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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Nationalliberale Auffassung der Wahlrechtsfrage

schon jetzt Stellung zu nehmen, so bedauerlich war doch diese Tatsache. Der Streit,
ob die Wahlrechtsfrage von größerer oder geringerer Bedeutung für Volk und Vater¬
land ist, ist müßig; wie so oft in der Politik kommt es nicht auf die Tatsache als
solche an, sondern auf die Bedeutung, die ihr beigemessen wird, und da kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß weite Schichten des Volkes die Frage des Wahlrechtes
als den Prüfstein dafür betrachten, in welchem Maße die Regierung in der
Folgezeit mit dem Volke zusammenarbeiten will, und diese Frage ist so stark in
den Vordergrund geschoben worden, daß andere, vielleicht gleich wichtige Fragen, wie
z. B. die Ausdehnung der Bureaukratie, weit mehr in den Hintergrund getreten
sind, als es für das Staatswohl notwendig wäre. Die Wahlrechtsfrage ist so
vielseitig erörtert worden, daß sich etwas Neues über dieselbe kaum noch sagen
läßt. Wenn in einer derartigen altbekannten und im Vordergrunde des Interesses
stehenden Frage die Partei nicht geschlossen Stellung nimmt, so wird dies ihre An¬
hänger vielfach in Verwirrung bringen, diejenigen aber, die im Laufe des Krieges sich
zur Anhängerschaft -an die Partei durchgerungen haben, zurückschrecken. Die
Wirkung, die diese Haltung der Fraktion auf die Partei ausübt, kann nicht anders
als unheilbringend sein.

Vom Standpunkt des einzelnen Individuums aus kann die Wahlrechtsfrage
mit Erfolg überhaupt nicht erörtert werden. Weder Besitz noch Bildung, weder
Alter noch Familienstand, weder Amt noch Beschäftigung geben einen Maßstab
für die politische Reife des einzelnen. Auch der Umstand, daß jemand Jahre
hindurch sein Leben im Interesse des Staates in die Schanzen geschlagen hat,
bietet keine Gewähr dafür, daß sein politisches Verständnis sich vergrößert Hut.
Mißmut und Verärgerung, Verengerung des Horizontes, jahrelanges Getrennt¬
sein vom Vaterlande können das Gegenteil bewirkt und den Sinn für das
Wesentliche abgestumpft haben. Gibt es aber keinen Maßstab für die Einschätzung
des einzelnen in seinem politischen Verständnisse, so gibt es nur zwei Möglichkeiten,
entweder man verwirft überhaupt Wahlen und kehrt damit zum absoluten Staate
zurück, oder aber man zählt lediglich die Stimmen im ganzen Staate und berechnet
sie nach dem System der Verhältniswahl, so daß die Gewählten genau der Zahl
ihrer Anhänger im ganzen Staate entsprechen. Die Rückkehr zum absoluten Staate
wird heute kein Einsichtiger wollen, während der andere Weg, die Durchführung
des sozialdemokratischen Ideals, zu der größtmöglichen Ungerechtigkeit führt, es
erstickt die weniger zahlreichen Volksschichten zugunsten der großen Menge und
setzt wertvolle Güter im Staate auf das Spiel. Und die vornehmste Aufgabe
des Staates, die Hilfsbedürftigen, soweit sie der Hilfe wert sind, zu stützen, wird
ihm dadurch unmöglich gemacht, die Gesellschaft frißt den Staat auf und macht
ihn überflüssig.

Hieraus folgt mit zwingender Notwendigkeit, daß die Frage des Wahlrechts
nicht vom Standpunkte des einzelnen, sondern nur vom Standpunkte des Staates
aus gelöst werden kann. Das Naturrecht hat sich überall als ein Irrweg gezeigt,
nur in der Frage des Wahlrechts hält man vielfach noch immer an dem Irrwahne
fest, daß mit jedem Staatsbürger das ihm zukommende Wahlrecht geboren werde.
Das sachliche und das geistige Eigentum, die Vertrags- und Handlungsfreiheit
dürfen heute nur insoweit betätigt werden, als sie im Interesse des vom
Staate repräsentierten Ganzen nicht schädlich wirken. Nur bezüglich der Frage
des Wahlrechts geht man noch immer von längst als falsch erkannten Grundsätzen
aus, und dies tut gerade die sozialdemokratische Partei, die im übrigen die
staatliche Beschränkung des einzelnen nicht scharf genug betonen kann.

