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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Erweiterung der Politischen Macht, Obwohl
diese beiden Ziele aufs engste miteinander
zusammenhängen- und obwohl sie deshalb in
der Regel nur zusammen erstrebt und erreicht
werden können, so gewöhnte sich die öffent¬
liche Erörterung und die praktische diplo¬
matische Arbeit je länger, je mehr daran,
diese Ziele sorgfältig voneinander zu unter¬
scheiden. Was im wirklichen Leben undurch¬
dringlich miteinander verflochten ist, wurde
hier nicht nur von "Literaten" und anderen
mehr oder weniger berufenen Lehrern der
Weltpolitik sorgfältig und mit echt deutscher
Gründlichkeit voneinander getrennt, sondern
auch von praktischen Politikern und sonstigen
Pionieren des deutschen Gedankens.

Es kam dann sogar zu vertragsmäßig
festgelegten Erklärungen, daß man Wohl das
eine, das wirtschaftliche, nicht aber das andere,
das Politische Ziel wolle. Den Beweis liefern
u- a. die Verträge, die das Deutsche Reich
1909 mit Frankreich über Marokko und zwei
Jahre später mit Rußland über Persien ab¬
geschlossen hat. In diesen beiden für das
Wesen deutscher Vorkriegspolitik und damit
auch sür das Wesen der deuischen Politik der
Offenen Tür höchst bezeichnenden Verträgen
Sieht sich das Reich beide Male politisch in
der Hauptsache aus den strittigen Gebieten
heraus, aber nur, um sich die Öffnung der
Tür -- auf dem Papiere -- um so unver¬
brüchlicher gewährleisten zu lassen und wirt¬
schaftlich anscheinend um so fester hindurch-
SUgreifen.

Auch die Beweggründe dieser spezifisch
deutschen, von der nordamerikanischen z. B.
stark abweichenden Form der Weltpolitik oder
richtiger der Weltwirtschaftspolitik liegen heute
offen vor aller Augen. Der zunächst ent¬
scheidende Beweggrund war die unerläßliche
Rücksichtnahme auf die hohe Blüte des deut¬
schen Wirtschaftslebens, insbesondere der deut¬
schen Exportindustrien, wie sie sich besonders
im neuen Jahrhundert mit beispielloser
Schnelligkeit und zu staunenerregender Herr-
/usleit entfaltete. Die dieser Blüte ent¬
stammenden Früchte konnien auch beim besten
Willen nicht wieder alle in den heimischen
Boden eingesenkt und .dort nutzbar gemacht
Werden. Mit unentrinnbarer Naturnotwcndkg-
keit vielmehr verlangten sie fremden Boden,

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überseeische Luft, tropische Sonne. Dazu
ertönte der Ruf: Führt Waren aus, damit
ihr nicht Menschen, deutschen Kulturdünger,
auszuführen brauchtI Das ständige und
verhältnismäßig rasche Sinken der deutschen
Auswanderungsziffern zeigte denn auch bald,
daß diese im Dienste deutscher wirtschaftlicher
Weltausdehnnng arbeitende Politik der offenen
Tür etwas geleistet hat. Im Hinblick auf
diese und andere Erfolge konnte man der
zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck verleihen:
in diesem Zeichen wirst du siegen!

