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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Flurbereinigung

In dieser Voraussicht war der Leiter der deutschen Geschicke fast allzu ängstlich
darauf bedacht, das feingearbeitete Werk nicht durch die natürlichen außenpolitischen
Gegensätze des eigenen, aufstrebenden Volkes im Westen und auf der See über¬
mäßig zu beschweren und den Garig der mitteleuropäischen Politik dadurch zu
hemmen. Während in Osterreich die Nationalitätengesktzgebung des Grafen Taafe
und die Sprachenverordnungen Badenis gerade unter dem Schutze des Bündnisses
mit Deutschland die Hegemonie der Deutschen im Staate selbst zurückdrängen
konnten, drückte der Zwang dieses selben Bundes der Nationalitätenpolitik des
Reiches den Stempel der Unentschlossenheit und Halbheit auf. Die einzelnen
Phasen der preußischen Polenpolitik sind nur zu verstehen, wenn man sie in Be¬
ziehung setzt zu der auswärtigen Politik Deutschlands, die das zarte Pflänzchen
"Mitteleuropa" nicht durch den Gegensatz gegen den Zaren belasten durfte. Und nicht
anders stand es in Elsaß-Lothringen. Auch hier ist die Behandlung der reichs-
ländischen Frage und die wechselvolle Versöhnungspolitik gegenüber Frankreich
nur durch die Rücksichten erklärlich, die das Reich in Wien und Budapest nehmen
mußte. Daß diese "Rücksichten" dann nur zu bald bei den Mittelstellen hier wie
dort Selbstzweck wurden, bei den verantwortlichen unteren Verwaltungsorganen
sogar zu strafwürdiger Vernachlässigung nationaler Reichsinteressen ausartete, ist
ja bekannt. Für den Staatsmann des mitteleuropäischen Gemeinschaftlebens aber
war und blieb es in der Tat erste Pflicht, Rußland und Frankreich auseinander¬
zuhalten und ihrer Angriffslust nach Möglichkeit jede Nahrung zu entziehen.
Kaiser Karl des Fünften Wort: "Wenn Wien und Straßburg zu gleicher Zeit
bedroht seien, würde er zuerst zum Rhein eilen", konnte im' neuen Habsburger
Doppelreiche erst nach harter Prüfung wieder Geltung gewinnen.

" "Die ersten Bündnisverhaudlungen, die zeitlich unmittelbar an den Abschluß
mit Österreich-Ungarn anknüpfen, sind aus demselben Geiste geboren wie das
Bündnis von 1879 und daher geeignet, seinen Sinn noch deutlicher herauszu¬
stellen." Dank der persönlichen Fürsprache Fürst.Karls von Rumänien, den als
Ministerpräsident der ältere Bratianu kräftig und gewandt unterstützte, wurde der
Wall Mitteleuropas gegen Rußland im Herbst 1883 bis zum Schwarzen Meer
verlängert. Im Jahre zuvor holte Italien nach der Besetzung von Tunis durch
Frankreich offen Halt und Schutz bei den beiden Mittelmächten gesucht. Nur so
glaubte es der völligen Isolierung am Mittelmeer entrinnen zu können, die seine
weltpolitische Großmannssucht schärfer und empfindlicher bedrohte als der nationale
Gegensatz gegen Osterreich, der trotz des neuen Bündnisses lebendig blieb. Im
Sinne der'mitteleuropäischen Gesamtpolitik war damit der schwächste Partner, der
Habsburgische Nationalitätenstaat, durch den Anschluß von Rumänien und Italien
wesentlich entlastet. In Siebenbürgen, am Jsonzo und in Welschtirol wurde die
Gefahr der Jrredenta zunächst beschworen. Der Neubau des Deutschen Reiches
dagegen ertrug willig die drückende Last der polnischen und elsaß-lothringischen
Hypothek, so lange nur das Bündnis mit Österreich den europäischen Frieden ge¬
währleistete. Gestützt aus die guten Beziehungen, die England zum Dreibund als
den Gegner seiner weltpolitischen Nachbarn, Nußland und Frankreich, pflog, konnte
Bismarck sogar an die Gewinnung außereuropäischer Stützpunkte für Deutsch¬
lands Weltgeltung denken.

In all diesen Wandlungen aber blieb sich der deutsche Reichskanzler stets
der Gefahr bewußt, die selbst der neuen mitteleuropäischen Gemeinschaft von einem
Zweifrontenkriege drohte. Die Pflege überlieferter Freundschaft mit Rußland sah
er daher nach wie vor als Pflicht der Realpolitik an, der er durch den RückVer¬
sicherungsvertrag von 1887 meisterhaft entsprach. Mit ihm schob er nicht nur den
Zusammenschluß des Zarenreiches mit Frankreich gerade über die Jahre erhöhter
Revanchelust und der Rüstungen Boulangers hinaus. Auch die Annäherung Eng¬
lands an den Dreibund, die uns den unschätzbaren Gewinn Helgolands brachte,
wurde durch den weltpolitischen Zwang, den Bismarck durch das Übereinkommen
mit Rußland mittelbar aus Großbritannien ausübte, aufs trefflichste vorbereitet.


