Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht

fehlt. Die lebendige Wissenschaft der Sozialökonomie ist durch ihre Lage zum
toten Strang gemacht ...

Indessen braucht der Staat immer dringender tüchtige Wirtjchaftsbeamie.
Seine moderne Organisation greift immer tiefer ins wirtschaftliche Gebiet über.
Die Außeninteressen der Staaten sehen sich je länger je stärker von wirtschaftlichen
Beziehungen durchsetzt, ja bestimmend beeinflußt. Die Privatwirtschaften wachsen
sich immer mehr zu gewaltigen Verbänden aus, die weitsichtiger, ökonomisch ge¬
schulter Leiter und Angestellter bedürfen. Unter der wachsenden Einsicht -- die
Not des Krieges hat den Scharfblick gesteigert -- rufen Staat und Verbände
aller Art laut nach Volkswirten; tausend Probleme harren fachmännischer Lösung.
-- Man richte daher rechtzeitig Studium und Laufbahn zweckentsprechend her -
und die tüchtigen Fachleute werden binnen kurzem bereit stehen.




parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht

in Leitartikel der "Frankfurter Zeitung" (..Die Pflicht der Mehrheit")
vom 10. Februar heißt es:

". . Die Zeiten haben sich geändert. Der Reichstag ist nicht
mehr nur zum Reden, er ist zum Handeln berufen. Seine Mehrheit
entscheidet über die Richtung der Politik und über das Schicksal
der Negierung."

Ferner erklärt die "Liberale Korrespondenz", der Parteioffiziosus der Fort-
schrittler, im Anschluß an die bekannten Äußerungen des Grafen Hertling und des
Ministers Friedberg zur Wahlreform:

"Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Graf Hertling, Dr. Fried¬
berg und Dr. Drews mit dem gleichen Wahlrecht stehen und fallen."

Zunächst ein Wort der Quellenkritik. Der Satz der "Liberalen Korrespondenz"
ist uns noch einmal überliefert. In der "Sozialen Praxis" schreibt Professor Francke
"aus unanfechtbarer Quelle", der Reichskanzler habe "keinen Zweifel darüber ge¬
lassen, daß er mit der preußischen Wahlrechtsreform stehe und falle". Nur ein
Wechsel von der dritten zur ersten Person und doch ein völlig veränderter Sinn!
Denn daß ein konstitutioneller Minister von sich aus seinen Abschied einreicht, wenn
er wie Graf Hertling im vorliegenden Falle sein gegebenes Wort auch "mit allen
ihm zu Gebote stehenden Mitteln"*) nicht zu halten vermag, ist durchaus loyal.
Die letzte Entscheidung über sein Stehen oder Fallen hätte dann aber immer noch
die Krone. Wir wissen nicht, ob die "Liberale Korrespondenz" denselben Gewährs¬
mann wie Professor Francke hat, ihre Fassung läßt zum mindesten eine Deutung
zu, die sich mit dem Satz der "Frankfurter Zeitung" deckt.



*) Vgl. Graf Hertlmgs Mitteilung an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses.
Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht

fehlt. Die lebendige Wissenschaft der Sozialökonomie ist durch ihre Lage zum
toten Strang gemacht ...

Indessen braucht der Staat immer dringender tüchtige Wirtjchaftsbeamie.
Seine moderne Organisation greift immer tiefer ins wirtschaftliche Gebiet über.
Die Außeninteressen der Staaten sehen sich je länger je stärker von wirtschaftlichen
Beziehungen durchsetzt, ja bestimmend beeinflußt. Die Privatwirtschaften wachsen
sich immer mehr zu gewaltigen Verbänden aus, die weitsichtiger, ökonomisch ge¬
schulter Leiter und Angestellter bedürfen. Unter der wachsenden Einsicht — die
Not des Krieges hat den Scharfblick gesteigert — rufen Staat und Verbände
aller Art laut nach Volkswirten; tausend Probleme harren fachmännischer Lösung.
— Man richte daher rechtzeitig Studium und Laufbahn zweckentsprechend her -
und die tüchtigen Fachleute werden binnen kurzem bereit stehen.




parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht

in Leitartikel der „Frankfurter Zeitung" (..Die Pflicht der Mehrheit")
vom 10. Februar heißt es:

„. . Die Zeiten haben sich geändert. Der Reichstag ist nicht
mehr nur zum Reden, er ist zum Handeln berufen. Seine Mehrheit
entscheidet über die Richtung der Politik und über das Schicksal
der Negierung."

