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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Die Neugestaltung der Frauenschule

nommer. Zwar dürfen nach wie vor derartige Ausbildungsgelegenheiten nebenher
"erkaufen, sie bilden aber künftig keinen Teil der eigentlichen Frauenschule; zudem
dürfen sie nur da angegliedert werden, wo die die neue Form der Frauenschule
kennzeichnenden Bedingungen restlos erfüllt sind. -- An Berechtigungen verleiht
das Schlußzeugnis einer Frauenschule diejenige zum Eintritt in die Lehrgänge
zur Ausbildung von technischen Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen,
außerdem Zulassung zu der Mittelstufe eines staatlich anerkannten Kindergärt¬
nerinnen- und Hortncrinnenseminars mit einundeinhalbjährigem Lehrgang und zur
Ausbildung als Jugendleiterin.

Es wurde schon bemerkt, daß die neuen Bestimmungen in vielfacher Hinsicht
den persönlichen Wünschen aller Beteiligten wie auch den örtlichen Besonderheiten
weiten Spielraum lassen. Nun wird es sich zeigen, ob und inwieweit die mit
der Ausführung Betrauten fähig und geneigt sind, im Geiste namentlich der (im
Erlaß recht ausführlich dargestellten) obersten Gesichtspunkte ihres Amtes zu
walten. Wie der Schlußabschnitt erkennen läßt, will man für ihre jeweilige Auf¬
gabe vollauf befähigte Persönlichkeiten -- und nur solche -- zur Unterrichts-
erteilnng heranziehen; u. a. wird die Mitwirkung seitens der Frauen gerade auch
an leitenden Stellen als unerläßlich bezeichnet.

Alles in allem genommen, darf man von dem neuen Frauenschul-Erlaß als
solchem mit gutem Recht als einer "Tat" reden. Sollte er wider alles Erwarten
später einmal nicht das allgemein befriedigende Ergebnis zeitigen, das man von
ihm erhofft, so würde gegebenenfalls die Schuld dessen zum größten Teil am
mangelnden guten Willen oder an der Verständnislosigkeit der Beteiligten liegen.
Im vesonderen fragt es sich, ob bei dem weiten Spielraum hinsichtlich der Lehr¬
aufgaben die bisher meist an ganz bestimmte "Perser" Gewöhnten durchweg den
Mut zu eigenen Entscheidungen und zu eigenen -- Fehlern haben werden. Denn
aus Fehlern lernt man doch am gründlichsten und nachhaltigsten.

Was weiterhin den Zusammenhang mit dem gesamten übrigen Bildungs¬
gang der weiblichen Jugend betrifft, sind wohl Zweifel daran erlaubt, ob die
heutzutage teilweise bereits stark überspannten Anforderungen an die Berufsvor¬
bereitung eine weitere ein- bis zweijährige Ausdehnung der "Schulzeit" für den
weitaus überwiegenden Teil aller überhaupt in Betracht Kommenden zulassen.
Sicher werden einsichtige Eltern sich sehr bald daran gewöhnen, im Sinne des
Erlasses "den Besuch der Frauenschule als notwendig für eine abgeschlossene
Bildung ihrer Töchter anzusehen". Wie die Verhältnisse aber voraussichtlich noch
auf lange Zeit hinaus liegen, ist die Frage nicht ganz abzuweisen, ob nicht in
zahllosen Einzelfällen das Gebot der praktischen Vernunft hinter den nicht minder
gebieterischen materiellen Möglichkeiten wird zurückstehen müssen. Es hängt daher
außerordentlich viel gerade davon ab, ob nach denk Kriegs vor allem die gesell¬
schaftlich führenden .Kreise dauernd das erforderliche persönliche und nationale
Selbstgefühl aufbringen werden, das eS ihnen verbietet, eine Pensionopolis im
Stile von Lausanne, Genf, Brighton usw. als eine Art Selbstverständlichkeit für
ihre Töchter zu betrachten. -- Immerhin tut sich hier mit der Lösung eines
sozialen und schulpolitischen Problems eine Reihe weiterer Fragen auf.

