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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Rußland und Finnland
Professor Vf. Lonrad Bornhak von

it größeren Sympathien als die gründlich verfahrene polnische
Staatsgründung wird die Entstehung eines selbständigen finn-
ländischen Staates in Deutschland begrüßt werden. Beide verdanken
ihre Entstehung den Waffen der Mittemächte, Polen unmittelbar
der militärischen Befreiung seines Gebietes, Finnland der aus der
russischen Niederlage erwachsenen Revolution und dem Sturze des russische"
Zarentums. In Polen begründete die schöpferische Tat der Mittemüchte den
neuen Staat, in Finnland löste das Volk selbst die Bande, die das Land bisher
an das russische Reich knüpften. Der neue Polenstaat wird dem Deutschen Reiche
und Preußen noch manche Sorge bereiten. Finnland ist als Vormauer Deutsch,
lands und Skandinaviens gegen die russische Ostseemacht auf das engste an die
germanische Welt Mittel- und Nordeuropas gebunden.

DaS Land ist mit seinen 377426 Quadratkilometern, von denen über 40000
aus die inneren Gewässer entfallen, größer als Preußen. Bei seiner Durchsetzung
mit Binnengewässern wird es als das Land der tausend Seen bezeichnet. Die
nördliche Lage erklärt die dünne Bevölkerung von etwa 3200000 Einwohnern,
die, abgesehen von 52000 Orthodoxen, fast durchweg evangelisch sind. Der Ratio°
nalitllt nach handelt es sich um etwa 2571000 Finnen und 339000 Schweden,
letztere hauptsächlich an dem südwestlichen Küstenstreifen, aber gewichtiger wie an
Zahl als Träger der alten Kultur des Landes.

Kaum ein Jahrhundert ist es her, bis 1809, daß Finnland nichts anderes
war als ein geographischer Begriff. Es bildete einen Bestandteil des schwedischen
Reiches und umfaßte eine Reihe von schwedischen Landschaften. Nur den südöst¬
lichen Zipfel, Karelier mit der Hauptstadt Viborg, das Land um den Ladogasee,
hatte Peter der Große nach der .Niederlage Karls des Zwölften 1721 von Schweden
losgerissen, da er mit kecker Hand seine neue Hauptstadt Se. Petersburg in den
Winkel des finnischen Meerbusens setzte.

Doch die russische Politik führte weiter. Der Drang nach dem offenen
Meere und der Umstand, daß Se. Petersburg immerhin noch beinahe Grenzstadt
war, bildete bei der späteren Zerrüttung des schwedischen Reiches eine unwider-


Grenzboten i 1918 6


Rußland und Finnland
Professor Vf. Lonrad Bornhak von

it größeren Sympathien als die gründlich verfahrene polnische
Staatsgründung wird die Entstehung eines selbständigen finn-
ländischen Staates in Deutschland begrüßt werden. Beide verdanken
ihre Entstehung den Waffen der Mittemächte, Polen unmittelbar
der militärischen Befreiung seines Gebietes, Finnland der aus der
russischen Niederlage erwachsenen Revolution und dem Sturze des russische«
Zarentums. In Polen begründete die schöpferische Tat der Mittemüchte den
neuen Staat, in Finnland löste das Volk selbst die Bande, die das Land bisher
an das russische Reich knüpften. Der neue Polenstaat wird dem Deutschen Reiche
und Preußen noch manche Sorge bereiten. Finnland ist als Vormauer Deutsch,
lands und Skandinaviens gegen die russische Ostseemacht auf das engste an die
germanische Welt Mittel- und Nordeuropas gebunden.

