Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.Mitteleuropa die Durchführung großer Dinge im Völkerleben notwendige Stimmung erzeugt, Noch gehörte die Stunde der wissenschaftlichen Durchdringung des Problems Mir hat, nachdem ich Naumann und einige Einzelaufsätze zur Frage gelesen 3
Mitteleuropa die Durchführung großer Dinge im Völkerleben notwendige Stimmung erzeugt, Noch gehörte die Stunde der wissenschaftlichen Durchdringung des Problems Mir hat, nachdem ich Naumann und einige Einzelaufsätze zur Frage gelesen 3
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333144"/> <fw type="header" place="top"> Mitteleuropa</fw><lb/> <p xml:id="ID_145" prev="#ID_144"> die Durchführung großer Dinge im Völkerleben notwendige Stimmung erzeugt,<lb/> mit der schließlich energische Führer die Probleme der Menschheit zu lösen wissen.<lb/> Ob das Jahr 1915 schon den Zeitpunkt brachte, Um eine solche Stimmung zu er¬<lb/> zeugen? Die Frage stellen, heißt sie verneinen!</p><lb/> <p xml:id="ID_146"> Noch gehörte die Stunde der wissenschaftlichen Durchdringung des Problems<lb/> und unsere Gelehrten brauchen, wie auch die schwere Zeit der Kriegsnot erneut<lb/> lehrte, keiner künstlichen Aufpeitschung ihres Forschungseifers. Auch um unser<lb/> Problem ist eine tiefgründige wissenschaftliche Literatur entstanden, von der noch<lb/> die Rede sein soll, da eine Einführung in das Problem selbst das dreibändige<lb/> Werk des Vereins für Sozialpolitik nicht ist, das unter Heinrich Herkners sach¬<lb/> kundiger Leitung von den bedeutendsten deutschen Nationalökonomen herausgegeben<lb/> wurde (Duncker u. Humblot, München) und das Problem unter Beschränkung auf die<lb/> wirtschaftliche Annäherung zwischen dem Deutschen Reiche und seinen Verbündeten<lb/> in mehreren wissenschaftlich tief durchgearbeiteten Aufsätzen angreift. Es wendet<lb/> sich an solche Leser, die das Problem als Ganzes bereits überschauen und wissen¬<lb/> schaftliche Aufklärung in Einzelfragen suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_147"> Mir hat, nachdem ich Naumann und einige Einzelaufsätze zur Frage gelesen<lb/> halte, ohne Klarheit zu gewinnen, die Schrift von Dr. Erich Pistor, Sekretär der<lb/> Wiener Handelskammer, die „Volkswirtschaft Österreich-Ungarns und die Verstän¬<lb/> digung mit Deutschland", X u. 175 Seiten stark, Berlin 1915, Druck und Verlag<lb/> von Georg Reimer, den Weg zur gewünschten Einführung gewiesen. Man lese<lb/> zweckmäßig zuerst das letzte „Die Zukunft" überschricbene Kapitel (S. 130—175)<lb/> und greife dann zurück auf den Anfang, auf die Abschnitte Land, Leute, Land¬<lb/> wirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr, die wichtigsten Bilanzen. Aus diesen<lb/> Stichworten erkennt der Leser schon, daß Herr Pistor an das Problem von Wirt-<lb/> schaftlichen Gesichtspunkten aus herantritt. Es sind habsburgische Sorgen, die<lb/> dein Autor die Feder führen. „In Osterreich-Ungarn muß . . . baldigst ungleich<lb/> mehr als bisher der Drang nach der Welt zur Betätigung gelangen, es muß zur<lb/> vollwertigen Mitarbeit gebracht werden, soll nicht der richtige Zeitpunkt auf immer<lb/> versäumt werden." (S. 133). Seine Schrift will, wie Pistor selbst sagt, „die<lb/> Machtentfaltung des habsburgisch-lothringischen Herrscherhauses"; „die endliche<lb/> vollständige Erschließung der Reichtümer der Donaumonarchie an Menschen und<lb/> Gütern"! „die Weltgeltung deutscher Kultur und die einheitliche Weltwirtschafts¬<lb/> politik der Mittemächte und ihrer Bundesgenossen". (S. III) Während Friedrich<lb/> List noch „um die Wende der achtzehnhundertvierziger Jahre von der Überlegen¬<lb/> heit der österreichischen Industrie gegenüber jener des Zollvereins" (S. 130)<lb/> sprechen konnte, erkennt Pistor an, daß mit der Reichsgründung „auf dem einstigen<lb/> Gemengsel von Mittel- und Kleinstaaten, dank glänzender Organisation größten<lb/> Stiles . . .", nachdem „eine vollkommen gefestigte und genügend breite Basis<lb/> der Entwicklung gesichert war", „Deutschland begann, als wirtschaftlicher Faktor<lb/> emporzublühen" (S. 130). Diese Feststellung führt den Autor zu der Anerkennung<lb/> der Tatsache, daß Österreich-Ungarn seinen großen Anteil an der Weltwirtschaft<lb/> gewinnen könne durch Zusammenschluß mit Deutschland: „es handelt sich nicht<lb/> . . .um die Anhäufung von eroberten Gebieten . . ., sondern um die Schaffung<lb/> großer, gemeinsamer Entwicklungssphären von Kultur, Wirtschaft und darauf<lb/> fußend von politischer Macht nach innen und außen". (S. 133.)»</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 3</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Mitteleuropa
die Durchführung großer Dinge im Völkerleben notwendige Stimmung erzeugt,
mit der schließlich energische Führer die Probleme der Menschheit zu lösen wissen.
