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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Selbstbesinnung

Lösung, wie die Geschichte aller Zeiten lehrt, eben nicht möglich. Wir müssen zu
dem deutschen Wesen, das sich ja in diesen erhabenen Zeiten wie in der tausend¬
jährigen Vergangenheit so herrlich -- individualistisch wie sozial -- offenbart hat,
das Vertrauen hegen, daß es sich des rechten Weges wohl bewußt sei. Nur muß
jeder Volksgenosse sein Deutschtum nicht nur als Zustand, sondern auch als Auf¬
gabe empfinden, als Verpflichtung gegenüber allen anderen Volksangehörigen.
Eine Förderung des sozialen Empfindens ist es also auch, wenn wir das Deutsch¬
bewußtsein fördern. Halten wir also deutschen Geist, deutsches Wesen, Denken
und Fühlen hoch, daß es voranleuchte der großen Schar der völkisch Unbewußten,
die nur zu Zeiten großen Geschehens durch den Strahl tödlicher Blitze über ihre
Lage aufgeklärt worden sind und geblendet zugleich.

Für die große Menge der Deutschen sind zur völkischen Selbstbesinnung
die vorhin erwähnten Zeugen des In- und Auslandes nicht verwendbar, auch
nicht die philosophische .Klärung kann ihnen förderlich sein. Es gilt ihr inneres
Wesen zu wecken zu bewußtem Handeln im Sinne ihres Nationalcharakters. Das
geschieht, indem man ihnen fremde Einflüsse fernhält und sie mit offenem, unvor¬
eingenommenem Blicke deutsches Schaffe" und deutsches Denken aufnehmen läßt,
so daß sie ein Teil werden dieser deutschen Welt und schließlich unempfänglich
für jede Art von Ausländerei. Wohl bleibt ihnen ausländische Wesensart nicht
fremd, aber sie unterscheiden sich bewußt von ihr. Ein solches Jmmunwerden
gegen entfremdende Einflüsse ist unserer empfänglichen Generation noch etwas Un¬
erhörtes; und doch muß es erreicht werden, damit unsere Nachkommen das teure
Gut des deutschen Wesens ungeschmälert empfangen. Der Gefahren sind heute zu viele.

, Man sollte meinen, nur eine lange Menschenbeobachtung könne dahin
führen, das Ziel gefestigten Deutschbewußt'seins zu erreichen. Aber sie kann bis
zu einem gewissen Grade ersetzt werden durch die Empirie der Geschichte.

Diese Forderung stellen bedeutet eine Betrachtung historischen Geschehens
verlangen, die in unserer Vergangenheit stets das Eigengut zu erkennen strebt und
es scheidet von dem Fremden, was uns als dem Volte der Mitte von jeher
überreich zugeflossen ist. Schon vor dem Kriege ist derartiges versucht worden,
oft mit unzureichenden Mitteln und unter unzulässigen Voraussetzungen. Auch
hier hat der Krieg die Frage dringender gestellt. Das Weltgeschehen beeinflußt
auch die stille Arbeit der Wissenschaft.

Ein junger Heidelberger Gelehrter, Richard Benz, läßt soeben bei Diederichs
in Jena eine Folge "Blätter für deutsche Art und Kunst" erscheinen*), die nichts
Geringeres bezwecken als diese Frage für das Gebiet der höchsten Wesensleistung,
der Kunst, zu lösen. Er führt aus, daß die deutsche Kunst, ursprünglich in der
Religion begründet, von der kultischen Andacht des Beschauers getragen, durch
die Einflüsse fremder Elemente, die als "Renaissance" zusammenzufassen sind, sich
vom Leben gelöst und sich aus einer Ausdruckskunst in eine solche gewandelt hat,
der die Darstellung alles ist, die Vergnügen zu bereiten hat; um dieses Vergnügen
zu empfinden, gilt es ein Kenner zu werden, seinen Geschmack zum Kunstgenuß
zu Schulen. Eine unvolkstümliche Bitdungsatmosphäre, in die man nur durch
eine auf der Renaissance aufgebaute Schulung eindringen kann, hat maßgebende
Geltung erlangt. Insbesondere unser Verhältnis zum Kunstwerk ist auf intellek-
tucüistische Voraussetzungen gestellt worden, die das Erlebnis ausschließen. Wir
befinden uns mithin in einem Zustand den Künsten gegenüber, der fast aus allen
Gebieten das Gegenteil des germanischen Empfindens bedeutet. Mit den Aus¬
führungen von Benz wird sich die Wissenschaft und die Kulturphilosophie noch
auseinandersetzen müssen; hier mußten ein paar Andeutungen genügen. Daß
Benz diese Fragen überhaupt aufwirft, ist schon Förderung, selbst wenn sich
manches als nicht haltbar oder als allzusehr zugespitzt, als ohne hinreichende



*) Heft t: "Die Renaissance, das Verhängnis der deutschen Kultur"; Heft 2: "Ver¬
kündiger deutscher Kunst"; Heft 3 und 4: "Die Grundlagen der deutschen Kunst", I. Mittel-
alter. Jena 19es/es, Diederichs.
Deutsche Selbstbesinnung

