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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Flurbereinigung

einheitlich und gleichmäßig gestaltet werden. Als Oberbau sei ein thüringisches
Parlament zu schaffen. Einen gewissen Abschluß dieser Vorberatungen zeigt der
Antrag, den der Jenaer Staatsrechtler Eduard Rosenthal am 23. November 1917
auf dem Weimarischen Landtag im Namen der ganzen liberalen Fraktion "wegen
Vereinheitlichung von Gesetzgebung und Verwaltung" einbrachte. Gleichzeitig lockte
aus Jena ein wissenschaftliches Preisausschreiben zur Ausarbeitung von Entwürfen
zu weitgehender Vereinheitlichung von Verwaltung, Recht und Wirtschaft.

Den Anstoß zu dieser Bewegung, die in allen thüringischen Staaten Beifall
findet, hat zweifelsohne die Not des Tages gegeben. "Dem denkenden Beobachter",
schreibt die ..Jenaische Zeitung", "schien es manchmal geradezu ein Gegensatz zu
der großartigen Zusammenfassung der gesamten deutschen Volkskraft gegen die
äußeren Feinde, wie im Kampfe gegen die inneren Schwierigkeiten der Lebens-
Mittelknappheit jeder kleine Staat sein Leben für sich lebte und sich ängstlich gegen
die Nachbarn abschloß." Hinter dieser "sinnfälligen Überspannung des Partikulci-
riSmus" aber, die der thüringische Städtetag bereits vor mehr als Jahresfrist durch
die Schaffung einer Wirtschaftseinheit zu lösen versuchte, tritt jetzt in dem national-
liberalen Antrag die große politische Frage der "thüringischen Einigung" über¬
ragend hervor. Aus dem Kreise vertraulicher Einzelbesprechungen drängt im Herzen
Deutschlands ein Problem zur Entscheidung, das seit einem Jahrhundert in den
wichtigsten Krisen der nationalen Entwicklung als ein Mikrokosmos des großen
Kampfes zwischen Reichsgedanken und Territorialstaat galt.

Wie die deutsche Einheitsfrage, wurde auch die thüringische Einheitsfrage
zum erstenmal im Zeitalter der deutschen Erhebung gestellt. Ihre Lösung konnte
damals, in den Jahren der Fürstenrevolutionen, nur rein dynastisch gedacht
werden. Wohl ließ Napoleon den schweren Schlägen von Jena und Auerstädt nicht
die großzügige Mediatisierungspolitik folgen, die seine Herrschaft in Franken und
Schwaben, am Niederrhein und in Westfalen kennzeichnet. Nach wie vor hielt
vielmehr die bunte, vielfarbige Karte Thüringens auch in der neueren Zeit das
Bild der alten territorialen Zersplitterung fest, die bislang ganz Süd- und West¬
deutschland, der Heimat des Reichsgedankens, eigentümlich gewesen war. Erst in
den Jahren 1813 bis 1815 versuchte Herzog Karl August von Weimar, anfangs
mit Hilfe Napoleons selbst, beim Wechsel des Kriegsglücks mit Unterstützung der
Verbündeten, als mächtigster Sproß der Ernestiner ganz Thüringen unter seiner
Herrschaft zu einigen. Als dies mißlang, wahrte doch die großherzogliche Krone
die Hegemonieansprüche seines Hauses.

Auch die zweite große Krisis der großen deutschen Einheitsbewegung fand
ihren Widerhall im kleineren Kreise der thüringischen Bundesstaaten. Noch 1826
zwar hatte der Streit um das ausgestorbene Herzogtum Gotha-Altenburg nur
neue Zersplitterung gebracht. Ohne Rücksicht aus dynastische und territoriale Zu-
sammenhänge wurden damals Gotha mit Koburg, Meiningen mit Hildburghausen zu¬
sammengekoppelt. Das von den Kreishauptmannschaftt'n Zwickau und Leipzig
fast erdrückte Altenburg ward selbständiger Bundesstaat. Wenige Jahre später aber,
1833, fanden alle thüringischen Gebietsteile zum ersten Male als Provinz des
Preußischen Zollvereins einen lebensfähigen wirtschaftlichen Zusammenschluß. Die
natürliche Hauptstadt des Landes, Erfurt, das auch Napoleon seinerzeit als
"Kaiserstadt" unter seiner unmittelbaren Herrschaft gehalten hatte, wurde wieder
der wirtschaftliche Mittelpunkt ganz Thüringens. Es war der Vorläufer der neuen
Politischen Einheitswelle, die mit den Märzstürmcn des Jahres 1848 das ganze deutsche
Land überflutete. Im Strom dieser unitarischen Bewegung suchte auch Thüringen
aufs neue zur Einigung zu gelangen. Von Innen heraus drängten immer stärker
dle kleinen Nöte des Tages, deren Ursprung man in der Zersplitterung von Ver¬
waltung, Justiz und Wirtschaft erblicken mußte, zur Entscheidung. Von Außen
her forderten die Gedanken an Deutschlands Einheit auch im Herzen des Reiches
Wr Nacheiferung auf


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einheitlich und gleichmäßig gestaltet werden. Als Oberbau sei ein thüringisches
Parlament zu schaffen. Einen gewissen Abschluß dieser Vorberatungen zeigt der
Antrag, den der Jenaer Staatsrechtler Eduard Rosenthal am 23. November 1917
auf dem Weimarischen Landtag im Namen der ganzen liberalen Fraktion „wegen
Vereinheitlichung von Gesetzgebung und Verwaltung" einbrachte. Gleichzeitig lockte
aus Jena ein wissenschaftliches Preisausschreiben zur Ausarbeitung von Entwürfen
zu weitgehender Vereinheitlichung von Verwaltung, Recht und Wirtschaft.