Ob das Jahr 1915 schon den Zeitpunkt brachte, Um eine solche Stimmung zu er¬
zeugen? Die Frage stellen, heißt sie verneinen!
Noch gehörte die Stunde der wissenschaftlichen Durchdringung des Problems
und unsere Gelehrten brauchen, wie auch die schwere Zeit der Kriegsnot erneut
lehrte, keiner künstlichen Aufpeitschung ihres Forschungseifers. Auch um unser
Problem ist eine tiefgründige wissenschaftliche Literatur entstanden, von der noch
die Rede sein soll, da eine Einführung in das Problem selbst das dreibändige
Werk des Vereins für Sozialpolitik nicht ist, das unter Heinrich Herkners sach¬
kundiger Leitung von den bedeutendsten deutschen Nationalökonomen herausgegeben
wurde (Duncker u. Humblot, München) und das Problem unter Beschränkung auf die
wirtschaftliche Annäherung zwischen dem Deutschen Reiche und seinen Verbündeten
in mehreren wissenschaftlich tief durchgearbeiteten Aufsätzen angreift. Es wendet
sich an solche Leser, die das Problem als Ganzes bereits überschauen und wissen¬
schaftliche Aufklärung in Einzelfragen suchen.
Mir hat, nachdem ich Naumann und einige Einzelaufsätze zur Frage gelesen
halte, ohne Klarheit zu gewinnen, die Schrift von Dr. Erich Pistor, Sekretär der
Wiener Handelskammer, die „Volkswirtschaft Österreich-Ungarns und die Verstän¬
digung mit Deutschland", X u. 175 Seiten stark, Berlin 1915, Druck und Verlag
von Georg Reimer, den Weg zur gewünschten Einführung gewiesen. Man lese
zweckmäßig zuerst das letzte „Die Zukunft" überschricbene Kapitel (S. 130—175)
und greife dann zurück auf den Anfang, auf die Abschnitte Land, Leute, Land¬
wirtschaft, Industrie, Handel und Verkehr, die wichtigsten Bilanzen. Aus diesen
Stichworten erkennt der Leser schon, daß Herr Pistor an das Problem von Wirt-
schaftlichen Gesichtspunkten aus herantritt. Es sind habsburgische Sorgen, die
dein Autor die Feder führen. „In Osterreich-Ungarn muß . . . baldigst ungleich
mehr als bisher der Drang nach der Welt zur Betätigung gelangen, es muß zur
vollwertigen Mitarbeit gebracht werden, soll nicht der richtige Zeitpunkt auf immer
versäumt werden." (S. 133). Seine Schrift will, wie Pistor selbst sagt, „die
Machtentfaltung des habsburgisch-lothringischen Herrscherhauses"; „die endliche
vollständige Erschließung der Reichtümer der Donaumonarchie an Menschen und
Gütern"! „die Weltgeltung deutscher Kultur und die einheitliche Weltwirtschafts¬
politik der Mittemächte und ihrer Bundesgenossen". (S. III) Während Friedrich
List noch „um die Wende der achtzehnhundertvierziger Jahre von der Überlegen¬
heit der österreichischen Industrie gegenüber jener des Zollvereins" (S. 130)
sprechen konnte, erkennt Pistor an, daß mit der Reichsgründung „auf dem einstigen
Gemengsel von Mittel- und Kleinstaaten, dank glänzender Organisation größten
Stiles . . .", nachdem „eine vollkommen gefestigte und genügend breite Basis
der Entwicklung gesichert war", „Deutschland begann, als wirtschaftlicher Faktor
emporzublühen" (S. 130). Diese Feststellung führt den Autor zu der Anerkennung
der Tatsache, daß Österreich-Ungarn seinen großen Anteil an der Weltwirtschaft
gewinnen könne durch Zusammenschluß mit Deutschland: „es handelt sich nicht
. . .um die Anhäufung von eroberten Gebieten . . ., sondern um die Schaffung
großer, gemeinsamer Entwicklungssphären von Kultur, Wirtschaft und darauf
fußend von politischer Macht nach innen und außen". (S. 133.)»
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