Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Bei der Frage der Demokratisierung unserer Gemeinden ist noch ein wich¬
tiger Gesichtspunkt zu würdigen, der leider in den gegenwärtigen Verhandlungen
meistens übersehen wird"). Setzt sich eine Partei einer Gemeinde in den Besitz
der Herrschaft, so verleiht ihr das weiter zugleich sür das gesamte Stnatswesen
erhöhte Macht. Denken wir uns den Fall, daß die Sozialdemokratie eine große
Zahl von Gemeinden -- und darunter solche mit maßgebender Bedeutung für
das öffentliche Leben, wie Berlin und Hamburg-- beherrscht, so würde das eine
starke Rückwirkung für die Sozialdemokratie im gesamten deutschen Staatsleben
ausüben. Die Erinnerung an die Bedeutung von Paris im französischen politischen
Leben und der Blick auf Petersburg im gegenwärtigen Nußland sprechen hier
Bände. Wenn Berlin bisher die deutsche Öffentlichkeit weniger beeinflußt hat,
so liegt das wesentlich an den Schranken, die die preußische Stadtverfassung der
Demokratie zieht. Man vergegenwärtige sich doch einmal die Wirkungen einer
tobenden Stadtverordnetenversammlung mit bedeutender sozialdemokratischer Mehr¬
heit in Berlin und die Machtmittel der Stadt in ihrer Hand. Würden wir unter
solchen Verhältnissen Krieg und Streik so gut überstehen können wie jetzt?

Es ließe sich wohl der Satz verteidigen: die Einführung des NeichstagS-
wahlrechts in Preußen wäre weniger bedenklich, wenn es nicht auch' in den Ge¬
meinden eingeführt wird. Indessen wir sehen ja voraus (und auch Dr. Reiche
deutet es an), daß das eine das andere nach sich ziehen würde. Darum sehen
die Gegner der Demokratisierung der Gemeinden der völligen Demokratisierung
des preußischen Abgeordnetenhauses mit großem Bedenken entgegen.

Ich wende mich nunmehr den besonderen Darlegungen Dr. Reiches zu.
Es erleichtert unsere Auseinandersetzung, daß er in der Abschätzung der Wirkung
der völligen Demokratisierung der Gemeinden mit mir insofern einig ist, als auch
er von ihr die Beherrschung-des Stadtverordnetenkollegiums und des Magistrats
durch die Sozialdemokratie in einer großen Zahl von großen und kleinen Städten
erwartet.

Dr. Reiche meint, daß von den kommunalen Ausgaben der Ortspolizei, des
Schulwesens, der Bauten, des Armenwesens, der Steuererhebung "die letzten drei
Punkte wohl keinem Bedenken unterliegen". Von der Steuererhebung erklärt er,
sie sei "ja nur eine rein technische Arbeit". So einfach steht die Sache doch
keineswegs! Wir haben ja beobachtet, daß die Finanzen der verschiedenen Städte
sich sehr verschieden gestaltet haben, je nachdem die Stadtverwaltungen gut oder
schlecht gewirtschaftet, eine waghalsige oder vorsichtige Steuer- und Finanzpolitik
getrieben haben. Ein warnendes Beispiel liefert die Geschichte der Stadt Offen¬
bach a. M., deren Finanzen gerade unter dem starken Einfluß der'Sozialdemokraten
eine unerfreuliche Gestalt angenommen haben. Ein Mißbrauch der Finanzgewalt
durch eine sozialdemokratische Mehrheit ist sehr Wohl denkbar. Dr. Reiche fährt
fort: "Das Armenwesen wird ebenso unter demokratischer Verwaltung gedeihen
wie unter der bisherigen und die öffentlichen Bauten desgleichen, da hierfür ja
doch hauptsächlich Fachmänner in Betracht kämen, die als besoldete Genieinde¬
beamte bzw. Magistratsmitglieder angestellt oder gewählt werden müssen." Hierzu
ist zunächst zu bemerken, daß die "Fachmänner" nicht lediglich nach eigenem sach¬
verständigen Ermessen handeln können, sondern von der politischen Gewalt ab¬
hängig sind, die sie anstellt. Wird ein sozialdcmokratischer Magistrat dem "Fach¬
mann", der seiner eigenen Überzeugung folgen will, immer freien Spielraum
lassen? Dr. Reiche erhofft ferner eine Besserung der städtischen VerlMnisse im
Armen- und Bauwesen von der Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses.
Wenn wir hieraus zunächst erwidern müssen, daß die städtische Armen- und Bau¬
verwaltung keineswegs einseitig auf die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten
Rücksichten genommen hat, vielmehr sich von weiten und großen Gesichtspunkten
leiten läßt und emsig auf weitere Fortschritte im echt sozialen Sinn bedacht ist,