DaS Land ist mit seinen 377426 Quadratkilometern, von denen über 40000
aus die inneren Gewässer entfallen, größer als Preußen. Bei seiner Durchsetzung
mit Binnengewässern wird es als das Land der tausend Seen bezeichnet. Die
nördliche Lage erklärt die dünne Bevölkerung von etwa 3200000 Einwohnern,
die, abgesehen von 52000 Orthodoxen, fast durchweg evangelisch sind. Der Ratio°
nalitllt nach handelt es sich um etwa 2571000 Finnen und 339000 Schweden,
letztere hauptsächlich an dem südwestlichen Küstenstreifen, aber gewichtiger wie an
Zahl als Träger der alten Kultur des Landes.

Kaum ein Jahrhundert ist es her, bis 1809, daß Finnland nichts anderes
war als ein geographischer Begriff. Es bildete einen Bestandteil des schwedischen
Reiches und umfaßte eine Reihe von schwedischen Landschaften. Nur den südöst¬
lichen Zipfel, Karelier mit der Hauptstadt Viborg, das Land um den Ladogasee,
hatte Peter der Große nach der .Niederlage Karls des Zwölften 1721 von Schweden
losgerissen, da er mit kecker Hand seine neue Hauptstadt Se. Petersburg in den
Winkel des finnischen Meerbusens setzte.

Doch die russische Politik führte weiter. Der Drang nach dem offenen
Meere und der Umstand, daß Se. Petersburg immerhin noch beinahe Grenzstadt
war, bildete bei der späteren Zerrüttung des schwedischen Reiches eine unwider-


Grenzboten i 1918 6
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[0069] [Abbildung] Rußland und Finnland Professor Vf. Lonrad Bornhak von it größeren Sympathien als die gründlich verfahrene polnische Staatsgründung wird die Entstehung eines selbständigen finn- ländischen Staates in Deutschland begrüßt werden. Beide verdanken ihre Entstehung den Waffen der Mittemächte, Polen unmittelbar der militärischen Befreiung seines Gebietes, Finnland der aus der russischen Niederlage erwachsenen Revolution und dem Sturze des russische« Zarentums. In Polen begründete die schöpferische Tat der Mittemüchte den neuen Staat, in Finnland löste das Volk selbst die Bande, die das Land bisher an das russische Reich knüpften. Der neue Polenstaat wird dem Deutschen Reiche und Preußen noch manche Sorge bereiten. Finnland ist als Vormauer Deutsch, lands und Skandinaviens gegen die russische Ostseemacht auf das engste an die germanische Welt Mittel- und Nordeuropas gebunden. DaS Land ist mit seinen 377426 Quadratkilometern, von denen über 40000 aus die inneren Gewässer entfallen, größer als Preußen. Bei seiner Durchsetzung mit Binnengewässern wird es als das Land der tausend Seen bezeichnet. Die nördliche Lage erklärt die dünne Bevölkerung von etwa 3200000 Einwohnern, die, abgesehen von 52000 Orthodoxen, fast durchweg evangelisch sind. Der Ratio° nalitllt nach handelt es sich um etwa 2571000 Finnen und 339000 Schweden, letztere hauptsächlich an dem südwestlichen Küstenstreifen, aber gewichtiger wie an Zahl als Träger der alten Kultur des Landes. Kaum ein Jahrhundert ist es her, bis 1809, daß Finnland nichts anderes war als ein geographischer Begriff. Es bildete einen Bestandteil des schwedischen Reiches und umfaßte eine Reihe von schwedischen Landschaften. Nur den südöst¬ lichen Zipfel, Karelier mit der Hauptstadt Viborg, das Land um den Ladogasee, hatte Peter der Große nach der .Niederlage Karls des Zwölften 1721 von Schweden losgerissen, da er mit kecker Hand seine neue Hauptstadt Se. Petersburg in den Winkel des finnischen Meerbusens setzte. Doch die russische Politik führte weiter. Der Drang nach dem offenen Meere und der Umstand, daß Se. Petersburg immerhin noch beinahe Grenzstadt war, bildete bei der späteren Zerrüttung des schwedischen Reiches eine unwider- Grenzboten i 1918 6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/69>, abgerufen am 22.07.2024.