Deutsche Flurbereinigung

In dieser Voraussicht war der Leiter der deutschen Geschicke fast allzu ängstlich
darauf bedacht, das feingearbeitete Werk nicht durch die natürlichen außenpolitischen
Gegensätze des eigenen, aufstrebenden Volkes im Westen und auf der See über¬
mäßig zu beschweren und den Garig der mitteleuropäischen Politik dadurch zu
hemmen. Während in Osterreich die Nationalitätengesktzgebung des Grafen Taafe
und die Sprachenverordnungen Badenis gerade unter dem Schutze des Bündnisses
mit Deutschland die Hegemonie der Deutschen im Staate selbst zurückdrängen
konnten, drückte der Zwang dieses selben Bundes der Nationalitätenpolitik des
Reiches den Stempel der Unentschlossenheit und Halbheit auf. Die einzelnen
Phasen der preußischen Polenpolitik sind nur zu verstehen, wenn man sie in Be¬
ziehung setzt zu der auswärtigen Politik Deutschlands, die das zarte Pflänzchen
„Mitteleuropa" nicht durch den Gegensatz gegen den Zaren belasten durfte. Und nicht
anders stand es in Elsaß-Lothringen. Auch hier ist die Behandlung der reichs-
ländischen Frage und die wechselvolle Versöhnungspolitik gegenüber Frankreich
nur durch die Rücksichten erklärlich, die das Reich in Wien und Budapest nehmen
mußte. Daß diese „Rücksichten" dann nur zu bald bei den Mittelstellen hier wie
dort Selbstzweck wurden, bei den verantwortlichen unteren Verwaltungsorganen
sogar zu strafwürdiger Vernachlässigung nationaler Reichsinteressen ausartete, ist
ja bekannt. Für den Staatsmann des mitteleuropäischen Gemeinschaftlebens aber
war und blieb es in der Tat erste Pflicht, Rußland und Frankreich auseinander¬
zuhalten und ihrer Angriffslust nach Möglichkeit jede Nahrung zu entziehen.
Kaiser Karl des Fünften Wort: „Wenn Wien und Straßburg zu gleicher Zeit
bedroht seien, würde er zuerst zum Rhein eilen", konnte im' neuen Habsburger
Doppelreiche erst nach harter Prüfung wieder Geltung gewinnen.

„ „Die ersten Bündnisverhaudlungen, die zeitlich unmittelbar an den Abschluß
mit Österreich-Ungarn anknüpfen, sind aus demselben Geiste geboren wie das
Bündnis von 1879 und daher geeignet, seinen Sinn noch deutlicher herauszu¬
stellen." Dank der persönlichen Fürsprache Fürst.Karls von Rumänien, den als
Ministerpräsident der ältere Bratianu kräftig und gewandt unterstützte, wurde der
Wall Mitteleuropas gegen Rußland im Herbst 1883 bis zum Schwarzen Meer
verlängert. Im Jahre zuvor holte Italien nach der Besetzung von Tunis durch
Frankreich offen Halt und Schutz bei den beiden Mittelmächten gesucht. Nur so
glaubte es der völligen Isolierung am Mittelmeer entrinnen zu können, die seine
weltpolitische Großmannssucht schärfer und empfindlicher bedrohte als der nationale
Gegensatz gegen Osterreich, der trotz des neuen Bündnisses lebendig blieb. Im
Sinne der'mitteleuropäischen Gesamtpolitik war damit der schwächste Partner, der
Habsburgische Nationalitätenstaat, durch den Anschluß von Rumänien und Italien
wesentlich entlastet. In Siebenbürgen, am Jsonzo und in Welschtirol wurde die
Gefahr der Jrredenta zunächst beschworen. Der Neubau des Deutschen Reiches
dagegen ertrug willig die drückende Last der polnischen und elsaß-lothringischen
Hypothek, so lange nur das Bündnis mit Österreich den europäischen Frieden ge¬
währleistete. Gestützt aus die guten Beziehungen, die England zum Dreibund als
den Gegner seiner weltpolitischen Nachbarn, Nußland und Frankreich, pflog, konnte
Bismarck sogar an die Gewinnung außereuropäischer Stützpunkte für Deutsch¬
lands Weltgeltung denken.

In all diesen Wandlungen aber blieb sich der deutsche Reichskanzler stets
der Gefahr bewußt, die selbst der neuen mitteleuropäischen Gemeinschaft von einem
Zweifrontenkriege drohte. Die Pflege überlieferter Freundschaft mit Rußland sah
er daher nach wie vor als Pflicht der Realpolitik an, der er durch den RückVer¬
sicherungsvertrag von 1887 meisterhaft entsprach. Mit ihm schob er nicht nur den
Zusammenschluß des Zarenreiches mit Frankreich gerade über die Jahre erhöhter
Revanchelust und der Rüstungen Boulangers hinaus. Auch die Annäherung Eng¬
lands an den Dreibund, die uns den unschätzbaren Gewinn Helgolands brachte,
wurde durch den weltpolitischen Zwang, den Bismarck durch das Übereinkommen
mit Rußland mittelbar aus Großbritannien ausübte, aufs trefflichste vorbereitet.