*) Über die Wechselwirkung von Gemeinde- und staatlichem Wahlrecht, von Landtags¬
und Reichstagswahlrecht habe ich mich in der genannten Schrift eingehend geäußert.

Bei der Frage der Demokratisierung unserer Gemeinden ist noch ein wich¬
tiger Gesichtspunkt zu würdigen, der leider in den gegenwärtigen Verhandlungen
meistens übersehen wird"). Setzt sich eine Partei einer Gemeinde in den Besitz
der Herrschaft, so verleiht ihr das weiter zugleich sür das gesamte Stnatswesen
erhöhte Macht. Denken wir uns den Fall, daß die Sozialdemokratie eine große
Zahl von Gemeinden — und darunter solche mit maßgebender Bedeutung für
das öffentliche Leben, wie Berlin und Hamburg— beherrscht, so würde das eine
starke Rückwirkung für die Sozialdemokratie im gesamten deutschen Staatsleben
ausüben. Die Erinnerung an die Bedeutung von Paris im französischen politischen
Leben und der Blick auf Petersburg im gegenwärtigen Nußland sprechen hier
Bände. Wenn Berlin bisher die deutsche Öffentlichkeit weniger beeinflußt hat,
so liegt das wesentlich an den Schranken, die die preußische Stadtverfassung der
Demokratie zieht. Man vergegenwärtige sich doch einmal die Wirkungen einer
tobenden Stadtverordnetenversammlung mit bedeutender sozialdemokratischer Mehr¬
heit in Berlin und die Machtmittel der Stadt in ihrer Hand. Würden wir unter
solchen Verhältnissen Krieg und Streik so gut überstehen können wie jetzt?

Es ließe sich wohl der Satz verteidigen: die Einführung des NeichstagS-
wahlrechts in Preußen wäre weniger bedenklich, wenn es nicht auch' in den Ge¬
meinden eingeführt wird. Indessen wir sehen ja voraus (und auch Dr. Reiche
deutet es an), daß das eine das andere nach sich ziehen würde. Darum sehen
die Gegner der Demokratisierung der Gemeinden der völligen Demokratisierung
des preußischen Abgeordnetenhauses mit großem Bedenken entgegen.

Ich wende mich nunmehr den besonderen Darlegungen Dr. Reiches zu.
Es erleichtert unsere Auseinandersetzung, daß er in der Abschätzung der Wirkung
der völligen Demokratisierung der Gemeinden mit mir insofern einig ist, als auch
er von ihr die Beherrschung-des Stadtverordnetenkollegiums und des Magistrats
durch die Sozialdemokratie in einer großen Zahl von großen und kleinen Städten
erwartet.