Hier sei zum Schluß nnr eine einzige in aller Kürze noch angedeutet:
Welche Rückwirkung auf das Ganze der Lyzealoildmig ist von der Neuordnung
der Frauenschule zu erwarten? Schon vor dem Kriege waren in den Kreisen
des Lyzeums starke Zweifel an der Richtigkeit der theoretischen Voraussetzungen
wie auch ein der Zweckmäßigkeit zahlreicher Einzelbestimmungen laut geworden;
neuerdings scheut man sich nicht, von der seinerzeit fast überschwenglich gepriesenen
sogenannten "Reform von 1!108" als von einem "Irrtum" schlechthin zu reden.
Was auch die Folgezeit vielleicht an Mängeln oder Schönheitsfehlern der neuen
Frauenschule ergeben wird, soviel scheint sicher: ihr Geist ist der der realen Lebens-
notwendigkeit, wie ihn die eherne Not der Zeit, unserer Zeit, geboren. Selbst
wenn man nun das "Alter" des demnächst zehnjährigen Lyzeums als mildernden
Umstand gelten läßt, wird man doch ein Gleiches oder Ähnliches von dieser


Die Neugestaltung der Frauenschule

nommer. Zwar dürfen nach wie vor derartige Ausbildungsgelegenheiten nebenher
»erkaufen, sie bilden aber künftig keinen Teil der eigentlichen Frauenschule; zudem
dürfen sie nur da angegliedert werden, wo die die neue Form der Frauenschule
kennzeichnenden Bedingungen restlos erfüllt sind. — An Berechtigungen verleiht
das Schlußzeugnis einer Frauenschule diejenige zum Eintritt in die Lehrgänge
zur Ausbildung von technischen Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen,
außerdem Zulassung zu der Mittelstufe eines staatlich anerkannten Kindergärt¬
nerinnen- und Hortncrinnenseminars mit einundeinhalbjährigem Lehrgang und zur
Ausbildung als Jugendleiterin.

Es wurde schon bemerkt, daß die neuen Bestimmungen in vielfacher Hinsicht
den persönlichen Wünschen aller Beteiligten wie auch den örtlichen Besonderheiten
weiten Spielraum lassen. Nun wird es sich zeigen, ob und inwieweit die mit
der Ausführung Betrauten fähig und geneigt sind, im Geiste namentlich der (im
Erlaß recht ausführlich dargestellten) obersten Gesichtspunkte ihres Amtes zu
walten. Wie der Schlußabschnitt erkennen läßt, will man für ihre jeweilige Auf¬
gabe vollauf befähigte Persönlichkeiten — und nur solche — zur Unterrichts-
erteilnng heranziehen; u. a. wird die Mitwirkung seitens der Frauen gerade auch
an leitenden Stellen als unerläßlich bezeichnet.

Alles in allem genommen, darf man von dem neuen Frauenschul-Erlaß als
solchem mit gutem Recht als einer „Tat" reden. Sollte er wider alles Erwarten
später einmal nicht das allgemein befriedigende Ergebnis zeitigen, das man von
ihm erhofft, so würde gegebenenfalls die Schuld dessen zum größten Teil am
mangelnden guten Willen oder an der Verständnislosigkeit der Beteiligten liegen.
Im vesonderen fragt es sich, ob bei dem weiten Spielraum hinsichtlich der Lehr¬
aufgaben die bisher meist an ganz bestimmte „Perser" Gewöhnten durchweg den
Mut zu eigenen Entscheidungen und zu eigenen — Fehlern haben werden. Denn
aus Fehlern lernt man doch am gründlichsten und nachhaltigsten.