Lösung, wie die Geschichte aller Zeiten lehrt, eben nicht möglich. Wir müssen zu
dem deutschen Wesen, das sich ja in diesen erhabenen Zeiten wie in der tausend¬
jährigen Vergangenheit so herrlich — individualistisch wie sozial — offenbart hat,
das Vertrauen hegen, daß es sich des rechten Weges wohl bewußt sei. Nur muß
jeder Volksgenosse sein Deutschtum nicht nur als Zustand, sondern auch als Auf¬
gabe empfinden, als Verpflichtung gegenüber allen anderen Volksangehörigen.
Eine Förderung des sozialen Empfindens ist es also auch, wenn wir das Deutsch¬
bewußtsein fördern. Halten wir also deutschen Geist, deutsches Wesen, Denken
und Fühlen hoch, daß es voranleuchte der großen Schar der völkisch Unbewußten,
die nur zu Zeiten großen Geschehens durch den Strahl tödlicher Blitze über ihre
Lage aufgeklärt worden sind und geblendet zugleich.

Für die große Menge der Deutschen sind zur völkischen Selbstbesinnung
die vorhin erwähnten Zeugen des In- und Auslandes nicht verwendbar, auch
nicht die philosophische .Klärung kann ihnen förderlich sein. Es gilt ihr inneres
Wesen zu wecken zu bewußtem Handeln im Sinne ihres Nationalcharakters. Das
geschieht, indem man ihnen fremde Einflüsse fernhält und sie mit offenem, unvor¬
eingenommenem Blicke deutsches Schaffe» und deutsches Denken aufnehmen läßt,
so daß sie ein Teil werden dieser deutschen Welt und schließlich unempfänglich
für jede Art von Ausländerei. Wohl bleibt ihnen ausländische Wesensart nicht
fremd, aber sie unterscheiden sich bewußt von ihr. Ein solches Jmmunwerden
gegen entfremdende Einflüsse ist unserer empfänglichen Generation noch etwas Un¬
erhörtes; und doch muß es erreicht werden, damit unsere Nachkommen das teure
Gut des deutschen Wesens ungeschmälert empfangen. Der Gefahren sind heute zu viele.

, Man sollte meinen, nur eine lange Menschenbeobachtung könne dahin
führen, das Ziel gefestigten Deutschbewußt'seins zu erreichen. Aber sie kann bis
zu einem gewissen Grade ersetzt werden durch die Empirie der Geschichte.

Diese Forderung stellen bedeutet eine Betrachtung historischen Geschehens
verlangen, die in unserer Vergangenheit stets das Eigengut zu erkennen strebt und
es scheidet von dem Fremden, was uns als dem Volte der Mitte von jeher
überreich zugeflossen ist. Schon vor dem Kriege ist derartiges versucht worden,
oft mit unzureichenden Mitteln und unter unzulässigen Voraussetzungen. Auch
hier hat der Krieg die Frage dringender gestellt. Das Weltgeschehen beeinflußt
auch die stille Arbeit der Wissenschaft.

Ein junger Heidelberger Gelehrter, Richard Benz, läßt soeben bei Diederichs
in Jena eine Folge „Blätter für deutsche Art und Kunst" erscheinen*), die nichts
Geringeres bezwecken als diese Frage für das Gebiet der höchsten Wesensleistung,
der Kunst, zu lösen. Er führt aus, daß die deutsche Kunst, ursprünglich in der
Religion begründet, von der kultischen Andacht des Beschauers getragen, durch
die Einflüsse fremder Elemente, die als „Renaissance" zusammenzufassen sind, sich
vom Leben gelöst und sich aus einer Ausdruckskunst in eine solche gewandelt hat,
der die Darstellung alles ist, die Vergnügen zu bereiten hat; um dieses Vergnügen
zu empfinden, gilt es ein Kenner zu werden, seinen Geschmack zum Kunstgenuß
zu Schulen. Eine unvolkstümliche Bitdungsatmosphäre, in die man nur durch
eine auf der Renaissance aufgebaute Schulung eindringen kann, hat maßgebende
Geltung erlangt. Insbesondere unser Verhältnis zum Kunstwerk ist auf intellek-
tucüistische Voraussetzungen gestellt worden, die das Erlebnis ausschließen. Wir
befinden uns mithin in einem Zustand den Künsten gegenüber, der fast aus allen
Gebieten das Gegenteil des germanischen Empfindens bedeutet. Mit den Aus¬
führungen von Benz wird sich die Wissenschaft und die Kulturphilosophie noch
auseinandersetzen müssen; hier mußten ein paar Andeutungen genügen. Daß
Benz diese Fragen überhaupt aufwirft, ist schon Förderung, selbst wenn sich
manches als nicht haltbar oder als allzusehr zugespitzt, als ohne hinreichende