Siegen auch über die Mißgunst und die
Feindschaft der Neutralen und der alten und
neuen Feinde, besonders des im neuen Jahr¬
hundert eben unter dem Eindrucke des Auf¬
schwunges der deutschen Wirtschaft stark er¬
weiterten und gefestigten angelsächsischen Welt¬
bundes. Denn eben die Rücksicht auf die
stets wachsende, besonders auf die,zu einer
Arbeits- und Erwerbsgenossenschaft aufge¬
baute anglo-amerikanische Konkurrenz liefert
einen zweiten gewichtigen Beweggrund für
die Politik der Offenen Tür. Indem man
ihre vorwiegend wirtschaftlichen Ziele immer
ausschließlicher betonte, war man immer mehr
darauf bedacht, in Theorie und Praxis eine
weitgehende politische Enthaltsamkeit zu be¬
kunden, in der ausgesprochenen Absicht, die
Empfindlichkeit der anderen nicht zu reizen,
ihre Interessen und ihre Gefühle nach Mög¬
lichkeit zu schonen. Man strebe dort draußen
nicht in erster Linie nach Polnischer Macht,
nach Erweiterung des politischen Macht¬
bereiches, sondern nur nach einem freien Be¬
tätigungsfeld für den deutschen Kaufmann.
Damit glaubte man nicht nur den Interessen
der schaffenden Stände in Deutschland am
besten zu dienen, sondern auch allen von der
Weltkonkurrenz außerhalb Deutschlands dro-
henden Gefahren am sichersten zu begegnen.
Die Hoffnung regte sich immer wieder mächtig,
daß durch diese Politisch eingestandenermaßen
durchaus enthaltsame Weltwirtschaftspolitik
die Mißgunst und das Übelwollen der Feinde
schließlich,wenn nicht entwaffnet, so doch zurück¬
gedrängt werden würden. So schien die
Politik der Offenen Tür dein Weltfrieden am
besten zu dienen, und besonders unter Bülows
Nachfolger wurde sie in diesem Sinne zu
einem notwendigen und mit besonderer Liebe

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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Erweiterung der Politischen Macht, Obwohl
diese beiden Ziele aufs engste miteinander
zusammenhängen- und obwohl sie deshalb in
der Regel nur zusammen erstrebt und erreicht
werden können, so gewöhnte sich die öffent¬
liche Erörterung und die praktische diplo¬
matische Arbeit je länger, je mehr daran,
diese Ziele sorgfältig voneinander zu unter¬
scheiden. Was im wirklichen Leben undurch¬
dringlich miteinander verflochten ist, wurde
hier nicht nur von „Literaten" und anderen
mehr oder weniger berufenen Lehrern der
Weltpolitik sorgfältig und mit echt deutscher
Gründlichkeit voneinander getrennt, sondern
auch von praktischen Politikern und sonstigen
Pionieren des deutschen Gedankens.

Es kam dann sogar zu vertragsmäßig
festgelegten Erklärungen, daß man Wohl das
eine, das wirtschaftliche, nicht aber das andere,
das Politische Ziel wolle. Den Beweis liefern
u- a. die Verträge, die das Deutsche Reich
1909 mit Frankreich über Marokko und zwei
Jahre später mit Rußland über Persien ab¬
geschlossen hat. In diesen beiden für das
Wesen deutscher Vorkriegspolitik und damit
auch sür das Wesen der deuischen Politik der
Offenen Tür höchst bezeichnenden Verträgen
Sieht sich das Reich beide Male politisch in
der Hauptsache aus den strittigen Gebieten
heraus, aber nur, um sich die Öffnung der
Tür — auf dem Papiere — um so unver¬
brüchlicher gewährleisten zu lassen und wirt¬
schaftlich anscheinend um so fester hindurch-
SUgreifen.

Auch die Beweggründe dieser spezifisch
deutschen, von der nordamerikanischen z. B.
stark abweichenden Form der Weltpolitik oder
richtiger der Weltwirtschaftspolitik liegen heute
offen vor aller Augen. Der zunächst ent¬
scheidende Beweggrund war die unerläßliche
Rücksichtnahme auf die hohe Blüte des deut¬
schen Wirtschaftslebens, insbesondere der deut¬
schen Exportindustrien, wie sie sich besonders
im neuen Jahrhundert mit beispielloser
Schnelligkeit und zu staunenerregender Herr-
/usleit entfaltete. Die dieser Blüte ent¬
stammenden Früchte konnien auch beim besten
Willen nicht wieder alle in den heimischen
Boden eingesenkt und .dort nutzbar gemacht
Werden. Mit unentrinnbarer Naturnotwcndkg-
keit vielmehr verlangten sie fremden Boden,

