen Sühne für die militärische und politische
Niederlage von 1870, deren Symbol ihnen Elsaß-Lothringen ist. Dieses Symbol
wird in der Februar-Kundgebung in einer Aufmachung beleuchtet, welche durch
das Bedürfnis bestimmt ist, die Revancheforderung mit dem Gedanken des Selbst¬
bestimmungsrechtes der Völker in Einklang zu bringen. Die Elsaß-Lothringer
sollen bestimmen, wohin sie gehören wollen. Aber zunächst soll Frankreich das
Land und seine Bevölkerung zurück erhalten. Das Plebiszit soll ein Geschenk
Frankreichs sein.

Dies heißt aber, in völkerrechtlich klarer Form ausgedruckt: Die Kriegs¬
erklärung von 1914 hat die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zum Deutschen Reich
aufgehoben und den vor dem Frankfurter Frieden bestandenen Territorialumfang,
der beiden Reiche wieder hergestellt. Nur eine Feststellung dieser bereits ein¬
getretenen Rechtsfolge ist es, welche in dem Friedensverträge, den Deutschland
gemäß dem ihm auferlegten Willen Frankreichs schließen muß, zu treffen hat.

Die Haltlosigkeit, Verkehrtheit, Unmöglichkeit dieses völkerrechtlichen Gedankens,
mit welchem der politische Appetit der Franzosen gepflegt und die neutrale Welt
geködert wird, muß demjenigen sofort klar sein, der die Bedeutung des Staats-und
völkerrechtlichen dinglichen Besitzstandes als Grundlage der internationalen Rechts¬
ordnung versteht.

Rechtsordnung ist Ordnung. Herstellung der Ordnung ist die erste und
elementare Aufgabe des Rechts. Dieser Aufgabe dienen zwei im Laufe der
Jahrtausende entwickelte und für alle Gebiete des Rechtes in der einen oder
anderen Gestalt anerkannte Grundgedanken: der Begriff des Besitzes und der
Begriff des dinglichen Rechtes.

Ordnung und Recht fordern, daß der Besitz als solcher anerkannt und so
lange geschützt ist, bis ein besseres Recht erwiesen und im Wege rechtlichen Ver¬
fahrens anerkannt ist. Im Verhältnis der Staaten, in welchen es ein ordentliches
Verfahren zur Entscheidung streitiger Rechtsfragen bisher nicht gibt, steigert sich
die Rechtskraft des Besitzes dementsprechend notwendig zu einer tatsächlich dein
Rechte gleichkommenden Geltung, welche nur durch neuen Besitz verdrängt
werden kann. Das ist die unbestrittene und unbestreitbar bestehende Gesetzlichkeit
der Staatenwelt. Wohin käme man auch, wenn man für den Bestand der Staaten
und ihrer Gebiete, der Staatsverfassungen und der Staatsgewalten, sowie für die
sonstigen Voraussetzungen des internationalen Verkehrs den Maßstab des Besitzes
nicht gelten lassen wollte? Welche Grundlage des Staatenverkehrs würde Stich
halten, wenn nicht tatsächlich das geltende Recht, ohne Nachfrage nach seinen
historischen und kausalen Zusammenhängen, anerkannt würde? Welche Territorial-
grenzen gibt es, die nicht anfechtbar wären, wenn man an Stelle der Legitimation
des Besitzes den Nachweis einer lückenlosen Kette des Rechtserwerbes (probatio
siabolica!) setzen würdet Die dingliche Kraft des Besitzes ist ein kategorischer
Imperativ des Staatenrechts. Wer dies bezweifelt, möge die Frage beantworten,
warum weder Erhitzung noch unvordenkliche Zeit, diese im innerstaatlichen Recht
so unentbehrlichen Rechtstitel, im Jnventerium des Staatenrechtes vorkommen.

Aber auf die in der Richtung des nackten Besitzes liegenden Fragens deren
Wurzeln bis zu den geheimnisvollen Tiefen alles Werdens und Vergehens hinab¬
reichen, braucht hier nicht eingegangen zu werden. Von ihnen ist die elsa߬
lothringische Frage nicht abhängig. Denn hier kommt zu dem Besitz der voll¬
gültige dingliche Rechtstitel des Abtretungsvertrages von 1871. Die französischen
Sozialisten verkennen mit ihrer in flüchtiger Unbekümmertheit hingeworfenen
Umsturztheorie die Grunderfordernisse rechtlicher Ordnung, indem sie, weit über
den bisher von den Revanchepolitikern eingenommenen Standpunkt einer moralischen
oder auch völkerrechtlichen Rückleistungspflicht Deutschlands hinausgehend, glauben,
das auf dem gültigsten Titel, den die Weltgeschichte kennt, beruhende dingliche
Hoheitsrecht des Deutschen Reiches an seinen Reichslanden wie eine Seifenblase
zerstäuben zu können.


