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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Zwischen Rußland und Italien

sie den dadurch zu jener Zeit noch möglichen Ausgleich Rußlands mit Österreich-
Ungarn nicht wünschten. So mißglückte Jswolskis Versuch, eine Gegenleistung
für seine Zustimmung zu der Annexion Bosniens heimzubringen, und er zog es
vor, zu widerrufen, und den Ausfällen der panslawistischen Presse gegen die
Donaumonarchie ruhig ihren Lauf zu lassen. Ebensowenig Glück hatte Ahren¬
thal mit einem Versuch, die wohlwollende Zustimmung der Türkei von vornherein
zu erlangen. Dies wollte er erreichen, dadurch daß er ihr den Sandschak von
Nowibasar, den damals türkischen Landstreifen zwischen Serbien und Montenegro,
in dem Österreich-Ungarn seit 1878 das militärische Besetzungsrecht hatte, bedin¬
gungslos zurückgab. Er glaubte ihr damit eine gute Kompensation für den
Verlust ihres nomineller Hoheitstitels über Bosnien zu geben. Aber die Türken
waren weit entfernt, sich dabei zu beruhigen, und Österreich-Ungarn hätte besser
getan, das Besetzungsrecht nicht preiszugeben. Es hätte nachher im Balkankriege
recht wirksam von ihm Gebrauch machen können.

Am 7. Oktober 1908 wurde.die Annexion Bosniens und der Herzegowina
öffentlich bekannt gegeben. In Österreich wie in Ungarn fand dieser Schritt
meist herzliche Zustimmung. Die Südslawen waren sogar begeistert, weil sie die
Annexion, die die beiden Provinzen weder an die zisleithanische noch an die
Stefanskrone angliederte, als einen Schritt auf dem Wege zum Trialismus, zur
Errichtung eines selbständigen Südslawenstaates innerhalb der Monarchie deuteten.
Nur die Deutschradikalen, die eine Verstärkung des slawischen Einflusses fürchteten,
und die Tschechischradikalen, die die Partei des Königreichs Serbien ergriffen,
standen abseits. Bosnien selber blieb ganz ruhig, aber in Serbien gab es un¬
geheuren Lärm. Hier hatte man sich gewöhnt, Bosnien als eine Provinz des
künftigen großserbischen Reiches zu betrachten und bildete sich ein, Osterreich raube
nationalen Boden, der von Rechts wegen zu Serbien gehöre. In London und
Petersburg blickte man sehr unfreundlich drein, die Türkei vollends protestierte
heftig, und die Jungtürken organisierten einen sehr wirksamen Voykott gegen
österreichisch-ungarische Waren. Ahrenthal mußte sich endlich entschließen, den.
Türken 54 Millionen Kronen Entschädigung zu bewilligen und ihnen einen vor¬
teilhaften Handelsvertrag in Aussicht zu stellen. Der bereits bewilligte Verzicht
auf den Sandschak blieb außerdem bestehen. Als Gegenleistung zog die Pforte
ihren Protest gegen die Annexion zurück (Vereinbarung vom 26. Februar 1909).
Um so weniger Umstände wollte Ahrenthal mit Serbien machen, weil dieser Staat
keinerlei Rechtstitel für seinen lärmenden Protest aufweisen konnte. Hinter Serbien
stand aber Rußland, und wie sich herausstellte, auch England. Beide Mächte
fühlten sich durch das Vorgehen Österreich-Ungarns in ihrem Balkanprogramm
benachteiligt. Bei den russischen Panslawisten wurde überhaupt eine Niederlage
der großserbischen Sache unmittelbar als Niederlage der russischen empfunden.
Jswolski, der durchaus gegen Ahrenthal einen Erfolg davontragen wollte, dachte
sich jetzt aus, die Annexionsfrage zusammen mit anderen Balkanproblemen und
innertürkischen Angelegenheiten auf das Programm einer europäischen Konferenz
zu setzen. Österreich-Ungarn sollte dort die Annexion erst mit weiteren Zugeständ¬
nissen, womöglich an die großserbischen Pläne, erkaufen. Der österreichisch¬
ungarische Botschafter in Petersburg, Graf Berchtold, antwortete, daß Ahrenthal
gegen eine europäische Konferenz gewiß nichts einzuwenden hätte, daß aber die
Annexionsfrage keinesfalls dort verhandelt werden dürfe. Der Plan scheiterte
völlig, da die andern europäischen Mächte Jswolskis Forderungen nicht unter¬
stützen wollten. Frankreich, das seine Augen damals auf Marokko gerichtet hielt,
hatte keine Lust, sich für die Serben zu erwärmen, und England wollte sich denn
doch sür Gebietserweiterungen Serbiens auf Kosten Österreich-Ungarns nicht ins
Zeug legen. Im übrigen zeigte sich die feindliche Stimmung des größten Teils
der britischen Diplomatie, an ihrer Spitze Greys, gegen das Habsburgerreich
deutlich. Nur der Wiener Botschafter. Cartwright, der zwar bei uns nicht im
Gerüche der Dreibundfreundlichkeit stand, durchschaute klarer, daß in der Annexions¬
frage keine Lorbeeren gegen Ahrenthal zu holen sein würden, und war für An-