Geht man aber vom Standpunkte des Staates aus, so kann die Frage
nur gestellt werden: Welches Wahlrecht ist heute für den preußischen Staat das
beste, und welches setzt ihn den geringsten Erschütterungen aus? Diese Frage
aber wird nicht dadurch gelöst, daß man auf die zu erwartende Demokratisierung
des Abgeordnetenhauses und ihre Folgeerscheinung hinweist. Daß hier schwere
Unzuträglichkeiten in bezug auf die Kultur, die Ostmarken, die Steuerpolitik
möglich sind, wird kein politisch Einsichtiger in Zweifel ziehen können. Dennoch


Nationalliberale Auffassung der Wahlrechtsfrage

schon jetzt Stellung zu nehmen, so bedauerlich war doch diese Tatsache. Der Streit,
ob die Wahlrechtsfrage von größerer oder geringerer Bedeutung für Volk und Vater¬
land ist, ist müßig; wie so oft in der Politik kommt es nicht auf die Tatsache als
solche an, sondern auf die Bedeutung, die ihr beigemessen wird, und da kann es keinem
Zweifel unterliegen, daß weite Schichten des Volkes die Frage des Wahlrechtes
als den Prüfstein dafür betrachten, in welchem Maße die Regierung in der
Folgezeit mit dem Volke zusammenarbeiten will, und diese Frage ist so stark in
den Vordergrund geschoben worden, daß andere, vielleicht gleich wichtige Fragen, wie
z. B. die Ausdehnung der Bureaukratie, weit mehr in den Hintergrund getreten
sind, als es für das Staatswohl notwendig wäre. Die Wahlrechtsfrage ist so
vielseitig erörtert worden, daß sich etwas Neues über dieselbe kaum noch sagen
läßt. Wenn in einer derartigen altbekannten und im Vordergrunde des Interesses
stehenden Frage die Partei nicht geschlossen Stellung nimmt, so wird dies ihre An¬
hänger vielfach in Verwirrung bringen, diejenigen aber, die im Laufe des Krieges sich
zur Anhängerschaft -an die Partei durchgerungen haben, zurückschrecken. Die
Wirkung, die diese Haltung der Fraktion auf die Partei ausübt, kann nicht anders
als unheilbringend sein.

Vom Standpunkt des einzelnen Individuums aus kann die Wahlrechtsfrage
mit Erfolg überhaupt nicht erörtert werden. Weder Besitz noch Bildung, weder
Alter noch Familienstand, weder Amt noch Beschäftigung geben einen Maßstab
für die politische Reife des einzelnen. Auch der Umstand, daß jemand Jahre
hindurch sein Leben im Interesse des Staates in die Schanzen geschlagen hat,
bietet keine Gewähr dafür, daß sein politisches Verständnis sich vergrößert Hut.
Mißmut und Verärgerung, Verengerung des Horizontes, jahrelanges Getrennt¬
sein vom Vaterlande können das Gegenteil bewirkt und den Sinn für das
Wesentliche abgestumpft haben. Gibt es aber keinen Maßstab für die Einschätzung
des einzelnen in seinem politischen Verständnisse, so gibt es nur zwei Möglichkeiten,
entweder man verwirft überhaupt Wahlen und kehrt damit zum absoluten Staate
zurück, oder aber man zählt lediglich die Stimmen im ganzen Staate und berechnet
sie nach dem System der Verhältniswahl, so daß die Gewählten genau der Zahl
ihrer Anhänger im ganzen Staate entsprechen. Die Rückkehr zum absoluten Staate
wird heute kein Einsichtiger wollen, während der andere Weg, die Durchführung
des sozialdemokratischen Ideals, zu der größtmöglichen Ungerechtigkeit führt, es
erstickt die weniger zahlreichen Volksschichten zugunsten der großen Menge und
setzt wertvolle Güter im Staate auf das Spiel. Und die vornehmste Aufgabe
des Staates, die Hilfsbedürftigen, soweit sie der Hilfe wert sind, zu stützen, wird
ihm dadurch unmöglich gemacht, die Gesellschaft frißt den Staat auf und macht
ihn überflüssig.

Hieraus folgt mit zwingender Notwendigkeit, daß die Frage des Wahlrechts
nicht vom Standpunkte des einzelnen, sondern nur vom Standpunkte des Staates
aus gelöst werden kann. Das Naturrecht hat sich überall als ein Irrweg gezeigt,
nur in der Frage des Wahlrechts hält man vielfach noch immer an dem Irrwahne
fest, daß mit jedem Staatsbürger das ihm zukommende Wahlrecht geboren werde.
Das sachliche und das geistige Eigentum, die Vertrags- und Handlungsfreiheit
dürfen heute nur insoweit betätigt werden, als sie im Interesse des vom
Staate repräsentierten Ganzen nicht schädlich wirken. Nur bezüglich der Frage
des Wahlrechts geht man noch immer von längst als falsch erkannten Grundsätzen
aus, und dies tut gerade die sozialdemokratische Partei, die im übrigen die
staatliche Beschränkung des einzelnen nicht scharf genug betonen kann.