Den Anstoß zu dieser Bewegung, die in allen thüringischen Staaten Beifall
findet, hat zweifelsohne die Not des Tages gegeben. „Dem denkenden Beobachter",
schreibt die ..Jenaische Zeitung", „schien es manchmal geradezu ein Gegensatz zu
der großartigen Zusammenfassung der gesamten deutschen Volkskraft gegen die
äußeren Feinde, wie im Kampfe gegen die inneren Schwierigkeiten der Lebens-
Mittelknappheit jeder kleine Staat sein Leben für sich lebte und sich ängstlich gegen
die Nachbarn abschloß." Hinter dieser „sinnfälligen Überspannung des Partikulci-
riSmus" aber, die der thüringische Städtetag bereits vor mehr als Jahresfrist durch
die Schaffung einer Wirtschaftseinheit zu lösen versuchte, tritt jetzt in dem national-
liberalen Antrag die große politische Frage der „thüringischen Einigung" über¬
ragend hervor. Aus dem Kreise vertraulicher Einzelbesprechungen drängt im Herzen
Deutschlands ein Problem zur Entscheidung, das seit einem Jahrhundert in den
wichtigsten Krisen der nationalen Entwicklung als ein Mikrokosmos des großen
Kampfes zwischen Reichsgedanken und Territorialstaat galt.

Wie die deutsche Einheitsfrage, wurde auch die thüringische Einheitsfrage
zum erstenmal im Zeitalter der deutschen Erhebung gestellt. Ihre Lösung konnte
damals, in den Jahren der Fürstenrevolutionen, nur rein dynastisch gedacht
werden. Wohl ließ Napoleon den schweren Schlägen von Jena und Auerstädt nicht
die großzügige Mediatisierungspolitik folgen, die seine Herrschaft in Franken und
Schwaben, am Niederrhein und in Westfalen kennzeichnet. Nach wie vor hielt
vielmehr die bunte, vielfarbige Karte Thüringens auch in der neueren Zeit das
Bild der alten territorialen Zersplitterung fest, die bislang ganz Süd- und West¬
deutschland, der Heimat des Reichsgedankens, eigentümlich gewesen war. Erst in
den Jahren 1813 bis 1815 versuchte Herzog Karl August von Weimar, anfangs
mit Hilfe Napoleons selbst, beim Wechsel des Kriegsglücks mit Unterstützung der
Verbündeten, als mächtigster Sproß der Ernestiner ganz Thüringen unter seiner
Herrschaft zu einigen. Als dies mißlang, wahrte doch die großherzogliche Krone
die Hegemonieansprüche seines Hauses.