Was weiterhin den Zusammenhang mit dem gesamten übrigen Bildungs¬
gang der weiblichen Jugend betrifft, sind wohl Zweifel daran erlaubt, ob die
heutzutage teilweise bereits stark überspannten Anforderungen an die Berufsvor¬
bereitung eine weitere ein- bis zweijährige Ausdehnung der „Schulzeit" für den
weitaus überwiegenden Teil aller überhaupt in Betracht Kommenden zulassen.
Sicher werden einsichtige Eltern sich sehr bald daran gewöhnen, im Sinne des
Erlasses „den Besuch der Frauenschule als notwendig für eine abgeschlossene
Bildung ihrer Töchter anzusehen". Wie die Verhältnisse aber voraussichtlich noch
auf lange Zeit hinaus liegen, ist die Frage nicht ganz abzuweisen, ob nicht in
zahllosen Einzelfällen das Gebot der praktischen Vernunft hinter den nicht minder
gebieterischen materiellen Möglichkeiten wird zurückstehen müssen. Es hängt daher
außerordentlich viel gerade davon ab, ob nach denk Kriegs vor allem die gesell¬
schaftlich führenden .Kreise dauernd das erforderliche persönliche und nationale
Selbstgefühl aufbringen werden, das eS ihnen verbietet, eine Pensionopolis im
Stile von Lausanne, Genf, Brighton usw. als eine Art Selbstverständlichkeit für
ihre Töchter zu betrachten. — Immerhin tut sich hier mit der Lösung eines
sozialen und schulpolitischen Problems eine Reihe weiterer Fragen auf.

Hier sei zum Schluß nnr eine einzige in aller Kürze noch angedeutet:
Welche Rückwirkung auf das Ganze der Lyzealoildmig ist von der Neuordnung
der Frauenschule zu erwarten? Schon vor dem Kriege waren in den Kreisen
des Lyzeums starke Zweifel an der Richtigkeit der theoretischen Voraussetzungen
wie auch ein der Zweckmäßigkeit zahlreicher Einzelbestimmungen laut geworden;
neuerdings scheut man sich nicht, von der seinerzeit fast überschwenglich gepriesenen
sogenannten „Reform von 1!108" als von einem „Irrtum" schlechthin zu reden.
Was auch die Folgezeit vielleicht an Mängeln oder Schönheitsfehlern der neuen
Frauenschule ergeben wird, soviel scheint sicher: ihr Geist ist der der realen Lebens-
notwendigkeit, wie ihn die eherne Not der Zeit, unserer Zeit, geboren. Selbst
wenn man nun das „Alter" des demnächst zehnjährigen Lyzeums als mildernden
Umstand gelten läßt, wird man doch ein Gleiches oder Ähnliches von dieser