Der Frankfurter Friede und die französischen Sozialisten

Wunsch der Vater des Gedanken ist. Die Sozialisten bringen nur alten Wein in
neuen Schläuchen. Sie verlangen Sühne für die militärische und politische
Niederlage von 1870, deren Symbol ihnen Elsaß-Lothringen ist. Dieses Symbol
wird in der Februar-Kundgebung in einer Aufmachung beleuchtet, welche durch
das Bedürfnis bestimmt ist, die Revancheforderung mit dem Gedanken des Selbst¬
bestimmungsrechtes der Völker in Einklang zu bringen. Die Elsaß-Lothringer
sollen bestimmen, wohin sie gehören wollen. Aber zunächst soll Frankreich das
Land und seine Bevölkerung zurück erhalten. Das Plebiszit soll ein Geschenk
Frankreichs sein.

Dies heißt aber, in völkerrechtlich klarer Form ausgedruckt: Die Kriegs¬
erklärung von 1914 hat die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zum Deutschen Reich
aufgehoben und den vor dem Frankfurter Frieden bestandenen Territorialumfang,
der beiden Reiche wieder hergestellt. Nur eine Feststellung dieser bereits ein¬
getretenen Rechtsfolge ist es, welche in dem Friedensverträge, den Deutschland
gemäß dem ihm auferlegten Willen Frankreichs schließen muß, zu treffen hat.

Die Haltlosigkeit, Verkehrtheit, Unmöglichkeit dieses völkerrechtlichen Gedankens,
mit welchem der politische Appetit der Franzosen gepflegt und die neutrale Welt
geködert wird, muß demjenigen sofort klar sein, der die Bedeutung des Staats-und
völkerrechtlichen dinglichen Besitzstandes als Grundlage der internationalen Rechts¬
ordnung versteht.

Rechtsordnung ist Ordnung. Herstellung der Ordnung ist die erste und
elementare Aufgabe des Rechts. Dieser Aufgabe dienen zwei im Laufe der
Jahrtausende entwickelte und für alle Gebiete des Rechtes in der einen oder
anderen Gestalt anerkannte Grundgedanken: der Begriff des Besitzes und der
Begriff des dinglichen Rechtes.

Ordnung und Recht fordern, daß der Besitz als solcher anerkannt und so
lange geschützt ist, bis ein besseres Recht erwiesen und im Wege rechtlichen Ver¬
fahrens anerkannt ist. Im Verhältnis der Staaten, in welchen es ein ordentliches
Verfahren zur Entscheidung streitiger Rechtsfragen bisher nicht gibt, steigert sich
die Rechtskraft des Besitzes dementsprechend notwendig zu einer tatsächlich dein
Rechte gleichkommenden Geltung, welche nur durch neuen Besitz verdrängt
werden kann. Das ist die unbestrittene und unbestreitbar bestehende Gesetzlichkeit
der Staatenwelt. Wohin käme man auch, wenn man für den Bestand der Staaten
und ihrer Gebiete, der Staatsverfassungen und der Staatsgewalten, sowie für die
sonstigen Voraussetzungen des internationalen Verkehrs den Maßstab des Besitzes
nicht gelten lassen wollte? Welche Grundlage des Staatenverkehrs würde Stich
halten, wenn nicht tatsächlich das geltende Recht, ohne Nachfrage nach seinen
historischen und kausalen Zusammenhängen, anerkannt würde? Welche Territorial-
grenzen gibt es, die nicht anfechtbar wären, wenn man an Stelle der Legitimation
des Besitzes den Nachweis einer lückenlosen Kette des Rechtserwerbes (probatio
siabolica!) setzen würdet Die dingliche Kraft des Besitzes ist ein kategorischer
Imperativ des Staatenrechts. Wer dies bezweifelt, möge die Frage beantworten,
warum weder Erhitzung noch unvordenkliche Zeit, diese im innerstaatlichen Recht
so unentbehrlichen Rechtstitel, im Jnventerium des Staatenrechtes vorkommen.

Aber auf die in der Richtung des nackten Besitzes liegenden Fragens deren
Wurzeln bis zu den geheimnisvollen Tiefen alles Werdens und Vergehens hinab¬
reichen, braucht hier nicht eingegangen zu werden. Von ihnen ist die elsa߬
lothringische Frage nicht abhängig. Denn hier kommt zu dem Besitz der voll¬
gültige dingliche Rechtstitel des Abtretungsvertrages von 1871. Die französischen
Sozialisten verkennen mit ihrer in flüchtiger Unbekümmertheit hingeworfenen
Umsturztheorie die Grunderfordernisse rechtlicher Ordnung, indem sie, weit über
den bisher von den Revanchepolitikern eingenommenen Standpunkt einer moralischen
oder auch völkerrechtlichen Rückleistungspflicht Deutschlands hinausgehend, glauben,
das auf dem gültigsten Titel, den die Weltgeschichte kennt, beruhende dingliche
Hoheitsrecht des Deutschen Reiches an seinen Reichslanden wie eine Seifenblase
zerstäuben zu können.