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[0366] Deutsche Flurbereinigung In dieser Voraussicht war der Leiter der deutschen Geschicke fast allzu ängstlich darauf bedacht, das feingearbeitete Werk nicht durch die natürlichen außenpolitischen Gegensätze des eigenen, aufstrebenden Volkes im Westen und auf der See über¬ mäßig zu beschweren und den Garig der mitteleuropäischen Politik dadurch zu hemmen. Während in Osterreich die Nationalitätengesktzgebung des Grafen Taafe und die Sprachenverordnungen Badenis gerade unter dem Schutze des Bündnisses mit Deutschland die Hegemonie der Deutschen im Staate selbst zurückdrängen konnten, drückte der Zwang dieses selben Bundes der Nationalitätenpolitik des Reiches den Stempel der Unentschlossenheit und Halbheit auf. Die einzelnen Phasen der preußischen Polenpolitik sind nur zu verstehen, wenn man sie in Be¬ ziehung setzt zu der auswärtigen Politik Deutschlands, die das zarte Pflänzchen „Mitteleuropa" nicht durch den Gegensatz gegen den Zaren belasten durfte. Und nicht anders stand es in Elsaß-Lothringen. Auch hier ist die Behandlung der reichs- ländischen Frage und die wechselvolle Versöhnungspolitik gegenüber Frankreich nur durch die Rücksichten erklärlich, die das Reich in Wien und Budapest nehmen mußte. Daß diese „Rücksichten" dann nur zu bald bei den Mittelstellen hier wie dort Selbstzweck wurden, bei den verantwortlichen unteren Verwaltungsorganen sogar zu strafwürdiger Vernachlässigung nationaler Reichsinteressen ausartete, ist ja bekannt. Für den Staatsmann des mitteleuropäischen Gemeinschaftlebens aber war und blieb es in der Tat erste Pflicht, Rußland und Frankreich auseinander¬ zuhalten und ihrer Angriffslust nach Möglichkeit jede Nahrung zu entziehen. Kaiser Karl des Fünften Wort: „Wenn Wien und Straßburg zu gleicher Zeit bedroht seien, würde er zuerst zum Rhein eilen", konnte im' neuen Habsburger Doppelreiche erst nach harter Prüfung wieder Geltung gewinnen. „ „Die ersten Bündnisverhaudlungen, die zeitlich unmittelbar an den Abschluß mit Österreich-Ungarn anknüpfen, sind aus demselben Geiste geboren wie das Bündnis von 1879 und daher geeignet, seinen Sinn noch deutlicher herauszu¬ stellen." Dank der persönlichen Fürsprache Fürst.Karls von Rumänien, den als Ministerpräsident der ältere Bratianu kräftig und gewandt unterstützte, wurde der Wall Mitteleuropas gegen Rußland im Herbst 1883 bis zum Schwarzen Meer verlängert. Im Jahre zuvor holte Italien nach der Besetzung von Tunis durch Frankreich offen Halt und Schutz bei den beiden Mittelmächten gesucht. Nur so glaubte es der völligen Isolierung am Mittelmeer entrinnen zu können, die seine weltpolitische Großmannssucht schärfer und empfindlicher bedrohte als der nationale Gegensatz gegen Osterreich, der trotz des neuen Bündnisses lebendig blieb. Im Sinne der'mitteleuropäischen Gesamtpolitik war damit der schwächste Partner, der Habsburgische Nationalitätenstaat, durch den Anschluß von Rumänien und Italien wesentlich entlastet. In Siebenbürgen, am Jsonzo und in Welschtirol wurde die Gefahr der Jrredenta zunächst beschworen. Der Neubau des Deutschen Reiches dagegen ertrug willig die drückende Last der polnischen und elsaß-lothringischen Hypothek, so lange nur das Bündnis mit Österreich den europäischen Frieden ge¬ währleistete. Gestützt aus die guten Beziehungen, die England zum Dreibund als den Gegner seiner weltpolitischen Nachbarn, Nußland und Frankreich, pflog, konnte Bismarck sogar an die Gewinnung außereuropäischer Stützpunkte für Deutsch¬ lands Weltgeltung denken. In all diesen Wandlungen aber blieb sich der deutsche Reichskanzler stets der Gefahr bewußt, die selbst der neuen mitteleuropäischen Gemeinschaft von einem Zweifrontenkriege drohte. Die Pflege überlieferter Freundschaft mit Rußland sah er daher nach wie vor als Pflicht der Realpolitik an, der er durch den RückVer¬ sicherungsvertrag von 1887 meisterhaft entsprach. Mit ihm schob er nicht nur den Zusammenschluß des Zarenreiches mit Frankreich gerade über die Jahre erhöhter Revanchelust und der Rüstungen Boulangers hinaus. Auch die Annäherung Eng¬ lands an den Dreibund, die uns den unschätzbaren Gewinn Helgolands brachte, wurde durch den weltpolitischen Zwang, den Bismarck durch das Übereinkommen mit Rußland mittelbar aus Großbritannien ausübte, aufs trefflichste vorbereitet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/366>, abgerufen am 22.07.2024.