Dr. Reiche meint, daß von den kommunalen Ausgaben der Ortspolizei, des
Schulwesens, der Bauten, des Armenwesens, der Steuererhebung „die letzten drei
Punkte wohl keinem Bedenken unterliegen". Von der Steuererhebung erklärt er,
sie sei „ja nur eine rein technische Arbeit". So einfach steht die Sache doch
keineswegs! Wir haben ja beobachtet, daß die Finanzen der verschiedenen Städte
sich sehr verschieden gestaltet haben, je nachdem die Stadtverwaltungen gut oder
schlecht gewirtschaftet, eine waghalsige oder vorsichtige Steuer- und Finanzpolitik
getrieben haben. Ein warnendes Beispiel liefert die Geschichte der Stadt Offen¬
bach a. M., deren Finanzen gerade unter dem starken Einfluß der'Sozialdemokraten
eine unerfreuliche Gestalt angenommen haben. Ein Mißbrauch der Finanzgewalt
durch eine sozialdemokratische Mehrheit ist sehr Wohl denkbar. Dr. Reiche fährt
fort: „Das Armenwesen wird ebenso unter demokratischer Verwaltung gedeihen
wie unter der bisherigen und die öffentlichen Bauten desgleichen, da hierfür ja
doch hauptsächlich Fachmänner in Betracht kämen, die als besoldete Genieinde¬
beamte bzw. Magistratsmitglieder angestellt oder gewählt werden müssen." Hierzu
ist zunächst zu bemerken, daß die „Fachmänner" nicht lediglich nach eigenem sach¬
verständigen Ermessen handeln können, sondern von der politischen Gewalt ab¬
hängig sind, die sie anstellt. Wird ein sozialdcmokratischer Magistrat dem „Fach¬
mann", der seiner eigenen Überzeugung folgen will, immer freien Spielraum
lassen? Dr. Reiche erhofft ferner eine Besserung der städtischen VerlMnisse im
Armen- und Bauwesen von der Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses.
Wenn wir hieraus zunächst erwidern müssen, daß die städtische Armen- und Bau¬
verwaltung keineswegs einseitig auf die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten
Rücksichten genommen hat, vielmehr sich von weiten und großen Gesichtspunkten
leiten läßt und emsig auf weitere Fortschritte im echt sozialen Sinn bedacht ist,