Ferner erklärt die „Liberale Korrespondenz", der Parteioffiziosus der Fort-
schrittler, im Anschluß an die bekannten Äußerungen des Grafen Hertling und des
Ministers Friedberg zur Wahlreform:

„Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Graf Hertling, Dr. Fried¬
berg und Dr. Drews mit dem gleichen Wahlrecht stehen und fallen."

Zunächst ein Wort der Quellenkritik. Der Satz der „Liberalen Korrespondenz"
ist uns noch einmal überliefert. In der „Sozialen Praxis" schreibt Professor Francke
„aus unanfechtbarer Quelle", der Reichskanzler habe „keinen Zweifel darüber ge¬
lassen, daß er mit der preußischen Wahlrechtsreform stehe und falle". Nur ein
Wechsel von der dritten zur ersten Person und doch ein völlig veränderter Sinn!
Denn daß ein konstitutioneller Minister von sich aus seinen Abschied einreicht, wenn
er wie Graf Hertling im vorliegenden Falle sein gegebenes Wort auch „mit allen
ihm zu Gebote stehenden Mitteln"*) nicht zu halten vermag, ist durchaus loyal.
Die letzte Entscheidung über sein Stehen oder Fallen hätte dann aber immer noch
die Krone. Wir wissen nicht, ob die „Liberale Korrespondenz" denselben Gewährs¬
mann wie Professor Francke hat, ihre Fassung läßt zum mindesten eine Deutung
zu, die sich mit dem Satz der „Frankfurter Zeitung" deckt.