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[0126] Der Frankfurter Friede und die französischen Sozialisten Wunsch der Vater des Gedanken ist. Die Sozialisten bringen nur alten Wein in neuen Schläuchen. Sie verlangen Sühne für die militärische und politische Niederlage von 1870, deren Symbol ihnen Elsaß-Lothringen ist. Dieses Symbol wird in der Februar-Kundgebung in einer Aufmachung beleuchtet, welche durch das Bedürfnis bestimmt ist, die Revancheforderung mit dem Gedanken des Selbst¬ bestimmungsrechtes der Völker in Einklang zu bringen. Die Elsaß-Lothringer sollen bestimmen, wohin sie gehören wollen. Aber zunächst soll Frankreich das Land und seine Bevölkerung zurück erhalten. Das Plebiszit soll ein Geschenk Frankreichs sein. Dies heißt aber, in völkerrechtlich klarer Form ausgedruckt: Die Kriegs¬ erklärung von 1914 hat die Zugehörigkeit Elsaß-Lothringens zum Deutschen Reich aufgehoben und den vor dem Frankfurter Frieden bestandenen Territorialumfang, der beiden Reiche wieder hergestellt. Nur eine Feststellung dieser bereits ein¬ getretenen Rechtsfolge ist es, welche in dem Friedensverträge, den Deutschland gemäß dem ihm auferlegten Willen Frankreichs schließen muß, zu treffen hat. Die Haltlosigkeit, Verkehrtheit, Unmöglichkeit dieses völkerrechtlichen Gedankens, mit welchem der politische Appetit der Franzosen gepflegt und die neutrale Welt geködert wird, muß demjenigen sofort klar sein, der die Bedeutung des Staats-und völkerrechtlichen dinglichen Besitzstandes als Grundlage der internationalen Rechts¬ ordnung versteht. Rechtsordnung ist Ordnung. Herstellung der Ordnung ist die erste und elementare Aufgabe des Rechts. Dieser Aufgabe dienen zwei im Laufe der Jahrtausende entwickelte und für alle Gebiete des Rechtes in der einen oder anderen Gestalt anerkannte Grundgedanken: der Begriff des Besitzes und der Begriff des dinglichen Rechtes. Ordnung und Recht fordern, daß der Besitz als solcher anerkannt und so lange geschützt ist, bis ein besseres Recht erwiesen und im Wege rechtlichen Ver¬ fahrens anerkannt ist. Im Verhältnis der Staaten, in welchen es ein ordentliches Verfahren zur Entscheidung streitiger Rechtsfragen bisher nicht gibt, steigert sich die Rechtskraft des Besitzes dementsprechend notwendig zu einer tatsächlich dein Rechte gleichkommenden Geltung, welche nur durch neuen Besitz verdrängt werden kann. Das ist die unbestrittene und unbestreitbar bestehende Gesetzlichkeit der Staatenwelt. Wohin käme man auch, wenn man für den Bestand der Staaten und ihrer Gebiete, der Staatsverfassungen und der Staatsgewalten, sowie für die sonstigen Voraussetzungen des internationalen Verkehrs den Maßstab des Besitzes nicht gelten lassen wollte? Welche Grundlage des Staatenverkehrs würde Stich halten, wenn nicht tatsächlich das geltende Recht, ohne Nachfrage nach seinen historischen und kausalen Zusammenhängen, anerkannt würde? Welche Territorial- grenzen gibt es, die nicht anfechtbar wären, wenn man an Stelle der Legitimation des Besitzes den Nachweis einer lückenlosen Kette des Rechtserwerbes (probatio siabolica!) setzen würdet Die dingliche Kraft des Besitzes ist ein kategorischer Imperativ des Staatenrechts. Wer dies bezweifelt, möge die Frage beantworten, warum weder Erhitzung noch unvordenkliche Zeit, diese im innerstaatlichen Recht so unentbehrlichen Rechtstitel, im Jnventerium des Staatenrechtes vorkommen. Aber auf die in der Richtung des nackten Besitzes liegenden Fragens deren Wurzeln bis zu den geheimnisvollen Tiefen alles Werdens und Vergehens hinab¬ reichen, braucht hier nicht eingegangen zu werden. Von ihnen ist die elsa߬ lothringische Frage nicht abhängig. Denn hier kommt zu dem Besitz der voll¬ gültige dingliche Rechtstitel des Abtretungsvertrages von 1871. Die französischen Sozialisten verkennen mit ihrer in flüchtiger Unbekümmertheit hingeworfenen Umsturztheorie die Grunderfordernisse rechtlicher Ordnung, indem sie, weit über den bisher von den Revanchepolitikern eingenommenen Standpunkt einer moralischen oder auch völkerrechtlichen Rückleistungspflicht Deutschlands hinausgehend, glauben, das auf dem gültigsten Titel, den die Weltgeschichte kennt, beruhende dingliche Hoheitsrecht des Deutschen Reiches an seinen Reichslanden wie eine Seifenblase zerstäuben zu können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/126>, abgerufen am 23.07.2024.