Zwischen Rußland und Italien

sie den dadurch zu jener Zeit noch möglichen Ausgleich Rußlands mit Österreich-
Ungarn nicht wünschten. So mißglückte Jswolskis Versuch, eine Gegenleistung
für seine Zustimmung zu der Annexion Bosniens heimzubringen, und er zog es
vor, zu widerrufen, und den Ausfällen der panslawistischen Presse gegen die
Donaumonarchie ruhig ihren Lauf zu lassen. Ebensowenig Glück hatte Ahren¬
thal mit einem Versuch, die wohlwollende Zustimmung der Türkei von vornherein
zu erlangen. Dies wollte er erreichen, dadurch daß er ihr den Sandschak von
Nowibasar, den damals türkischen Landstreifen zwischen Serbien und Montenegro,
in dem Österreich-Ungarn seit 1878 das militärische Besetzungsrecht hatte, bedin¬
gungslos zurückgab. Er glaubte ihr damit eine gute Kompensation für den
Verlust ihres nomineller Hoheitstitels über Bosnien zu geben. Aber die Türken
waren weit entfernt, sich dabei zu beruhigen, und Österreich-Ungarn hätte besser
getan, das Besetzungsrecht nicht preiszugeben. Es hätte nachher im Balkankriege
recht wirksam von ihm Gebrauch machen können.