*) Heft t: „Die Renaissance, das Verhängnis der deutschen Kultur"; Heft 2: „Ver¬
kündiger deutscher Kunst"; Heft 3 und 4: „Die Grundlagen der deutschen Kunst", I. Mittel-
alter. Jena 19es/es, Diederichs.
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[0360] Deutsche Selbstbesinnung Lösung, wie die Geschichte aller Zeiten lehrt, eben nicht möglich. Wir müssen zu dem deutschen Wesen, das sich ja in diesen erhabenen Zeiten wie in der tausend¬ jährigen Vergangenheit so herrlich — individualistisch wie sozial — offenbart hat, das Vertrauen hegen, daß es sich des rechten Weges wohl bewußt sei. Nur muß jeder Volksgenosse sein Deutschtum nicht nur als Zustand, sondern auch als Auf¬ gabe empfinden, als Verpflichtung gegenüber allen anderen Volksangehörigen. Eine Förderung des sozialen Empfindens ist es also auch, wenn wir das Deutsch¬ bewußtsein fördern. Halten wir also deutschen Geist, deutsches Wesen, Denken und Fühlen hoch, daß es voranleuchte der großen Schar der völkisch Unbewußten, die nur zu Zeiten großen Geschehens durch den Strahl tödlicher Blitze über ihre Lage aufgeklärt worden sind und geblendet zugleich. Für die große Menge der Deutschen sind zur völkischen Selbstbesinnung die vorhin erwähnten Zeugen des In- und Auslandes nicht verwendbar, auch nicht die philosophische .Klärung kann ihnen förderlich sein. Es gilt ihr inneres Wesen zu wecken zu bewußtem Handeln im Sinne ihres Nationalcharakters. Das geschieht, indem man ihnen fremde Einflüsse fernhält und sie mit offenem, unvor¬ eingenommenem Blicke deutsches Schaffe» und deutsches Denken aufnehmen läßt, so daß sie ein Teil werden dieser deutschen Welt und schließlich unempfänglich für jede Art von Ausländerei. Wohl bleibt ihnen ausländische Wesensart nicht fremd, aber sie unterscheiden sich bewußt von ihr. Ein solches Jmmunwerden gegen entfremdende Einflüsse ist unserer empfänglichen Generation noch etwas Un¬ erhörtes; und doch muß es erreicht werden, damit unsere Nachkommen das teure Gut des deutschen Wesens ungeschmälert empfangen. Der Gefahren sind heute zu viele. , Man sollte meinen, nur eine lange Menschenbeobachtung könne dahin führen, das Ziel gefestigten Deutschbewußt'seins zu erreichen. Aber sie kann bis zu einem gewissen Grade ersetzt werden durch die Empirie der Geschichte. Diese Forderung stellen bedeutet eine Betrachtung historischen Geschehens verlangen, die in unserer Vergangenheit stets das Eigengut zu erkennen strebt und es scheidet von dem Fremden, was uns als dem Volte der Mitte von jeher überreich zugeflossen ist. Schon vor dem Kriege ist derartiges versucht worden, oft mit unzureichenden Mitteln und unter unzulässigen Voraussetzungen. Auch hier hat der Krieg die Frage dringender gestellt. Das Weltgeschehen beeinflußt auch die stille Arbeit der Wissenschaft. Ein junger Heidelberger Gelehrter, Richard Benz, läßt soeben bei Diederichs in Jena eine Folge „Blätter für deutsche Art und Kunst" erscheinen*), die nichts Geringeres bezwecken als diese Frage für das Gebiet der höchsten Wesensleistung, der Kunst, zu lösen. Er führt aus, daß die deutsche Kunst, ursprünglich in der Religion begründet, von der kultischen Andacht des Beschauers getragen, durch die Einflüsse fremder Elemente, die als „Renaissance" zusammenzufassen sind, sich vom Leben gelöst und sich aus einer Ausdruckskunst in eine solche gewandelt hat, der die Darstellung alles ist, die Vergnügen zu bereiten hat; um dieses Vergnügen zu empfinden, gilt es ein Kenner zu werden, seinen Geschmack zum Kunstgenuß zu Schulen. Eine unvolkstümliche Bitdungsatmosphäre, in die man nur durch eine auf der Renaissance aufgebaute Schulung eindringen kann, hat maßgebende Geltung erlangt. Insbesondere unser Verhältnis zum Kunstwerk ist auf intellek- tucüistische Voraussetzungen gestellt worden, die das Erlebnis ausschließen. Wir befinden uns mithin in einem Zustand den Künsten gegenüber, der fast aus allen Gebieten das Gegenteil des germanischen Empfindens bedeutet. Mit den Aus¬ führungen von Benz wird sich die Wissenschaft und die Kulturphilosophie noch auseinandersetzen müssen; hier mußten ein paar Andeutungen genügen. Daß Benz diese Fragen überhaupt aufwirft, ist schon Förderung, selbst wenn sich manches als nicht haltbar oder als allzusehr zugespitzt, als ohne hinreichende *) Heft t: „Die Renaissance, das Verhängnis der deutschen Kultur"; Heft 2: „Ver¬ kündiger deutscher Kunst"; Heft 3 und 4: „Die Grundlagen der deutschen Kunst", I. Mittel- alter. Jena 19es/es, Diederichs.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/360>, abgerufen am 22.07.2024.