[Spaltenumbruch]

überseeische Luft, tropische Sonne. Dazu
ertönte der Ruf: Führt Waren aus, damit
ihr nicht Menschen, deutschen Kulturdünger,
auszuführen brauchtI Das ständige und
verhältnismäßig rasche Sinken der deutschen
Auswanderungsziffern zeigte denn auch bald,
daß diese im Dienste deutscher wirtschaftlicher
Weltausdehnnng arbeitende Politik der offenen
Tür etwas geleistet hat. Im Hinblick auf
diese und andere Erfolge konnte man der
zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck verleihen:
in diesem Zeichen wirst du siegen!

Siegen auch über die Mißgunst und die
Feindschaft der Neutralen und der alten und
neuen Feinde, besonders des im neuen Jahr¬
hundert eben unter dem Eindrucke des Auf¬
schwunges der deutschen Wirtschaft stark er¬
weiterten und gefestigten angelsächsischen Welt¬
bundes. Denn eben die Rücksicht auf die
stets wachsende, besonders auf die,zu einer
Arbeits- und Erwerbsgenossenschaft aufge¬
baute anglo-amerikanische Konkurrenz liefert
einen zweiten gewichtigen Beweggrund für
die Politik der Offenen Tür. Indem man
ihre vorwiegend wirtschaftlichen Ziele immer
ausschließlicher betonte, war man immer mehr
darauf bedacht, in Theorie und Praxis eine
weitgehende politische Enthaltsamkeit zu be¬
kunden, in der ausgesprochenen Absicht, die
Empfindlichkeit der anderen nicht zu reizen,
ihre Interessen und ihre Gefühle nach Mög¬
lichkeit zu schonen. Man strebe dort draußen
nicht in erster Linie nach Polnischer Macht,
nach Erweiterung des politischen Macht¬
bereiches, sondern nur nach einem freien Be¬
tätigungsfeld für den deutschen Kaufmann.
Damit glaubte man nicht nur den Interessen
der schaffenden Stände in Deutschland am
besten zu dienen, sondern auch allen von der
Weltkonkurrenz außerhalb Deutschlands dro-
henden Gefahren am sichersten zu begegnen.
Die Hoffnung regte sich immer wieder mächtig,
daß durch diese Politisch eingestandenermaßen
durchaus enthaltsame Weltwirtschaftspolitik
die Mißgunst und das Übelwollen der Feinde
schließlich,wenn nicht entwaffnet, so doch zurück¬
gedrängt werden würden. So schien die
Politik der Offenen Tür dein Weltfrieden am
besten zu dienen, und besonders unter Bülows
Nachfolger wurde sie in diesem Sinne zu
einem notwendigen und mit besonderer Liebe