Am 7. Oktober 1908 wurde.die Annexion Bosniens und der Herzegowina
öffentlich bekannt gegeben. In Österreich wie in Ungarn fand dieser Schritt
meist herzliche Zustimmung. Die Südslawen waren sogar begeistert, weil sie die
Annexion, die die beiden Provinzen weder an die zisleithanische noch an die
Stefanskrone angliederte, als einen Schritt auf dem Wege zum Trialismus, zur
Errichtung eines selbständigen Südslawenstaates innerhalb der Monarchie deuteten.
Nur die Deutschradikalen, die eine Verstärkung des slawischen Einflusses fürchteten,
und die Tschechischradikalen, die die Partei des Königreichs Serbien ergriffen,
standen abseits. Bosnien selber blieb ganz ruhig, aber in Serbien gab es un¬
geheuren Lärm. Hier hatte man sich gewöhnt, Bosnien als eine Provinz des
künftigen großserbischen Reiches zu betrachten und bildete sich ein, Osterreich raube
nationalen Boden, der von Rechts wegen zu Serbien gehöre. In London und
Petersburg blickte man sehr unfreundlich drein, die Türkei vollends protestierte
heftig, und die Jungtürken organisierten einen sehr wirksamen Voykott gegen
österreichisch-ungarische Waren. Ahrenthal mußte sich endlich entschließen, den.
Türken 54 Millionen Kronen Entschädigung zu bewilligen und ihnen einen vor¬
teilhaften Handelsvertrag in Aussicht zu stellen. Der bereits bewilligte Verzicht
auf den Sandschak blieb außerdem bestehen. Als Gegenleistung zog die Pforte
ihren Protest gegen die Annexion zurück (Vereinbarung vom 26. Februar 1909).
Um so weniger Umstände wollte Ahrenthal mit Serbien machen, weil dieser Staat
keinerlei Rechtstitel für seinen lärmenden Protest aufweisen konnte. Hinter Serbien
stand aber Rußland, und wie sich herausstellte, auch England. Beide Mächte
fühlten sich durch das Vorgehen Österreich-Ungarns in ihrem Balkanprogramm
benachteiligt. Bei den russischen Panslawisten wurde überhaupt eine Niederlage
der großserbischen Sache unmittelbar als Niederlage der russischen empfunden.
Jswolski, der durchaus gegen Ahrenthal einen Erfolg davontragen wollte, dachte
sich jetzt aus, die Annexionsfrage zusammen mit anderen Balkanproblemen und
innertürkischen Angelegenheiten auf das Programm einer europäischen Konferenz
zu setzen. Österreich-Ungarn sollte dort die Annexion erst mit weiteren Zugeständ¬
nissen, womöglich an die großserbischen Pläne, erkaufen. Der österreichisch¬
ungarische Botschafter in Petersburg, Graf Berchtold, antwortete, daß Ahrenthal
gegen eine europäische Konferenz gewiß nichts einzuwenden hätte, daß aber die
Annexionsfrage keinesfalls dort verhandelt werden dürfe. Der Plan scheiterte
völlig, da die andern europäischen Mächte Jswolskis Forderungen nicht unter¬
stützen wollten. Frankreich, das seine Augen damals auf Marokko gerichtet hielt,
hatte keine Lust, sich für die Serben zu erwärmen, und England wollte sich denn
doch sür Gebietserweiterungen Serbiens auf Kosten Österreich-Ungarns nicht ins
Zeug legen. Im übrigen zeigte sich die feindliche Stimmung des größten Teils
der britischen Diplomatie, an ihrer Spitze Greys, gegen das Habsburgerreich
deutlich. Nur der Wiener Botschafter. Cartwright, der zwar bei uns nicht im
Gerüche der Dreibundfreundlichkeit stand, durchschaute klarer, daß in der Annexions¬
frage keine Lorbeeren gegen Ahrenthal zu holen sein würden, und war für An-