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[0372] Die Neugestaltung der Frauenschule nommer. Zwar dürfen nach wie vor derartige Ausbildungsgelegenheiten nebenher »erkaufen, sie bilden aber künftig keinen Teil der eigentlichen Frauenschule; zudem dürfen sie nur da angegliedert werden, wo die die neue Form der Frauenschule kennzeichnenden Bedingungen restlos erfüllt sind. — An Berechtigungen verleiht das Schlußzeugnis einer Frauenschule diejenige zum Eintritt in die Lehrgänge zur Ausbildung von technischen Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, außerdem Zulassung zu der Mittelstufe eines staatlich anerkannten Kindergärt¬ nerinnen- und Hortncrinnenseminars mit einundeinhalbjährigem Lehrgang und zur Ausbildung als Jugendleiterin. Es wurde schon bemerkt, daß die neuen Bestimmungen in vielfacher Hinsicht den persönlichen Wünschen aller Beteiligten wie auch den örtlichen Besonderheiten weiten Spielraum lassen. Nun wird es sich zeigen, ob und inwieweit die mit der Ausführung Betrauten fähig und geneigt sind, im Geiste namentlich der (im Erlaß recht ausführlich dargestellten) obersten Gesichtspunkte ihres Amtes zu walten. Wie der Schlußabschnitt erkennen läßt, will man für ihre jeweilige Auf¬ gabe vollauf befähigte Persönlichkeiten — und nur solche — zur Unterrichts- erteilnng heranziehen; u. a. wird die Mitwirkung seitens der Frauen gerade auch an leitenden Stellen als unerläßlich bezeichnet. Alles in allem genommen, darf man von dem neuen Frauenschul-Erlaß als solchem mit gutem Recht als einer „Tat" reden. Sollte er wider alles Erwarten später einmal nicht das allgemein befriedigende Ergebnis zeitigen, das man von ihm erhofft, so würde gegebenenfalls die Schuld dessen zum größten Teil am mangelnden guten Willen oder an der Verständnislosigkeit der Beteiligten liegen. Im vesonderen fragt es sich, ob bei dem weiten Spielraum hinsichtlich der Lehr¬ aufgaben die bisher meist an ganz bestimmte „Perser" Gewöhnten durchweg den Mut zu eigenen Entscheidungen und zu eigenen — Fehlern haben werden. Denn aus Fehlern lernt man doch am gründlichsten und nachhaltigsten. Was weiterhin den Zusammenhang mit dem gesamten übrigen Bildungs¬ gang der weiblichen Jugend betrifft, sind wohl Zweifel daran erlaubt, ob die heutzutage teilweise bereits stark überspannten Anforderungen an die Berufsvor¬ bereitung eine weitere ein- bis zweijährige Ausdehnung der „Schulzeit" für den weitaus überwiegenden Teil aller überhaupt in Betracht Kommenden zulassen. Sicher werden einsichtige Eltern sich sehr bald daran gewöhnen, im Sinne des Erlasses „den Besuch der Frauenschule als notwendig für eine abgeschlossene Bildung ihrer Töchter anzusehen". Wie die Verhältnisse aber voraussichtlich noch auf lange Zeit hinaus liegen, ist die Frage nicht ganz abzuweisen, ob nicht in zahllosen Einzelfällen das Gebot der praktischen Vernunft hinter den nicht minder gebieterischen materiellen Möglichkeiten wird zurückstehen müssen. Es hängt daher außerordentlich viel gerade davon ab, ob nach denk Kriegs vor allem die gesell¬ schaftlich führenden .Kreise dauernd das erforderliche persönliche und nationale Selbstgefühl aufbringen werden, das eS ihnen verbietet, eine Pensionopolis im Stile von Lausanne, Genf, Brighton usw. als eine Art Selbstverständlichkeit für ihre Töchter zu betrachten. — Immerhin tut sich hier mit der Lösung eines sozialen und schulpolitischen Problems eine Reihe weiterer Fragen auf. Hier sei zum Schluß nnr eine einzige in aller Kürze noch angedeutet: Welche Rückwirkung auf das Ganze der Lyzealoildmig ist von der Neuordnung der Frauenschule zu erwarten? Schon vor dem Kriege waren in den Kreisen des Lyzeums starke Zweifel an der Richtigkeit der theoretischen Voraussetzungen wie auch ein der Zweckmäßigkeit zahlreicher Einzelbestimmungen laut geworden; neuerdings scheut man sich nicht, von der seinerzeit fast überschwenglich gepriesenen sogenannten „Reform von 1!108" als von einem „Irrtum" schlechthin zu reden. Was auch die Folgezeit vielleicht an Mängeln oder Schönheitsfehlern der neuen Frauenschule ergeben wird, soviel scheint sicher: ihr Geist ist der der realen Lebens- notwendigkeit, wie ihn die eherne Not der Zeit, unserer Zeit, geboren. Selbst wenn man nun das „Alter" des demnächst zehnjährigen Lyzeums als mildernden Umstand gelten läßt, wird man doch ein Gleiches oder Ähnliches von dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/372>, abgerufen am 22.07.2024.