*) Über die Wechselwirkung von Gemeinde- und staatlichem Wahlrecht, von Landtags¬
und Reichstagswahlrecht habe ich mich in der genannten Schrift eingehend geäußert.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0294" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333391"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> Bei der Frage der Demokratisierung unserer Gemeinden ist noch ein wich¬<lb/>
tiger Gesichtspunkt zu würdigen, der leider in den gegenwärtigen Verhandlungen<lb/>
meistens übersehen wird"). Setzt sich eine Partei einer Gemeinde in den Besitz<lb/>
der Herrschaft, so verleiht ihr das weiter zugleich sür das gesamte Stnatswesen<lb/>
erhöhte Macht. Denken wir uns den Fall, daß die Sozialdemokratie eine große<lb/>
Zahl von Gemeinden &#x2014; und darunter solche mit maßgebender Bedeutung für<lb/>
das öffentliche Leben, wie Berlin und Hamburg&#x2014; beherrscht, so würde das eine<lb/>
starke Rückwirkung für die Sozialdemokratie im gesamten deutschen Staatsleben<lb/>
ausüben. Die Erinnerung an die Bedeutung von Paris im französischen politischen<lb/>
Leben und der Blick auf Petersburg im gegenwärtigen Nußland sprechen hier<lb/>
Bände. Wenn Berlin bisher die deutsche Öffentlichkeit weniger beeinflußt hat,<lb/>
so liegt das wesentlich an den Schranken, die die preußische Stadtverfassung der<lb/>
Demokratie zieht. Man vergegenwärtige sich doch einmal die Wirkungen einer<lb/>
tobenden Stadtverordnetenversammlung mit bedeutender sozialdemokratischer Mehr¬<lb/>
heit in Berlin und die Machtmittel der Stadt in ihrer Hand. Würden wir unter<lb/>
solchen Verhältnissen Krieg und Streik so gut überstehen können wie jetzt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1075"> Es ließe sich wohl der Satz verteidigen: die Einführung des NeichstagS-<lb/>
wahlrechts in Preußen wäre weniger bedenklich, wenn es nicht auch' in den Ge¬<lb/>
meinden eingeführt wird. Indessen wir sehen ja voraus (und auch Dr. Reiche<lb/>
deutet es an), daß das eine das andere nach sich ziehen würde. Darum sehen<lb/>
die Gegner der Demokratisierung der Gemeinden der völligen Demokratisierung<lb/>
des preußischen Abgeordnetenhauses mit großem Bedenken entgegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1076"> Ich wende mich nunmehr den besonderen Darlegungen Dr. Reiches zu.<lb/>
Es erleichtert unsere Auseinandersetzung, daß er in der Abschätzung der Wirkung<lb/>
der völligen Demokratisierung der Gemeinden mit mir insofern einig ist, als auch<lb/>
er von ihr die Beherrschung-des Stadtverordnetenkollegiums und des Magistrats<lb/>
durch die Sozialdemokratie in einer großen Zahl von großen und kleinen Städten<lb/>
erwartet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1077" next="#ID_1078"> Dr. Reiche meint, daß von den kommunalen Ausgaben der Ortspolizei, des<lb/>
Schulwesens, der Bauten, des Armenwesens, der Steuererhebung &#x201E;die letzten drei<lb/>
Punkte wohl keinem Bedenken unterliegen". Von der Steuererhebung erklärt er,<lb/>
sie sei &#x201E;ja nur eine rein technische Arbeit". So einfach steht die Sache doch<lb/>
keineswegs! Wir haben ja beobachtet, daß die Finanzen der verschiedenen Städte<lb/>
sich sehr verschieden gestaltet haben, je nachdem die Stadtverwaltungen gut oder<lb/>
schlecht gewirtschaftet, eine waghalsige oder vorsichtige Steuer- und Finanzpolitik<lb/>
getrieben haben. Ein warnendes Beispiel liefert die Geschichte der Stadt Offen¬<lb/>
bach a. M., deren Finanzen gerade unter dem starken Einfluß der'Sozialdemokraten<lb/>
eine unerfreuliche Gestalt angenommen haben. Ein Mißbrauch der Finanzgewalt<lb/>
durch eine sozialdemokratische Mehrheit ist sehr Wohl denkbar. Dr. Reiche fährt<lb/>
fort: &#x201E;Das Armenwesen wird ebenso unter demokratischer Verwaltung gedeihen<lb/>
wie unter der bisherigen und die öffentlichen Bauten desgleichen, da hierfür ja<lb/>
doch hauptsächlich Fachmänner in Betracht kämen, die als besoldete Genieinde¬<lb/>
beamte bzw. Magistratsmitglieder angestellt oder gewählt werden müssen." Hierzu<lb/>
ist zunächst zu bemerken, daß die &#x201E;Fachmänner" nicht lediglich nach eigenem sach¬<lb/>
verständigen Ermessen handeln können, sondern von der politischen Gewalt ab¬<lb/>
hängig sind, die sie anstellt. Wird ein sozialdcmokratischer Magistrat dem &#x201E;Fach¬<lb/>
mann", der seiner eigenen Überzeugung folgen will, immer freien Spielraum<lb/>
lassen? Dr. Reiche erhofft ferner eine Besserung der städtischen VerlMnisse im<lb/>
Armen- und Bauwesen von der Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses.<lb/>
Wenn wir hieraus zunächst erwidern müssen, daß die städtische Armen- und Bau¬<lb/>
verwaltung keineswegs einseitig auf die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten<lb/>