Geht man aber vom Standpunkte des Staates aus, so kann die Frage
nur gestellt werden: Welches Wahlrecht ist heute für den preußischen Staat das
beste, und welches setzt ihn den geringsten Erschütterungen aus? Diese Frage
aber wird nicht dadurch gelöst, daß man auf die zu erwartende Demokratisierung
des Abgeordnetenhauses und ihre Folgeerscheinung hinweist. Daß hier schwere
Unzuträglichkeiten in bezug auf die Kultur, die Ostmarken, die Steuerpolitik
möglich sind, wird kein politisch Einsichtiger in Zweifel ziehen können. Dennoch


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[0306] Nationalliberale Auffassung der Wahlrechtsfrage schon jetzt Stellung zu nehmen, so bedauerlich war doch diese Tatsache. Der Streit, ob die Wahlrechtsfrage von größerer oder geringerer Bedeutung für Volk und Vater¬ land ist, ist müßig; wie so oft in der Politik kommt es nicht auf die Tatsache als solche an, sondern auf die Bedeutung, die ihr beigemessen wird, und da kann es keinem Zweifel unterliegen, daß weite Schichten des Volkes die Frage des Wahlrechtes als den Prüfstein dafür betrachten, in welchem Maße die Regierung in der Folgezeit mit dem Volke zusammenarbeiten will, und diese Frage ist so stark in den Vordergrund geschoben worden, daß andere, vielleicht gleich wichtige Fragen, wie z. B. die Ausdehnung der Bureaukratie, weit mehr in den Hintergrund getreten sind, als es für das Staatswohl notwendig wäre. Die Wahlrechtsfrage ist so vielseitig erörtert worden, daß sich etwas Neues über dieselbe kaum noch sagen läßt. Wenn in einer derartigen altbekannten und im Vordergrunde des Interesses stehenden Frage die Partei nicht geschlossen Stellung nimmt, so wird dies ihre An¬ hänger vielfach in Verwirrung bringen, diejenigen aber, die im Laufe des Krieges sich zur Anhängerschaft -an die Partei durchgerungen haben, zurückschrecken. Die Wirkung, die diese Haltung der Fraktion auf die Partei ausübt, kann nicht anders als unheilbringend sein. Vom Standpunkt des einzelnen Individuums aus kann die Wahlrechtsfrage mit Erfolg überhaupt nicht erörtert werden. Weder Besitz noch Bildung, weder Alter noch Familienstand, weder Amt noch Beschäftigung geben einen Maßstab für die politische Reife des einzelnen. Auch der Umstand, daß jemand Jahre hindurch sein Leben im Interesse des Staates in die Schanzen geschlagen hat, bietet keine Gewähr dafür, daß sein politisches Verständnis sich vergrößert Hut. Mißmut und Verärgerung, Verengerung des Horizontes, jahrelanges Getrennt¬ sein vom Vaterlande können das Gegenteil bewirkt und den Sinn für das Wesentliche abgestumpft haben. Gibt es aber keinen Maßstab für die Einschätzung des einzelnen in seinem politischen Verständnisse, so gibt es nur zwei Möglichkeiten, entweder man verwirft überhaupt Wahlen und kehrt damit zum absoluten Staate zurück, oder aber man zählt lediglich die Stimmen im ganzen Staate und berechnet sie nach dem System der Verhältniswahl, so daß die Gewählten genau der Zahl ihrer Anhänger im ganzen Staate entsprechen. Die Rückkehr zum absoluten Staate wird heute kein Einsichtiger wollen, während der andere Weg, die Durchführung des sozialdemokratischen Ideals, zu der größtmöglichen Ungerechtigkeit führt, es erstickt die weniger zahlreichen Volksschichten zugunsten der großen Menge und setzt wertvolle Güter im Staate auf das Spiel. Und die vornehmste Aufgabe des Staates, die Hilfsbedürftigen, soweit sie der Hilfe wert sind, zu stützen, wird ihm dadurch unmöglich gemacht, die Gesellschaft frißt den Staat auf und macht ihn überflüssig. Hieraus folgt mit zwingender Notwendigkeit, daß die Frage des Wahlrechts nicht vom Standpunkte des einzelnen, sondern nur vom Standpunkte des Staates aus gelöst werden kann. Das Naturrecht hat sich überall als ein Irrweg gezeigt, nur in der Frage des Wahlrechts hält man vielfach noch immer an dem Irrwahne fest, daß mit jedem Staatsbürger das ihm zukommende Wahlrecht geboren werde. Das sachliche und das geistige Eigentum, die Vertrags- und Handlungsfreiheit dürfen heute nur insoweit betätigt werden, als sie im Interesse des vom Staate repräsentierten Ganzen nicht schädlich wirken. Nur bezüglich der Frage des Wahlrechts geht man noch immer von längst als falsch erkannten Grundsätzen aus, und dies tut gerade die sozialdemokratische Partei, die im übrigen die staatliche Beschränkung des einzelnen nicht scharf genug betonen kann. Geht man aber vom Standpunkte des Staates aus, so kann die Frage nur gestellt werden: Welches Wahlrecht ist heute für den preußischen Staat das beste, und welches setzt ihn den geringsten Erschütterungen aus? Diese Frage aber wird nicht dadurch gelöst, daß man auf die zu erwartende Demokratisierung des Abgeordnetenhauses und ihre Folgeerscheinung hinweist. Daß hier schwere Unzuträglichkeiten in bezug auf die Kultur, die Ostmarken, die Steuerpolitik möglich sind, wird kein politisch Einsichtiger in Zweifel ziehen können. Dennoch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/306>, abgerufen am 25.08.2024.