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[0120] Zwischen Rußland und Italien sie den dadurch zu jener Zeit noch möglichen Ausgleich Rußlands mit Österreich- Ungarn nicht wünschten. So mißglückte Jswolskis Versuch, eine Gegenleistung für seine Zustimmung zu der Annexion Bosniens heimzubringen, und er zog es vor, zu widerrufen, und den Ausfällen der panslawistischen Presse gegen die Donaumonarchie ruhig ihren Lauf zu lassen. Ebensowenig Glück hatte Ahren¬ thal mit einem Versuch, die wohlwollende Zustimmung der Türkei von vornherein zu erlangen. Dies wollte er erreichen, dadurch daß er ihr den Sandschak von Nowibasar, den damals türkischen Landstreifen zwischen Serbien und Montenegro, in dem Österreich-Ungarn seit 1878 das militärische Besetzungsrecht hatte, bedin¬ gungslos zurückgab. Er glaubte ihr damit eine gute Kompensation für den Verlust ihres nomineller Hoheitstitels über Bosnien zu geben. Aber die Türken waren weit entfernt, sich dabei zu beruhigen, und Österreich-Ungarn hätte besser getan, das Besetzungsrecht nicht preiszugeben. Es hätte nachher im Balkankriege recht wirksam von ihm Gebrauch machen können. Am 7. Oktober 1908 wurde.die Annexion Bosniens und der Herzegowina öffentlich bekannt gegeben. In Österreich wie in Ungarn fand dieser Schritt meist herzliche Zustimmung. Die Südslawen waren sogar begeistert, weil sie die Annexion, die die beiden Provinzen weder an die zisleithanische noch an die Stefanskrone angliederte, als einen Schritt auf dem Wege zum Trialismus, zur Errichtung eines selbständigen Südslawenstaates innerhalb der Monarchie deuteten. Nur die Deutschradikalen, die eine Verstärkung des slawischen Einflusses fürchteten, und die Tschechischradikalen, die die Partei des Königreichs Serbien ergriffen, standen abseits. Bosnien selber blieb ganz ruhig, aber in Serbien gab es un¬ geheuren Lärm. Hier hatte man sich gewöhnt, Bosnien als eine Provinz des künftigen großserbischen Reiches zu betrachten und bildete sich ein, Osterreich raube nationalen Boden, der von Rechts wegen zu Serbien gehöre. In London und Petersburg blickte man sehr unfreundlich drein, die Türkei vollends protestierte heftig, und die Jungtürken organisierten einen sehr wirksamen Voykott gegen österreichisch-ungarische Waren. Ahrenthal mußte sich endlich entschließen, den. Türken 54 Millionen Kronen Entschädigung zu bewilligen und ihnen einen vor¬ teilhaften Handelsvertrag in Aussicht zu stellen. Der bereits bewilligte Verzicht auf den Sandschak blieb außerdem bestehen. Als Gegenleistung zog die Pforte ihren Protest gegen die Annexion zurück (Vereinbarung vom 26. Februar 1909). Um so weniger Umstände wollte Ahrenthal mit Serbien machen, weil dieser Staat keinerlei Rechtstitel für seinen lärmenden Protest aufweisen konnte. Hinter Serbien stand aber Rußland, und wie sich herausstellte, auch England. Beide Mächte fühlten sich durch das Vorgehen Österreich-Ungarns in ihrem Balkanprogramm benachteiligt. Bei den russischen Panslawisten wurde überhaupt eine Niederlage der großserbischen Sache unmittelbar als Niederlage der russischen empfunden. Jswolski, der durchaus gegen Ahrenthal einen Erfolg davontragen wollte, dachte sich jetzt aus, die Annexionsfrage zusammen mit anderen Balkanproblemen und innertürkischen Angelegenheiten auf das Programm einer europäischen Konferenz zu setzen. Österreich-Ungarn sollte dort die Annexion erst mit weiteren Zugeständ¬ nissen, womöglich an die großserbischen Pläne, erkaufen. Der österreichisch¬ ungarische Botschafter in Petersburg, Graf Berchtold, antwortete, daß Ahrenthal gegen eine europäische Konferenz gewiß nichts einzuwenden hätte, daß aber die Annexionsfrage keinesfalls dort verhandelt werden dürfe. Der Plan scheiterte völlig, da die andern europäischen Mächte Jswolskis Forderungen nicht unter¬ stützen wollten. Frankreich, das seine Augen damals auf Marokko gerichtet hielt, hatte keine Lust, sich für die Serben zu erwärmen, und England wollte sich denn doch sür Gebietserweiterungen Serbiens auf Kosten Österreich-Ungarns nicht ins Zeug legen. Im übrigen zeigte sich die feindliche Stimmung des größten Teils der britischen Diplomatie, an ihrer Spitze Greys, gegen das Habsburgerreich deutlich. Nur der Wiener Botschafter. Cartwright, der zwar bei uns nicht im Gerüche der Dreibundfreundlichkeit stand, durchschaute klarer, daß in der Annexions¬ frage keine Lorbeeren gegen Ahrenthal zu holen sein würden, und war für An-

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/120>, abgerufen am 24.07.2024.