Auch die zweite große Krisis der großen deutschen Einheitsbewegung fand
ihren Widerhall im kleineren Kreise der thüringischen Bundesstaaten. Noch 1826
zwar hatte der Streit um das ausgestorbene Herzogtum Gotha-Altenburg nur
neue Zersplitterung gebracht. Ohne Rücksicht aus dynastische und territoriale Zu-
sammenhänge wurden damals Gotha mit Koburg, Meiningen mit Hildburghausen zu¬
sammengekoppelt. Das von den Kreishauptmannschaftt'n Zwickau und Leipzig
fast erdrückte Altenburg ward selbständiger Bundesstaat. Wenige Jahre später aber,
1833, fanden alle thüringischen Gebietsteile zum ersten Male als Provinz des
Preußischen Zollvereins einen lebensfähigen wirtschaftlichen Zusammenschluß. Die
natürliche Hauptstadt des Landes, Erfurt, das auch Napoleon seinerzeit als
»Kaiserstadt" unter seiner unmittelbaren Herrschaft gehalten hatte, wurde wieder
der wirtschaftliche Mittelpunkt ganz Thüringens. Es war der Vorläufer der neuen
Politischen Einheitswelle, die mit den Märzstürmcn des Jahres 1848 das ganze deutsche
Land überflutete. Im Strom dieser unitarischen Bewegung suchte auch Thüringen
aufs neue zur Einigung zu gelangen. Von Innen heraus drängten immer stärker
dle kleinen Nöte des Tages, deren Ursprung man in der Zersplitterung von Ver¬
waltung, Justiz und Wirtschaft erblicken mußte, zur Entscheidung. Von Außen
her forderten die Gedanken an Deutschlands Einheit auch im Herzen des Reiches
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[0283] Deutsche Flurbereinigung einheitlich und gleichmäßig gestaltet werden. Als Oberbau sei ein thüringisches Parlament zu schaffen. Einen gewissen Abschluß dieser Vorberatungen zeigt der Antrag, den der Jenaer Staatsrechtler Eduard Rosenthal am 23. November 1917 auf dem Weimarischen Landtag im Namen der ganzen liberalen Fraktion „wegen Vereinheitlichung von Gesetzgebung und Verwaltung" einbrachte. Gleichzeitig lockte aus Jena ein wissenschaftliches Preisausschreiben zur Ausarbeitung von Entwürfen zu weitgehender Vereinheitlichung von Verwaltung, Recht und Wirtschaft. Den Anstoß zu dieser Bewegung, die in allen thüringischen Staaten Beifall findet, hat zweifelsohne die Not des Tages gegeben. „Dem denkenden Beobachter", schreibt die ..Jenaische Zeitung", „schien es manchmal geradezu ein Gegensatz zu der großartigen Zusammenfassung der gesamten deutschen Volkskraft gegen die äußeren Feinde, wie im Kampfe gegen die inneren Schwierigkeiten der Lebens- Mittelknappheit jeder kleine Staat sein Leben für sich lebte und sich ängstlich gegen die Nachbarn abschloß." Hinter dieser „sinnfälligen Überspannung des Partikulci- riSmus" aber, die der thüringische Städtetag bereits vor mehr als Jahresfrist durch die Schaffung einer Wirtschaftseinheit zu lösen versuchte, tritt jetzt in dem national- liberalen Antrag die große politische Frage der „thüringischen Einigung" über¬ ragend hervor. Aus dem Kreise vertraulicher Einzelbesprechungen drängt im Herzen Deutschlands ein Problem zur Entscheidung, das seit einem Jahrhundert in den wichtigsten Krisen der nationalen Entwicklung als ein Mikrokosmos des großen Kampfes zwischen Reichsgedanken und Territorialstaat galt. Wie die deutsche Einheitsfrage, wurde auch die thüringische Einheitsfrage zum erstenmal im Zeitalter der deutschen Erhebung gestellt. Ihre Lösung konnte damals, in den Jahren der Fürstenrevolutionen, nur rein dynastisch gedacht werden. Wohl ließ Napoleon den schweren Schlägen von Jena und Auerstädt nicht die großzügige Mediatisierungspolitik folgen, die seine Herrschaft in Franken und Schwaben, am Niederrhein und in Westfalen kennzeichnet. Nach wie vor hielt vielmehr die bunte, vielfarbige Karte Thüringens auch in der neueren Zeit das Bild der alten territorialen Zersplitterung fest, die bislang ganz Süd- und West¬ deutschland, der Heimat des Reichsgedankens, eigentümlich gewesen war. Erst in den Jahren 1813 bis 1815 versuchte Herzog Karl August von Weimar, anfangs mit Hilfe Napoleons selbst, beim Wechsel des Kriegsglücks mit Unterstützung der Verbündeten, als mächtigster Sproß der Ernestiner ganz Thüringen unter seiner Herrschaft zu einigen. Als dies mißlang, wahrte doch die großherzogliche Krone die Hegemonieansprüche seines Hauses. Auch die zweite große Krisis der großen deutschen Einheitsbewegung fand ihren Widerhall im kleineren Kreise der thüringischen Bundesstaaten. Noch 1826 zwar hatte der Streit um das ausgestorbene Herzogtum Gotha-Altenburg nur neue Zersplitterung gebracht. Ohne Rücksicht aus dynastische und territoriale Zu- sammenhänge wurden damals Gotha mit Koburg, Meiningen mit Hildburghausen zu¬ sammengekoppelt. Das von den Kreishauptmannschaftt'n Zwickau und Leipzig fast erdrückte Altenburg ward selbständiger Bundesstaat. Wenige Jahre später aber, 1833, fanden alle thüringischen Gebietsteile zum ersten Male als Provinz des Preußischen Zollvereins einen lebensfähigen wirtschaftlichen Zusammenschluß. Die natürliche Hauptstadt des Landes, Erfurt, das auch Napoleon seinerzeit als »Kaiserstadt" unter seiner unmittelbaren Herrschaft gehalten hatte, wurde wieder der wirtschaftliche Mittelpunkt ganz Thüringens. Es war der Vorläufer der neuen Politischen Einheitswelle, die mit den Märzstürmcn des Jahres 1848 das ganze deutsche Land überflutete. Im Strom dieser unitarischen Bewegung suchte auch Thüringen aufs neue zur Einigung zu gelangen. Von Innen heraus drängten immer stärker dle kleinen Nöte des Tages, deren Ursprung man in der Zersplitterung von Ver¬ waltung, Justiz und Wirtschaft erblicken mußte, zur Entscheidung. Von Außen her forderten die Gedanken an Deutschlands Einheit auch im Herzen des Reiches Wr Nacheiferung auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/283>, abgerufen am 22.07.2024.