Rücksichten genommen hat, vielmehr sich von weiten und großen Gesichtspunkten<lb/>
leiten läßt und emsig auf weitere Fortschritte im echt sozialen Sinn bedacht ist,</p><lb/>
          <note xml:id="FID_122" place="foot"> *) Über die Wechselwirkung von Gemeinde- und staatlichem Wahlrecht, von Landtags¬<lb/>
und Reichstagswahlrecht habe ich mich in der genannten Schrift eingehend geäußert.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0294] Bei der Frage der Demokratisierung unserer Gemeinden ist noch ein wich¬ tiger Gesichtspunkt zu würdigen, der leider in den gegenwärtigen Verhandlungen meistens übersehen wird"). Setzt sich eine Partei einer Gemeinde in den Besitz der Herrschaft, so verleiht ihr das weiter zugleich sür das gesamte Stnatswesen erhöhte Macht. Denken wir uns den Fall, daß die Sozialdemokratie eine große Zahl von Gemeinden — und darunter solche mit maßgebender Bedeutung für das öffentliche Leben, wie Berlin und Hamburg— beherrscht, so würde das eine starke Rückwirkung für die Sozialdemokratie im gesamten deutschen Staatsleben ausüben. Die Erinnerung an die Bedeutung von Paris im französischen politischen Leben und der Blick auf Petersburg im gegenwärtigen Nußland sprechen hier Bände. Wenn Berlin bisher die deutsche Öffentlichkeit weniger beeinflußt hat, so liegt das wesentlich an den Schranken, die die preußische Stadtverfassung der Demokratie zieht. Man vergegenwärtige sich doch einmal die Wirkungen einer tobenden Stadtverordnetenversammlung mit bedeutender sozialdemokratischer Mehr¬ heit in Berlin und die Machtmittel der Stadt in ihrer Hand. Würden wir unter solchen Verhältnissen Krieg und Streik so gut überstehen können wie jetzt? Es ließe sich wohl der Satz verteidigen: die Einführung des NeichstagS- wahlrechts in Preußen wäre weniger bedenklich, wenn es nicht auch' in den Ge¬ meinden eingeführt wird. Indessen wir sehen ja voraus (und auch Dr. Reiche deutet es an), daß das eine das andere nach sich ziehen würde. Darum sehen die Gegner der Demokratisierung der Gemeinden der völligen Demokratisierung des preußischen Abgeordnetenhauses mit großem Bedenken entgegen. Ich wende mich nunmehr den besonderen Darlegungen Dr. Reiches zu. Es erleichtert unsere Auseinandersetzung, daß er in der Abschätzung der Wirkung der völligen Demokratisierung der Gemeinden mit mir insofern einig ist, als auch er von ihr die Beherrschung-des Stadtverordnetenkollegiums und des Magistrats durch die Sozialdemokratie in einer großen Zahl von großen und kleinen Städten erwartet. Dr. Reiche meint, daß von den kommunalen Ausgaben der Ortspolizei, des Schulwesens, der Bauten, des Armenwesens, der Steuererhebung „die letzten drei Punkte wohl keinem Bedenken unterliegen". Von der Steuererhebung erklärt er, sie sei „ja nur eine rein technische Arbeit". So einfach steht die Sache doch keineswegs! Wir haben ja beobachtet, daß die Finanzen der verschiedenen Städte sich sehr verschieden gestaltet haben, je nachdem die Stadtverwaltungen gut oder schlecht gewirtschaftet, eine waghalsige oder vorsichtige Steuer- und Finanzpolitik getrieben haben. Ein warnendes Beispiel liefert die Geschichte der Stadt Offen¬ bach a. M., deren Finanzen gerade unter dem starken Einfluß der'Sozialdemokraten eine unerfreuliche Gestalt angenommen haben. Ein Mißbrauch der Finanzgewalt durch eine sozialdemokratische Mehrheit ist sehr Wohl denkbar. Dr. Reiche fährt fort: „Das Armenwesen wird ebenso unter demokratischer Verwaltung gedeihen wie unter der bisherigen und die öffentlichen Bauten desgleichen, da hierfür ja doch hauptsächlich Fachmänner in Betracht kämen, die als besoldete Genieinde¬ beamte bzw. Magistratsmitglieder angestellt oder gewählt werden müssen." Hierzu ist zunächst zu bemerken, daß die „Fachmänner" nicht lediglich nach eigenem sach¬ verständigen Ermessen handeln können, sondern von der politischen Gewalt ab¬ hängig sind, die sie anstellt. Wird ein sozialdcmokratischer Magistrat dem „Fach¬ mann", der seiner eigenen Überzeugung folgen will, immer freien Spielraum lassen? Dr. Reiche erhofft ferner eine Besserung der städtischen VerlMnisse im Armen- und Bauwesen von der Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses. Wenn wir hieraus zunächst erwidern müssen, daß die städtische Armen- und Bau¬ verwaltung keineswegs einseitig auf die wohlhabenderen Bevölkerungsschichten Rücksichten genommen hat, vielmehr sich von weiten und großen Gesichtspunkten leiten läßt und emsig auf weitere Fortschritte im echt sozialen Sinn bedacht ist, *) Über die Wechselwirkung von Gemeinde- und staatlichem Wahlrecht, von Landtags¬ und Reichstagswahlrecht habe ich mich in der genannten Schrift eingehend geäußert.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/294
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/294>, abgerufen am 22.07.2024.