*) Vgl. Graf Hertlmgs Mitteilung an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333361"/>
          <fw type="header" place="top"> Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_924" prev="#ID_923"> fehlt. Die lebendige Wissenschaft der Sozialökonomie ist durch ihre Lage zum<lb/>
toten Strang gemacht ...</p><lb/>
          <p xml:id="ID_925"> Indessen braucht der Staat immer dringender tüchtige Wirtjchaftsbeamie.<lb/>
Seine moderne Organisation greift immer tiefer ins wirtschaftliche Gebiet über.<lb/>
Die Außeninteressen der Staaten sehen sich je länger je stärker von wirtschaftlichen<lb/>
Beziehungen durchsetzt, ja bestimmend beeinflußt. Die Privatwirtschaften wachsen<lb/>
sich immer mehr zu gewaltigen Verbänden aus, die weitsichtiger, ökonomisch ge¬<lb/>
schulter Leiter und Angestellter bedürfen. Unter der wachsenden Einsicht &#x2014; die<lb/>
Not des Krieges hat den Scharfblick gesteigert &#x2014; rufen Staat und Verbände<lb/>
aller Art laut nach Volkswirten; tausend Probleme harren fachmännischer Lösung.<lb/>
&#x2014; Man richte daher rechtzeitig Studium und Laufbahn zweckentsprechend her -<lb/>
und die tüchtigen Fachleute werden binnen kurzem bereit stehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht</head><lb/>
          <p xml:id="ID_926"> in Leitartikel der &#x201E;Frankfurter Zeitung" (..Die Pflicht der Mehrheit")<lb/>
vom 10. Februar heißt es:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_927"> &#x201E;. . Die Zeiten haben sich geändert. Der Reichstag ist nicht<lb/>
mehr nur zum Reden, er ist zum Handeln berufen. Seine Mehrheit<lb/>
entscheidet über die Richtung der Politik und über das Schicksal<lb/>
der Negierung."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_928"> Ferner erklärt die &#x201E;Liberale Korrespondenz", der Parteioffiziosus der Fort-<lb/>
schrittler, im Anschluß an die bekannten Äußerungen des Grafen Hertling und des<lb/>
Ministers Friedberg zur Wahlreform:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_929"> &#x201E;Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Graf Hertling, Dr. Fried¬<lb/>
berg und Dr. Drews mit dem gleichen Wahlrecht stehen und fallen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_930"> Zunächst ein Wort der Quellenkritik. Der Satz der &#x201E;Liberalen Korrespondenz"<lb/>
ist uns noch einmal überliefert. In der &#x201E;Sozialen Praxis" schreibt Professor Francke<lb/>
&#x201E;aus unanfechtbarer Quelle", der Reichskanzler habe &#x201E;keinen Zweifel darüber ge¬<lb/>
lassen, daß er mit der preußischen Wahlrechtsreform stehe und falle". Nur ein<lb/>
Wechsel von der dritten zur ersten Person und doch ein völlig veränderter Sinn!<lb/>
Denn daß ein konstitutioneller Minister von sich aus seinen Abschied einreicht, wenn<lb/>
er wie Graf Hertling im vorliegenden Falle sein gegebenes Wort auch &#x201E;mit allen<lb/>
ihm zu Gebote stehenden Mitteln"*) nicht zu halten vermag, ist durchaus loyal.<lb/>
Die letzte Entscheidung über sein Stehen oder Fallen hätte dann aber immer noch<lb/>
die Krone. Wir wissen nicht, ob die &#x201E;Liberale Korrespondenz" denselben Gewährs¬<lb/>
mann wie Professor Francke hat, ihre Fassung läßt zum mindesten eine Deutung<lb/>
zu, die sich mit dem Satz der &#x201E;Frankfurter Zeitung" deckt.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_115" place="foot"> *) Vgl. Graf Hertlmgs Mitteilung an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0264] Parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht fehlt. Die lebendige Wissenschaft der Sozialökonomie ist durch ihre Lage zum toten Strang gemacht ... Indessen braucht der Staat immer dringender tüchtige Wirtjchaftsbeamie. Seine moderne Organisation greift immer tiefer ins wirtschaftliche Gebiet über. Die Außeninteressen der Staaten sehen sich je länger je stärker von wirtschaftlichen Beziehungen durchsetzt, ja bestimmend beeinflußt. Die Privatwirtschaften wachsen sich immer mehr zu gewaltigen Verbänden aus, die weitsichtiger, ökonomisch ge¬ schulter Leiter und Angestellter bedürfen. Unter der wachsenden Einsicht — die Not des Krieges hat den Scharfblick gesteigert — rufen Staat und Verbände aller Art laut nach Volkswirten; tausend Probleme harren fachmännischer Lösung. — Man richte daher rechtzeitig Studium und Laufbahn zweckentsprechend her - und die tüchtigen Fachleute werden binnen kurzem bereit stehen. parlamentarische Regierung und gleiches Wahlrecht in Leitartikel der „Frankfurter Zeitung" (..Die Pflicht der Mehrheit") vom 10. Februar heißt es: „. . Die Zeiten haben sich geändert. Der Reichstag ist nicht mehr nur zum Reden, er ist zum Handeln berufen. Seine Mehrheit entscheidet über die Richtung der Politik und über das Schicksal der Negierung." Ferner erklärt die „Liberale Korrespondenz", der Parteioffiziosus der Fort- schrittler, im Anschluß an die bekannten Äußerungen des Grafen Hertling und des Ministers Friedberg zur Wahlreform: „Hiernach kann es keinem Zweifel unterliegen, daß Graf Hertling, Dr. Fried¬ berg und Dr. Drews mit dem gleichen Wahlrecht stehen und fallen." Zunächst ein Wort der Quellenkritik. Der Satz der „Liberalen Korrespondenz" ist uns noch einmal überliefert. In der „Sozialen Praxis" schreibt Professor Francke „aus unanfechtbarer Quelle", der Reichskanzler habe „keinen Zweifel darüber ge¬ lassen, daß er mit der preußischen Wahlrechtsreform stehe und falle". Nur ein Wechsel von der dritten zur ersten Person und doch ein völlig veränderter Sinn! Denn daß ein konstitutioneller Minister von sich aus seinen Abschied einreicht, wenn er wie Graf Hertling im vorliegenden Falle sein gegebenes Wort auch „mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln"*) nicht zu halten vermag, ist durchaus loyal. Die letzte Entscheidung über sein Stehen oder Fallen hätte dann aber immer noch die Krone. Wir wissen nicht, ob die „Liberale Korrespondenz" denselben Gewährs¬ mann wie Professor Francke hat, ihre Fassung läßt zum mindesten eine Deutung zu, die sich mit dem Satz der „Frankfurter Zeitung" deckt. *) Vgl. Graf Hertlmgs Mitteilung an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/264
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/264>, abgerufen am 22.07.2024.