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[0115] Maßgebliches und Unmaßgebliches Erweiterung der Politischen Macht, Obwohl diese beiden Ziele aufs engste miteinander zusammenhängen- und obwohl sie deshalb in der Regel nur zusammen erstrebt und erreicht werden können, so gewöhnte sich die öffent¬ liche Erörterung und die praktische diplo¬ matische Arbeit je länger, je mehr daran, diese Ziele sorgfältig voneinander zu unter¬ scheiden. Was im wirklichen Leben undurch¬ dringlich miteinander verflochten ist, wurde hier nicht nur von „Literaten" und anderen mehr oder weniger berufenen Lehrern der Weltpolitik sorgfältig und mit echt deutscher Gründlichkeit voneinander getrennt, sondern auch von praktischen Politikern und sonstigen Pionieren des deutschen Gedankens. Es kam dann sogar zu vertragsmäßig festgelegten Erklärungen, daß man Wohl das eine, das wirtschaftliche, nicht aber das andere, das Politische Ziel wolle. Den Beweis liefern u- a. die Verträge, die das Deutsche Reich 1909 mit Frankreich über Marokko und zwei Jahre später mit Rußland über Persien ab¬ geschlossen hat. In diesen beiden für das Wesen deutscher Vorkriegspolitik und damit auch sür das Wesen der deuischen Politik der Offenen Tür höchst bezeichnenden Verträgen Sieht sich das Reich beide Male politisch in der Hauptsache aus den strittigen Gebieten heraus, aber nur, um sich die Öffnung der Tür — auf dem Papiere — um so unver¬ brüchlicher gewährleisten zu lassen und wirt¬ schaftlich anscheinend um so fester hindurch- SUgreifen. Auch die Beweggründe dieser spezifisch deutschen, von der nordamerikanischen z. B. stark abweichenden Form der Weltpolitik oder richtiger der Weltwirtschaftspolitik liegen heute offen vor aller Augen. Der zunächst ent¬ scheidende Beweggrund war die unerläßliche Rücksichtnahme auf die hohe Blüte des deut¬ schen Wirtschaftslebens, insbesondere der deut¬ schen Exportindustrien, wie sie sich besonders im neuen Jahrhundert mit beispielloser Schnelligkeit und zu staunenerregender Herr- /usleit entfaltete. Die dieser Blüte ent¬ stammenden Früchte konnien auch beim besten Willen nicht wieder alle in den heimischen Boden eingesenkt und .dort nutzbar gemacht Werden. Mit unentrinnbarer Naturnotwcndkg- keit vielmehr verlangten sie fremden Boden, überseeische Luft, tropische Sonne. Dazu ertönte der Ruf: Führt Waren aus, damit ihr nicht Menschen, deutschen Kulturdünger, auszuführen brauchtI Das ständige und verhältnismäßig rasche Sinken der deutschen Auswanderungsziffern zeigte denn auch bald, daß diese im Dienste deutscher wirtschaftlicher Weltausdehnnng arbeitende Politik der offenen Tür etwas geleistet hat. Im Hinblick auf diese und andere Erfolge konnte man der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck verleihen: in diesem Zeichen wirst du siegen! Siegen auch über die Mißgunst und die Feindschaft der Neutralen und der alten und neuen Feinde, besonders des im neuen Jahr¬ hundert eben unter dem Eindrucke des Auf¬ schwunges der deutschen Wirtschaft stark er¬ weiterten und gefestigten angelsächsischen Welt¬ bundes. Denn eben die Rücksicht auf die stets wachsende, besonders auf die,zu einer Arbeits- und Erwerbsgenossenschaft aufge¬ baute anglo-amerikanische Konkurrenz liefert einen zweiten gewichtigen Beweggrund für die Politik der Offenen Tür. Indem man ihre vorwiegend wirtschaftlichen Ziele immer ausschließlicher betonte, war man immer mehr darauf bedacht, in Theorie und Praxis eine weitgehende politische Enthaltsamkeit zu be¬ kunden, in der ausgesprochenen Absicht, die Empfindlichkeit der anderen nicht zu reizen, ihre Interessen und ihre Gefühle nach Mög¬ lichkeit zu schonen. Man strebe dort draußen nicht in erster Linie nach Polnischer Macht, nach Erweiterung des politischen Macht¬ bereiches, sondern nur nach einem freien Be¬ tätigungsfeld für den deutschen Kaufmann. Damit glaubte man nicht nur den Interessen der schaffenden Stände in Deutschland am besten zu dienen, sondern auch allen von der Weltkonkurrenz außerhalb Deutschlands dro- henden Gefahren am sichersten zu begegnen. Die Hoffnung regte sich immer wieder mächtig, daß durch diese Politisch eingestandenermaßen durchaus enthaltsame Weltwirtschaftspolitik die Mißgunst und das Übelwollen der Feinde schließlich,wenn nicht entwaffnet, so doch zurück¬ gedrängt werden würden. So schien die Politik der Offenen Tür dein Weltfrieden am besten zu dienen, und besonders unter Bülows Nachfolger wurde sie in diesem Sinne zu einem notwendigen und mit besonderer Liebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333482/115>, abgerufen am 23.07.2024.